Boliviens Berge boomen
Eine Reportage aus dem bolivianischen Hochland
Doña Felipa ist eine der wenigen Frauen hier am Berg von Potosí in Westbolivien, die Schürf-rechte und sogar 15 Angestellte hat. Sie ist Mitglied einer Kooperative, eines Zusammenschlusses privater KleinunternehmerInnen, die gemeinsam Schürfrechte vom Staat gekauft haben. Ihren schwarzen Filzhut tief ins Gesicht gezogen thront Doña Felipa auf einem Haufen von Zinkmineralien. Mit dem kleinen goldenen Stern am Band sieht er aus wie ein Sheriffhut. Er wirkt männlich, im Gegensatz zu ihren runden roten Ohrringen und der mit Blümchenmustern bestickten hellblauen Bluse. Sie sucht das zinkhaltigste Gestein heraus, dann laden es ihre Angestellten auf einen LKW und bringen es zur Mahl- und Schwemmanlage. Dort wird das Gestein auf die Konzentration analysiert und nach aktuellem Börsenpreis bezahlt. „Zehn Tonnen mit 45 Prozent Zinkmineral bringen ungefähr 10.000 Bolivianos (etwa 1.000 Euro) und sind in einer Woche zu schaffen. Aber ein so reines Mineral ist eher die Ausnahme“, erklärt Doña Felipa. „Normalerweise bringen zehn Tonnen Mineral circa 5.000 Bolivianos.“ Vor zehn Jahren hätte Doña Felipa mit ihrem Zinkabbau noch nicht so gutes Geld machen können. Die Preise an den Börsen der Welt sind heute so hoch wie nie. Besonders Indien und China haben einen großen Bedarf an den verschiedenen Mineralien.
Kein Kumpel ohne Koka
In Potosí profitieren davon private Unternehmen, denn seit 1985 gibt es hier keine staatliche Mine mehr. Damals wurde die Mine der staatlichen Gesellschaft COMIBOL geschlossen und 27.000 MinenarbeiterInnen im ganzen Land auf die Straße gesetzt. Die bolivianische Zinnproduktion war bei steigender Beschäftigung und sinkenden Weltmarktpreisen in den fünf Jahren davor um ein Drittel gefallen. Heute sind in Potosí 8.000 MinenarbeiterInnen registriert. Aber ExpertInnen sprechen von 15.000 ArbeiterInnen im Berg.
Die Arbeit unter Tage ist ohne Koka kaum zu bewältigen. Nachdem Doña Felipas Angestellte auf der Ladefläche eines LKWs ankommen, sitzen sie erst einmal eine Stunde vor der Mine und kauen die dunkelgrünen Blätter. Viele ArbeiterInnen gehen ohne Frühstück in den Berg und halten sich mit dem Kauen bei Kräften. Aber auch diejenigen, die sich gut ernähren, brauchen das Koka. Denn die dick mit Blättern gefüllte Wange wirkt als Filter, der den Staub beim Atmen aus der Luft filtert.
Doch nicht nur der Staub macht den MinenarbeiterInnen zu schaffen. „Hier im Berg gibt es keinen Respekt. Jeder ist sich selbst der Nächste. Unter den verschiedenen Kooperativen gibt es eine starke Konkurrenz. Diebstahl von gefördertem Material kommt oft vor“, beschreibt ein Kumpel die Situation unter Tage. „Wenigstens respektieren die MinenarbeiterInnen in einer Kooperative die Arbeit und das geförderte Material der Kollegen“, fügt ein anderer Arbeiter hinzu.Im Oktober letzten Jahres wurden in vielen Teilen des Landes Kooperativen wie die von Doña Felipe verstaatlicht.
Dreihundert Kilometer südwestlich von Potosí, oder zehn Stunden Busfahrt über eine holprige Schotterpiste, liegt die größte Mine Boliviens: San Cristóbal ist eine Aktiengesellschaft, die an der New Yorker Börse gehandelt wird. Hier wird Blei und Zink unter freiem Himmel gefördert. Graham Buttenshaw, Manager der Mine von San Cristóbal, macht sich indes keine Sorgen über eventuelle Enteignungen: „Der bolivianische Minenminister war Ende letzten Jahres hier und versicherte uns, dass der bolivianische Staat kein Interesse an einer Verstaatlichung von San Cristóbal hat. Verständlicherweise“, betont er, „denn wir bringen dem Staat zwei Millionen US-Dollar Steuereinnahmen pro Woche, vorausgesetzt die Preise für Mineralien bleiben auf diesem hohen Niveau.“ In seinem luxuriösen Containerbüro erläutert Buttenshaw die Pläne für dieses Jahr: „Bis zum Produktionsbeginn im Mai werden wir 800 Milliarden US Dollar investiert haben.“ Buttenshaw ist Anfang vierzig und sieht mit seinen Hemdsärmeln und Dreitagebart eher aus wie der Trainer einer Fußballjugendmannschaft. Zufrieden präsentiert er sein Projekt in einer himmelblauen Powerpointpräsentation. „Wir werden pro Tag circa 1.300 Tonnen Zink-Silber und circa 600 Tonnen Blei-Silber fördern, das macht uns zur drittgrößten Bleimine und zur fünftgrößten Zinkmine der Welt.“ Damit diese gigantischen Ausmaße erreicht werden konnten, hat die Minengesellschaft das gesamte Dorf samt Kirche und Friedhof umgesiedelt. San Cristóbal lag bis 1996 genau im Krater eines erloschenen Vulkans, dort wo heute Schaufelbagger die riesigen 200 Tonnen Laster mit dem Mineral beladen. Hier wird unter freiem Himmel abgebaut und dafür braucht man Platz. Ein Kettenfahrzeug mit einem zwölf Meter langem Bohrer perforiert den Berg, Loch an Loch. Mit Dynamit wird ein ganzes Feld am Berg gesprengt. Über dem mineralhaltigen Gestein liegen noch 26 Millionen Tonnen unbrauchbarer Abraum, den die riesigen Schaufelbagger zur Zeit wegräumen.
Das Dorf wurde am Fuße des Vulkans wieder aufgebaut. Die Wellblechdächer schimmern in der gleißenden Sonne des bolivianischen Hochlandes. Tagsüber wird es sehr warm unter den Dächern und sobald die Sonne untergegangen ist, empfindlich kalt. Im alten Dorf waren alle Häuser mit Gras gedeckt, das sowohl die Kälte als auch die Hitze abhielt. Besonders die Älteren kritisieren die Umsiedlung und beschweren sich über die schlechten Wohnverhältnisse: „Die Häuser sind zugig und werden in der Nacht sehr kalt“, klagt eine ältere Frau im Dorf. Die meisten Jungen begrüßen dagegen die Entwicklung. Fast alle sind in der Mine angestellt und haben Handys von der Minengesellschaft bekommen. Im Zentrum des Dorfes gibt es jetzt ein Internetcafé.
In Potosí gibt es schon lange Internet, aber der Fels wird mit wesentlich einfacherem Gerät perforiert, als in San Cristóbal. Zwei Arbeiter von Doña Felipa gehen nach der Kokapause bewaffnet mit einem Pressluftmeißel in die Mine. Jeder bekommt umgerechnet acht Euro pro durchlöcherte Stollenwand. Mit Atemschutz machen sich die ArbeiterInnen ans Werk. Innerhalb einer Minute ist die Luft im Stollen mit Staub angefüllt, so dass man kaum einen Meter weit sehen kann. Der Pressluftmeißel hämmert sich in den Fels, während ein Arbeiter ihn führt und der andere drückt. Je nach Härte des Gesteins dauert es rund zwei Stunden, die Felswand am Ende des Stollens zu perforieren. So lange müssen die Arbeiter den ohrenbetäubenden Lärm und den Staub ertragen. In die gebohrten Löcher schieben sie anschließend das Dynamit, zünden die Lunte und entfernen sich eilig. Sie bleiben jedoch im Stollen und warten in nur etwa 100 Meter Entfernung von der Stollenwand auf die Explosion. Ein dumpfes Schlucken im Berg, einmal, zweimal, fünfmal. In der Stollendecke knirscht das Gestein und die Luft wird dick wie Pudding. Sofort machen sich andere Arbeiter mit Schubkarren daran, das Gestein aus dem Stollen nach draußen zu Doña Felipa zu bringen.
„Seit meinem 12. Lebensjahr bin ich Anteilseignerin der Kooperative La María“, erzählt Doña Felipa, während sie das neu eingetroffene Gestein begutachtet. „Wir haben uns zu der Kooperative zusammengeschlossen, um vom Staat die Schürfrechte zu erwerben. Der neue Präsident Evo Morales macht ja seine Sache ganz gut, aber von der Verstaatlichung der Minen halte ich nichts.“ 360 dieser privatwirtschaftlich organisierten Minen, mit 5.000 Eingängen gibt es im Cerro Rico, wie der Berg seit Kolonialzeiten heißt. Da kann es schon mal vorkommen, dass zwei Minen an derselben Ader arbeiten. Im oberen Bereich ist der Berg schon so stark durchlöchert, dass der Staat die Arbeiten dort aus Sicherheitsgründen verboten hat.
Prekäre Sicherheit
Gefährlich ist es an anderen Stellen auch. Zehn Prozent des Ertrages von jeder/m AnteilseignerIn verlangt die Kooperative für die Instandhaltung der Mine. Sie sollen auch die Sicherheit der BergarbeiterInnen gewähren, aber das geschieht kaum, berichtet Doña Felipa: „Die Gänge werden zwar mit Balken abgestützt, aber das ist auch schon alles.“ Don Bruno, der sich zu ihr gesellt hat, erzählt von einem Unfall: „Vor drei Jahren kam Goyo ums Leben, er wurde unter einer Steinlawine begraben, als er eine Stollendecke mit Balken sichern wollte.“ Don Bruno hat für einen Kumpel einen ausgesprochen schwachen Händedruck. Er ist 50 Jahre alt und leidet an der typischen Bergmannkrankheit Staublunge. Auf die Frage, ob er eine Rente bekäme, zuckt er nur mit den Schultern, guckt auf den Boden und sagt nichts. Dafür müsste er zum Arzt gehen und sich einem gesundheitlichem Check unterziehen. Er sieht aus, als habe er davor Angst.
Ein solcher Gesundheitscheck gehört in San Cristóbal zur alltäglichen Routine. Morgens warten die ArbeiterInnen in einer ordentlichen Schlange auf den Bus. Die Straßen und der Zentralplatz wirken noch zu groß für das Dorf mit seinen 400 Familien. Zur Mine geht es vorbei an dem Flughafen, der von der Firma gebaut wurde. Zweimal pro Woche landet hier ein Transportflugzeug und fliegt das Führungspersonal ein.
Vor dem Eingang der Mine bildet sich sofort eine neue Schlange, da sich jeder Arbeiter und Angestellte einem genauen Sicherheitscheck und einer Gepäckkontrolle unterziehen muss.
Noch ist die Infrastruktur für dieses Mammutprojekt im Bau. Eine ganze Reihe Subunternehmer ist damit beschäftigt. Sie haben eine Hochspannungsleitung nach San Cristóbal gelegt, die Dorfbevölkerung bekommt den Strom kostenlos. Eine neue Eisenbahnlinie nach Chile wird die Mineralien zum Hafen transportieren. Durch das Hochland bei San Cristóbal rasen neue weiße Jeeps und Pick-ups über breite, glatt gewalzte Schotterstraßen. An einigen Stellen blüht ein Schilderwald in der Wüste: „Vorfahrt gewähren“ ist bei solch einem hohen Verkehrsaufkommen äußerst wichtig. Tanklaster beregnen die Straßen künstlich mit Wasser, damit es nicht staubt und die Straße weiterhin in einem gute Zustand bleibt. Alles, damit die Reifen von den Riesen-LKWs geschont werden. „So ein Reifen kostet 25.000 US-Dollar“, sagt Buttenshaw, „deshalb brauchen wir gute Straßen.“
Derweil gibt es im Dorf massive Wasserprobleme: Auf einer Dorfversammlung beschweren sich verschiedene BewohnerInnen über das verdreckte Wasser, mit dem sie ihre Lamas tränken müssen. „Mir tun unsere Tiere leid, weil sie so schlechtes Wasser trinken“, sagen sie. Sie verlangen, dass die Minengesellschaft sich um diese Probleme kümmert.
Auch die politischen Strukturen in San Cristóbal sind nach der Umsiedlung noch im Aufbau begriffen. Polizei oder Militär gibt es nicht. Eine Gewerkschaft in der Mine ist erst im Entstehen und Buttenshaw hofft auf die integrierende Wirkung von zivilen Autoritäten: „Ohne Polizei und ohne Gewerkschaft kann die Situation hier schnell kippen. Von einem auf den anderen Tag können sich die Leute hier entscheiden zu protestieren, die Mine zu blockieren und eine Situation schaffen, die dann nicht mehr steuerbar ist. Deshalb hoffe ich, dass sich bald eine Gewerkschaft bildet, damit wir einen Ansprechpartner haben.“
Bei nur 15 Angestellten braucht Doña Felipa keine Gewerkschaft als Ansprechpartnerin. Sie hat den Lastwagen mit dem Mineral haltigen Gestein zur Aufbereitungsanlage geschickt und macht erst einmal Mittagspause. Eine ihrer Töchter ist mit einem großen Topf Kartoffelsuppe gekommen. Eine andere Tochter, die Doña Felipa beim Sortieren geholfen hat, hüllt sich in eine Decke ein und schlummert eine kurze Siesta. Derweil bringen die Arbeiter das neue Material mit Schubkarren nach draußen und schütten es vor die Mine. Die Arbeit in der Mine steht nie still, seit der Mineralpreis so hoch ist. Einige Arbeiter haben eine doppelte Schicht übernommen und arbeiten 24 Stunden, die Wange dick mit Koka gefüllt.