Kolumbien | Nummer 272 - Februar 1997

Mauss’sche Missionen auf dem Holzweg

Das deutsche Agentenpärchen sitzt noch hinter Gittern

Es sieht so aus, als müßten sich Werner und Ida Mauss auf eine längere Untersu­chungshaft einrichten. Die kolumbianische Staatsanwaltschaft holte in den letzten Wo­chen die Zeugenaussagen der einheimischen Hauptakteure ein.

Gerhard Dilger

Im Januar hat die Affäre Mauss in Kolumbien kaum noch Wel­len geschlagen. Stärker in den Vordergrund gerückt sind da­gegen die ersten Geplänkel des Wahl­kampfvorjahres 1997, die Ver­bindungen zwischen Armee und paramilitäri­schen Banden in Ura­bá, der “wirtschaftliche Not­stand”, den die Regierung Sam­per ausrief, um die prekäre Haus­halts­lage zu stabilisie­ren, die lä­cher­lich geringen Gefäng­nis­stra­fen gegen die Drogen­bosse Ro­drí­guez Orejuela und last but not least die Be­ziehungen zu den USA: Be­kommt die Regierung am 1. März die heißbegehrte “Be­schei­nigung” des Lehrmei­sters aus dem Nor­den (siehe LN 262), daß sie sich diesmal aus­rei­chend im “Drogenkrieg” en­ga­giert hat?
In diesem Zusammen­hang gab der oft als kolumbianischer “Vi­ze­könig” titulierte US-Bot­schafter Myles Fre­chette der Zeitung El Tiempo ein viel­be­achtetes Interview, in dem er auch auf die angeblichen Ver­mitt­lungsversuche der Bun­des­re­gie­rung im Som­mer 1996 ein­ging: “Zu kei­ner Zeit (…) ha­ben sich Herr Kohl und Herr Clin­ton per­sönlich über Kolum­bien aus­ge­tauscht, weder telefo­nisch noch schriftlich. Ebenso­wenig ha­ben nordamerikanische und deut­sche Regierungs­beamte den Fall Kolumbien besprochen (…) In der zweiten Juliwoche 1996 teil­te dieser Minister Schmid­bau­er amerikani­schen Diplomaten in Deutschland mit, daß er in Deutschland mit der ko­lum­bi­a­ni­schen Regierung und dem Cali-Kartell zu verhandeln ge­denke, und frag­te, ob die ame­ri­kanische Re­gierung an ei­ner sol­chen Ver­hand­lung interessiert sei. Wir lehn­ten das sofort strikt ab.”
Die deutsche Botschaft de­men­tierte diese Version und be­ton­te hingegen – ganz im Sinne Schmidbau­ers – die Bemühungen um einen Friedensprozeß, über die die USA informiert worden sei­en. In die gleiche Richtung läuft die Verteidi­gungsstrategie von Werner und Ida Mauss, die von Anfang an den angeblich hu­ma­nitären Charakter ih­rer Mis­sionen hervorgeho­ben haben. Kurz vor Weih­nachten richtete Isa­bel Sei­del alias Ida Mauss ein recht pathetisches Schrei­ben an den Gouverneur der Provinz An­tioquia, in dem sie auf einen Friedensplan zu sprechen kam, “der sich in Eu­ropa mit der Unterstüt­zung mehrerer Regie­rungen entwickelt hat­te”.
Unter anderem sei ein Waf­fen­stillstand vorgesehen gewe­sen; die Guerilla sollte in der Über­gangsphase fi­nanziell unter­stützt werden, um sich nicht durch Entführungen finanzieren zu müssen. Außerdem hät­ten die so­ziale Entwicklung, das Erzie­hungs­wesen und der Umwelt­schutz vorange­trieben werden sol­len. Schließlich beklagte sie “das Schicksal Kolumbiens (…), wenn seine Bürger (…) nicht nur an sich selbst dächten, sondern an die anderen und an das Ge­mein­wohl, gäbe es keine Aus­län­der, die das Land ausbeuten.”

Mauss in der Falle

Die unfreiwillige Iro­nie des letzten Satzes wird wohl erst deutlich, wenn man sich den Einsatz von Wer­ner Mauss für Siemens (siehe oben und vgl. LN 271) und sein Eingreifen in den Entführungsfall Brigitte Schoene vor Augen hält. Schmidbauer und selbst der Spiegel, wenn auch nur zwischen den Zeilen, brin­gen Verständnis für die “un­kon­ventionellen Metho­den” des Agenten in einem so chaoti­schen Land wie Kolum­bien auf. So soll die ziemlich undiploma­tische Vor­gehens­weise der Möch­te­gern-Groß­macht Deutschland ver­tuscht wer­den, die die ko­lum­bi­anische Regie­rung nur sehr spär­lich über die Mauss’schen Machenschaften in­formiert hatte.
Das eigenmächtige Vorbei­agie­ren an den ko­lumbianischen Be­hörden bei den Verhandlun­gen in mehreren Entführungs­fäl­len rächte sich mit der Fest­nahme von Werner und Ida Mauss. Offenbar waren die bei­den im Oktober und November 1996 beschattet und ihre Ver­haftung von langer Hand vorbe­reitet worden. Ulrich Schoene wollte die Freilassung sei­ner Frau unter Einschal­tung der Po­lizei und der britischen Firma Control Risks Group er­reichen und unterbreitete den Entfüh­rern ein erstes Angebot über 250 000 US-Dollar. Auf Anregung des In­te­rims-Bot­schafters Vor­werk je­doch traf er sich mit Mauss, der sich als Jür­gen Seidel vor­stellte und seine Dienste anbot. Er wisse über Kontakte mit dem ELN (Heer zur nationalen Be­freiung), daß sich Bri­gitte Schoe­ne in der Ge­walt von Paramili­tärs befinde, und könne inner­halb von zwei Wochen ihre Frei­las­sung errei­chen; allerdings müs­se ein Löse­geld von bis zu 1,5 Millionen US-Dollar gezahlt werden.
Schoene lehnte dankend ab, doch sein ursprüngli­cher Kon­takt­mann ließ wochenlang nichts von sich hören. Mauss meldete sich erneut, Vorwerk bestärkte Schoene, und dieser ließ sich schließlich auf die “un­kon­ven­tio­nel­le” Variante ein. Das Ende dieser Epi­sode ist be­kannt, nicht je­doch, ob und wie­viel Löse­geld floß.

Kompromittierendes Tonband wird den Medien zugespielt

Der Niedergang des deutschen Multiagenten Werner Mauss scheint eine längere Vorgeschichte zu haben als bisher angenommen: Offenbar be­kamen einige kolumbianische Behörden bereits Wind von seinen Aktivitäten, als er monatelang in einem komplexen Entführungsfall ermittelte. Nun wurde den Behörden ein Tonband mit meh­reren Telefongesprächen über diesen Fall zuge­spielt, die ein Mitarbeiter der dänischen Firma F.L. Schmidt mit dem deutschen Ingenieur Karl-Heinz Dressel und einem Herrn Weber geführt hatte. Bei Weber handelt es sich eindeutig um Werner Mauss.
Was war passiert? Vor rund einem Jahr, am 5. Februar 1996, hatte das ELN (Heer zur nationa­len Befreiung) bei San Luis südöstlich von Me­dellín drei ausländische Ingenieure, den Deutsche Karl-Heinz Dressel, den Dänen Ulrich Schulz, den Engländer Philip Halten und Diego Blandón, ihren kolumbianischer Chauffeur gekidnappt. Die Mitarbeiter von F.L. Schmidt waren auf dem Rückweg von Wartungsarbeiten an einer Anlage, die die Zementfabrik Cementos Rioclaro von die­ser Firma F.L. Schmidt gekauft hatte.
Als erster erlangte überraschend schnell Karl-Heinz Dressel die Freiheit wieder. Bereits am 11. März meldete er sich in Deutschland zurück. Mauss’ Erklärung: “Wir haben ja nun diese Ver­bindung für die anderen Konzerne in Deutsch­land. Und deswegen ist er frei, reiner Zufall.” Später bezieht sich Mauss noch einmal “auf die Firma, mit der wir hauptsächlich zusammenar­beiten” – nach allem was inzwischen bekanntge­worden ist, liegt es nahe, Siemens dahinter zu vermuten.
Aus den Aufnahmen geht auch die große Ent­täuschung Dressels hervor, dem der Agent ver­sprochen hatte, seine Kollegen würden sieben bis zehn Tage später ebenfalls freikommen, was nicht eintraf. Nur mit Mühe konnte er von dem dänischen Firmenmitarbeiter davon abgehalten werden, die Presse zu verständigen.
Die brisantesten Passagen sind zweiffellos jene, in denen Mauss versucht, den gewitzten Mit­ar­bei­ter von F.L. Schmidt zum Eingehen auf die For­de­run­gen der Entführer zu bewegen. Denn obwohl Mauss die ELN wiederholt als “Ter­ror­or­ga­ni­sa­tion” bezeichnet, dramatisiert er die Lage, um die dä­nische Firma einerseits zur Zahlung ei­nes Lö­se­gel­des von mindestens fünf Millionen US-Dollar zu bewegen, andereseits soll sich sein Ge­sprächs­par­tner in Kolumbien dafür einsetzen, eine “Frie­dens­lösung” zwischen Ce­mentos Rio­cla­ro und der ELN herbeizuführen. Die Me­de­llí­ner Firma hatte sich nämlich stand­haft ge­weigert, Schutzgelder an die Guerilla ab­zuführen.
Mehrfach erwähnt Mauss in den Telefonge­sprächen einen “Herrn S.” in Bonn, der über “viele Er­kenntnisse” verfüge und der doch von den Dä­nen konsultiert werden sollte. Ein anderes Mal soll­te der dänische Mitarbeiter einen hoch­ste­hen­den kolumbianischen Industriellen zu ei­nem “Frie­dens­gespräch” ins Kanzleramt lotsen, “da sind sie doch anders beeindruckt, aber man sollte die ko­lum­bianische Regierung rauslassen.” Offenbar scheiterte der quirlige Hobbydiplomat hier, wie auch beim “großen” Friedensprozeß.
Dressels Freunde wurden schließlich am 15. Sep­tember freigelassen. Bei dieser Gelegenheit kri­tisierte der Gouverneur Antioquias, Alvaro Uribe Vélez, vehement die Zahlung des Lösegel­des von angeblich über zwei Millionen US-Dollar und forderte: “Die deutsche Regierung und die deut­schen Firmen müssen unserer Provinz die Wahr­heit über ihre Abkommen mit der Guerilla sagen.”
Das vom ELN angestrebte Stillhalteabkommen mit Cementos Rioclaro kam nie zustande. Auf­grund zahlreicher Anschläge auf ihre Stromlei­tungen durch das ELN mußte die Zementfabrik von Mitte Oktober bis Ende November den Be­trieb ein­stellen. Die Gegend um Cementos Rio­claro ist heute ein von paramilitärischen Gruppen und den ELN-Guerillaverbänden heiß umkämpf­tes Terri­to­ri­um.

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