Mauss’sche Missionen auf dem Holzweg
Das deutsche Agentenpärchen sitzt noch hinter Gittern
Im Januar hat die Affäre Mauss in Kolumbien kaum noch Wellen geschlagen. Stärker in den Vordergrund gerückt sind dagegen die ersten Geplänkel des Wahlkampfvorjahres 1997, die Verbindungen zwischen Armee und paramilitärischen Banden in Urabá, der “wirtschaftliche Notstand”, den die Regierung Samper ausrief, um die prekäre Haushaltslage zu stabilisieren, die lächerlich geringen Gefängnisstrafen gegen die Drogenbosse Rodríguez Orejuela und last but not least die Beziehungen zu den USA: Bekommt die Regierung am 1. März die heißbegehrte “Bescheinigung” des Lehrmeisters aus dem Norden (siehe LN 262), daß sie sich diesmal ausreichend im “Drogenkrieg” engagiert hat?
In diesem Zusammenhang gab der oft als kolumbianischer “Vizekönig” titulierte US-Botschafter Myles Frechette der Zeitung El Tiempo ein vielbeachtetes Interview, in dem er auch auf die angeblichen Vermittlungsversuche der Bundesregierung im Sommer 1996 einging: “Zu keiner Zeit (…) haben sich Herr Kohl und Herr Clinton persönlich über Kolumbien ausgetauscht, weder telefonisch noch schriftlich. Ebensowenig haben nordamerikanische und deutsche Regierungsbeamte den Fall Kolumbien besprochen (…) In der zweiten Juliwoche 1996 teilte dieser Minister Schmidbauer amerikanischen Diplomaten in Deutschland mit, daß er in Deutschland mit der kolumbianischen Regierung und dem Cali-Kartell zu verhandeln gedenke, und fragte, ob die amerikanische Regierung an einer solchen Verhandlung interessiert sei. Wir lehnten das sofort strikt ab.”
Die deutsche Botschaft dementierte diese Version und betonte hingegen – ganz im Sinne Schmidbauers – die Bemühungen um einen Friedensprozeß, über die die USA informiert worden seien. In die gleiche Richtung läuft die Verteidigungsstrategie von Werner und Ida Mauss, die von Anfang an den angeblich humanitären Charakter ihrer Missionen hervorgehoben haben. Kurz vor Weihnachten richtete Isabel Seidel alias Ida Mauss ein recht pathetisches Schreiben an den Gouverneur der Provinz Antioquia, in dem sie auf einen Friedensplan zu sprechen kam, “der sich in Europa mit der Unterstützung mehrerer Regierungen entwickelt hatte”.
Unter anderem sei ein Waffenstillstand vorgesehen gewesen; die Guerilla sollte in der Übergangsphase finanziell unterstützt werden, um sich nicht durch Entführungen finanzieren zu müssen. Außerdem hätten die soziale Entwicklung, das Erziehungswesen und der Umweltschutz vorangetrieben werden sollen. Schließlich beklagte sie “das Schicksal Kolumbiens (…), wenn seine Bürger (…) nicht nur an sich selbst dächten, sondern an die anderen und an das Gemeinwohl, gäbe es keine Ausländer, die das Land ausbeuten.”
Mauss in der Falle
Die unfreiwillige Ironie des letzten Satzes wird wohl erst deutlich, wenn man sich den Einsatz von Werner Mauss für Siemens (siehe oben und vgl. LN 271) und sein Eingreifen in den Entführungsfall Brigitte Schoene vor Augen hält. Schmidbauer und selbst der Spiegel, wenn auch nur zwischen den Zeilen, bringen Verständnis für die “unkonventionellen Methoden” des Agenten in einem so chaotischen Land wie Kolumbien auf. So soll die ziemlich undiplomatische Vorgehensweise der Möchtegern-Großmacht Deutschland vertuscht werden, die die kolumbianische Regierung nur sehr spärlich über die Mauss’schen Machenschaften informiert hatte.
Das eigenmächtige Vorbeiagieren an den kolumbianischen Behörden bei den Verhandlungen in mehreren Entführungsfällen rächte sich mit der Festnahme von Werner und Ida Mauss. Offenbar waren die beiden im Oktober und November 1996 beschattet und ihre Verhaftung von langer Hand vorbereitet worden. Ulrich Schoene wollte die Freilassung seiner Frau unter Einschaltung der Polizei und der britischen Firma Control Risks Group erreichen und unterbreitete den Entführern ein erstes Angebot über 250 000 US-Dollar. Auf Anregung des Interims-Botschafters Vorwerk jedoch traf er sich mit Mauss, der sich als Jürgen Seidel vorstellte und seine Dienste anbot. Er wisse über Kontakte mit dem ELN (Heer zur nationalen Befreiung), daß sich Brigitte Schoene in der Gewalt von Paramilitärs befinde, und könne innerhalb von zwei Wochen ihre Freilassung erreichen; allerdings müsse ein Lösegeld von bis zu 1,5 Millionen US-Dollar gezahlt werden.
Schoene lehnte dankend ab, doch sein ursprünglicher Kontaktmann ließ wochenlang nichts von sich hören. Mauss meldete sich erneut, Vorwerk bestärkte Schoene, und dieser ließ sich schließlich auf die “unkonventionelle” Variante ein. Das Ende dieser Episode ist bekannt, nicht jedoch, ob und wieviel Lösegeld floß.
Kompromittierendes Tonband wird den Medien zugespielt
Der Niedergang des deutschen Multiagenten Werner Mauss scheint eine längere Vorgeschichte zu haben als bisher angenommen: Offenbar bekamen einige kolumbianische Behörden bereits Wind von seinen Aktivitäten, als er monatelang in einem komplexen Entführungsfall ermittelte. Nun wurde den Behörden ein Tonband mit mehreren Telefongesprächen über diesen Fall zugespielt, die ein Mitarbeiter der dänischen Firma F.L. Schmidt mit dem deutschen Ingenieur Karl-Heinz Dressel und einem Herrn Weber geführt hatte. Bei Weber handelt es sich eindeutig um Werner Mauss.
Was war passiert? Vor rund einem Jahr, am 5. Februar 1996, hatte das ELN (Heer zur nationalen Befreiung) bei San Luis südöstlich von Medellín drei ausländische Ingenieure, den Deutsche Karl-Heinz Dressel, den Dänen Ulrich Schulz, den Engländer Philip Halten und Diego Blandón, ihren kolumbianischer Chauffeur gekidnappt. Die Mitarbeiter von F.L. Schmidt waren auf dem Rückweg von Wartungsarbeiten an einer Anlage, die die Zementfabrik Cementos Rioclaro von dieser Firma F.L. Schmidt gekauft hatte.
Als erster erlangte überraschend schnell Karl-Heinz Dressel die Freiheit wieder. Bereits am 11. März meldete er sich in Deutschland zurück. Mauss’ Erklärung: “Wir haben ja nun diese Verbindung für die anderen Konzerne in Deutschland. Und deswegen ist er frei, reiner Zufall.” Später bezieht sich Mauss noch einmal “auf die Firma, mit der wir hauptsächlich zusammenarbeiten” – nach allem was inzwischen bekanntgeworden ist, liegt es nahe, Siemens dahinter zu vermuten.
Aus den Aufnahmen geht auch die große Enttäuschung Dressels hervor, dem der Agent versprochen hatte, seine Kollegen würden sieben bis zehn Tage später ebenfalls freikommen, was nicht eintraf. Nur mit Mühe konnte er von dem dänischen Firmenmitarbeiter davon abgehalten werden, die Presse zu verständigen.
Die brisantesten Passagen sind zweiffellos jene, in denen Mauss versucht, den gewitzten Mitarbeiter von F.L. Schmidt zum Eingehen auf die Forderungen der Entführer zu bewegen. Denn obwohl Mauss die ELN wiederholt als “Terrororganisation” bezeichnet, dramatisiert er die Lage, um die dänische Firma einerseits zur Zahlung eines Lösegeldes von mindestens fünf Millionen US-Dollar zu bewegen, andereseits soll sich sein Gesprächspartner in Kolumbien dafür einsetzen, eine “Friedenslösung” zwischen Cementos Rioclaro und der ELN herbeizuführen. Die Medellíner Firma hatte sich nämlich standhaft geweigert, Schutzgelder an die Guerilla abzuführen.
Mehrfach erwähnt Mauss in den Telefongesprächen einen “Herrn S.” in Bonn, der über “viele Erkenntnisse” verfüge und der doch von den Dänen konsultiert werden sollte. Ein anderes Mal sollte der dänische Mitarbeiter einen hochstehenden kolumbianischen Industriellen zu einem “Friedensgespräch” ins Kanzleramt lotsen, “da sind sie doch anders beeindruckt, aber man sollte die kolumbianische Regierung rauslassen.” Offenbar scheiterte der quirlige Hobbydiplomat hier, wie auch beim “großen” Friedensprozeß.
Dressels Freunde wurden schließlich am 15. September freigelassen. Bei dieser Gelegenheit kritisierte der Gouverneur Antioquias, Alvaro Uribe Vélez, vehement die Zahlung des Lösegeldes von angeblich über zwei Millionen US-Dollar und forderte: “Die deutsche Regierung und die deutschen Firmen müssen unserer Provinz die Wahrheit über ihre Abkommen mit der Guerilla sagen.”
Das vom ELN angestrebte Stillhalteabkommen mit Cementos Rioclaro kam nie zustande. Aufgrund zahlreicher Anschläge auf ihre Stromleitungen durch das ELN mußte die Zementfabrik von Mitte Oktober bis Ende November den Betrieb einstellen. Die Gegend um Cementos Rioclaro ist heute ein von paramilitärischen Gruppen und den ELN-Guerillaverbänden heiß umkämpftes Territorium.