Aktuell | Brasilien | Nummer 534 - Dezember 2018

BOLSONARO SCHÜRT DEN HASS

Nach dem Wahlsieg des Rechtsradikalen formiert sich Widerstand

Was über die brasilianische Linke hinaus viele befürchtet hatten, ist eingetreten. Der Rechtsradikale Jair Bolsonaro hat die Stichwahl um die Präsidentschaft gegen Fernando Haddad von der Arbeiterpartei PT mit 55,13 zu 44,87 Prozent gewonnen. Nach dem ersten Entsetzen formiert sich sichtbarer öffentlicher Widerstand. Die Arbeiterpartei will über eigene Fehler nachdenken und daraus Konsequenzen ziehen.

Von Niklas Franzen

Der Widerstand lebt: Bolsonaro-Gegner*innen ziehen durch das Zentrum von São Paulo (Foto: Niklas Franzen)

Nur kurz hielt die Schockstarre an. Nach dem Wahlsieg von Jair Bolsonaro, der Brasiliens Linke in einen Zustand der Trauer und Panik versetzt hatte, sind am 30. Oktober in ganz Brasilien Zehntausende gegen den Rechtsradikalen auf die Straße gegangen. In São Paulo versammelten sich schon lange vor dem offiziellen Start der Demonstration Tausende auf der Prachtmeile Avenida Paulista. Zwei Tage zuvor hatten hier noch die Anhänger*innen Bolsonaros den Wahlsieg gefeiert.

Auch Rafael Granutti ist zusammen mit seinen Freund*innen gekommen, um ein Zeichen zu setzen. „Wir haben große Angst vor dem, was auf uns zukommt. Jetzt ist es wichtig zu zeigen, dass wir vereint sind.“ Schon seit 2010 habe er sich immer wieder an Protesten gegen Rechts beteiligt.

Insbesondere Bolsonaros homo- und transphobe Aussagen schockierten den 25-jährigen LGBTI-Aktivisten, der sich eine Regenbogenfahne über die Schultern gehängt hat. Das Klima habe sich seit der Wahl verändert. Insbesondere in den sozialen Netzwerken tobe der Hass. Eine Freundin sei mitten in São Paulo angegriffen worden.

Auch andernorts kam es nach der Wahl zu Übergriffen. So wurden eine indigene Schule und eine Arztpraxis im Bundesstaat Pernambuco in Brand gesetzt. In Curitiba sollen Rechte am Wahlabend einen Schwulenclub angegriffen haben und die Polizei des Bundesstaates Goiás ermittelt wegen der Gründung einer homophoben Terrorgruppe, die zum Mord an Homo- und Transsexuellen aufgerufen hat. Die Wahl des ultrarechten Bolsonaro, der von vielen als Faschist bezeichnet wird, könnte einen radikalen Politikwechsel nach sich ziehen. Der frühere Fallschirmjäger will den Zugang zu Waffen erleichtern, wichtige Ministerien mit Militärs besetzen und möglicherweise aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen.

Beim Protest, der durch die Hochhausschluchten der Megametropole führte, werden immer wieder Parolen gegen den Präsidenten skandiert. Viele Bewohner*innen solidarisieren sich spontan mit den Demonstrant*innen. An diesem Abend wird deutlich: Viele Brasilianer*innen sind mit dem Wahlsieg von Bolsonaro unzufrieden und der Widerstand lebt.

Direkt am Wahlabend war von Widerstand wenig zu sehen. Auf der Veranstaltung der Arbeiterpartei PT in einem Hotel im Zentrum von São Paulo herrschte für einen kurzen Moment Totenstille, dann begann das Schluchzen. Menschen lagen sich in den Armen, vielen stand die Panik und Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Die gesamte Führungsriege der PT, Mitglieder von sozialen Bewegungen und Gewerkschaften sowieso Pressevertreter*innen aus der ganzen Welt waren anwesend. So auch der ehemalige Senator der PT, Eduardo Suplicy. „Das ist ein sehr trauriges Resultat für uns“, sagte die sichtlich geschockte Kultfigur der Arbeiterpartei. „Jetzt müssen wir reflektieren, was falsch gelaufen ist.“ Auf der Pressekonferenz in einem überfüllten Konferenzraum wurde eine Schweigeminute für die Demokratie und die Opfer der rechten Gewalt gehalten. Dann hielt Fernando Haddad an der Seite von Ex-Präsidentin Dilma Rousseff eine kurze Rede. Von seinen Anhänger*innen wurde er zwar bejubelt, dennoch überwogen an diesem Abend Traurigkeit und Fassungslosigkeit.

Nur wenige Straßenzüge entfernt, sah es zur gleichen Zeit ganz anders aus. Tausende Anhänger*innen von Jair Bolsonaro hatten sich auf der Avenida Paulista versammelt. Schon von weitem hörte man Feuerwerkskörper, Autohupen und Gebrüll. Die für den Verkehr gesperrte Straße glich einem Meer aus Gelb und Grün. An jeder Ecke standen Straßenverkäufer*innen, die T-Shirts und Fahnen mit dem Konterfei von Bolsonaro verkauften. Polizist*innen posierten gut gelaunt mit Bolsonaro-Fans für Fotos. Mehrfach wurde die Nationalhymne gesungen, getanzt und gelacht. Auch Daniel Souza hat Bolsonaro gewählt. „Jetzt werden wir endlich einen nicht-korrupten Präsidenten haben“, so der 25-Jährige. Zwar sei er Demokrat, aber bestimmte Werte, die das Militär verkörpere, müssten jetzt in Brasilien umgesetzt werden. Die Bolsonaro-Anhängerin Cristiane Silva verspricht sich vor allem eine Verbesserung der Sicherheitslage. „Ich muss endlich in der Lage sein, ohne Angst auf die Straße zu gehen.“

Doch der friedliche Schein auf der Wahlparty trügt: Die Stimmung schwankte zwischen Volksfest und Pogrom. So wurde ungeniert gegen politische Gegner gehetzt und offen die blutige Militärdiktatur (1964-1985) verherrlicht. Ein junger Mann zeigte mehrmals den Hitlergruß, während ein Redner die Politiker der Arbeiterpartei von der Bühne aus vulgär beschimpfte. Mehrere Anwesende trugen Uniformen des Militärs, kleine Kinder formten ihre Hände zu Pistolen und immer wieder ertönte der Schlachtruf „Brasilien über alles.“ Die Anhänger*innen Bolsonaros haben die menschenverachtende und faschistoide Rhetorik ihres Idols verinnerlicht.

Und Bolsonaro? Der heizt die Stimmung weiter an. Von Mäßigung nach seinem Wahlsieg ist nichts zu spüren. „Ich werde das Schicksal des Landes verändern. Jetzt wird nicht weiter mit dem Sozialismus, dem Kommunismus, dem Populismus und dem Linksextremismus geflirtet,“ erklärte er und kündigte an, „Säuberungen“ durchführen zu wollen: Dazu will er politische Gegner aus dem Land werfen und soziale Bewegungen als terroristische Vereinigungen einstufen lassen. „Das ist eine explizite Kampfansage an die Demokratie. Mit ihm wird ein Klima der Verfolgung installiert“, sagte der PT-Aktivist William Osake.

Carina Vitral, Präsidentin der Jugendorganisation der kommunistischen PcdoB meint: „Wir lassen uns nicht aus dem Land werfen und uns auch nicht verhaften. Bolsonaro wird mit einer starken Opposition zu rechnen haben.“ Doch auch sie habe Angst, über Sicherheit werde nun viel diskutiert. „Die beste Art, sicher zu sein, ist sichtbar zu sein. Deshalb sind wir heute auf der Straße.“ Jetzt sind die sozialen Bewegungen gefordert. Die Demonstrationen am 30. Oktober waren nur der Anfang.

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