ALLES NUR „BLABLABLA“
Bei der COP26 will Brasiliens Regierung ihr internationales Image aufpolieren
Dasselbe in Grün Auf der COP26 wirbt Brasilien für grünes Wachstumsprogramm (Foto: Wesley Sousa (ASCOM/SEAPC/MCTI) via flickr, CC BY 2.0)
„Jeder würde mit Steinen nach ihm werfen“, so erklärte der brasilianische Vize-Präsident, Hamilton Mourão, kurz vor der Weltklimakonferenz COP26 gegenüber Journalist*innen, wieso der rechtsextreme Präsident Jair Bolsonaro nicht persönlich nach Glasgow fliegen werde. Damit beweist Mourão einen besseren Sinn für die Realität als Bolsonaro. Dieser verkündete beim Treffen der Staats- und Regierungschefs am zweiten Tag der COP26 in einer vorab aufgenommenen Videoansprache: „Bei der Bekämpfung des Klimawandels waren wir immer Teil der Lösung, nie des Problems“.
Doch nach fast drei Jahren Anti-Umweltpolitik nimmt niemand Bolsonaros Erzählung von Brasilien als Vorbild beim Klima- und Umweltschutz ernst. Brasilien ist international zunehmend isoliert. Neben der fehlenden Kompetenz des Präsidenten persönliche Beziehungen mit wichtigen internationalen Partnern aufzubauen, hat die mediale Aufmerksamkeit für die Brände im Amazonas im Jahr 2019 inzwischen dort gewirkt, wo es der Regierung Bolsonaro wehtut. Das Europäische Parlament nutzt Brasiliens Anti-Umweltpolitik als Argument, um das EU-Mercosur-Handelsabkommen erst einmal nicht zu ratifizieren. Und eine Gruppe billionenschwerer Investmentgesellschaften drohte Brasilien 2020 mit dem Rückzug, sollte die Regierung keine Korrektur ihres Abholzungskurses im Amazonas vornehmen. Auch in Brasilien selbst wächst seither der Druck auf Bolsonaro, die übermächtige Agrarlobby fürchtet Exporteinbußen. Zu Jahresbeginn bemerkte Frank-*reichs Präsident Emmanuel Macron, wer weiterhin von brasilianischer Soja abhängig sei, dulde die Abholzung des Amazonas.
Der Versuch der brasilianischen Diplomatie, dem Rest der Welt einen Kurswechsel zu verkaufen
Eine Lebensweise, die auf ständigem Wachstum basiert, kann die Klimakrise nicht lösen
Laut einer Messung der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) hat sich der südwestliche Teil des Regenwaldes bereits zwischen 2018 und 2020 von einer Kohlenstoffsenke zu einer Kohlestoffdioxid-Quelle gewandelt. Grund dafür sind neben der Abholzung auch die Brände, die zwischen August 2020 und Juli 2021 eine Waldfläche von über 15.000 Quadratkilometern betrafen. Das war noch einmal deutlich mehr als zwischen 2019 und 2020, als der brennende Amazonaswald auf den internationalen Titelseiten zu sehen war.
Dennoch versuchte Umweltminister Leite gemeinsam mit den Mitgliedern der offiziellen brasilianischen Delegation, nach den USA die zweitgrößte der Konferenz, den Industrieländern und der anwesenden Privatwirtschaft einen brasilianischen Gesinnungswandel in den eigenen Reihen zu verkaufen. So verkündete der Chef-Unterhändler des brasilianischen Außenministeriums, Paulino Franco de Carvalho Neto, während der COP26 in einem Interview mit der BBC, man sei innerhalb der Regierung nach sorgfältiger Reflexion zu dem Schluss gekommen, dass man sich stärker engagieren müsse.
Auf der COP26 sind zwei Brasilien vertreten
Jenseits der offiziellen Verhandlungsdelegation zeigt Brasilien auf der COP26 allerdings noch ein ganz anderes Gesicht. Im Konferenzbereich des „Brazil Action Climate Hub“ diskutieren Vertreter*innen indigener und anderer zivilgesellschaftlicher Gruppen, Gouverneure brasilia-*nischer Bundesstaaten und Abgeordnete, wie Klimapolitik in der Zeit nach Bolsonaro wieder aufgebaut werden kann, oder welche Rolle der Kongress beim Kampf gegen den Klimawandel einnehmen könnte. „Es gibt zwei Brasilien auf der COP26, eines vertreten durch die offizielle Delegation und ein zweites, sehr diverses, das vor allem von der Zivilgesellschaft repräsentiert wird. Beide setzen völlig unterschiedliche Schwerpunkte und es gibt keine Verbindung oder Interaktion zwischen diesen beiden Sphären“, berichtet Flávia Bellaguarda von vor Ort. Zu diesem anderen Brasilien gehört auch die indigene Aktivistin Txai Suruí, die – neben dem britischen Premierminister Boris Johnson und dem UN-Generalsekretär Antonio Guterres – die Weltklimakonferenz eröffnete. Die Delegation des landesweiten Zusammenschlusses der indigenen Völker Brasiliens (APIB) mit 40 indigenen Vertreter*innen, in der Mehrzahl Frauen, war in diesem Jahr so groß wie noch nie, ebenso wie die Aufmerksamkeit für ihre Forderungen.
Gleich zu Beginn der COP26 versprachen mehrere Länder, unter anderem Großbritannien und Deutschland, zwischen 2021 und 2025 rund 1,5 Milliarden Euro für den Schutz von Wäldern direkt an indigene und lokale Gemeinschaften auszuzahlen. Bislang haben diese auf weniger als ein Prozent der Finanzierung gegen Abholzung direkten Zugriff, obwohl 85 Prozent der weltweiten Biodiversität in Gebieten indigener und anderer lokaler Gemeinschaften nachgewiesen wurde. Auch an den Verhandlungen sind sie weiterhin nicht direkt beteiligt.
Das offizielle Brasilien enthielt sich indes bei Abkommen zum Kohleausstieg und zur Abkehr vom Verbrennungsmotor, gehört aber zu den inzwischen 138 Ländern, die zusammen rund 91 Prozent der weltweiten Waldfläche abdecken und sich in Glasgow auf ein Ende der Waldzerstörung einigten. Eine ähnliche Erklärung unterzeichneten 40 Staaten bereits 2014 auf der COP in New York. Die damals gesetzte Zielmarke, die Abholzung bis 2020 zu halbieren, wurde nie erreicht. Im Gegenteil: Der Anteil des Waldverlustes lag in den Jahren nach dem Abkommen sogar höher als in den Vorjahren. Wie die – in Glasgow zwar von mehr Staaten mitgetragene aber nur sehr vage gemachte – Zusage in konkrete Schritte überführt wird, scheint, vor allem nach der Erfahrung von 2014, erst einmal schwer vorstellbar.
In New York gehörte Brasilien nicht zu den unterzeichnenden Staaten des Waldschutzabkommens. Jetzt will es der illegalen Abholzung sogar schon 2028 ein Ende setzen, zwei Jahre früher als im Abkommen der COP26 festgehalten. Brasiliens Regierung hat damit vor allem Aussicht auf finanzielle Förderung. Daneben sagte Brasilien gemeinsam mit mehr als 100 Staaten zu, seine Methanemissionen bis 2030 im Vergleich zum Jahr 2020 um 30 Prozent zu verringern. Wissenschaftler*innen erhoffen sich davon eine um 0,2 Grad Celsius geringere Erderwärmung bis 2050.
Ob den jetzt gemachten Zusagen Taten folgen, ließ Umweltminister Leite im Nachgang offen. Auf die Frage, ob er seine Unterstützung gegenüber mehrerer Gesetzesinitiativen zurückziehen werde, die aktuell im Kongress verhandelt werden und den auf der COP26 zugesagten Zielmarken entgegenlaufen, antwortete er auch auf mehrmalige Nachfrage von Journalist*innen nur ausweichend. Wahrscheinlicher ist es, dass die Regierung versuchen wird, sich an die gemachte Selbstverpflichtung zu halten, indem illegale Abholzung einfach weiter legalisiert wird. Die aktuell diskutierte Gesetzesinitiative PL 490/2007, durch die Infrastrukturprojekte in indigenen Territorien ermöglicht und Demarkationsverfahren erschwert werden sollen, versucht genau das.
Kurz vor Abschluss der verlängerten Konferenz sorgte die Verhandlung über den Artikel 6 des Pariser Abkommens für Kontroversen. Über diesen sollen der Handel und die Verringerung von Emissionen geregelt werden, auf Details konnte man sich in Paris und auf den Folgekonferenzen nie abschließend einigen. Brasilien gehörte dabei bislang zu den Staaten, die über eine Doppelzählung von Emissionsreduktionen finanzielle Vorteile erlangen wollten. Am vorletzten Tag der COP26 signalisierte der Umweltminister Leite aber, nicht länger an dieser Position festhalten zu wollen. Das dürfte jedoch kaum ausreichen, um dem Rest der Welt einen Kurswechsel zu verkaufen.