Chile | Nummer 319 - Januar 2001

„Lebendig holen sie mich nicht weg“

LN sprach mit Nicolasa Quintreman C., Preisträgerin des Petra Kelly Preises 2000 der Heinrich Böll Stiftung und Sara Imilmaqui A., Gründerin der indigenen Frauenorganisation Mapu Domo Che Nehuen (Frauen mit der Kraft der Erde) während ihres Besuchs in Berlin.

Tanja Rother

Heute wird Ihnen, zusammen mit Ihrer Schwester Berta Quintreman C. der Petra Kelly Preis der Heinrich Böll Stiftung übergeben. Was bedeutet dieser Preis für Sie persönlich und für Ihren Widerstand gegen die Pläne von ENDESA?

N.Q.: Ich denke, dass wir diesen Preis für die Verteidigung unserer Mutter Erde erhalten. Weil wir nicht aufhören zu kämpfen, wir kämpfen seit elf Jahren und werden immer kämpfen! Bis zum Ende werden wir kämpfen, denn es gibt keinen Grund, nicht für die Mutter Erde zu kämpfen. Wir müssen zusammen mit der Mutter Erde sterben. Wir sind in ganz Chile für unseren Widerstand bekannt, und auch international waren wir bereits an vielen verschiedenen Orten. Der Preis und unsere Präsenz hier sind besser als jede Zeitungsnotiz.
S.I.: Ich möchte mich zunächst für den Preis bedanken. Ich glaube, dass dieser Preis eine Art Vitamin für die wenigen kämpfenden Frauen sein wird.

Seit einem Jahrzehnt bedroht der Konflikt um die Staudämme am Bío Bío das Volk der Pehuenche. Der erste Staudamm, Pangue, ist bereits fertig gestellt, aber fünf weitere Staudämme sind geplant. Können Sie die aktuelle Situation am Bío Bío und am zweiten sich im Aufbau befindenden Staudamm Ralco kurz erläutern?

S.I.: Die aktuelle Situation ist sehr konfus, sowohl seitens ENDESA und der Regierung sowie innerhalb der Pehuenche. Für den 22. Dezember erwarten wir die gerichtliche Entscheidung zu den Widersprüchen von Energie- und des Indigenengesetz. Dies ist unsere letzte Chance, auf legalem Weg etwas zu erreichen. Danach würden wir in den tatsächlichen Konflikt treten, d.h. Mobilisierungen und andere Mittel einsetzen. Leider haben wir bisher nichts auf legalem Wege erreicht. Ich finde es sehr traurig, sagen zu müssen, dass in einem Land wo es eine Gesetzgebung gibt, diese nicht respektiert wird. Dieselben, die heute von Demokratie sprechen, haben diese Gesetze geschrieben, nur respektieren sie sie nicht.

Nur eine Minderheit der 400 betroffenen Pehuenche beteiligt sich am Widerstand gegen die Überflutung ihres Landes und die Umsiedlungsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Bau von Ralco. Wie erklären Sie sich diese Situation?

S.I.: Ja, das ist so, weil sich die Männer für die Arbeit (bei ENDESA, d. Red.) verkauft haben. Als ich anfing, mit dieser Organisation zu arbeiten, waren wir vierzig Frauen. Mit der Zeit gaben viele Frauen wegen des starken Drucks von ENDESA gegen ihre Männer und Söhne auf. Die betroffenen Ehemänner und Söhne fingen schließlich selbst an, ihre Mütter oder Ehefrauen von den Protesten abzubringen, denn es gibt keine alternativen Arbeitsangebote seitens der Regierung.

Wie verhält sich ENDESA konkret gegenüber den noch nicht umgesiedelten Anwohnern?

S.I.: Vor kurzem erst kamen sie zu Berta Quintreman C., um sich ihr Land anzuschauen, und sie zur Unterschrift des Umsiedlungsvertrages zu bringen. Endesa wendet inhumane Methoden an, sie haben sogar analphabete Leute zum Unterschreiben gebracht. Sie machen Versprechungen und halten sie dann nicht ein. Zum Beispiel haben sie den Leuten, die nach El Barco umgezogen sind, gesagt, man könne dort gut überleben, aber das ist nicht so. Dort schneit es viel und die Tiere werden keine Chance zum Überleben haben. Außerdem gehen die Leute von Endesa umher und versuchen die Leute durch Lügen auseinander zu bringen. Das führt so weit, dass sogar einige Pehuenche, von Endesa bestochen, ihre eigenen Nachbarn belügen und sie zur Unterschrift bewegen wollen.
N.Q.: Ja, es sind vor allem die Söhne, die Druck auslösen. Wer weiß was wieder passiert während wir hier in Deutschland sind.

Die Küstenautobahn von Temuco bis Chiloé und der so genannte By Pass um die Stadt Temuco sind zwei andere Megaprojekte, die die Lebensgrundlagen der Mapuche bedrohen. Gibt es eine Kooperation mit den indigenen Organisationen dieser Regionen?

S.I.: Ja, dazu gehört auch die Bedrohung, die von der Forstwirtschaft ausgeht. Ein Teil der Küstenautobahn ist schon fertig gestellt, das ist der Abschnitt bei Temuco, dort kann man nichts mehr machen. Aber ich leite eine andere Mapuchefrauengruppe in Osorno, wo wir uns auf Aktionen gegen die Küstenautobahn vorbereiten, die jetzt schon durch indigene Gemeinschaften führt und heilige Orte zerstört hat. Ich bin aus Osorno, denn ich bin Huilliche (Mapuche des Südens, d. Red.) und bin zu Nikolasa und Berta gekommen, weil ich gesehen habe, dass es notwendig ist für den Alto Bío Bío zu arbeiten. Aber es wird nicht mit vielen Mapucheorganisationen zusammengearbeitet, weil es an Geld fehlt. Deshalb kam es auch zu der großen Spaltung der indigenen Organisationen – wegen des mangelnden Geldes und wegen der CONADI (staatl. Indianerbehörde, d. Red.), die die communidades auseinander gebracht hat. Mit kleinen „Trost“-Projekten „kauft“ die CONADI die Menschen. Das ist ihre Form, die Mapuchegemeinschaften zu spalten, so können sie sie besser regieren, denn die Mapuche haben dann keine Stimme mehr, um sich gegen die illegalen Machenschaften aufzulehnen.

Wie reagiert die chilenische Öffentlichkeit auf den Staudammbau am Bío Bío?

S.I.: Es gibt viele Chilenen, die den Widerstand gegen Ralco unterstützen und einzelne Organisationen sind ebenfalls sensibler geworden. Aber da man keinen konstanten Kampf erkennen konnte, glaubt man eben mehr an Formen des organisierten Kampfes wie der von Arauco-Malleco (radikale Mapucheorganisation, d. Red.). Deshalb glaubt man, dass Nicolasa und Berta, die sehr pazifistisch eingestellt sind, damit nichts erreichen werden. Aber das ist nicht wahr, jeder Ort hat seine Form des Kampfes und es ist nicht einfach für diese Frauen, die durch das Schicksal dazu gekommen sind; sie konnten sich nicht darauf vorbereiten.

Seit mehr als einem halben Jahr hat Chile eine neue Regierung. Haben Sie die Perspektive, dass es eine andere Politik hinsichtlich der indigenen Völker Chiles geben wird?

S.I.: Es gibt nur die eine Hoffnung, dass die indigenen Völker sich zum Kampf vereinigen, denn die Regierung denkt wie der alte Präsident. Das einzige was die Regierung heute tut, ist zu verhandeln, nichts weiter. Die Regierung ist einverstanden mit dem Staudammbau.

Glauben Sie, dass es möglich ist den Bau des Staudamms Ralco aufzuhalten?

N.Q. Ich glaube ja. Das Projekt muss gestoppt werden, denn sie (Endesa, d. Red.) sind nicht von dort! Ich werde nicht weggehen, und wenn sie kommen wollen, sollen sie kommen, ich werde im Wasser stehen, für meine Mutter Erde! Und dort wird mein Geist bleiben, dass sage ich immer! Der Präsident sollte zu uns kommen und die Situation kennen lernen oder wir werden ihm weitere Botschaften schicken, denn er öffnet den Mapuche die Türen. Deshalb habe ich den Glauben. Ich habe Vertrauen in Füta Chao (den großen Gott), aber ich habe nicht die geringste Hoffnung bei Endesa, mein Glaube ist oben und unten. Mein Land hat keinen Preis und Schluss!
S.I.: Ich denke, unser Erfolg hängt auch von den europäischen, skandinavischen Ländern ab. Ich bitte im Namen der Mapuchefrauen, nicht nur der vom Bío Bío, dass sie uns unterstützen. Wenn wir unsere Kräfte zusammen bringen, glaube ich, dass wir gewinnen können!

Interview: Tanja Rother

Information und Unterstützungsmöglichkeiten unter http://riap.de5.de; www.irn.org

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