Chile | Nummer 416 - Februar 2009

Zarter Lachs an Antibiotikum

Die chilenische Lachsindustrie bedroht ihre ArbeiterInnen, die Natur und schliesslich sich selbst

Jährlich werden hunderttausende Tonnen Lachs aus Chile in alle Welt exportiert. Auch wenn dieser Industriezweig in den vergangen Jahren viele Arbeitsplätze geschaffen hat, ist der Nutzen für Land und Leute ein eher zweifelhafter. Die Natur leidet unter dem Einsatz immenser Mengen Antibiotika und Pestizide. Die ArbeiterInnen auf den gigantischen Lachsfarmen, deren Gesundheit ebenso in Mitleidenschaft gezogen wird, beklagen zudem oft eine schlechte Behandlung durch die einheimischen und ausländischen Betreiberkonzerne.

Benjamin Loy

Der chilenische Süden rund um die Hafenstadt Puerto Montt gleicht einer Postkartenlandschaft: Zwischen endlosen Wäldern schlängeln sich kleine Flüsse, Seen und Bäche, schmiegt sich der Pazifik in Buchten und Fjorden an einsame Strände. Doch die Idylle täuscht. Denn was vor rund 20 Jahren ein nahezu unberührtes Naturgebiet war, ist heute eines der größten Lachszuchtreservoirs der Welt. Vom einstigen Luxusgut hat sich der Fisch mit dem rosaroten Fleisch in den vergangenen beiden Dekaden weltweit zur Massenware entwickelt – und Chile praktisch aus dem Nichts einen neuen Exportschlager beschert. Rund 660.000 Tonnen Zuchtlachs exportierte das Land im Jahr 2007 in alle Welt. Etwa 30.000 davon landeten auch auf deutschen Tellern.
Um unglaubliche 2.200 Prozent hat die Industrie, die heute gemeinsam mit Norwegen rund 80 Prozent des weltweiten Zuchtlachses liefert, ihre Produktion seit 1990 vervielfacht. Mit bedenklichen Folgen, wie der Umweltexperte der renommierten chilenischen Nichtregierungsorganisation Terram, Francisco Pinto, kritisiert: „Das Wachstum der Lachsindustrie in den vergangenen Jahren lief auf eine geradezu brutale Art und Weise ab.“ Während die Firmen dank des steigenden Appetits der KonsumentInnen sowohl in Industrie- als auch in Schwellenländern wie Brasilien oder China jährlich Gewinne von rund zwei Milliarden US-Dollar verzeichnen, leiden Natur und ArbeiterInnen in dem südamerikanischen Land unter den Folgen der industriellen Massenfischzucht. „Abfälle, die auf dem Meeresgrund landen, die Verschmutzung von Stränden und die Verwendung von Chemikalien und Pestiziden zum Schutz der Fische vor Parasiten sind Probleme, die die örtlichen Gewässer und ihre Flora und Fauna ernsthaft belasten“, sagt Pinto, der sich seit Jahren mit den Auswüchsen der Industrie beschäftigt. So verenden jährlich tausende Seehunde und Delfine vor der Küste in Netzen, welche die gigantischen Lachsmengen auf den Farmen im Meer schützen sollen. Dort werden die Junglachse etwa 18 Monate lang täglich mit mehreren Tausend Kilo Spezialfutter gemästet, bis sie reif für die „Ernte“ sind, wie es im Züchterjargon heißt. Etwa fünf bis acht Kilogramm Fisch in Form von Fischmehl und -öl benötigen die Lachse, um ein Kilogramm Körpergewicht zuzulegen. Eine Gefräßigkeit, die laut Pinto auch die chilenischen Fischer zunehmend vor Probleme stellt: „Jährlich fliehen über eine Million Lachse aufgrund defekter Netze ins offene Meer, was zu einem bedenklichen Rückgang einheimischer Arten wie Seehecht oder Róbalo geführt hat.“
Ein weiteres Problem der milliardenschweren Industrie ist zudem der exorbitante Gebrauch von Antibiotika, der in Chile „wirklich außer Kontrolle“ sei und die in Norwegen verwendeten Mengen um ein Vielfaches übersteige, wie der norwegische Biologe und Experte für Fischkrankheiten an der Universität Bergen, Professor Are Nylund, kritisiert. Vorwürfe, die man auch im deutschen Bundesministerium für Ernährung und Verbraucherschutz kennt. Im vergangenen Frühjahr untersuchte es gezielt den aus Chile eingeführten Lachs. Dabei habe es allerdings „keinerlei Beanstandungen“ gegeben, wie das Ministerium auf Anfrage mitteilt. Konnte es auch gar nicht, glaubt man den Worten von Umweltexperte Pinto: „Sie geben die Antibiotika zu einem frühen Zeitpunkt im Produktionsprozess, damit später keine Spuren mehr davon im Lachsfleisch zu finden sind.“ Bedenklich sei besonders, dass diese auch in der Humanmedizin verwendeten Medikamente aus der Gruppe der Chinolone zu einer stetig steigenden Resistenz der Bakterien führten: „Dies könnte dann irgendwann auch für den Menschen gefährlich werden, vor allem für die Arbeiter, die in direktem Kontakt mit den Lachsen arbeiten.“ Chile müsse dieses Problem unter Kontrolle bekommen, da sich auf den internationalen Märkten kein Fisch absetzen lasse, der solchen Mengen an Antibiotika ausgesetzt wurde, glaubt auch Fischexperte Nylund, der selbst als Berater der Industrie in Chile tätig war.
Die Geschichte von Isabel Huaiquin zeigt, wie konkret und unmittelbar die Gefahr für die Gesundheit der ArbeiterInnen ist und auch wie rücksichtslos sich die Verantwortlichen über deren Belange hinwegsetzen. Eine Mischung aus Wut und Trauer liest sich im Gesicht der jungen Frau, wenn sie von ihren traumatischen Erfahrungen als Lachsarbeiterin erzählt. „Obwohl ich blutete, wollte man mir in der Firma keine Erlaubnis geben, ein Krankenhaus zu besuchen. Später sagte man mir dort, dass ich mein Baby verloren hatte“, schildert sie in der preisgekrönten Dokumentation „Ovas de Oro“ (zu deutsch „Goldeier“) die Praktiken in den Zucht- und Verarbeitungszentren, wo die Lachse aufgezogen und nach der Mast für den Export vorbereitet werden. Kein Einzelfall in einem Industriezweig, von dessen Beschäftigten Schätzungen zufolge bis zu 90 Prozent weiblich sind. „Die Frauen werden in den Betrieben diskriminiert. Die eigenen Vorgesetzten sagen den Schwangeren, sie würden nicht produzieren und dass sie ihren Lohn auf Kosten der anderen verdienen. Was dazu führt, dass es den schwangeren Frauen psychisch sehr schlecht geht“, kritisiert die Gewerkschafterin Marcela Huerque. Zwar hat der kometenhafte Aufstieg der Lachsindustrie rund 50.000 Jobs in den strukturschwachen Regionen Los Lagos und Aysén im Süden des Landes geschaffen. Doch die Arbeitsbedingungen sind hart: Bei niedrigen Temperaturen müsse man häufig bis zu zwölf Stunden am Tag im Stehen arbeiten, zur Toilette dürfe man nur einmal zehn Minuten, sonst lande man auf der Liste der „schlechten Arbeiter“, was ein Entlassungsgrund sein könne, schildert eine Arbeiterin den Alltag in den Verarbeitungszentren. Auch die Zahlen der chilenischen Arbeitsdirektion (DT) lassen vermuten, dass Schikane und Verstöße gegen die ohnehin nicht sehr strengen Arbeiterschutzgesetze Methode haben: durchschnittlich acht von zehn Kontrollen enden mit Strafen wegen mangelnder Einhaltung von Gesundheits- und Hygienevorschriften oder Verstößen bei Verträgen und Arbeitszeiten. Die Rate der Arbeitsunfälle in der Fischindustrie ist die zweithöchste im Land. Vor allem unter den rund 4.000 Tauchern, die in bis zu 20 Metern Tiefe mit mangelhaftem Material Netze und Käfige reparieren, gibt es immer wieder Todesfälle. „Die Strafen hier sind lächerlich. Es rechnet sich, sie systematisch zu bezahlen, denn im Gegenzug erhält man schließlich den Mehrwert aus der sehr rentablen Ausbeutung der Arbeitskräfte“, kritisiert der chilenische Senator Nelson Avila von der Radikalen Sozialdemokratischen Partei die Praxis der Konzerne. Davon profitieren nicht zuletzt die in Chile operierenden Firmen mit ausländischem Kapital, die für fast 40 Prozent der Produktion verantwortlich sind. So arbeitete auch Isabel Huaiquin vor ihrer Fehlgeburt und der anschließenden Entlassung bei Mainstream, einem Ableger des norwegischen Multis Cermaq ASA. Die Standards, die die norwegischen Lachsfirmen in Chile anwendeten, unterschieden sich beträchtlich von denen in ihrem Heimatland, bemängelt Senator Avila. Angesichts der Milliardengewinne der Industrie sieht Francisco Pinto vor allem die niedrige Bezahlung von umgerechnet rund 250 Euro monatlich für häufig mehr als 50 Wochenarbeitsstunden kritisch: „In realer Kaufkraft gemessen verdienen norwegische Arbeiter für die gleiche Arbeit viermal mehr als chilenische – obwohl hier in Chile auch norwegische Firmen mit Staatskapital operieren.“ So hält der norwegische Staat beispielsweise rund 40 Prozent der Anteile an Cermaq ASA, einem der weltweit führenden Unternehmen im Bereich der Aquakultur, und ist damit größter Einzelaktionär.
Die Verantwortlichen bleiben von derartiger Kritik gleichwohl unberührt. Eine „Hasskampagne theoretischer Akademiker, die von ausländischen Millionären finanziert werden“ sah César Barros, der Vorsitzende der mächtigen Lobbyvereinigung SalmonChile, noch vor einigen Monaten am Werk. Mittlerweile jedoch gibt man sich auch dort etwas diplomatischer, was nicht zuletzt mit der größten Krise der Geschichte der Industrie zusammenhängt: Seit Mitte vorletzten Jahres wütet die Infektiöse Salmanämie (ISA) in Chile, ein Virus, das für den Menschen ungefährlich ist, auf die Bestände der Lachszüchter aber verheerende Auswirkungen hat: Umsatzrückgänge von bis zu 30 Prozent, die Schließung zahlreicher Zuchtzentren und schon jetzt über 4.000 Entlassungen sind die bisherige Bilanz der Krise, deren Ursachen hausgemacht scheinen. „Die chilenische Industrie ist nachlässig gewesen“, lautet das Urteil des Biologen Are Nylund. So sei das Virus aufgrund mangelnder Kontrollen höchstwahrscheinlich über importierte und infizierte Fischeier aus Norwegen oder Nordamerika eingeschleppt worden – ein Risiko, das laut Nylund besonders den norwegischen Firmen in Chile bekannt gewesen sei. Sprach man noch vor kurzem von einer Verdopplung der Produktion bis zum Jahr 2013, hat wohl das Virus für Überlegungen gesorgt, „ob wir nicht zuerst das festigen sollten, was wir haben, statt uns an einem permanenten Wachstumsrennen zu beteiligen“, wie es der Vizepräsident von SalmonChile, Victor Hugo Puchi, ausdrückt. Immerhin: Erste Maßnahmen zur Verbesserung der Zuchtbedingungen, bei der Einfuhr von Fischeiern und auch eine Einschränkung der Gabe von Antibiotika wurden im Sommer von Industrie und Politik vereinbart. Für eine Beseitigung der Zweifel an der Industrie reicht dies bei Kritikern wie Francisco Pinto allerdings nicht: „Neben diesen Maßnahmen muss vor allem der Arbeitsbereich stärker kontrolliert werden. Hier ist der Staat gefordert, der zu lange untätig zugesehen hat, wie die Menschen im Süden maßlos ausgebeutet werden.“

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