El Salvador | Nummer 306 - Dezember 1999

Zehn Jahre danach

Am 16. November 1989 wurde im salvadorianischen Bürgerkrieg die intellektuelle Elite des Landes ermordet

Mitte November 1989 gingen hierzulande die Nachrichten von der Offensive der salvadorianischen Guerilla im Mauerfall-Taumel weitgehend unter. Zehn Jahre danach – ein Jubiläumsjahr hier, ein Gedenkjahr dort – ist es mit der verteilten Aufmerksamkeit nicht viel anders. Der Mord an den sechs Jesuitenpriestern und zwei ihrer Haushälterinnen am sechsten Tag der Offensive ist allerdings ein entscheidendes Datum in der jüngeren Geschichte El Salvadors: Er gab einen der wichtigsten Impulse für das Zustandekommen ernsthafter Friedensverhandlungen.

Laura Posets, Markus Müller

Eine Woche nachdem in Berlin die Mauer fiel, holte in El Salvador die Militärführung zu heftigen Schlägen gegen das längst überfällige Ende des Bürgerkriegs aus: In der jesuitischen Zentralamerikanischen Universität UCA, am südwestlichen Stadtrand der salvadorianischen Hauptstadt gelegen, wurden sechs schutzlose Priester, ihre Haushälterin und deren Tochter kaltblütig ermordet. Daß dieser Mord auf höchsten Befehl hin erfolgte, ist klar erwiesen. Aber daran erinnern wollen sich nur wenige. Vier lange Jahre hat es gedauert, bis eine internationale Kommission zu dieser Gewißheit gelangte, und es wird allzu gern vergessen, daß eine Reihe von Ungereimtheiten noch immer nicht aufgeklärt wurden. Dazu zählen insbesondere die Verwicklungen ziviler Kreise in das Verbrechen, die Rolle der US-Amerikaner dabei und die schlichte Tatsache, daß während der Arbeit der Kommission der Krieg andauerte und weiter Blut floß. Daß zumindest diejenigen vor Gericht kamen, die geschossen hatten, sollte als Symbol für den in Gang gekommenen Friedensprozeß herhalten. Zugleich wurden Regierung und Armee durch das brutale Massaker selbst und seine verschleppte und unvollständige Aufklärung im In- und Ausland stark diskreditiert.
Die Militärspitze blieb zunächst auf ihrem Posten, obwohl von der internationalen Kommission klar formuliert wurde, daß sie das Verbrechen angeordnet hatte. Eine Reihe hoher Militärs wurde rasch amnestiert und ging vor nunmehr fünf Jahren mit einer hohen Abfindung in Pension. Der Jesuitenorden und das Menschenrechtsinstitut der UCA haben deshalb den Fall im vergangenen Jahr vor den internationalen Gerichtshof der Organisation amerikanischer Staaten (OEA) gebracht. Der vormalige Provinzial der Jesuiten und jetzige UCA-Rektor José María Tojeira nannte diese Initiative einen Weg, um zu Gerechtigkeit zu gelangen, wenn die Möglichkeiten in El Salvador selbst ausgeschöpft seien.
Heute schließen die Jesuiten auch nicht mehr aus, daß ein Prozeß in Spanien eröffnet wird, sollte die salvadorianische Justiz die Amnestie aufrechterhalten und den Fall bei den Akten belassen. Ihnen gelten chilenische und argentinische Prozesse als Vorbild, wo zwar auch Amnestieregelungen gelten, aber dennoch juristische Verfahren laufen können, selbst wenn diese ohne strafrechtlichen Konsequenzen bleiben.

Das Ende der Illusionen

Das Massaker an den Jesuiten fand im neunten Jahr des Bürgerkriegs am 16. November 1989, dem sechsten Tag nach Beginn der größten Guerillaoffensive statt.
Die Guerilla war aus den Bergen in die Hauptstadt gekommen und machte die größte und am besten ausgerüstete Armee Zentralamerikas in allen wichtigsten Kasernen der Hauptstadt handlungsunfähig.
Die Illusionen, in denen die Mittel- und Oberschicht in ihren von Mauern umgebenen Residenzen und Clubs lebte, während es im Land schon fast hunderttausend Tote, eine halbe Million Vertriebene und 40 000 Flüchtlinge gab, löste sich in diesen Tagen in Flug auf. In den Kriegsjahren zuvor war es ihnen stets möglich gewesen, den alltäglichen Geschäften nachzugehen – wobei der Krieg für die ertragreichsten sorgte. Die Opfer hingegen waren arme Bauern, Soldaten oder Guerilleros, die in anonymen Zehnerschritten gezählt wurden. Selbst wenn auf dem Land aufgrund der Kämpfe die Ernte nicht eingebracht werden konnte und die Menschen permanent vom Notwendigsten abgeschnitten blieben, lebten die Reichen in der Hauptstadt ohne einschneidende Nachteile. Zum ersten Mal kam jetzt für alle ohne Ausnahme der Krieg bis vor die eigene Haustür. In den Militärsiedlungen gab es Tote und Verletzte, unbeteiligte StudentInnen und Gewerkschaftsführer griffen zum Gewehr.
Im selben Jahr 1989 war der Contra-Krieg in Nicaragua beendet worden. In Geheimverhandlungen wurde hier das Reglement für die ersten Wahlen, an denen alle Parteien teilnehmen konnten, festgelegt.
In El Salvador kam etwas Vergleichbares jedoch nicht zustande, da ein Teil der FMLN, vor allem aber die Ultrarechte allein eine militärische Lösung, das heißt den Sieg ihrer Seite anstrebten.
Der internationale Druck und das wachsende Selbstbewußtsein der Zivilgesellschaft forderten im Laufe des Jahres 1989 Verhandlungen. In dieser Situation entschied sich die Guerilla, der Armee gegenüber ihre ganze Stärke zu zeigen und zumindest ein militärisches Gleichgewicht zu erreichen, um in eine bessere Ausgangsposition für die Friedensverhandlungen zu kommen. Am 11. November eröffneten sie eine umfassende Offensive, griffen die neuralgischen Zentren der Armee an, und zwar so erfolgreich, daß es den Regierungstruppen vier Tage lang nicht gelang, eine Verteidigung oder gar eine vereinte Gegenfront aufzubauen.

Der Djakarta-Plan

Nach wenigen Tagen beschloß die Militärführung den Gegenangriff. Er sollte mit ununterbrochenen und massiven Bombenangriffen die FMLN aus der Stadt hinausdrängen. Vor allem aber griff sie auf einen verstaubten Plan zurück, in einer Nacht die ganze Opposition umzubringen. Der Plan mit Namen Djakarta erinnerte an die indonesische Hauptstadt, wo ein Aufstand in den siebziger Jahren in einer Nacht der langen Messer niedergeschlagen wurde. Aber in dieser einen Nacht in San Salvador gab es keine Messer, sondern eine militärische Operation nach allen Regeln der „Kunst“, die das Leben der intellektuellen Spitze der Kirche vernichtete, weil sie die zivilen unbewaffneten Oppositionellen der Linken nicht in ihren Häusern fanden.
Eine Einheit des Elitebataillons Atlacatl drang in der Nacht auf den 16. November auf das Gelände der UCA ein, trieb die sechs Jesuitenpriester – darunter der UCA- Rektor Ignacio Ellacuría und der Vorsitzende des UCA-Menschenrechtsinstituts Segundo Montes – aus dem Haus und erschoß sie auf der Wiese davor. Eine Haushälterin und deren Tochter, die sich in einem anderen Gebäudeflügel versteckt hatten und die die Soldaten entdeckten, wurden gleichfalls umgebracht. Nur eine weitere Angestellte überlebte das Massaker und konnte einige Monate später außer Landes gebracht werden.
Seit zehn Jahren bemüht sich die UCA unermüdlich, das Gedenken an ihre “Märtyrer” wachzuhalten. Sie wirft damit Jahr für Jahr all ihr symbolisches Kapital in die Waagschale, um die Täter von damals anzuklagen und gegen die Straflosigkeit zu protestieren. Auch dieses Jahr werden wieder Messen für die Toten gelesen und eine Nachtwache gehalten werden. Außerdem wird eine Theateradaptation von Manlio Arguetas Tage des Alptraums, das das Schicksal der Campesinos während des Bürgerkrieges beschreibt, aufgeführt werden (vgl. Artikel S. 48-46). Das Massaker an den Jesuiten ist, ebenso wie das an Erzbischof Romero 1980, mittlerweile zum Symbol für alle Opfer des Bürgerkrieges geworden.

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