Bergbau mit Clowns
Staatliches Bergbauunternehmen will in der Intag-Region Kupfer abbauen, die betroffenen Gemeinden sind gespalten
Munteres Zirpen und Zwitschern erklingen als Geräuschkulisse in der von subtropischem Nebelwald umgebenen Gemeinde Peñaherrera. An diesem Tag mischen sich die Klänge jedoch mit Bachatas aus Musikvideos, die auf einer Bühne ausgestrahlt werden, welche das staatliche Bergbauunternehmen ENAMI aufgebaut hat. ENAMI möchte im offenen Tagebau die geschätzten 2,2 Millionen Tonnen Kupfer aus der Intag-Region nordwestlich der Hauptstadt Quito fördern. „Gemeinsam mit der Gemeinde” so das Motto, weswegen das Bergbauunternehmen Peñaherrera mit sogenannter ecuadorianischer Kultur bespaßt: Clowns, Musikvideos und Filme. Nicht zufällig fällt die Werbeveranstaltung auf den Tag, an dem auch die asamblea zusammenkommt, die Bürger*innenversammlung des Gemeinderats. Dieses Mal soll die asamblea auch den Haushalt 2015 für die Gemeinde Peñaherrera verabschieden. Zu den etwa alle drei Monate stattfindenden basisdemokratischen Versammlungen können alle Bewohner*innen der Dörfer Peñaherreras kommen und ihre Politik mitgestalten.
Die Stimmung auf der asamblea ist angespannt, die beiden Lager haben sich jeweils auf einer Seite der Tribünen der Sport- und Veranstaltungshalle verteilt. Bei den Wahlen im Februar 2014 hat die Kandidatin der Regierungspartei Alianza País (AP), Margarita Espín, den Vorsitz des Gemeinderats knapp gewonnen. Ihr Vorgänger, Gustavo León vom Wahlbündnis Vivir Bien – Ally Kawsay, ist nun Vizepräsident des Gemeinderats. Die Anhänger*innen von Vivir Bien sind gegen den Bergbau in der Intag-Region. Espín hat die Wahl mit dem Versprechen von Wandel und Arbeit gewonnen – Arbeitsplätze, die der Bergbau bringen soll. María Augusta León, Ehefrau von Gustavo León, regt sich über den Ablauf der asamblea auf: „Der Haushalt wurde gar nicht richtig diskutiert und die Präsidentin war so darauf bedacht, die asamblea mittags zu beenden, dass sie am Ende nicht mal hat abstimmen lassen”. Nachmittags ist schließlich das Programm von ENAMI vorgesehen, das die AP-Politikerin dann auch lobend ankündigt. Interessantes Detail: Espíns Ehemann arbeitet für die ENAMI.
Das staatliche Bergbauunternehmen soll das durchführen, was seit Mitte der 1990er Jahre durch die Bewohner*innen der Intag-Region verhindert wurde. Bereits zweimal ließen transnationale Unternehmen aufgrund des erbitterten Widerstands der Gemeinde von ihren Bergbauvorhaben ab. 2008 wurde im Zuge der neuen Verfassung schließlich das Bergbau-Mandat erlassen, wodurch alle vom ecuadorianischen Staat illegal vergebenen Konzessionen den Unternehmen entzogen wurden, so auch in der Intag-Region. Die damals gültige Verfassung von 1998 schrieb vor, dass die betroffene Bevölkerung vorab konsultiert werden muss, was nicht geschehen war.
Die neue Verfassung beinhaltet diese Vorgabe nicht, hingegen legt sie fest, dass alle strategischen Sektoren Staatseigentum sind. Die strategischen Sektoren sollen zur Entwicklung Ecuadors beitragen: Die seit Jahrzehnten andauernde Erdölförderung wird ausgeweitet und nun soll Ecuador auch ein Bergbau-Land werden, weshalb der Staat mit fünf Mega-Projekten den industriellen Großbergbau in Ecuador einführen will. Dafür wurde auch die staatliche Bergbaufirma ENAMI gegründet. Sie hat Anfang Mai mit der Explorations-Phase des Bergbauprojektes Llurimagua in der Kordillere Toisán begonnen, die die Intag-Region säumt. Diese ist Teil des Naturreservats Cotacachi Cayapas und beherbergt eine hohe Artenvielfal, das Tal soll nun durch fast 5000 Hektar Tagebau durchrissen werden. Die beiden vergebenen Konzessionen gelten für die Gemeinden García Moreno und Peñaherrera. Zur Durchführung des Projektes hat ENAMI ein Abkommen mit dem chilenischen staatlichen Bergbauunternehmen Codelco abgeschlossen. „ENAMI ist eine Firma auf dem Papier, die keinen einzigen Bohrer besitzt, sondern Veranstaltungen mit Clowns organisiert, so wie heute“, meint Gustavo León. Die Aufgabe des ecuadorianischen Bergbauunternehmens bestehe darin, Abkommen mit ausländischen Minenfirmen zu schließen, so wie in der Intag-Region mit Codelco. Da die Region für ihren Widerstand bekannt ist, erschien es der Regierung Correa zu Beginn der Explorationsphase angemessen, gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen ENAMIs Anfang Mai drei Hundertschaften Polizei in die umliegenden Gemeinden einmarschieren zu lassen. Die Bürger*innen haben sich in all den Jahren nicht nur widersetzt, sondern ihr eigenes alternatives Entwicklungsmodell aufgebaut. In Peñaherrera gehören dazu vor allem Ökotourismus und Biolandwirtschaft, deren Erlöse in soziale Projekte fließen. Den Projektträger*innen ist bewusst, dass dieses Alternativmodell sich mit Bergbau schlecht vereinbaren lässt, deswegen unterstützen auch sie den Kampf gegen Llurimagua, dem die Behörden mit verstärkter Repression begegnen. So nahm die Polizei nach Rangeleien bei Protesten Javier Ramírez fest, den Bürgermeister des Dorfs Junín, das vom Projekt Llurimagua am meisten betroffen ist. Seither ist er in Haft. Unter dem Vorwurf der Sabotage, der Rebellion oder des Terrorismus können Aktivist*innen in Ecuador bis zu zwölf Jahre Haft drohen. Gustavo León sieht in der zunehmenden Kriminalisierung des Protests auch einen Grund dafür, dass der offene Widerstand in der Gemeinde nachgelassen hat: „Die Leute kennen den Fall von Javier Ramírez und haben Angst, ihr Recht auf Information, eine eigene Meinung und Widerstand einzufordern”.
Doch warum gibt es nach Jahren des Widerstandes und dem Aufbau von Alternativen nun immer mehr Befürworter*innen der Ausbeutung des Kupfers? In Peñaherrera sitzt Espín nach der Bürger*innenversammlung auf dem Platz, auf dem die Bühne aufgebaut ist und schaut einigen Männern beim Volleyball-Spielen zu. „Wir glauben an die Regierung Rafael Correas. Jetzt haben wir eine staatliche Firma, der Bergbau ist nicht mehr für transnationale Konzerne, sondern er ist für uns. Die Erlöse gehen in unser Bildungs- und Gesundheitswesen”, zeigt sich die AP-Politikerin überzeugt. Deswegen wollten die Leute nun den Bergbau, es handele sich um kein transnationales Unternehmen und es würde Arbeitsplätze für sie geben. Espín will, dass die Emigrierten nach Intag zurückkehren und für ENAMI arbeiten. „ENAMI steht für verantwortungsvollen Umgang mit Umwelt und Mensch, sieh nur die Veranstaltung heute. Die Umweltauswirkungen betreffen nur die knapp 5000 Hektar des Tagebaus und ENAMI wird sich um die Abfälle und Abwässer kümmern”, meint die Präsidentin des Gemeinderats und verweist auf die erteilte Umweltlizenz. In der vier Jahre andauernden Explorationsphase sei auch Zeit, Ingenieur*innen aus der Intag-Zone auszubilden, aber auch alle anderen erwarte Arbeit, als Wächter*innen und Haushälter*innen zum Beispiel. Sie sei gar nicht per se für den Bergbau, alles hinge von den Ergebnissen der Explorationsphase ab, und bisher gäbe es keine Probleme. Sie sehe sich in der Verantwortung, dass es ein nachhaltiges Bergbauprojekt wird.
„Wenn der verantwortungsvolle Bergbau existiert, sagt uns, wo auf dieser Welt, damit wir uns das ansehen können und der verantwortungsvollen Bergbau hier implementiert wird“, widerspricht Bergbau-Gegner Gustavo León. Seine Haltung begründet León mit den Gefahren, die der Bergbau für seine Gemeinde berge: „Sie können uns nicht beweisen, dass Wasser und Luft nicht verschmutzt werden. Das Wasser, von dem unsere Gemeinde lebt, kommt aus dem oberen Teil der Toisán-Kordillere“. Natürlich sei die Gemeinde besorgt, dass es im Zuge des Bergbaus, unten verschmutzt ankommen wird. León spricht von Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe der Umweltlizenz, zum Beispiel seien Werte aus anderen Regionen herangezogen worden. Noch größer seien jedoch die sozialen Gefahren. In Bergbaugebieten gibt es Immigration, aber nicht von denen, die vorher emigriert sind, sondern von Arbeiter*innen aus anderen Regionen. Prostitution, Frauenhandel, Militarisierung und soziale Konflikte sind oft Folgen. In der Intag-Zone selbst müssten vier Gemeinden umgesiedelt werden. An das Versprechen der Arbeitsplätze für die Bewohner*innen der Intag-Region glaubt León nicht. Es werde Technologie genutzt, für die man nur wenige, gut ausgebildete Personen benötige. Und die vielen Personen, die von der Landwirtschaft im dichtesten Umkreis des Bergbauprojekts leben, verlören ihre Arbeit. Sie hätten hier in der Intag-Region schon ein Beispiel dafür: Bei dem Zement-Bergbauprojekt Selva Alegra habe die betroffene Gemeinde nicht profitiert. In der Region wurde aber auch eine weitere Gefahr für die Landwirtschaft beobachtet. Durch Großprojekte, bei welchen höhere Löhne gezahlt werden, verteuert sich die Arbeitskraft und niemand ist mehr bereit, in der Landwirtschaft zu arbeiten. Andere Arbeit gibt es dann für wenig Qualifizierte trotzdem nicht.
Der Konflikt in der Intag-Region ist exemplarisch für den Umgang mit dem Ressourcenreichtum in Ecuador seit der Amtsübernahme von Präsident Rafael Correa im Jahr 2007. Der Regierungsdiskurs verlautet, dass der Extraktivismus notwendig sei für die Entwicklung Ecuadors und aus den Einnahmen Infrastruktur, Sozialsysteme und Sozialausgaben finanziert würden. Die signifikante Reduktion der Armutsquote in den letzten sechs Jahren wird als Erfolg dafür angeführt. Definitiv ist es ein Erfolg, dass sich die Lebensbedingungen für viele Menschen verbessert haben. In den Städten hat sich beispielsweise eine Mittelschicht herausgebildet, die von dieser Politik profitiert und nun auch fleißig konsumieren kann. Allerdings bleibt diese „Entwicklung” dem auf Extraktivismus beruhenden kapitalistischen Entwicklungsmodell verhaftet, das von der Regierung des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ als alternativlos dargestellt wird. Die in den letzten Jahren relativ hohen Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt begünstigen dieses Modell, es bleibt die Frage, wovon die Sozialausgaben finanziert werden, sobald diese Preise sinken oder sich auf lange Sicht die Rohstoffvorkommen erschöpfen. Oder welche Einkommensquellen künftige Generationen finden werden, wenn große Teile des kleinen, megadiversen Ecuadors aufgrund der Umweltfolgen des Extraktivismus verwüstet sind.
In der Intag-Region ist der Konflikt noch nicht endgültig entschieden. Zwar hat die letzte asamblea des Bezirks Cotacachi (nächst höhere Verwaltungsebene nach den Gemeinden, zu der auch die Intag-Region gehört; Anm. d. Red), deren Bürgermeister vom Wahlbündnis Vivir Bien ist, gegen den Bergbau ausgesprochen. Doch bindend ist das Votum nicht, da der Bergbau laut der offiziellen Diktion von nationalem Interesse ist und somit der Bundesregierung alleinige Entscheidungsgewalt obliegt. Aber mit dem öffentlichen Druck wollen die Bergbaugegner*innen weiter machen. Auch auf lokaler Ebene haben sie eine Strategie: Sich gut informieren, wissen was passiert und die Informationen verbreiten. Gustavo León erzählt davon, dass Personen aus der Intag-Region in Bergbaugebiete in Chile und Peru gefahren sind, um andere Erfahrungen kennenzulernen: „Dort haben wir gesehen, dass die vom Bergbau betroffenen Gemeinden die Ärmsten geblieben sind und unter Umweltverschmutzungen leiden”.
Dabei gibt es neben den bereits geschilderten Alternativen noch weitere: Ein Projekt von neun kleinen kommunalen Wasserkraftwerken. Ein Bündnis aus dem zivilgesellschaftlichen Consorcio Toisán und lokalen Regierungen haben 2007 die Initiative Ecoenergia Hidrointag – Cotacachi ins Leben gerufen. Inzwischen haben sie das Kapital für das erste Projekt. Die umweltgerechten Wasserkraftwerke sollen eine nicht-extraktivistische lokale Ökonomie fördern. Im Besitz und unter der Kontrolle der Gemeinden sollen die Einkünfte aus dem Stromverkauf in die lokale Entwicklung investiert werden. Auch in Nangulví, Teil von Peñaherrera, ist ein kleines Wasserkraftwerk geplant.
Am Abend wird die ENAMI-Bühne zusammengeräumt und es schallt nur noch Tecnocumbia-Musik von auf dem Platz verteilten Grüppchen durch die Nacht. Zumindest für diesen Abend ist die Präsenz des Bergbaus nicht mehr vor aller Augen. Gespräche über die Bürger*innenversammlung vermischen sich mit Alltagsgesprächen und Feiertagsplanungen für den Tag der Toten.