GEGEN DEN FINANZKOLONIALISMUS

„Debt for Climate“ will eine Schuldenstreichung für den Globalen Süden. Warum widmet ihr euch dem Thema Schulden?

Esteban: Das Thema Schulden ist ein gemeinsamer Nenner, der Arbeiter*innenorganisationen, soziale und Klimabewegungen sowie feministische und indigene Gruppen zusammenbringt. Wir versuchen, politische Macht herzustellen, in dem wir viele verschiedene Bewegungen miteinander verbinden und aufzeigen, dass Schulden im Mittelpunkt der Klimakrise stehen. „Debt for Climate“ hat mittlerweile dezentrale Gruppen in rund 30 Ländern.

Ihr sprecht von der „Klimaschuld“ des Globalen Nordens. Was meint ihr damit?

Esteban: Die Entwicklung der industrialisierten Länder des Globalen Nordens hat auf dem Rücken der Nationen im Globalen Süden stattgefunden, dessen natürliche Ressourcen dafür geplündert wurden. Die Industrialisierung hat dabei die meisten Treibhausgas-Emissionen verursacht. Deutschland ist historisch gesehen der viertgrößte CO2-Emittent weltweit. Der Globale Süden ist nur für etwa acht Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, sogar inklusive China. Daraus ergibt sich eine „Klimaschuld“ des Globalen Nordens gegenüber dem Globalen Süden.

Ihr stellt euch auch gegen den globalen „Finanzkolonialismus“. Was genau versteht ihr darunter?

Esteban: Der jüngste IPCC-Bericht erkennt an, dass Kolonialismus die Ursache der Klimakrise ist. Heutzutage nimmt Kolonialismus die Form von Schulden an. Wenn wir ernsthaften Klimaschutz betreiben wollen, müssen wir uns fragen: Wer schuldet wem? Der Globale Süden schuldet dem Globalen Norden kein Geld: Die sogenannten Schulden sind zumeist unrechtmäßig. Etwa, weil sie mit Diktatoren vereinbart worden sind oder schon mehrfach in Zinsen zurückbezahlt wurden. Der erste Schritt, um die „Klimaschuld“ des Globalen Nordens zu begleichen, muss eine Streichung der finanziellen Schulden des Globalen Südens sein, sodass diese Länder souverän und selbstbestimmt einen gerechten Gesellschafts- und Energiewandel vollziehen können. Wegen der Schulden sind diese Länder dazu gezwungen, ihre fossilen Ressourcen auszubeuten, darunter viele CO2-Bomben wie die gigantische Ölschiefer-Lagerstätte Vaca Muerta in Argentinien. Wenn diese fossilen Energieträger im Wert von Milliarden von US-Dollar im Boden gelassen werden, kommt das der gesamten Welt zugute.

In den Kreisen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) wurden bereits Konzepte des „Green Debt Swap“ diskutiert, die einen Schuldenerlass für besonders von der Klimakrise gefährdete Länder vorsehen, wenn diese im Gegenzug in Klima- und Umweltschutz investieren. Zuletzt gab es im Herbst 2022 einen solchen Deal zwischen der Schweizer Bank Credit Suisse und dem Staat Barbados. Ihr bezeichnet solche Deals aber als „Greenwashing“.

Louise: Diese Deals funktionieren so: Eine dritte Institution des Globalen Nordens, etwa eine Naturschutzorganisation wie der WWF, kauft einen meist unbedeutenden Teil der Schulden auf. Dafür erhält sie Landrechte in dem verschuldeten Staat, mit denen sie Naturschutz nach Auffassung des weißen Globalen Nordens durchsetzen kann. Dem zugrunde liegt die Vorstellung einer unberührten Natur, die es vor jeglichem menschlichen Eingriff zu bewahren gilt, da der Mensch diese nur zerstören würde. Das muss nicht so sein – es gibt durchaus auch Lebensweisen, die die Umwelt als Mitwelt verstehen und auf einer Vorstellung des Austausches statt der Ausbeutung basieren. Diese Art von westlichem Naturschutz hat meist zur Folge, dass das Land privatisiert und die Menschen, die dort leben oder fischen, enteignet oder vertrieben werden. Durch die „Green Swap Deals“ entsteht somit ein Macht-Dreieck aus den Kreditgebern und der NGO, die zu so etwas wie einer Pseudo-Regierung des verschuldeten Staates werden. Das ist keine Schuldenstreichung, sondern „Greenwashing“ beziehungsweise „grüner“ Kolonialismus. Denn es gibt wiederum den Institutionen des Globalen Nordens Macht über die Energie- und Umweltgesetze der verschuldeten Staaten. Die beteiligten Institutionen stellen das als eine „Win-Win-Win-Situation“ dar, aber das stimmt nicht: Die ehemaligen Kolonialländer lassen die kolonialisierten Länder für deren Energiewende bezahlen, anstatt die Schulden zu streichen, zusätzlich Reparationen zu zahlen und Klimafinanzierungen bereitzustellen.

Am 27. Februar hat eine globale Aktion von „Debt For Climate“ stattgefunden. Warum an diesen Tag?

Louise: Am 27. Februar war der 70. Jahrestag der Schuldenstreichung von Deutschland. 1953 hat die Bundesrepublik das Londoner Schuldenabkommen unterzeichnet, das die immensen Schulden Deutschlands aus der Zeit rund um die Weltkriege um über die Hälfte verringerte. Verschiedene Länder und Privatinstitutionen beschlossen da außerdem günstige Bedingungen für das Abbezahlen der restlichen Schulden. Keinem Staat des Globalen Südens werden heutzutage solche Bedingungen zugestanden – etwa die Schulden in der landeseigenen Währung zurückzuzahlen. Länder des Globalen Südens müssen fossile Rohstoffe gewinnen und exportieren, um überhaupt an US-Dollar zu kommen, mit denen sie ihre Schulden bezahlen können. In dem Londoner Schuldenabkommen wurde außerdem beschlossen, dass Deutschland nicht mehr bezahlen musste, als es an Geld aufbringen konnte. Das ist genau das Gegenteil von dem, was heute mit den Schulden des Globalen Südens passiert.

Warum diese Ungleichbehandlung?

Louise: Die Staaten des Globalen Südens sind in einer ewigen Verschuldung gefangen, weil das eine Einnahmequelle für den Globalen Norden ist. Deutschlands Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg ist als Wirtschaftswunder bekannt – aber es war kein Wunder, sondern es hatte mit der Schuldenstreichung zu tun! Der Globale Norden weiß genau, welches Potenzial in der Schuldenstreichung steckt, denn Deutschland ist heute eine der stärksten Wirtschaftskräfte weltweit.


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