Energiepolitik im Modelland Chile
Ökologisch gefährliches Großprojekt am Bio-Bio abgesegnet
Monopol im Energiesektor
Bereits seit Jahrzehnten erforscht ENDESA, das nationale Stromerzeugungs-unternehmen, die Möglichkeiten, den Bio-Bio zur Energieversorgung Chiles nutzbar zu machen. Nachdem ENDESA 1988 von staatlichem Besitz in eine private Aktiengesellschaft überführt worden war, wurden diese Bemühungen forciert. Hauptaktionär ENDESAs ist das private Konsortium Enersis, das nicht nur 70 Pro-zent der gesamten Stromerzeugung, son-dern über das Stromverteilerunternehmen Chilectra den gesamten Energiesektor des Landes monopolartig kontrolliert. Enersis profitiert maßgeblich von der lückenhaften chilenischen Gesetzgebung, die staat-lichen Stellen nur wenig Eingriffs-möglichkeiten bei der Steuerung privater Investitionsvorhaben gewährt. Dabei soll die 1987 gegründete Nationale Energiekommission (CNE), die direkt dem Staats-präsidenten untersteht, eigentlich die Energiepolitik Chiles planen, sowie Projekte zur Stromerzeugung genehmigen. Ihre einzige Möglichkeit, um steuernd ein-zugreifen, besteht darin, daß Banken und andere Finanzinstitutionen in der Regel nur dann Kreditzusagen machen, wenn In-vestitionsvorhaben von der CNE befür-wortet werden.
Aber auch dieser Mechanismus trägt nur wenig zur umweltpolitischen Kontrolle bei, denn die CNE zeichnet sich ins-besondere durch ihre Nähe zu privatwirt-schaftlichen Interessen aus. Ihr Direktor, Jaime Tohe, wurde nicht müde, Erhöhungen der Stromtarife anzukündigen, sollte es durch den Verzicht auf das Staudammprojekt am Bio-Bio nicht gelingen, ab 1997 den auf 5,5 bis 6 Prozent geschätzten jährlichen Mehrbedarf an Strom zu decken. Außerdem hatte die CNE ENDESA bereits 1990 die Genehmigung zur Konstruktion des Staudamms Pangue erteilt, ohne zuvor die Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsstudien abzuwarten, die das Unternehmen in Auftrag gegeben hatte. Die Bauarbeiten dauerten zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre an.
Die drohenden Gefahren des Staudamms
Gerade aber auf die Studien der ENDESA berufen sich die KritikerInnen von Pangue unter anderem, die sich im März 1991 in der GABB organisiert haben. Die GABB bündelt die Aktivitäten von Umweltschutzbewegungen und VertreterInnen der Pehuenche-Mapuche, den hauptsächlich Betroffenen des Staudammprojekts. Sogar die mangelhaft ausgearbeiteten Untersuchungen, die ENDESA aus gutem Grund der Öffentlichkeit vorenthält, verdeutlichen die großen ökologischen Risiken, die mit Pangue einhergehen.
Die Überflutung von 500 Hektar Land am oberen Bio-Bio würde unausweichlich, infolge des Zersetzungsprozesses der Pflanzen, die Wasserqualität mindern. Durch die Abnahme der im Wasser gelösten Nährstoffe würde der Fischbestand im Golf von Arauco, in den der Bio-Bio mündet, gefährdet werden und mit ihm die Existenz der dort ansässigen Fischerdörfer.
Zudem würden durch die Regulierung des Bio-Bio die Interessen der am Oberlauf lebenden kleinbäuerlichen Familien verletzt, denn zum einen wäre die Bewässerung nicht länger gewährleistet und zum anderen hätte die gelegentliche Öffnung des Damms zur Konsequenz, daß die hereinbrechenden Wassermassen die fruchtbaren oberen Erdschichten wegwaschen würden. Völlig unberücksichtigt bleibt in den von ENDESA in Auftrag gegebenen Studien das Gefährdungspotential, das von den umliegenden aktiven Vulkanen ausgeht. Sollte es tatsächlich zu einem Vulkanausbruch kommen, würden Erdrutsche den Staudamm zerstören und unkontrollierbare Überflutungen wären die Folge. Außerdem gehen die zitierten Studien nur vom Bau des Pangue aus, obwohl bekannt ist, daß noch fünf weitere Talsperren geplant sind. Ende Oktober mußte dies auch die chilenische Regierung öffentlich eingestehen.
Folgen für die Pehuenche-Mapuche
Diese drohenden Konsequenzen hätten vor allem die 10000 Pehuenche zu tragen, die am Oberlauf des Bio-Bio leben. Bedingt durch die schwer zugängliche Lage dieser Region ist es den Pehuenche gelungen, ihre traditionellen Lebensformen weitestgehend zu bewahren. Der mit dem Staudamm verbundene Straßenbau wird dieser Abgeschiedenheit ein Ende bereiten und die indigenen Gemeinschaften mit schädlichen Einflüssen der sogenannten Zivilisation konfrontieren. ENDESA hält diesen Argumenten entgegen, daß die Pehuenche in großer Armut lebten, so daß das Angebot von 2000 Arbeitsplätzen einen wichtigen Beitrag zur Existenzsicherung leisten könnte. Diese 2000 Arbeitsplätze würden jedoch allenfalls während der Bauarbeiten existieren. Nach deren Abschluß werden wenige Dutzend Ar-beitskräfte ausreichen, um den Staudamm zu betreiben.
ENDESA führt im Augenblick Verhandlungen mit den Pehuenche, in denen sie ihnen Landbesitz in einer anderen Region anbietet. Den Pehuenche scheint keine andere Möglichkeit zu bleiben, als schließlich in das vorgeschlagene Tauschgeschäft einzuwilligen. Die 1979 unter der Militärdiktatur verabschiedete Indígena-Gesetzgebung erklärte gemeinschaftlichen Landbesitz für unzulässig, so daß die Pehuenche bis vor kurzem über keinerlei juristisch abgesicherte Landrechte verfügten. Auch die jüngst verabschiedete neue Indígena-Gesetzgebung ändert an dieser Situation insofern sehr wenig, als daß die Pehuenche ihre vor 1993 verlorenen Ländereien nicht zurückerhalten. Ihre VertreterInnen fordern heute neben der Einstellung der Bauarbeiten des Pangue-Staudamms die Gewährung staatlicher Finanzhilfen sowie die Anerkennung ihrer Gebietsansprüche.
Erster juristischer Erfolg für die Pangue-GegnerInnen
Im Juni 1993 erzielten die GegnerInnen des Pangue-Projekts einen ersten juristischen Erfolg. Das Berufungsgericht von Concepción, die zuständige richterliche Instanz für die Region um den Bio-Bio, verlangte von ENDESA die Modifizierung der Baupläne, um sicherzustellen, daß die Interessen Dritter nicht gefährdet würden. Die vorliegende Genehmigung erlaube nur die nichtverbrauchende Wassernutzung und werde durch die vorgesehene Projektkonzeption überschritten, da die Regulierung des Flusses die Bewässerung umliegender Felder behindere. De facto lief dieses Urteil auf die Verhängung eines Baustopps hinaus. ENDESA legte daraufhin postwendend bei dem Corte Suprema Berufung ein.
Die Argumentation der ENDESA-AnwältInnen bezog sich in erster Linie auf den drohenden Umbau aller vergleichbaren Staudämme, so daß es unweigerlich zu einer etwa 25-prozentigen Anhebung der Strompreise kommen würde. Die Nationale Energiekommission (CNE) gab ENDESA bei diesem Streit nach Kräften Rückendeckung und warnte immer wieder vor den negativen Folgen eines Verzichts auf Pangue.
Gestützt auf offizielle Daten der CNE widersprach das staatliche Planungs-ministerium MIDEPLAN diesem Sze-nario. Da keinerlei Studien über Alternativprojekte vorlägen, sei die Entwicklung der Strompreise nicht abzusehen. Das größte Potential liege außerdem in Energiesparprogrammen, denn immerhin geht augenblicklich rund die Hälfte des erzeugten und transportierten Stroms verloren. Durch Öffentlichkeitskampagnen ist es während der letzten Dürreperiode gelungen, den Energieverbrauch kurzzeitig um 15 Prozent zu senken.
Oberster Gerichtshof gibt Privatinteressen den Vorrang
Als der Oberste Gerichtshof am 5. August das Urteil von Concepción mit dem Hinweis kassierte, Pangue verfüge über alle notwendigen Genehmigungen, wurde den privaten Gewinninteressen des Monopolunternehmens auf dem Energiesektor Vorrang vor ökologischen Notwendigkei-ten gegeben. Die weiter gesteckten For-derungen der KritikerInnen Pangues zie-len auf die Formulierung einer nationalen Energiepolitik, die durch eine Energiegesetzgebung begleitet wird, welche Stromerzeugung und -transport nicht länger in den Händen eines einzigen Unternehmens beläßt. Darüberhinaus wurden von den der Regierungskoalition angehörigen Deputierten der Achten Region, in der Pangue gebaut werden soll, Anträge in das Abgeordnetenhaus eingebracht, um die Gesetzesvorhaben im Umweltbereich sowie das neue Ley Indígena zu beschleunigen. Außerdem setzen sich die Deputierten dafür ein, Pangue durch unabhängige ExpertInnen und den Umweltausschuß des Parlaments untersuchen zu lassen. Abgesehen von dem Hinweis, über keinerlei rechtlichen Möglichkeiten zu verfügen, private Investitionsprojekte zu stoppen, hat sich die chilenische Regierung bisher bedeckt gehalten.
Dreht die Weltbank den Kredithahn zu?
Die vermutlich einzige realistische Chance, Pangue samt den geplanten Nachfolgeprojekten zu verhindern, besteht darin, auf internationaler Ebene Druck auszuüben. Pangue soll insgesamt 470 Millionen US-Dollar kosten, von denen 120 Millionen über die Weltbanktochter CFI finanziert werden, die in drei Raten ausgezahlt werden sollen. Da Weltbank-Kredite an Umweltauflagen, etwa Verträglichkeitsstudien, gebunden sind, hofft GABB weiterhin, das Pangue-Projekt zum Scheitern bringen zu können. ENDESA hat der Weltbank bislang noch keine Studie vorgelegt. Obwohl die Unternehmensführung noch im Dezember des vergangenen Jahres gejubelt hatte, die erste Teilzahlung des CFI-Kredites sei erfolgt, mußte sie nach einer Stellungnahme der GABB vor kurzem eingestehen, noch keinen Cent erhalten zu haben.