ANTIFEMINIST IM RATHAUS
Fundamentalist López Aliaga gewinnt Bürgermeisterwahl in Lima
Marcha Orgullo LGBT in Lima Queere Menschen fürchten einen Rollback in der Hauptstadt (Foto: Rasciel Naranjo via Wikimedia Commons , CC BY-SA 4.0)
Bürgermeisterkandidat Rafael López Aliaga versuchte bereits während seiner Präsidenschaftskandidatur 2021 Keiko Fujimori, Tochter des Exdiktators Alberto Fujimori, am rechten Rand zu überholen. Schon damals verglichen ihn viele mit dem Präsidenten Brasiliens, Jair Bolsonaro, aufgrund seines Hangs zu Verschwörungstheorien und seiner Wählerbasis aus neoliberalen Hardlinern und christlichen Fundamentalist*innen. Aliaga, Mitglied der erzkatholischen Gemeinschaft Opus Dei, sprach sich während des Wahlkampfs um das Präsidentenamt wiederholt gegen die gleichgeschlechtliche Ehe aus und kündigte an, minderjährigen Vergewaltigungsopfern die Abtreibung zu verweigern. Außerdem versprach er sexuelle Aufklärung in den Schulen abzuschaffen, ein Wahlversprechen mit dem er sich besonders die Anhängerschaft der Gruppe „Con mis hijos no te metas“ (Leg dich nicht mit meinen Kindern an) einheimste.
Als er 2021 mit 12 Prozent der gültigen Wahlstimmen nur knapp den Einzug in die zweite Runde verpasste, atmeten queer-feministische Gruppen vorerst auf. Diese Atempause könnte nun zu Ende sein, glaubt Jorge de La Cruz. Jorge, der sich zur LGBTQI-Bewegung der Hauptstadt zählt, sieht in der Wahl Aliagas auch eine Gegenbewegung zum Mobilisierungserfolg der LGBTQI-Bewegung der letzten Jahre. „Jedes Jahr sind wir sichtbarer geworden. Beim Pride-Marsch füllen wir mittlerweile einen der größten und wichtigsten öffentlichen Plätze Limas – den Campo de Marte. Ich glaube, dass das den Leuten zu denken gab. Schikanen waren zunehmend schlecht angesehen.“, so der 33-jährige Telefonservicearbeiter. „Doch nun ist ein Typ im Rathaus, der sagt wonach ihm der Sinn steht – ohne wirkliche Konsequenzen.“
Menschenrechtorganisationen zeigen sich darüber besorgt, dass unter Aliaga Errungenschaften in der Anerkennung sexueller Vielfalt torpediert werden könnten. Auch Jorge de la Cruz sieht besonders eine Gruppe in Gefahr: „Die, die am meisten unter Aliagas Regierung leiden werden, sind trans Frauen, die in der Sexarbeit arbeiten,“ ist er sicher. „Sie stehen nun unter der Administration eines Mannes, dem alle Mittel der Repression zur Verfügung stehen.“
López verfolgt Putschrhetorik gegen Castillo
Aliagas Partei gewann in 12 von 43 Limenser Distrikten und das Bürgermeisteramt – letzteres mit einem historisch niedrigen Wahlergebnis. Besonders wohlhabende Schichten der Stadt scheinen durch die Fortschrittsrhetorik Aliagas angesprochen worden zu sein. Aliaga begann während des Privatisierungsprozesses unter dem Diktator Alberto Fujimoris (1990 – 2000) ein Eisenbahnimperium in Cusco aufzubauen. Nun versprach er die Hauptstadt in eine „weltweite Potenz“ zu transformieren, umfassende Infrastrukturprojekte anzustoßen, darunter den Bau einer Seilbahn sowie den Ausbau von comedores populares (Volksküchen) mit ganzen 10% des Haushalts. Neben der Wählerschaft seiner ehemaligen Gegenkandidatin Keiko Fujimori unterstützten Aliaga in dieser Wahl auch Wähler*innen aus den ärmsten Sektoren der Stadt. Dies führt Jorge auf den Schulterschluss von Evangelikalen, die in den ärmeren Vierteln verankert sind, und Erzkatholiken in seiner Partei zurück. „Die Ober- und Mittelklasse hat sich von Aliagas Putsch-Diskurs mitreißen lassen.“, so Jorge. „Diese Sektoren müssten eigentlich wissen, dass er zwar eine Opposition bilden kann, aber er muss mit der Regierung zusammenarbeiten, um seine Projekte umzusetzen.“ Aliaga gilt als erklärter Gegner des derzeitigen Präsidenten, in dessen internen Kreisen er als „Putschisten-Schwein“ bezeichnet wird, in Anspielung auf seinen weitverbreiteten Spitznamen „Porky“. In einer seiner ersten Ansprachen nach der Bürgermeisterwahl wiederholte Aliaga seine Forderung, Castillo solle zurücktreten. Er erklärte außerdem, er wolle den Haushalt der Hauptstadt direkt mit dem Kongress koordinieren.
Exekutive und Legislative befinden sich seit mehreren Monaten in einer politischen Pattsituation (siehe LN Nr. 580/81 Dossier 20). Der rechtsdominierte Kongress versucht seit Langem, Castillo des Amtes zu entheben. Die neueste Entwicklung ist eine Verfassungsbeschwerde wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, die die Generalstaatsanwältin des Landes, Patricia Benavides, am 12. Oktober gegen Castillo eingereicht hat. Ein Unterausschuss für verfassungsrechtliche Anklagen des Parlaments prüft momentan den Bestand der Beschwerde. Auch konservative Rechtsexperten haben verlauten lassen, dass die Verfassungsklage auf Grundlage des Paragrafen 117 keinen Bestand haben wird. Der Paragraf schließt die Anklage während der Präsidentschaft aus – mit Ausnahme von vier Gründen, die in diesem Fall nicht zutreffen. Damit stellt die Anklage ein weiteres politisierbares, aber politisch folgenloses Manöver des Kongresses dar.
Wie Aliaga seinen Traum der Megabauprojekte ohne Kooperation mit der Exekutive umsetzen will, ist in der Tat fraglich. Von seinem Erfolg könnte abhängen, ob das Bürgermeisteramt erneut zum Sprungbrett für das Präsidentenamt wird. So versuchte der dreimalige Bürgermeister Limas aus der politischen Vorgängerpartei von Renovación Popular, Luis Castañeda (Solidaridad Nacional), zweimal den Sprung zur Präsidentschaft und blieb weit hinter anderen Kandidat*innen zurück. Ebenso wie ihre Vorgängerpartei ist Renovación Popular ein Hauptstadtphänomen, das auch bei diesen Wahlen kaum Stimmen außerhalb der Metropole für sich gewinnen konnte.
Außerhalb Limas triumphierten bei den Regional- und Kommunalwahlen am 2. Oktober erneut regionale Bewegungen über nationale Parteien. Die Bewegungen, die der Politologe Mauricio Zavaleta als „Koalitionen der Unabhängigen” bezeichnet, haben programmatisch oftmals wenig gemeinsam. Sie schließen sich kurzzeitig zur Aufstellung politisch unverbrämter Kandidat*innen zusammen. Damit stellen regionale Bewegungen nun knapp 60% der Bürgermeisterämter des Landes, wobei fast ausschließlich alle an Männer gingen.
Die Proteste gegen die OAS kommen zu einer politisch heiklen Zeit
Die Regional- und Kommunalwahlen bestätigen aufs Neue das konservative und wirtschaftsliberale Wahlverhalten der Hauptstädter*innen. Im Süden und Hochland haben unabhängige und linke Kandidat*innen bessere Chancen. Dieser Umstand hat in den vergangenen Jahren wiederholt die Wahl der Diktatorentochter Keiko Fujimori ins Präsidentenamt verhindert. Kandidat*innen ihrer Partei Fuerza Popular flogen aus sämtlichen Regionalregierungen, ebenso die Partei des derzeitigen Präsidenten Pedro Castillo. Falls sich das Votum der Regionen in der kommenden Präsidentschaftswahl ebenso fragmentiert, wie es bei den Gegenkandidat*innen Aliagas geschehen ist, und die Zahl der Nicht-Wähler*innen noch weiter ansteigt, ist nicht auszuschließen, dass es eine Metropolenkandidat*in ins Präsidentschaftsamt schafft.
Bis dahin steht Lima eine konservative Welle bevor. Diese wurde bereits wenige Tage nach der Wahl durch die Demonstration mehrerer Tausend Menschen gegen die Generalversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eingeläutet. Die Versammlung, die in Lima unter dem Motto „Gemeinsam gegen Ungleichheit und Diskriminierung“ abgehalten wurde, zog den Protest verschiedener ultrakonservativer Evangelikaler und christlicher Gruppen auf sich, die Plakate wie „OAS, hört auf zu intervenieren“, „Peru widersetzt sich der Gender-Ideologie”, „Ja zum Leben, nein zur Abtreibung“ hochhielten.
Die Proteste gegen das interamerikanische Gremium kommen zu einer politisch heiklen Zeit. Mitte Oktober bat Präsident Castillo die OAS um Hilfe im Umgang mit der gegen ihn eingereichten Verfassungsbeschwerde. In seinem Schreiben bat der Präsident die Interamerikanische Demokratische Charta zu aktivieren, um die demokratischen Institutionen des Landes zu schützen. Perus jüngere Geschichte ist gekennzeichnet von Amtsenthebungsverfahren, in denen strafrechtliche Ermittlungen von der Opposition genutzt werden, um dem Präsidenten das Vertrauen zu entziehen. Mittlerweile wurde die Anfrage von der OAS angenommen und eine hochrangige Gruppe aus Vertreter*innen der Mitgliedsstaaten entsendet. Es wird sich zeigen, ob es Aliaga gelingt, das Anti-OAS-Sentiment seiner Anhänger*innenschaft zu instrumentalisieren, sobald die Ergebnisse der unabhängigen Kommission vorliegen.