Kolumbien | Nummer 408 - Juni 2008

Der Präsident im Auge des Hurrikan

Kolumbiens parapolítica-Skandal entwickelt sich zur Staatskrise

Mehr als 25 Prozent der kolumbianischen Kongress-Abgeordneten sitzen gegenwärtig im Gefängnis oder werden aufgrund ihrer Verbindungen zu paramilitärischen Todesschwadronen strafrechtlich verfolgt. Der sogenannte Parapolítica-Skandal wird nun auch zur Legimationskrise der Regierung Uribe: Seine Wiederwahl wird mit Korruption, Klientelismus und paramilitärischen Banden in Verbindung gebracht. Die sozialen Organisationen und Menschenrechtsgruppen des Landes sehen sich indes einer neuen Welle paramilitärischen Terrors ausgesetzt.

Kristofer Lengert

Die costaricanische Botschaft im Norden Bogotás ist normalerweise ein Ort, an dem nichts Besonderes passiert. Costa Rica möchte bestenfalls als Urlaubsziel ins Gerede kommen und die Botschaft wirbt auf ihrer Website mit Karibikflair und dem typisch costaricanischen Slogan: ”La Pura Vida” (Das wahre Leben). Die Unruhe, die am 22. April vor dem Eingang der diplomatischen Vertretung des kleinen mittelamerikanischen Landes entstand, war daher recht ungewöhnlich: Eine Menschenmenge drängte vor den Botschaftsbereich und hielt Fotos von Ermordeten und Verschwundenen in die Höhe, JournalistInnen und FotoreporterInnen versuchten die besten Plätze vor dem abgezäunten Eingang zu ergattern und mehrere Fernsehkameras wurden in Stellung gebracht. Grund hierfür war ein besonderes Ereignis: Mario Uribe Escobar, ein Cousin und enger Vertrauter des kolumbianischen Staatspräsidenten Álvaro Uribe Vélez, hatte beim Botschafter Costa Ricas um politisches Asyl angesucht.
Gegen Mario Uribe wurde kurz zuvor Haftbefehl erlassen. Es besteht gegen ihn der dringende Tatverdacht, sich mit Paramilitärs eingelassen und Geschäfte mit DrogenhändlerInnen gemacht zu haben. Bereits im Oktober letzten Jahres war das Strafverfahren gegen ihn eingeleitet worden. Daraufhin legte der frühere Kongresspräsident und Senator für die Partei Colombia Democrática (Demokratisches Kolumbien) zum Bedauern des Präsidenten sein Kongressmandat nieder. Der Verdacht gegen ihn erhärtete sich und veranlasste den Obersten Gerichtshof dazu, Untersuchungshaft anzuordnen. Mario Uribe versuchte noch, sich ins Ausland abzusetzen, flüchtete in die costaricanische Botschaft und wurde, nachdem sein Asylgesuch als “unangemessen” abgelehnt wurde, am Botschaftsausgang von der Polizei in Empfang genommen und ins Gefängnis überführt.
Mit Mario Uribe sind es nun bereits 33 Kongress-Abgeordnete die in Verbindung mit dem sogenannten Parapolítica-Skandal verhaftet wurden. Insgesamt wird derzeit gegen 74 ParlamentarierInnen wegen ihrer Verbindungen zu Paramilitärs strafrechtlich ermittelt. Die gegen die Abgeordneten erhobenen Anschuldigungen klingen dabei stets sehr ähnlich: Sie sollen mit den Paramilitärs Absprachen über die Manipulation von Wahlen, Erpressung von Stimmen, Einschüchterung und Ermordung von Oppositionellen getroffen haben. Weiterhin wird ihnen zur Last gelegt, paramilitärische Todesschwadronen finanziert zu haben und in das Geschäft des Drogenhandels involviert gewesen zu sein.
Lange Zeit war es der Regierung gelungen, relativ schadfrei alle Skandalmeldungen zu überstehen. Die Verbindungen zwischen PolitikerInnen und paramilitärischen Gruppen wurden als Einzelfälle, die aufgedeckten zwielichten Verflechtungen zu paramilitärischen Strukturen als private Probleme der betroffenen PolitikerInnen dargestellt. Die Tatsache, dass inzwischen mehr als ein Viertel der 268 Abgeordneten aus Senat und Repräsentantenhaus ins Visier strafrechtlicher Verfolgung geraten oder bereits inhaftiert worden sind, führt diese Argumentation ad absurdum und beschert dem kolumbianischen Kongress eine einzigartige Legitimationskrise. Der Skandal zeigt eindrücklich, wie stark sich insbesondere die neuen politischen Eliten den Paramilitarismus zu Nutzen gemacht haben, um ihren Weg ins Zentrum der Macht zu beschleunigen. Zudem ist auffällig, dass vor allem die Uribe unterstützenden Kleinparteien von den Ermittlungen betroffen sind: Colombia Democrática, Mitte der 80er Jahre von Präsident Álvaro Uribe und seinem Cousin Mario Uribe gegründet, hat wegen ihrer systematischen Verbindungen zu Paramilitärs fast ihre gesamte Abgeordnetenbank ans Gefängnis verloren. Auch sind längst nicht mehr nur die HinterbänklerInnen der anderen Regierungsparteien betroffen. So sind gegen den Vorsitzenden der sozalen Partei der nationalen Einheit (Partido de la U) – Carlos García Orjuela Ermittlungen aufgenommen worden. Weiterhin ist ein Verfahren gegen Nancy Patricia Gutiérrez – aktuelle Kongresspräsidentin und Sprecherin der Partei Cambio Radical – eröffnet worden. Ihr wird vorgeworfen, ihre gesamten Wahlsiege seit 2002 den Paramilitärs zu verdanken. Und schließlich ist auch der ehemalige Vorsitzende der Konservativen Partei – Luis Humberto Gómez Gallo – ins Zentrum der Ermittlungen gerückt.
Ein anderer Fall könnte nun dem Präsidenten selbst gefährlich werden: Die ehemalige Senatorin Yidis Medina hatte sich selbst der Bestechlichkeit bezichtigt und wurde daraufhin verhaftet. Sie hatte zugegeben, dass sie sich ihre Zustimmung zur Verfassungsänderung, die schließlich Uribes Wiederwahl ermöglicht hatte, bezahlen ließ.
Nachdem Uribe im Jahre 2004 mit dem Versuch gescheitert war, per Referendum seine Wiederwahl zu ermöglichen, entschied sich der Präsident, über den Weg des Kongresses die Verfassung zu ändern. Hierfür fehlte ihm aber die erforderliche Mehrheit. Yidis Medina und Teodolindo Avendaño hatten noch zwei Tage vor der Abstimmung öffentlich erklärt, die Verfassungsreform nicht zu unterstützen und entsprechend mit Nein stimmen zu wollen. Am Tag der Abstimmung war Avendaño nicht anwesend. Medina schwenkte im letzten Moment um, stimmte mit Ja und eröffnete dem Präsidenten den Weg zur Wiederwahl. Uribe ist der erste Präsident in Kolumbiens Geschichte, der eine zweite Amtszeit angetreten hat.
Die Vorwürfe gegen Uribe, sich die Zustimmung zur Wiederwahl gekauft zu haben, sind nicht neu. Mehreren Kongressabgeordneten wurde unterstellt, ihre Loyalität sei mit Posten und besonderen finanziellen Zuwendungen für Projekte in ihrer Region gekauft worden. Für diesen Klientelismus und das korrupte Verhalten von Kongressabgeordneten liegen nun Zeugenaussagen und Beweise vor. Die Tatsache, dass Medina sich selbst bezichtigt, Zuwendungen angenommen zu haben, verpflichtet die Staatsanwaltschaft zu ermitteln, woher diese kamen. Für den Präsidenten bedeutet dies, dass nicht nur gegen ihn strafrechtlich ermittelt werden könnte, sondern dass die Legitimität und Legalität seiner Präsidentschaft in Frage steht.
Trotz des entschlossenen Vorgehens der Staatsanwaltschaft und der Gerichte gegen die Parapolítica zeigen die jüngsten Ereignisse, dass die strukturellen Verbindungen des paramilitärisch-militärischen Komplexes keineswegs in Auflösung begriffen sind. Das Märchen vom Ende des Paramilitarismus wird von Präsident Uribe seit nunmehr fast zwei Jahren propagiert. Mit den Worten “Kolumbien hat den Paramilitarismus überwunden! Es gibt keinen Paramilitarismus mehr!” feierte er im Sommer 2006 den Abschluss des sogenannten Friedensprozesses mit den Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC). Tatsächlich begaben sich bis Ende 2006 mehr als 31.000 Paramilitärs in das staatliche Demobilisierungsprogramm.
In den Jahren zuvor hatten die Paramilitärs sich und ihren politischen Verbündeten mittels beipielloser Gewalt in vielen ländlichen Gebieten und einigen urbanen Zentren regelrechte parallele Herrschaftsenklaven geschaffen. Doch nach der Vertreibung der Guerilla und der Vernichtung jeder nennenswerten Opposition war der militärische und politische Nutzen großer paramilitärischer Verbände nicht mehr gegeben. Im Rahmen von Uribes Politik der “demokratischen Sicherheit” und der in Gang gesetzten Konstruktion eines starken, autoritären und kommunitären Staates sollten die Paramilitärs in die Legalität überführt und in das autoritäre Projekt eingebunden werden.
Obwohl die AUC bereits 2002 verkündet hatten, für immer die Waffen ruhen zu lassen, kam es trotz dessen nie zu einer Einstellung gezielter Gewaltanwendung. Kontinuierlich wurden Angehörige sozialer Organisationen, Menschenrechtler und Oppositionelle Opfer gezielter Mordanschläge. In den ersten vier Jahren der Amtszeit Uribes wurden mehr als 3.000 Menschen von paramilitärischen Todesschwadronen gezielt ermordet, darunter etwa 400 GewerkschafterInnen und 30 JournalistInnen.
Als 2006 die Demobilisierung der AUC abgeschlossen war, begannen die paramilitärischen Todesschwadronen fortan unter der Bezeichnung Águilas Negras (Schwarze Adler) in Erscheinung zu treten. Die nationale Kommision für Wiedergutmachung geht davon aus, dass noch immer über 4.000 Paramilitärs in 34 verschiedenen Banden in über 200 Gemeinden in 22 Departamentos des Landes aktiv sind. Aus vielen Städten und ländlichen Gemeinden wird berichtet, dass die Paramilitärs dort zu keinem Zeitpunkt ihre Kontrolle aufgegeben haben. Sie nutzten die Demobilisierung, um ihren Handlungsrahmen in legale Räume zu überführen und gleichzeitig die eigenen bewaffneten Gruppen zu konsolidieren. Es entstanden kleinere, aber unvermindert schlagfertige Todesschwadronen, die die Arbeit ihrer Vorgänger fortsetzen.
Die Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen zeichnen ein deutliches Bild der Lage: Im Schatten des Parapolítica-Skandals gibt es eine neue Welle der Gewalt gegen Menschenrechtsgruppen, soziale Organisationen und Opferverbände. Nachdem im Zusammenhang mit der Organisierung des weltweiten Gedenk- und Protesttages für die Opfer von Paramilitarismus und Staatsverbrechen am 6. März sechs Menschen ermordet, mehr als 50 Personen aus dem Kreis der OrganisatorInnen der Massendemonstrationen mit dem Tod bedroht und mehrere ihrer Büros überfallen wurden, reißt die Kette der Übergriffe nicht mehr ab. Die Águilas Negras gehen landesweit in die Offensive und schrecken nicht davor zurück, selbst diplomatische Vertretungen und MitarbeiterInnen staatlicher Programme auf ihre schwarzen Listen zu setzen.

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