Editorial | Nummer 194/195 - Juli/August 1990

FRAUEN UND DEMOKRATIE

Das Thema Demokratie kann mühelos diskutiert werden, ohne daß die Geschlechterdifferenz thematisiert wird. Das heißt, daß eine Mehrheit des Volkes, das da herrschen soll, einfach übersehen wird: die Frauen.
Im alten Griechenland, dem “Mutterland der Demokratie” waren Frauen selbstverständlich vom Wahlrecht ausgeschlossen. Logisch, denn Demokratie verstand Mann als Herrschaft der Armen (vgl. Artikel in dieser Nummer).
Inzwischen ist Mann moderner und 1äßt die Frauen mitwählen, ohne daß sich an der Machtverteilung viel geändert hätte: Männer sitzen auf den höheren Posten, egal ob in Regierungen, Gewerkschaften, Konzernen, Oppositionsbewegungen oder Guerillas. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Und die Frauen? Sie bewältigen die verschiedenen Alltage, baden Wirtschaftsprogramrne aus und Subventionsstreichungen, definieren ihre gesellschaftliche Position über die “ihrer” Männer, sorgen fürs Familienwohl und lassen sich be-herrschen, egal, in welcher Regierungsform. So scheint es.
Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Alltagsformen und gesellschaftliche Einflußmöglichkeiten, Lebensentwürfe und Wertvorstellungen von und für Frauen sind weltweit sehr unterschiedlich. So ist die Feststellung platt, daß Frauen immer den kürzeren ziehen. Außerdem stellt sich die Frage an der Mittäterinnenschaft der Frauen. Doch so etwas wie ein gemeinsamer Nenner der Frage, was Demokratisierung mit Frauen zu tun hat, ist folgende Tatsache: Frauen sind in verschiedenen Ländern und Situationen für die Organisation des Alltags wesentlich stärker zuständig als Männer. Und Frauen haben Mitbestimmung und Gleichberechtigung eben nicht nur in Parlamenten und Chefetagen zu erkämpfen, sondern auch und vor allem in ganz alltäglichen Situationen: zuhause, bei der Arbeit, bei Kindererziehung und im Bett. Ohne die Abschaffung von geschlechtlicher Diskriminierung wird es bei der Herrschaft der Männer bleiben.
Frauen und Demokratie in Lateinamerika -das heißt, sich die Frage nach den Alltagen von Frauen zu stellen. Es gibt nicht DEN oder DIE Alltage von Frauen. Und es muß auch bezweifelt werden, ob Alltagserfahrungen so ohne weiteres vergleichbar sind.
In diesem Heft möchten wir zwei extreme Erfahrungen von Frauen vorstellen, die sehr weit auseinanderliegen: Positionen von Prominentengattinnen auf der einen Seite und auf der anderen: Erfahrungen von Frauen, die gefoltert werden.
Prominentengattinnen stehen auf der Seite der gesellschaftlichen Macht, aber nicht um ihrer selbst willen, sondern als Frau von … Durch die gesellschaftlich geforderte Identifikation mit dem Mann geben sie oft -wie Mathilde Neruda -bereitwillig eigene Identitäten auf, die sich andere Frauen erkämpfen wollen, und sind somit deutliche Beispiele von Mittäterinnenschaft.
Ein Artikel und eine Rezension beschäftigen sich mit dem Thema der Prominentengattinnen, welche sonst bezeichnenderweise vorwiegend in “Frauen-” und Unterhaltungszeitschriften und nicht in so “politischen” Blättern wie den Lateinamerika Nachrichten thematisiert werden.
Frauen und Folter ist wohl ein absolutes Extrem von männlicher Gewalt, denn im Verhältnis zwischen Folterer und weiblichem Opfer erreicht das gesellschaftliche und private Herrschaftsverhältnis einen absoluten Punkt. Da Folter immer mit sexueller Erniedrigung verbunden ist, werden bei Frauen andere Lebenserfahrungen berührt, wenn sie gefoltert werden, als bei Männern. Wir meinen, daß der Zusammenhang zwischen Folter und Geschlecht thematisiert werden muß, auch wenn bei der Darstellung immer die Gefahr besteht, daß Artikel voyeuristisch gelesen werden können.
Zwischen den Extrempunkten bewegen sich die Themen von zwei weiteren Artikeln. Der eine beschäftigt sich mit Frauen und (sexueller) Gewalt in Chile, wobei dies genauso gut für jedes andere lateinamerikanische Land thematisiert werden könnte.
Ein weiterer Artikel beschäftigt sich ebenfalls mit Gewalt: mit der alltäglichen Gewalt im “demokratischen” Kolumbien. In diesem Artikel wird ganz besonders deutlich, daß Frauen stärker von der “Misere” betroffen sind als Männer, weil sie und nicht die Herren, den Alltag bewältigen müssen.

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