Chile | Nummer 235 - Januar 1994

Energiepolitik im Modelland Chile

Ökologisch gefährliches Großprojekt am Bio-Bio abgesegnet

Die Aktionsgruppe für den Bio-Bio (GABB) beschreibt die Beweggründe ihres Engagements eindeutig: “Beim Streit um das Staudammprojekt Pangue am Oberlauf des Bio-Bio, das das Überleben eines durch seine Artenvielfalt ge­kennzeichneten Ökosystems gefährdet, geht es um mehr als um ein Energieprojekt. Zur Debatte steht die Energiepolitik Chiles und damit ein gan­zes Entwicklungsmodell.” Tatsächlich kann die jahrelange Auseinandersetzung um die energiewirtschaftliche Nutzbarmachung des Bio-Bio in ihrer Bedeutung nicht auf den Widerstand einer Handvoll UmweltaktivistInnen gegen ein ökolo­gisch schädliches Großprojekt reduziert werden. Der Gestaltungswillen der chilenischen Regierung bei der Suche nach einer langfristig orientierten Ener­giepolitik steht ebenso auf dem Prüfstand wie ihre Bereitschaft, den Lebens- und Eigentumsrechten des indigenen Pehuen­che-Volkes Geltung zu verschaf­fen. Darüber hinaus hat die richterliche Ent­scheidung des Corte Suprema zur Rechtmäßigkeit des Pangue-Projekts einmal mehr die Bereitschaft der Obersten Richter des Landes deutlich gemacht, sich als Instrument privatwirtschaftlicher Interessen benutzen zu lassen.

Kurt Oss

Monopol im Energiesektor

Bereits seit Jahrzehnten erforscht EN­DESA, das nationale Stromerzeugungs-unternehmen, die Mög­lichkeiten, den Bio-Bio zur Energieversorgung Chiles nutzbar zu ma­chen. Nachdem ENDESA 1988 von staat­lichem Besitz in eine private Aktienge­sellschaft überführt worden war, wurden diese Bemühungen forciert. Hauptaktionär ENDESAs ist das private Konsortium En­ersis, das nicht nur 70 Pro-zent der ge­samten Stromerzeugung, son-dern über das Stromverteilerunternehmen Chilectra den gesamten Energiesektor des Landes mo­nopolartig kontrolliert. Enersis profitiert maßgeblich von der lückenhaf­ten chileni­schen Gesetzgebung, die staat-lichen Stel­len nur wenig Eingriffs-mög­lichkeiten bei der Steuerung privater Investitionsvorhaben gewährt. Dabei soll die 1987 gegründete Nationale Energie­kommission (CNE), die direkt dem Staats-präsidenten untersteht, eigentlich die Ener­giepolitik Chiles planen, sowie Pro­jekte zur Stromerzeugung genehmigen. Ihre einzige Möglichkeit, um steuernd ein-zugreifen, besteht darin, daß Banken und andere Finanzinstitutionen in der Re­gel nur dann Kreditzusagen machen, wenn In-vestitionsvorhaben von der CNE befür-wortet werden.
Aber auch dieser Mechanismus trägt nur wenig zur umweltpolitischen Kontrolle bei, denn die CNE zeichnet sich ins-be­sondere durch ihre Nähe zu privatwirt-schaftlichen Interessen aus. Ihr Di­rektor, Jaime Tohe, wurde nicht müde, Erhöhun­gen der Stromtarife anzukündi­gen, sollte es durch den Verzicht auf das Staudamm­projekt am Bio-Bio nicht gelin­gen, ab 1997 den auf 5,5 bis 6 Prozent geschätzten jährlichen Mehrbedarf an Strom zu decken. Außerdem hatte die CNE EN­DESA bereits 1990 die Genehmigung zur Konstruktion des Staudamms Pangue er­teilt, ohne zuvor die Ergebnisse der Um­weltverträglichkeitsstudien abzuwarten, die das Unternehmen in Auftrag gegeben hatte. Die Bauarbeiten dauerten zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre an.

Die drohenden Gefahren des Staudamms

Gerade aber auf die Studien der ENDESA berufen sich die KritikerInnen von Pangue unter anderem, die sich im März 1991 in der GABB organisiert haben. Die GABB bündelt die Aktivitäten von Umwelt­schutzbewegungen und VertreterInnen der Pehuenche-Mapuche, den hauptsächlich Betroffenen des Staudammprojekts. Sogar die mangelhaft ausgearbeiteten Untersu­chungen, die ENDESA aus gutem Grund der Öffentlichkeit vorenthält, verdeutli­chen die großen ökologischen Risiken, die mit Pangue einhergehen.
Die Überflutung von 500 Hektar Land am oberen Bio-Bio würde unausweichlich, in­folge des Zersetzungsprozesses der Pflan­zen, die Wasserqualität mindern. Durch die Abnahme der im Wasser gelösten Nährstoffe würde der Fischbestand im Golf von Arauco, in den der Bio-Bio mündet, gefährdet werden und mit ihm die Existenz der dort ansässigen Fischerdör­fer.
Zudem würden durch die Regulierung des Bio-Bio die Interessen der am Oberlauf lebenden kleinbäuerlichen Familien ver­letzt, denn zum einen wäre die Bewässe­rung nicht länger gewährleistet und zum anderen hätte die gelegentliche Öffnung des Damms zur Konsequenz, daß die her­einbrechenden Wassermassen die frucht­baren oberen Erdschichten wegwaschen würden. Völlig unberücksichtigt bleibt in den von ENDESA in Auftrag gegebenen Studien das Gefährdungspotential, das von den umliegenden aktiven Vulkanen ausgeht. Sollte es tatsächlich zu einem Vulkanausbruch kommen, würden Erdrut­sche den Staudamm zerstören und unkon­trollierbare Überflutungen wären die Folge. Außerdem gehen die zitierten Stu­dien nur vom Bau des Pangue aus, obwohl bekannt ist, daß noch fünf weitere Tal­sperren geplant sind. Ende Oktober mußte dies auch die chilenische Regierung öf­fentlich eingestehen.

Folgen für die Pehuenche-Mapuche

Diese drohenden Konsequenzen hätten vor allem die 10000 Pehuenche zu tragen, die am Oberlauf des Bio-Bio leben. Be­dingt durch die schwer zugängliche Lage dieser Region ist es den Pehuenche gelun­gen, ihre traditionellen Lebensformen weitestgehend zu bewahren. Der mit dem Staudamm verbundene Straßenbau wird dieser Abgeschiedenheit ein Ende bereiten und die indigenen Gemeinschaften mit schädlichen Einflüssen der sogenannten Zivilisation konfrontieren. ENDESA hält diesen Argumenten entgegen, daß die Pe­huenche in großer Armut lebten, so daß das Angebot von 2000 Arbeitsplätzen einen wichtigen Beitrag zur Existenzsi­cherung leisten könnte. Diese 2000 Ar­beitsplätze würden jedoch allenfalls wäh­rend der Bauarbeiten existieren. Nach de­ren Abschluß werden wenige Dutzend Ar-beitskräfte ausreichen, um den Stau­damm zu betreiben.
ENDESA führt im Augenblick Verhand­lungen mit den Pehuenche, in denen sie ihnen Landbesitz in einer anderen Region anbietet. Den Pehuenche scheint keine an­dere Möglichkeit zu bleiben, als schließlich in das vorgeschlagene Tausch­geschäft einzuwilligen. Die 1979 unter der Militärdiktatur verabschiedete Indígena-Gesetzgebung erklärte gemeinschaftlichen Landbesitz für unzulässig, so daß die Pe­huenche bis vor kurzem über keinerlei juristisch abgesicherte Landrechte ver­fügten. Auch die jüngst verabschiedete neue Indígena-Gesetzgebung ändert an dieser Situation insofern sehr wenig, als daß die Pehuenche ihre vor 1993 verlore­nen Ländereien nicht zurückerhalten. Ihre VertreterInnen fordern heute neben der Einstellung der Bauarbeiten des Pangue-Staudamms die Gewährung staatlicher Finanzhilfen sowie die Anerkennung ihrer Gebietsansprüche.

Erster juristischer Erfolg für die Pangue-GegnerInnen

Im Juni 1993 erzielten die GegnerInnen des Pangue-Projekts einen ersten juristi­schen Erfolg. Das Berufungsgericht von Concepción, die zuständige richterliche Instanz für die Region um den Bio-Bio, verlangte von ENDESA die Modifizie­rung der Baupläne, um sicherzustellen, daß die Interessen Dritter nicht gefährdet würden. Die vorliegende Genehmigung erlaube nur die nichtverbrauchende Was­sernutzung und werde durch die vorgese­hene Projektkonzeption überschritten, da die Regulierung des Flusses die Bewässe­rung umliegender Felder behindere. De facto lief dieses Urteil auf die Verhängung eines Baustopps hinaus. ENDESA legte daraufhin postwendend bei dem Corte Su­prema Berufung ein.
Die Argumentation der ENDESA-Anwäl­tInnen bezog sich in erster Linie auf den drohenden Umbau aller vergleichbaren Staudämme, so daß es unweigerlich zu ei­ner etwa 25-prozentigen Anhebung der Strompreise kommen würde. Die Natio­nale Energiekommission (CNE) gab EN­DESA bei diesem Streit nach Kräften Rückendeckung und warnte immer wieder vor den negativen Folgen eines Verzichts auf Pangue.
Gestützt auf offizielle Daten der CNE wi­dersprach das staatliche Planungs-ministe­rium MIDEPLAN diesem Sze-nario. Da keinerlei Studien über Alter­nativprojekte vorlägen, sei die Entwick­lung der Strom­preise nicht abzusehen. Das größte Poten­tial liege außerdem in Ener­giespar­pro­grammen, denn immerhin geht augenblicklich rund die Hälfte des er­zeugten und transportierten Stroms verlo­ren. Durch Öffentlichkeitskampagnen ist es während der letzten Dürreperiode ge­lungen, den Energieverbrauch kurzzeitig um 15 Prozent zu senken.

Oberster Gerichtshof gibt Privatinteressen den Vorrang

Als der Oberste Gerichtshof am 5. August das Urteil von Concepción mit dem Hin­weis kassierte, Pangue verfüge über alle notwendigen Genehmigungen, wurde den privaten Gewinninteressen des Monopol­unternehmens auf dem Energiesektor Vorrang vor ökologischen Notwendigkei-ten gegeben. Die weiter gesteckten For-derungen der KritikerInnen Pangues zie-len auf die Formulierung einer natio­nalen Energiepolitik, die durch eine Ener­giegesetzgebung begleitet wird, welche Stromerzeugung und -transport nicht län­ger in den Händen eines einzigen Unter­nehmens beläßt. Darüberhinaus wurden von den der Regierungskoalition angehö­rigen Deputierten der Achten Region, in der Pangue gebaut werden soll, Anträge in das Abgeordnetenhaus eingebracht, um die Gesetzesvorhaben im Umweltbereich sowie das neue Ley Indígena zu beschleu­nigen. Außerdem setzen sich die Depu­tierten dafür ein, Pangue durch unabhän­gige ExpertInnen und den Umweltaus­schuß des Parlaments untersuchen zu las­sen. Abgesehen von dem Hinweis, über keinerlei rechtlichen Möglichkeiten zu verfügen, private Investitionsprojekte zu stoppen, hat sich die chilenische Regierung bisher bedeckt gehalten.

Dreht die Weltbank den Kredithahn zu?

Die vermutlich einzige realistische Chance, Pangue samt den geplanten Nach­folgeprojekten zu verhindern, besteht darin, auf internationaler Ebene Druck auszuüben. Pangue soll insgesamt 470 Millionen US-Dollar kosten, von denen 120 Millionen über die Weltbanktochter CFI finanziert werden, die in drei Raten ausgezahlt werden sollen. Da Weltbank-Kredite an Umweltauflagen, etwa Ver­träglichkeitsstudien, gebunden sind, hofft GABB weiterhin, das Pangue-Projekt zum Scheitern bringen zu können. ENDESA hat der Weltbank bislang noch keine Stu­die vorgelegt. Obwohl die Unternehmens­führung noch im Dezember des vergange­nen Jahres gejubelt hatte, die erste Teil­zahlung des CFI-Kredites sei erfolgt, mußte sie nach einer Stellungnahme der GABB vor kurzem eingestehen, noch kei­nen Cent erhalten zu haben.

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