Honduras | Nummer 331 - Januar 2002

„Straflosigkeit bedeutet Terror”

Interview mit der honduranischen Menschenrechtsaktivistin Bertha Oliva

Bertha Oliva de Nativí ist Vorsitzende des „Komitees der Angehörigen von Verschwundenen-Verhafteten in Honduras“ (COFADEH). Seit 19 Jahren setzt sich ihre Organisation für die Verteidigung von Menschenrechten, die Aufklärung der Verbrechen und die Verfolgung der Täter ebenso ein, wie für die Reform des politischen Systems. Im Oktober diesen Jahres erhielt COFADEH den nationalen Menschenrechtspreis. Die LN sprachen Anfang Dezember mit der Vorsitzenden über die aktuelle Menschenrechtssituation, Straflosigkeit, das umkämpfte Staudammprojekt Babilonia und ihre Arbeit.

Anne Becker

Bei den Wahlen am 25. November hat in Honduras der Kandidat der Opposition, Ricardo Maduro von der Nationalen Partei die Wahlen gewonnen. Was bedeutet dieser Wahlsieg?

Bei den Wahlen in Honduras hat nicht eine inhaltliche Opposition gewonnen, sondern die Nationale Partei. Es gibt in Honduras seit je her nur zwei Parteien, die Chancen haben, die Wahlen zu gewinnen. Die bis jetzt regierende Liberale Partei und die Nationalen. Kleine Oppositionsparteien haben keine Chance. Es ist ein kleiner Fortschritt, dass den Wahlergebnissen zufolge dieses Mal zumindest vier bis fünf Abgeordnete von kleinen Parteien gestellt werden, bis jetzt war es nur einer. Man kann nicht zufrieden sein, jetzt von den Nationalen regiert zu werden, aber es war wichtig, dass eine andere Partei an die Macht kommt.

Bringt der Wechsel Hoffnungen mit sich, was Straflosigkeit und Menschenrechtsverletzungen betrifft?

Ich glaube nicht, dass es substantielle Veränderungen geben wird, denn die Nationale Partei hat ihren Anteil an der langen Geschichte von Terror, Straflosigkeit und Korruption in Honduras.

Wie würden Sie die Situation der Menschenrechte heute in Honduras beschreiben?

In einem Land der offizialisierten Straflosigkeit gibt es alle Arten von Menschenrechtsverletzungen. Straflosigkeit bedeutet Terror. Dass sie offizialisiert ist, heißt, dass der Staat die Menschenrechtsverbrechen nicht unbedingt leugnet, aber absolut untätig bleibt, sie zu ahnden und die terroristischen Strukturen aufzubrechen. In den letzten zweieinhalb Jahren gab es insgesamt 606 außergerichtliche Hinrichtungen. Die meisten davon waren arme Leute, zwei Drittel der Opfer Jugendliche. Keiner der Fälle wurde von den Behörden aufgeklärt. Damit ist die Regierung verantwortlich für die Verbrechen. In Honduras gibt es keinen Respekt vor dem Leben. Ich glaube, dass Honduras in Mittelamerika das Land mit den schlimmsten Menschenrechtsverletzungen und mit der prekärsten öffentlichen Sicherheit ist.

Weiß man, wer hinter den Hinrichtungen steckt?

Wir glauben, dass es wieder Todesschwadronen in Honduras gibt. Aber wir wissen nicht genau, wie sie zusammengesetzt sind. Auf jeden Fall werden sie von der Regierung gedeckt. Dieses Jahr wurde unserer Organisation zum ersten Mal seit acht Jahren wieder ein Fall von politisch motiviertem Verschwindenlassen gemeldet. Das ist sehr beängstigend. Es handelt sich um den 39-jährigen Ex-Guerillero Rigoberto Martínez Lagos. Er verschwand am 9. Juni und wurde bis heute nicht gefunden. Ende Dezember werden wir diesen Fall vor der internationalen Kommission der Verschwundenen in Genf offiziell machen. Denn wir haben in Honduras alle legalen Mittel und Instanzen ausgeschöpft. Weder die Justiz noch die Exekutive haben Ermittlungen eingeleitet.

Das Ende der Straflosigkeit hat die Regierung im Jahre 2000 in der von ihr verabschiedeten „Acta de Compromisos“ versprochen. Es wurde auch ein Programm zur Aufklärung von Morden speziell an Indígenas und Schwarzen unterzeichnet. Kann dieses Programm irgendwelche Ergebnisse vorweisen?

Nein, bis heute ist kein Mord an einem Indígena untersucht worden. Im Gegenteil, die Indígenas sind heute die Bevölkerungsgruppe, die offiziell verfolgt wird. Vor zwei Wochen erst ist ein Indígena auf einer Demonstration erschossen worden, weil er für die Rückgabe seiner Landrechte kämpfte. Diese „Acta de Compromisos“ sind leere Worte. Das sieht man schon allein daran, dass die wenigsten Fälle von Verschwundenen bis heute aufgeklärt wurden und es keine ernsthaften Ermittlungen gibt. Inzwischen hat der Staat zwar die 184 legal dokumentierten Fälle von politisch motiviertem Verschwindenlassen von Personen anerkannt. Wir schätzen aber, dass insgesamt 2000 Menschen verschwunden sind, deren Schicksal noch nicht aufgeklärt wurde.

Wie sieht Ihre Arbeit zur Aufarbeitung der Vergangenheit neben den juristischen Versuchen der Verbrechensaufklärung aus?

Unsere Organisation hat heute ein Radioprogramm, in dem über Menschenrechte informiert und debattiert wird. Da viele honduranischen Medien vom Staat kooptiert sind, sind solche unabhängigen Foren sehr wichtig – und auch sehr beliebt. Durch das Radioprogramm haben wir in einzelnen Fällen auch Hinweise erhalten, die uns bei unseren Nachforschungen über die Lage von geheimen Massengräbern geholfen haben. Außerdem konnten wir im Bildungsministerium durchsetzen, dass das Thema der Menschenrechte heute in dem Schulfach behandelt wird, das früher „Moralische und Bürgererziehung“ hieß. Zusammen mit dem Bildungsministerium geben wir dazu Fortbildungen für DirektorInnen und LehrerInnen. Zurzeit arbeiten wir an dem Aufbau eines Dokumentations- und Kulturzentrums gegen das Vergessen.

Im Sommer gab es massive Proteste gegen den 4,4 Megawatt Staudamm im Bundesstaat Olancho. Auch Ihre Organisation hat sich den Protesten angeschlossen. Welches sind Ihre Kritikpunkte?

Das Staudammprojekt des privaten Versorgungsunternehmen ENERGISA ist in mehreren Punkten verfassungswidrig. Zunächst aus dem einfachen Grund, dass sich das Parlament über das Veto der betroffenen Gemeinden hinwegsetzt. Alle elf Gemeinden hatten gegen den Bau gestimmt und nach honduranischem Recht ist ein Bau damit nicht erlaubt. Zum anderen handelt es sich bei der Region um den Nationalpark Sierra de Agalta und um einen Teil des „Biologischen Korridors von Mesoamerika“, den sich die honduranische Regierung vor internationalen Organisation zu schützen verpflichtet hat. Eine der schönsten Landschaft des Landes, die Babilonia-Wasserfälle, werden zerstört. Der Fluss verliert 90 Prozent seiner Wassermenge. Die Umweltschäden werden als sehr groß eingeschätzt. Es sind mindestens 20.000 Personen, die ihre Lebensgrundlage verlieren. Hinzu kommt, dass das Parlament den Bau genehmigt hat, ohne dass eine seriöse Studie zu den ökologischen Folgen des Projekts gemacht worden wäre. Wir fordern den sofortigen Stopp des Dammbaus. Neben den Umweltschäden kritisieren wir die massive Repression und Verfolgung bis hin zum Mord von Umwelt- und MenschenrechtsaktivistInnen.

Wie sieht diese Repression gegen die Protestierenden vor Ort genauer aus?

Der Sicherheitsdienst der Firma und die Polizei schüchtern die EinwohnerInnen der Gemeinden ein und terrorisieren die, die gegen den Bau protestieren. Bauern werden gehindert, auf ihre Felder zu gehen. 100 Bauern wurden gewaltsam von ihrem Land vertrieben. Auf den Bürgermeister von Gualaco wurde im Juli ein Attentat verübt und seine Tochter bedroht. Auch mehrere Priester und Umweltaktivisten wurden Opfer von Übergriffen oder Einschüchterungen. 280 Familien haben daraufhin eine Protesterklärung unterschrieben. Am 30. Juni wurde einer der führenden Umweltschutzaktivisten, Carlos Roberto Flores, von Angestellten des Sicherheitsdienstes erschossen. Es gibt Zeugen, die sechs Angestellte des Sicherheitsdienstes identifiziert haben, aber die Polizei hat weder eine Obduktion der Leiche gemacht, noch Spuren gesichert, noch Ermittlungen aufgenommen. Aus Protest gegen die Ermordung von Carlos Roberto Flores hat eine Gruppe von Gemeindemitgliedern und Menschenrechtlern Anfang Juli eine Mahnwache vor dem Nationalkongress in Tegucigalpa begonnen. Am 18. Juli gab es eine Demonstration, die unter Anwendung massiver Gewalt aufgelöst wurde. Es gab zahlreiche Verletzte und 22 Verhaftungen. Die schwangere Witwe von Carlos Roberto Flores hat bei der brutalen Räumung der Mahnwache aus Schock ihr Kind verloren.

Hatte das Ganze ein Nachspiel?

Gegen 24 angebliche Anstifter der Proteste, zu denen drei Priester und mehrere Bürgermeister zählen, wurde Anklage wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ und „Körperverletzung“ erhoben. Unter anderem auch gegen mich. Auch gegen die seit Jahren in Honduras lebende irische Entwicklungshelferin Sally O`Neal wurde Anzeige erhoben, obwohl sie zum Zeitpunkt der Demonstration nicht in Honduras war. Vom Sicherheitsministerium wird ihr jetzt vorgeworfen, Mitglied der IRA zu sein.

Werden Sie auch bedroht?

Ja, es gibt immer wieder massive Drohungen. Die Arbeit ist psychisch sehr belastend, weil man ständig in Gefahr lebt. In diesem Fall haben wir eine Verfassungsklage gegen das Dekret der Regierung eingereicht. Weiter haben wir Strafanzeige erhoben gegen die Umweltministerin, die das Dekret autorisiert hat, gegen die Besitzer von ENERGISA und deren Sicherheitskräfte, die den Mord an Carlos Roberto Flores zu verantworten haben. Bis heute gibt es keinerlei Ergebnisse. Wie man sich vorstellen kann, haben wir viele Feinde.

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