Ecuador | Nummer 321 - März 2001

Aufstand bis zur letzten Konsequenz

Zwei turbulente Wochen im ecuadorianischen Hochland

Die ecuadorianische Indígena-Bewegung stürzte in den vergangenen Jahren zwei Staatspräsidenten. Jetzt sorgte sie erneut für internationale Schlagzeilen. Mit Protest- und Blockadeaktionen im ganzen Land wollte sie die Regierung bewegen, eine Erhöhung der Gas- und Benzinpreise zurückzunehmen. Der Staatspräsident überlebte dieses Mal, doch er musste Kompromisse eingehen.

Rolf Schröder

Jeden Samstag ist Markt in der kleinen Andenstadt Pelileo am Fuße des Vulkans Tungurahua. Nur am ersten Februarwochenende dieses Jahres nicht. Die indigenen Bewegungen Ecuadors haben zum landesweiten Streik aufgerufen und blockieren die Verkehrswege. Die wenigen Händler, die an diesem Tag dennoch den Weg zum Markt gefunden haben, bereuen ihr Kommen schnell. Protestierende Indígenas nähern sich mit lautem Geschrei den Ständen. Bananen fliegen durch die Luft; Früchte, Gemüse oder Kräuter werden aufgehäuft und beschlagnahmt.
Die Straße nach Ambato, die 30 km entfernte Provinzhauptstadt, ist an diesem Tag durch eine Barrikade aus Gerümpel und brennenden Autoreifen gesperrt. Besitzer kleinerer Autos erkundigen sich bei Einheimischen, ob sie auf Nebenstrecken die Blockaden umgehen können. Doch sogar auf holprigen Feldwegen, die sich durch die Berge und Schluchten der Umgebung schlängeln, erwarten die Reisenden Hindernisse: gefällte Eukalyptusbäume, Felsblöcke oder quer über die Piste ausgehobene Gräben. An manchen Sperren hocken Indígenas mit Macheten oder Holzknüppeln. Feine Glasscherben auf der Straße, die ohne Zweifel von einer Windschutzscheibe stammen, oder Rufe wie „Macht ihnen die Reifen platt“ mahnen Autofahrer zur Vorsicht. Chancen auf ein Durchkommen haben nur Reisende, die sich als Ärzte ausgeben oder eine Krankheit simulieren.

Bereit zu sterben

Die Indígenas waren nicht nur in der Provinz Tungurahua aktiv. Zehntausende besetzten Straßen, Plätze oder Kirchen im ganzen Land. Antonio Vargas, Präsident der ecuadorianischen Dachorganisation indigener Völker, CONAIE, hatte bereits Mitte Januar den Aufstand im Namen verschiedener sozialer und indigener Bewegungen ausgerufen. Bis dahin waren kleinere Proteste gegen eine von der Regierung verfügte Benzin- und Gaspreiserhöhung ohne Erfolg geblieben. „Der Aufstand wird bis zur letzten Konsequenz ausgetragen, bis die Regierung ihre Maßnahmen zurücknimmt,“ kündigte Vargas an. Auf Drohungen der Armeeführung, notfalls mit Gewalt die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten, antwortete der CONAIE-Präsident: „Wir sind bereit zu sterben!“
Es gab tatsächlich Tote. Die Regierung rief kurz nach dem Beginn der Blockadeaktionen den Notstand aus und ließ Armee und Polizei mit Schusswaffen und Tränengas gegen die Demonstranten vorgehen. Die Bilanz: Drei Indígenas wurden beim Blockieren einer Straße von der Armee erschossen, etwa 80 Rebellierende erlitten zum Teil schwere Verletzungen. Die Polizei registrierte rund 500 Festnahmen. Auch CONAIE-Chef Vargas und Luís Villacis, der Vorsitzende der Patriotischen Front – einem Zusammenschluss von linken Studentenorganisationen und Gewerkschaften –, wanderten ohne Angabe von Gründen für drei Tage ins Gefängnis. Doch die Indígenas ließen sich von der Repression nicht einschüchtern und hielten zwei lange Wochen durch. Wurden sie an einem Ort auseinandergetrieben, so versammelten sie sich an einer anderen Stelle erneut. Die Panamericana, die wichtigste Verkehrsader des Landes, blieb durchgehend an mehreren Stellen blockiert. Der Güterverkehr im Hochland lag weit gehend lahm, auf den Indígena-Märkten lief nichts mehr. Neben den Provinzen Imbabura, Chimborazo oder Bolívar zählte auch die Region um den Vulkan Tungurahua zu den Hochburgen des Widerstands. 300 Millionen Dollar soll der Aufstand das Land gekostet haben.
In Quito versammelten sich für etwa zehn Tage knapp 13.000 Indígenas aus ganz Ecuador. Sie richteten ihre Schlafquartiere und Volksküchen auf dem Campus der katholischen Universität UPS ein, deren Tore Pater Eduardo Delgado, der Rektor der Hochschule, für sie öffnen ließ. Die Sicherheitsorgane verhinderten die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten, um die Demonstranten zur Rückkehr in ihre Dörfer zu zwingen. Auch die Wasserversorgung und die Telefonanschlüsse der Universität wurden gekappt. Jeder Versuch einer Demonstration wurde sofort mit Tränengas und Knüppeln unterbunden. Fünfzig Indígenas traten daraufhin in einen Hungerstreik. Die Regierung wollte unter allen Umständen eine Wiederholung der Ereignisse des letzten Jahres verhindern. Am 21. Januar 2000 hatten es protestierende Indígenas geschafft, das Parlament zu besetzen und den amtierenden Präsidenten Jamil Mahuad zu stürzen. Damals übernahm für drei Stunden ein Triumvirat die Macht , dem auch CONAIE-Chef Vargas angehörte. Am Ende sorgte dann die Armeespitze dafür, dass Gustavo Noboa, der Stellvertreter Mahuads, das Präsidentenamt übernahm. Im Jahre 1997 hatten die Indígenas bereits den Präsidenten Abdalá Bucarám in die Flucht geschlagen.

Umverteilung von unten nach oben

Die Indígenas, die etwa vierzig Prozent der Bevölkerung stellen, haben außer ihrem Leben nicht viel zu verlieren. Denn die Anzahl der Armen hat sich seit 1998 um 50 Prozent erhöht. Im Jahre 1999 mussten die Ecuadorianer ohnmächtig zuschauen, wie ihre Währung, der Sucre, auf zwanzig Prozent seines ursprünglichen Wertes zusammenschmolz und ihre Bankguthaben eingefroren wurden. Die betrogenen Sparer haben bis heute erst einen Teil ihrer Einlagen zurückerhalten. Die Produktion stagniert, die Arbeitslosenzahlen steigen, und die Inflation erreichte im Jahre 2000 mit 92 Prozent einen Rekordwert der republikanischen Geschichte. Logische Folge dieses Desasters: 20.000 Ecuadorianer verlassen jeden Monat das Land, um sich Beschäftigung im Ausland zu suchen. Die im letzten Jahr als Heilmittel verkündete Ablösung des Sucre als Landeswährung durch den Dollar hat bisher nichts bewirkt.
Hinzu kommt, dass die Staatskassen leer sind. Die Regierung brachte 1998 die Hälfte ihres Haushalts zur Zahlung von Auslandsschulden auf. Außerdem gab sie seit Ende 1998 fast vier Milliarden Dollar für die Sanierung von Privatbanken aus, die zum Teil von korrupten Bankiers in den Ruin getrieben worden waren. Die fehlenden Mittel wollte Präsident Noboa sich ausgerechnet bei der geschröpften Bevölkerung holen: mit einer sechzigprozentigen Benzin- und einer hundertprozentigen Gaspreiserhöhung. Zuvor hatten die zur Privatisierung anstehenden staatlichen Telefon- und Stromgesellschaften ihre Tarife schon kräftig angehoben. Ergänzend sollte eine Steuerreform sicherstellen, dass auch wirklich nur die Armen zahlen. So treten demnächst eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte und eine Absenkung der Einkommensteuer von 25 auf 20 Prozent in Kraft. Mit letzterer Maßnahme werden die Unternehmer und EinkommensempfängerInnen für die höheren Preise entschädigt.
Angesichts dieser Lage forderten die rebellischen indigenen und sozialen Bewegungen auch eine Konfiszierung des Besitzes korrupter Bankiers und eine Wiedereinführung des Sucre als Landeswährung. Doch sie blieben nicht bei rein wirtschaftlichen Forderungen. Sie verlangten außerdem von der Regierung, den USA die bestehende Marinebasis in der ecuadorianischen Hafenstadt Manta zu verweigern und den Plan Colombia abzulehnen, der Ecuador in den inneren Konflikt seines Nachbarlandes hineinzuziehen droht.
Nach zehn Tagen Aufstand begannen die Kräfte der protestierenden Indígenas zu schwinden. Die CONAIE und einige kleinere indigene Organisationen ließen sich schließlich trotz des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte auf Verhandlungen mit der Regierung ein. Ein entscheidender Punkt: Die Mehrheit der Bevölkerung brachte Meinungsumfragen zufolge zwar Verständnis für die Proteste der Indianer auf, doch sie war ebenso deutlich für ein Ende der Blockademaßnahmen. Die CON entschied sich, nicht mehr bis zur letzten Konsequenz zu kämpfen. Und so kam ein Kompromiss mit der Regierung zu Stande.
Präsident Noboa, der CONAIE-Chef Vargas und andere indigene Führer unterzeichneten am 7. Februar ein Abkommen, mit dem das Ende des Aufstands besiegelt wurde. Auch wenn die Regierung letztlich die Erhöhung der Benzinpreise nicht zurücknahm und die Gaspreise nur um 20 Prozent senkte, setzte die Indígena-Bewegung einige Veränderungen durch (siehe Kasten). Die in der Universität UPS versammelten DemonstrantInnenen feierten jedenfalls den Kompromiss und verließen jubelnd den Campus. Alle Inhaftierten kamen wieder frei, Familien mit Toten oder Verletzten erhielten eine Entschädigung, und der Ausnahmezustand wurde aufgehoben. Die Indígena-Bewegung hat einmal mehr ihre Stärke unter Beweis gestellt. Auch in Zukunft wird keine Regierung sie als politische Kraft ignorieren können.
Die Patriotische Front mit Luís Villacis an der Spitze wollte indes den Aufstand bis zur letzten Konsequenz weiter führen. Daher rief sie am Tag der Unterzeichnung des Abkommens noch einmal zu landesweiten Streik- und Protestaktionen auf. Doch abgesehen von einigen kleineren Demonstrationen in Quito tat sich nichts. Die Linke in Ecuador muss einsehen: Ohne die Indígena-Bewegung als Bündnisgenossin kann sie zur Zeit nichts bewegen.

KASTEN

Die wichtigsten Punkte aus dem Abkommen zwischen Regierung und Indígenas
Der Benzinpreis bleibt ein Jahr eingefroren. Dafür erhalten Kinder, Studenten und alte Leute in öffentlichen Transportunternehmen 50 Prozent Ermäßigung.
Eine Flasche Gas, deren Preis die Regierung von einem Dollar auf zwei Dollar erhöht hatte, verbilligt sich wieder auf 1,60 Dollar. Dieser Preis bleibt so lange eingefroren, bis über indigene, soziale und kirchliche Organisationen ein Verteilungssystem für die Bedürftigen eingerichtet ist.
Die Regierung stellt 10 Millionen Dollar Kredite für Mikrounternehmen und Kleinbauern zur Verfügung.
Indigene Einrichtungen erhalten mehr Geld aus der Staatskasse.
Land- und Wasserkonflikte zwischen indigenen Gemeinden und dem Staat werden gelöst.
Justizverfahren gegen korrupte Banker sollen beschleunigt werden.
Eingefrorene Bankguthaben sind so weit wie möglich zurückzuzahlen.
Ecuador beteiligt sich nicht am Plan Colombia.
Es wird eine Verhandlungskommission gebildet, um die Details der verschiedenen Punkte zu konkretisieren.

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