Film | Nummer 276 - Juni 1997

“und plötzlich sahen wir den Himmel…”

Ein Dokumentarfilm von und über Frauen, die Widerstand leisten

Kathleen Newill

“Der Tag meiner Verhaftung war grau, grau, grau. Als ich aufwachte war er grau, er blieb den ganzen Tag über grau und am Abend war er immer noch grau. Auf der Polizeistation gab es dann auch keinen Tag und keine Nacht, keine Zeit mehr, nur elektrisches Licht.” Gefühl­voll, poetisch erzählt Graciela Jorge von ihrer Vergangenheit als Revolutionärin. Um gegen die Militärdiktatur in Uruguay zu kämpfen, schloß sie sich Ende der 60er Jahre der Bewegung zur nationalen Befreiung (MLN) Tu­pamaros an, ging in den Un­tergrund, wurde verhaftet und zu 13 Jahren Gefängnis verur­teilt.
18 Jahre Gefängnis hatte Mo­nika Berberich aus Deutschland zu verbüßen. Als Mitglied der RAF ging auch sie in den Unter­grund und gab ihre bürgerliche Identität auf, war Teil einer Stadtguerilla und kämpfte gegen den Staat. Sie schildert die Ge­schehnisse von damals rational, analytisch versucht sie, ihre Ver­gangenheit zu begreifen.
So unterschiedlich die beiden Frauen auch sind, und so unter­schiedlich die Situation war, in der sie sich für einen bewaffne­ten Kampf entschlossen, etwas haben sie doch gemein:
Sie sind Frauen. Frauen, die Widerstand leisteten und Frauen, die von der offiziellen Ge­schichts­schreibung vergessen wer­den.
Der deutsch-uruguayische Do­kumentarfilm “und plötzlich sahen wir den Himmel …” erin­nert an genau diese Frauen, setzt der offiziellen Geschichte, die sich zumeist auf männliche Pro­tagonisten bezieht, etwas entge­gen. Fünf Frauen aus Uruguay, die den Tupamaros angehö­ren, und fünf Frauen aus Deutschland, die im Widerstand aktiv waren, befragen sich ge­genseitig, erzählen, manchmal sehr intim, was sie damals be­wegt hat, was sie heute bewegt. Themen wie Liebe im Unter­grund, Schwangerschaft und die Beziehung zwischen Müttern und Töchtern während der Haft werden aufgegriffen. “Für mich war das normal. Ich habe ihnen gesagt, daß sie im Gefängnis sind, weil sie Brot an arme Kin­der verteilen wollten – aber klar habe ich mich gefragt, warum sie sich soviel um andere Kinder kümmerten und nicht um mich”, antwortet Gabriela, die Tochter von Graciela, auf die Frage, wie sie ihren Freunden damals er­klärt hat, daß ihre Eltern im Ge­fängnis sind.

Widerstand damals und heute

Aber auch die Bedeutung der Vergangenheit für heute be­schäftigt all diese Frauen: Wäh­rend die einen mit offenen Ar­men und voller Herzlichkeit nach ihrer Entlassung aus dem Ge­fängnis aufgenommen wurden (Uruguay), kämpfen andere noch heute mit der Einsamkeit, die sie damals empfangen hat (Deutsch­land).
Die Form des Widerstandes der Frauen ist vielfältig. Nicht alle der interviewten Frauen sind wie Graciela und Monika in den Untergrund gegangen, nicht für alle bestand die einzige Hoff­nung im bewaffneten Kampf. Widersprüche und ganz unter­schiedliche Auffassungen von Widerstand greift dieser Film auf, stellt sie gegenüber und wägt ab, ohne zu bewerten. Einig sind sich alle darin, daß Wider­stand geleistet werden mußte und muß.
Drei Jahre, von 1994 bis 1997, hat die Fertigstellung die­ser Videoproduktion von intero­ce­ana video Montevi­deo /München gedauert, in denen die Beteiligten Unfälle, Über­fälle, etc. überstehen mußten. Die Vielfalt der angesprochenen The­men ist enorm, beinahe zu­viel wird an- und ausgesprochen. Überladen scheint die Verbin­dung der Bilder von brennenden Häusern in Rostock, Naziprozes­sen in den 60er Jahren, Asylpo­litik in Deutschland und Militärs in Uruguay und einem Interna­ti­o­nalismus der zwischen all dem ei­ne Brücke schlagen soll. Etwas we­niger wäre mehr gewesen.
Obwohl die Frauen sehr per­sön­liche Erlebnisse schildern, sorgt eine statische, eintönige Ka­meraführung für Distanz. Der ver­schmitzte Humor, der den Do­kumentarfilm “Tupamaros” kenn­zeichnet, der auf der dies­jährigen Berlinale zu sehen war und ebenfalls die Geschichte der Tupamaros thematisiert, ist hier, vor lauter Frauen-Vertraulichkeit kaum wiederzufinden. Meta­phern kommen allzu oft plakativ daher, etwa wenn eine davon spricht, in “der Blüte des Le­bens” gestanden zu haben, und wir tatsächlich auf der Leinwand eine bunte Blüte präsentiert be­kommen. Gullis symbolisieren das Abtauchen in den Unter­grund, Bilder von reichen Villen verdeutlichen die Notwendigkeit eines antiimperialistischen Kam­pfes und zwischendrin im­mer wieder Einstellungen vom Meer. Ja, ja die Freiheit.

Erinnerungen an die Zukunft

Aber, und das ist ja auch das Schöne an dem Film, wie die Frauen selbst sagen, sind sie keine Profis, sondern einfach Frauen, die Lust hatten, über Frauen im Widerstand einen Film zu machen. Der Spaß an der Sache und eine Unbe­schwertheit, die im professio­nellen Film kaum möglich ist, sind bei dieser Produktion be­stimmt entscheidend gewesen, ge­nauso wie Intuition und Zufall die ständigen Begleiter der Frau­en waren.
“und plötzlich sahen wir den Himmel…” ist, trotz aller tech­nischer und filmsprachlicher Mängel, ein sehr informativer Film. Er verleiht denen eine Stim­me, die sonst nicht gehört werden, stellt gängige Klischees der lateinamerikanischen Linken in­frage, und er versucht, eine Brücke zu bauen zwischen Men­schen, die hier, genauso wie in Uruguay, ihre Vergangenheit bewältigen müssen – die gegen das Vergessen kämpfen und da­bei ähnlich skeptisch in die Zu­kunft blicken.
JedeR, die/der sich für die Ge­schichte von Frauen, für Ge­schichten von Widerstand und Untergrund, Liebe und Poesie, Vergangenheit und Gegenwart in Deutschland und Lateinamerika interessiert, sei dieser Film empfohlen. “und plötzlich sahen wir den Himmel … ” ist ein Do­kument, das die Vergangenheit am Leben erhält und Perspekti­ven für die Zukunft aufzeigt; und die Realisierung dieses Projektes hat Vorbildcharakter für all jene, die davon träumen, ein großes Projekt mit kleinen Mitteln zu verwirklichen.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren