Honduras | Nummer 415 - Januar 2009

Aus den Tiefen herauskommen

Noch-Präsident Zelaya schnitzt am „sozialistischen Liberalismus“

Seit diesem Jahr ist Honduras Mitglied der Bolivarischen Alternative für die Völker Unseres Amerikas (ALBA). Die damit verbundene Hilfe aus Venezuela ist angesichts der wenigen formalen Arbeitsplätze, der hohen Armutsrate und der Vielzahl ökonomisch motivierter EmigrantInnen sehr willkommen. Doch mit erklärten ALBA-Gegnern als aussichtsreichste Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen im kommenden Jahr sieht die Zukunft wieder düster aus.

Torge Löding

Tief war das Wasser vor der Küste bereits, als Christoph Kolumbus vor über 500 Jahren Anker werfen ließ. „Agúas hondas“ nannte er das mittelamerikanische Land – Honduras. „Der Name hat unser Land seither geprägt, aus den Tiefen sind wir nie herausgekommen“, beklagt Alfredo Bográn, Gewerkschafter und Aktivist des linken Bloque Popular (Populärer Block). Zumindest einen Hoffnungsschimmer sieht Bográn, denn Anfang Oktober ratifizierte der Nationalkongress einmütig den Beitritt des Landes zur Bolivarischen Alternative für die Völker Unseres Amerikas (ALBA). Die damit verbundene Unterstützung aus Venezuela kommt wie gerufen, denn die Armutssituation in Honduras ist fatal: Bis zu 80 Prozent der Menschen – vor allem in den ländlichen Gebieten – leben in Armut und können ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen. Das Land ist nach Haiti und Nicaragua eines der ärmsten der Region. Die mit ALBA verbundene Hilfe ist dann wohl auch der wahre Grund für den Beitritt in das Wirtschaftsbündnis. Denn Präsident Manuel Zelaya Rosales von der regierenden liberalen Partei PLH ist alles andere als ein Linker. Er gewann die Präsidentschaftswahl vor allem mit einer Kampagne gegen kriminelle Jugendbanden – die sogenannten maras sind ein großes Problem in Honduras, genau wie in den Nachbarländern Guatemala und El Salvador – in der er den „starken Staat“ beschwor.
Außer Textil-Maquiladoras gibt es im Land kaum Industrie und diese ist aufgrund der Konkurrenz aus China unter starken Druck geraten. Viele Anbauflächen für Bananen und Kaffee sind verwaist,seitdem der Weltmarktpreis für diese Produkte in den Keller gesunken ist. „Es gibt kaum reguläre Arbeitsplätze in Honduras außer im schlecht bezahlten öffentlichen Dienst oder den Maquilas mit Arbeitsbedingungen, die an Sklaverei erinnern. „Wer kann, verkauft irgendwie irgendwas auf der Straße. Aber Exportprodukt Nummer Eins sind Arbeitskräfte, die es vor allem in die USA zieht“, erklärt Edith Zavala vom Netzwerk der honduranischen Migrantenorganisationen. Mehr als eine Million der gut 7,5 Millionen HonduranerInnen wanderte aus, in die USA, nach El Salvador oder nach Spanien. Die Überweisungen der MigrantInnen an ihre Familien machen fast ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes aus. Kein anderes Land der Region hängt wirtschaftlich so sehr am Tropf dieser remesas, den Geldüberweisungen aus dem Ausland. Jedoch sind diese Zahlungen aufgrund der Wirtschaftskrise in den USA derzeit rückläufig, insbesondere weil viele HonduranerInnen im dortigen Baugewerbe arbeiten und dieses von der Immobilienkrise besonders stark betroffen ist. Venezuela wird im Rahmen der ALBA-Mitgliedschaft nun Kredite für Kleinbäuerinnen und -bauern in Höhe von 30 Millionen US-Dollar gewähren, 100 Traktoren liefern sowie Programme im Bildungs- und Gesundheitssektor fördern. Zudem profitiert das Land bereits durch die Petrocaribe-Mitgliedschaft davon, dass es die Hälfte seiner Rohölrechnung bei Venezuela nicht sofort, sondern erst in 25 Jahren zahlen muss. Dabei gilt ein Zinssatz von nicht mehr als einem Prozent. Das Land kann zudem in in Form von Nahrungsmitteln oder anderer Exportprodukte zahlen.
Zu Zeiten der bewaffneten Konflikte in Zentral­amerika unterhielten die USA in Honduras einen ihrer wichtigsten militärischen Stützpunkte von wo aus sie ihre Operationen gegen die regierenden sozialistisch orientierten SandinistInnen der FSLN in Nicaragua und die linken FMLN-RebellInnen in El Salvador durchführten. Mit dem Ende dieser Konflikte in den 90er Jahren sank das US-Interesse an Honduras erheblich. Die gringos sind den HonduranerInnen aber nicht erst seit dieser Zeit verhasst. Jedoch gründet sich diese Ablehnung in der Regel nicht auf eine politische Basis. In den Nachbarländern Nicaragua, Salvador und auch Guatemala gibt es eine lange Tradition linker Widerstandsbewegungen, deren Denkschulen beispielsweise Intellektuelle hervor gebracht haben, deren Ideen auch heute in den jeweiligen Universitäten eine wichtige Rolle spielen. In Honduras gab es keine vergleichbare Bewegung. Das Land war sicheres Terrain für die reaktionären CONTRAs, welche die sandinistische Regierung in Nicaragua stürzen wollten.
„Die honduranische Linke träumte nie von einer Partei, wir wollten stets nur soziale Bewegung sein“, sagt Alfredo Bográn vom Bloque Popular (BP). Dieser Zusammenschluss aus radikalen GewerkschafterInnen und AktivistInnen aus Basiskomitees ist eine der wichtigsten Formationen der politischen Linken. In ihrer Monatszeitung Vida Laboral berichten sie von politischen Auseinandersetzungen, rufen zu Solidarität bei politischer Repression auf und wollen das historische Gedächtnis der populären Bewegung sein, indem sie an deren historische Persönlichkeiten erinnern. Öffentlichen Widerhall fand die vom BP unterstützte Kampagne gegen die von den Stadtregierungen in San Pedro Sula und anderenorts vollzogene Privatisierung der kommunalen Wasserversorgung. „Die Privatisierungen waren von der Zentralregierung gewollt. Den Kampf dagegen haben wir vorerst verloren, aber wir konnten unsere Bewegung aufbauen und neue Aktivisten um uns scharen“, berichtet Bográn. Im April dieses Jahres traten einige StaatsanwältInnen in den Hungerstreik. Sie demonstrierten auf diese Weise gegen die in Honduras systematische Korruption. Daraus entwickelte sich eine bis heute anhaltende Massenbewegung, die den Kampf gegen Korruption zu einem Hauptanliegen der sozialen Bewegung macht. Die zwei im Parlament vertretenen sozialdemokratischen Splitterparteien haben nach Meinung Bográns keine organische Beziehung zur außerparlamentarischen Bewegung und fristen im Parlament ein Schattendasein.
Zumindest den Zungenschlag hat Präsident Manuel („Mel“) Zelaya hinsichtlich der Privatisierungen geändert. Als der Staatschef im August erklärte, warum er für den ALBA-Beitritt seines Landes eintrete, fragte er rhetorisch: „Wer hat behauptet, dass Honduras vorankommt, wenn das Wasser, die Luft und der öffentliche Dienst privatisiert werden?“. Statt dessen sei der Aufbau eines alternativen Modells zur Bekämpfung der Ausgrenzung und der Armut wichtig. „Wenn das System, welches in Honduras 40 Jahre lang den Ton angegeben hat, diese Probleme gelöst hätte, dann würden wir uns nicht für den Sozialismus Südamerikas interessieren“, fügte er hinzu. Zelaya sieht die Alternative für sein Land in einem „sozialistischen Liberalismus“, der Privatwirtschaft und ArbeitnehmerInneninteressen gleichermaßen respektiere. Für den Vertreter einer Partei, die wie die deutsche FDP der Liberalen Internationale angehört, sind das ungewöhnliche Worte. Und es gibt in Honduras auch starke politische Kräfte, die ihm das übel nehmen. Dies tut zum Beispiel der Unternehmerverband COHEP, dessen Vorsitzender erklärte, Honduras trete mit der Ratifizierung einer „ideologischen, politischen und militärischen Allianz bei, die der Geschichte, den Werten und Verpflichtungen von Honduras widerspricht“.
Symbolisch nach links gerückt war Zelaya bereits seit einiger Zeit. So nahm er als einziger liberaler Staatschef an den Feierlichkeiten zu den Jahrestagen der Sandinistischen Revolution in Nicaragua teil. Seitdem er an der ALBA-Mitgliedschaft interessiert war, forderte er ein Ende der US-Blockade gegen Kuba. Der sozialistische Karibikstaat habe Honduras und seinem Volk immer die Hand gereicht, ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen, sagte Zelaya in Hinblick auf die geleistete medizinische Hilfe. „Zelaya ist ein Mann der politischen Rechten, aber ist der erste Präsident seit Jahrzehnten, der etwas für die Armen tut und Kleinbauern konkrete Hilfe wie Saatgut und Maschinen zur Verfügung gestellt hat“, sagt Alfredo Bográn. Linke Oppositionelle werden aber weiterhin verfolgt. Erst in diesem Jahr kursierte eine „schwarze Liste“ mit Namen von Gewerkschaftsfunktionären, unter anderem der von Rosa Altagracia Fuentes. Die Vorsitzende der ältesten und größten ArbeiterInnengewerkschaft von Honduras CTH wurde Ende April dieses Jahres in einem Hinterhalt erschossen.
Welche Gegenleistung Venezuela für die durch den ALBA-Beitritt gewährten Vorteile indes bekommt, bleibt offen. Bislang gibt es keine Grundlagen einer gemeinsamen Außenpolitik, nicht einmal einer Zollpolitik. Es gibt Vereinbarungen zu militärischer Zusammenarbeit, vor allem aber verteilt die sozialistische Regierung von Hugo Chávez großzügig den Ölreichtum unter den Bedürftigen.
„Mel Zelaya ist ein ehrlicher Mann, der sein Herz für die Armen entdeckt hat, aber in seiner Partei hat er für seine Politik keinen Rückhalt“, berichtet auch Omar Rodriguez vom Vorstand der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes in San Pedro Sula. So sehen es viele und für Überraschung sorgte die Meldung, dass am Ende doch alle 62 Abgeordnete der Liberalen im Nationalparlament der ALBA-Ratifizierung zustimmten. Die Konservativen boykottierten die Abstimmung hingegen.
Doch kommt das Aus für ALBA bevor die Mitarbeit im progressiven Staatenbund überhaupt begonnen hat? Präsident Zelaya darf bei den Wahlen im kommenden Jahr kein weiteres Mal antreten. Und mit Mauricio Villeda setzte sich Anfang Dezember in der Liberalen Partei (PLH) des regierenden Präsidenten ein rechter Kandidat für das höchste Staatsamt durch, der den Kurs der jetzigen Regierung nicht fortführen will. Darin ist er sich einig mit dem am gleichen Tag gekürten Spitzenmann der konservativen Nationalistischen Partei, Porfirio Lobo. Einer der beiden wird die Wahlen im April gewinnen. Daran gibt es kaum einen Zweifel, denn eine linke Wahlalternative fehlt in Honduras.
„ALBA hat bei der honduranischen Regierung keine Zukunft“, titelte deshalb auch jüngst die alternative honduranische Nachrichtenagentur Común Noticias in einer Erklärung. „In der aktuellen Regierung gibt es nur sehr wenige FunkionsträgerInnen, welche ALBA positiv gegenüber stehen. Sogar die Mehrheit dieser sieht nur die Millionensummen, die in das Land fließen, aber sie teilen nicht die Idee eines Projektes für die gegenseitige Unterstützung zwischen Völkern, die eine seit Jahrhunderten bestehende Abhängigkeit überwinden wollen“. ALBA werde mehr als eine komplementäre Finanzquelle zu USAID, der Europäischen Union, dem IWF und der Weltbank gesehen. Die KritikerInnen zeigen sich zudem besorgt bezüglich der Verteilung der ALBA-Gelder: „Die Millionen sollen von den korrupten Institutionen des Staates verteilt werden. Leider werden sie sich nur selbst bereichern, denn es gibt keine Kontrolle“. Einziger Ausweg sei der organisierte Kampf der populären Sektoren für ALBA und gegen die Korruption.
// Torge Löding

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