Central do Brasil
Zusammenspiel von Phantasie und Alltag – nichts ist so phantastisch wie das Leben
Sie sind sehr präsent und wirken gleichzeitig entrückt, die ältere Frau und der kleine Junge auf dem Filmplakat. Nicht nur, weil ihr Bild mindestens zehn Meter über der Hektik in der Bahnhofshalle schwebt. Auch die Ruhe, die es ausstrahlt, paßt so gar nicht ins zugige Ambiente der „Central do Brasil“. Erschöpft und entspannt hat Dora ihren Kopf in den Schoß von Josué gelegt, der ihr durchs Haar streicht. Nichtsdestotrotz deutet der Schriftzug über den Köpfen der beiden eindeutig auf den Ort hin: „Central do Brasil“. Und, etwas kleiner darunter: „Bester Film, beste Schauspielerin beim Filmfestival in Berlin“.
In Walter Salles’ Film ist die Central do Brasil fast ein Un-Ort. Schemenhaft huscht und rempelt das Bahnhofspublikum an der Linse vorbei. Hektische Horizontalbewegungen, ein permanenter Geräuschpegel, harte Schnitte und staubige Farben. Durch die geringe Tiefenschärfe der Kamera ist man ständig desorientiert, nichts scheint Spuren zu hinterlassen. Alles ist isolierte Bewegung im zischenden Rhythmus der Drehkreuze und der rein- und rausratternden Züge.
Auch Doras Gewerbe gleicht einer Massenabfertigung. Vor dem Stand der Hauptperson stehen Frauen und Männer Schlange, um sich von der pensionierten Lehrerin Briefe schreiben zu lassen. Zum Beispiel Josué und seine Mutter Ana, die einen Brief an dessen Vater im fernen Nordosten diktiert. Einen Tag später gerät Ana im Verkehrschaos vor den Toren des Bahnhofs unter die Räder eines Busses. Plötzlich ist Dora die einzige Person, die Josué die Adresse seines Vaters im Bundesstaat Pernambuco verraten kann. Aber bevor die beiden in einen Bus Richtung Nordosten steigen, um den Brief persönlich zu überbringen, läßt Regisseur Walter Salles sie noch eine Weile in der Central ihre Kreise drehen. Dora pendelt wie jeden Tag von ihrer Wohnung in einem Vorstadtsilo in die Central, Josué streunt beziehungslos durchs Bahnhofsmilieu. Nachts wird er vom Wachpersonal auf die Straße gescheucht. Am nächsten Tag ist er wieder da und verschlingt die Auslagen der Imbißstände mit den Augen.
Fluchtpunkt Nordosten
„Lanchonete“ steht in Großbuchstaben über einer der chromverglasten Theken. In den Winkeln der Schalterhalle reiht sich ein Imbißstand an den anderen. Hier stürzen die Angestellten, die morgens den Vorortzügen entsteigen, einen schnellen Kaffee hinunter oder genehmigen sich ein Stück Gebäck, ein pastel. Billig sind die Sachen hier in der Central do Brasil nicht. So kostet ein frisch gepreßter Papayasaft 1,20 Reais – mehr als 1 US-Dollar. Der staatliche Mindestlohn liegt bei 130 Reais. Deshalb kaufen viele Leute lieber bei den billigeren Straßenhändlern, den ambulantes. Denen ist allerdings der Zutritt zur Central verboten. Auch Dora würde, wenn sie tatsächlich existierte, samt Klapptischchen ziemlich schnell von der Bahnhofssicherheit auf die Straße katapultiert werden.
Seit 21 Jahren arbeitet der Kioskverkäufer Everino Ave da Moura in der Central do Brasil. Das unwohle Gefühl, das viele Cariocas – so heißen die EinwohnerInnen von Rio – beim Betreten des Gebäudes haben, kann er nicht teilen. „Brasilien ist doch im allgemeinen gefährlich“, meint er lakonisch. Der Fünfzigjährige kam 1976 aus Pernambuco nach Rio. Viele, die hier arbeiten, können ähnliche Geschichten erzählen. Sie stammen aus allen Himmelsrichtungen. Ihre Lebenslinien durchziehen die Topographie Brasiliens wie ein unterschwelliges Gleiswerk. Die Mehrzahl kommt aus dem Nordosten, dem Armenhaus des Landes. Auf die Frage, ob er schon einmal daran gedacht habe, nach Pernambuco zurückzukehren, meint Everino lakonisch: „Nein. Ich habe mich hier eingewöhnt. Ich wüßte nicht, wo ich sonst hin sollte.“ Auch Elisabeth, die vor 15 Jahren aus Rio Grande do Sul an der Grenze zu Argentinien hierher kam, meint: „Ich habe schon Sehnsucht, meine Familie wiederzusehen. Aber dann möchte ich wieder hierher zurück. Hier kommt man besser über die Runden.“
In dem Film liegt der Fluchtpunkt genau in entgegengesetzter Richtung: im Nordosten. Bei Doras und Josués Busfahrt durch den Sertão, das karge Landesinnere, weitet sich der Blickwinkel. Die Einstellungen gewinnen an Ruhe.
Elisabeth arbeitet seit 15 Jahren als fliegende Händlerin an der Central. Nebenbei hat sie vier Kinder großgezogen. Ursprünglich hat sie etwas anderes gelernt als Mandeln und Gebäck zu verkaufen: „Eigentlich bin ich Maniküre. Aber es ist für mich viel besser, auf eigene Rechnung zu arbeiten.“ Elisabeths Tagesumsatz liegt bei 15 bis 20 Reais. „Mir gefällt mein Beruf, weil ich verschiedene Leute kennenlerne und mit aller Welt in Kontakt trete – immer lachend und scherzend.“ Nach kurzer Pause fügt die 45jährige Schwarze, die wesentlich jünger aussieht, hinzu: „Immer, wenn Traurigkeit in mir hochkommt, rede ich mit den Leuten.“
Fliegende Rentner, alte Händler
Im Gegensatz zu Elisabeth ist Marcos, einer der ältesten ambulantes in der Central, mit der Situation alles andere als zufrieden: „Es gibt ungeheuer viele Arbeitslose im Land. Die Situation ist sehr schwierig, insbesondere jetzt mit dem staatlichen Wirtschaftsprogramm und der neuen Währung. Der Real ist eine starke Währung, aber die Bevölkerung weiß das Geld noch nicht so recht einzuschätzen.“ In jedem Satz klingt etwas von der Scham durch, die der pensionierte Schulinspektor dabei empfindet, sich die Rente als fliegender Händler aufzubessern: „Man muß hier ums Überleben kämpfen.“ Im Gegensatz zu den Cliquen junger ambulantes, die ungeniert ihre Frühstückspause auf dem Bahnsteig machen, gibt sich Marcos äußerst dezent und korrekt. Während er inmitten des Bahnsteig-Tohuwabohus steht und redet, sondieren seine Augen nervös die Umgebung: „Man weiß nicht, wie die Leute reagieren, wenn die Polizei auftaucht. Denn was wir hier machen, ist illegal.“ Hat er öfter Ärger mit der Bahnhofspolizei? „Nein, wir haben keine Probleme“, entgegnet er hastig. Dann setzt er hinzu: „Im Gegenteil. Wir wissen, daß dies eine falsche Sache ist. Eigentlich führen wir ein alltägliches Leben. Das ist eine normale Arbeit, der wir bloß nicht frei nachgehen können.“ Zwei Uniformierte nähern sich gezielten Schrittes. Das Gespräch müsse abgebrochen werden, verlangen sie in aggressivem Tonfall und deuten auf das Aufnahmegerät. Die Tatsache, daß die Recherche von der Bahngesellschaft „Flumitrens“ genehmigt wurde, scheint sie wenig zu interessieren. Marcos wird die Situation zu unangenehm: „Mehr habe ich nicht zu sagen, verstehen Sie?“ raunt er und entfernt sich schnellstmöglich.
Im Gegensatz zum Wachpersonal freut sich die Pressesprecherin von „Flumitrens“ über das öffentliche Interesse an der Central. Jane Pellizone, die in einem Büro im Turmgebäude der Central residiert, war während der dreiwöchigen Dreharbeiten die Hauptkontaktperson des Teams von Walter Salles. „Das Filmteam war fantastisch. Ich glaube, am Ende des ersten Tages hatten sie sich bereits in das Ambiente der Central integriert.“ Faszinierend sei gewesen, daß manche Leute die Filmszenen für echt gehalten hätten: „Einige stellten sich in der Schlange vor Doras Stand, um einen Brief verfassen zu lassen.“ Das Filmteam habe die Leute einfach machen lassen. Einige der Szenen seien später im Film verwendet worden.
Schüsse auf Gleisen
Eine Sequenz in „Central do Brasil“ dürfte den Offiziellen Rios ganz und gar nicht gefallen. Da wird ein Ladendieb von der Bahnhofspolizei auf die Gleise verfolgt und kaltblütig erschossen. „Das bedeutet nicht, daß unsere Sicherheitsbeamten hier so etwas täten“, meint Pellizone. „Hier ist die Gewalttätigkeit Brasiliens dargestellt.“ Die Szene bezieht sich, wie auch Regisseur Walter Salles bestätigt, auf einen Vorfall in einem Shopping Center in Rio. Dort hatte ein Militärpolizist einen unbewaffneten Ladendieb durch einen Kopfschuß regelrecht hingerichtet. Dadurch, daß zufällig ein Amateurfilmer mit Videokamera da war und alles filmte, wurde die Geschichte publik – und zum landesweiten Skandal.
Mit jedem Schritt, den man aus der Central aufs Straßenpflaster hinaus tut, werden Szenerie und Klangkulisse unübersichtlicher. Zwischen der Avenida Presidente Vargas, einer der Verkehrsadern der Innenstadt, und den beiden großen Busbahnhöfen, die die Central einrahmen, drängen sich zahllose Verkaufsstände: Fruchtsäfte und Pasteten, Regenschirme und Küchenutensilien. An den Kassettenständen dudeln Samba- und Pagode-Hits um die Wette. Auch die Verkäufer von Weckern drehen so weit wie möglich auf. Das durchdringende piep-piep-piep mischt sich mit kreischenden Motoren der an- und abfahrenden Busse.
Dieses Treiben ist denjenigen, die für das Image und die Sicherheit der Central verantwortlich sind, nicht gerade recht. „In unserem Sicherheitsbereich haben wir es mit drei ‘M’ zu tun“, meint Jane Pellizone von der “Flumitrens”. „Meretriz (Huren), mendigos (Bettler) und meninos de rua (Straßenkinder). Jeden Abend um zwanzig nach Elf, wenn der letzte Zug abgefahren ist, reinigt der Sicherheitsdienst den Bahnhof. Die Polizei hat die Aufgabe, die ganzen Gammler und Straßenkinder, die sich hier drinnen aufhalten, herauszubringen.“
In mancher Hinsicht läßt die “Flumitrens” die Leute jedoch gewähren. „Während der rush-hour warten viele junge Männer nicht, bis die Türen sich öffnen und der Zug zum Stehen kommt, sondern steigen durch das Fenster ein.“ Diese Methode, die auch im Film zu sehen ist, hält Pellizone nicht für gefährlich – im Gegensatz zu der ebenfalls sehr verbreiteten Gewohnheit, auf den Zugdächern zu „surfen“. „Wenn der Zug bremst, werden sie über das Dach geschleudert. Manche geraten an die 3000 Volt-Hochspannungsleitung und sterben.“ Letztes Jahr seien dabei 55 Menschen ums Leben gekommen – und das allein auf den 274 Kilometern Bahnstrecke in Rio und Umgebung.
Im Zug
Als der Vorortzug Richtung Nova Iguaçu einfährt, drängen alle so schnell wie möglich in die Abteile. Es ist Freitag mittag. Orchestriert von den übersteuerten Lautsprecherdurchsagen sprinten die Straßenverkäufer hinein. Einer hängt Batterien, Rasierklingen und Klebstoff an den Haltegriff. Zusammengehalten wird sein Arsenal durch eine Metallkonstruktion, die wie eine Bananenstaude in der Luft baumelt. Als die Waggontüren sich mit dem Ächzen eines asthmatischen Blechmonsters schließen, beginnt eine abgebrochene Griffstange sacht zu vibrieren. Die Passagiere – die meisten von ihnen sind Männer – läßt das ganz kalt. Ein Junge zerstampft ganz langsam eine Guaraná-Dose (die brasilianische Antwort auf Coca-Cola), ein anderer konzentriert sich auf die Rhythmen seines Walkmans. Ein Schwarzer, mittleren Alters, in tadellos sitzendem gestreiftem Hemd, hat die Hände um seine Lederaktentasche geschlungen. Ab und zu pfeift er gedankenverloren den Refrain von „God save the Queen“.
Langsam aber sicher wird es stickig im Zug. Wasser tropft aus dem Styroporkarton, den ein Getränkeverkäufer um die Schultern trägt. Ein Mann tupft sich mit einem roten Tuch unablässig den Schweiß von der Brust. Die zugedreckten Scheiben lassen die draußen vorbeirasende Stadtlandschaft nur in groben Zügen erkennen. Eine verfallene Hochhaussiedlung reiht sich an die nächste. Immer, wenn sich die Türen an einer der Haltestellen öffnen, platzt wie ein unerwartetes Geschenk die Sonne in den Waggon. Ein junger Zigarettenverkäufer in Fußballtrikot klappert mit dem Wechselgeld in der Hand die Passagiere ab. Auf Wunsch verkauft er die Zigaretten einzeln. „Só Jesus“ – „Nur Jesus“ hat er auf seine Verkaufstasche gekritzelt.
Vera Ramos de Fonseca kennt die dreiviertelstündige Fahrt von der Central nach Mesquita, der Stadt ihrer Kindheit, wie im Schlaf. Seit Jahren wohnt die ehemalige Angestellte der staatlichen Telefongesellschaft in Rios Strandviertel Copacabana. Aber immer noch fährt sie regelmäßig nach Mesquita, wo ein Teil ihrer Familie lebt. Heute ist sie auf dem Weg zum Zahnarzt. Über die Angst, die viele andere Angehörige der Mittelschicht davor haben, sich in die Vorortzüge zu setzen, kann Vera nur lachen. Das Rattern der Züge weckt bei der quirligen Frau Kindheitserinnerungen: „Als ich klein war, hatte mein Vater hier direkt neben der Zugstation La Mesquita eine Schuhwerkstatt. Von dort aus hörten wir den Lärm der Züge, die jede Nacht vorbeifuhren. Ich gewöhnte mich an den Krach. Als ich klein war, gefiel er mir sogar.“
In dem Film „Central do Brasil“ fährt Dora Tag für Tag die gleiche Strecke aus dem Vorort hin und zurück. Nachts liegt sie im Bett und hört die Züge rattern, einen nach dem anderen. Veras Schwester, die Psychologin Eliane Ramos de Fonseca, ist gerade von der Figur der Dora sehr berührt: „Ich glaube, das ist das Profil vieler Frauen, die Tag für Tag ums Überleben ringen, die eine gewaltsame Geschichte haben. Es gibt die Geschichten von elterlicher Gleichgültigkeit, wie bei Dora, wo der Vater Alkoholiker war. Es gibt viele Doras, es gibt viele Josués, es gibt viele dieser Personen in der Realität.“
Telenovela im Kino
Vom Schuhputzer zum Filmstar: Die Geschichte von Vinicius, der in „Central do Brasil“ den Josué spielt, hätte sich kein Telenovelaschreiber besser ausdenken können. 1500 Jungdarsteller hatte Regisseur Walter Salles schon gecastet, als ihm auf Rios Flughafen zufällig der zehnjährige Schuhputzer Vinicius de Oliveira über den Weg lief. Der Beginn einer wundervollen Freundschaft? Die brasilianischen Medien überschlagen sich mit Berichten über Vinicius. Seine gleichaltrige Freundin gibt Zeitungsinterviews. Für den Kioskverkäufer Everino Ave da Moura war Vinicius bis vor kurzem buchstäblich „der Junge von nebenan“. Das Haus, aus dem Vinicius’ Familie mittlerweile ausgezogen ist, stand direkt neben seinem. „Ich habe den Typen kennengelernt“, meint Washington, einer der jungen schwarzen Getränkeverkäufer, über Vinicius. „Ich habe seine Geschichte gehört. Daß er Schuhputzer war, daß er von der Straße kam.“ Etwas ratlos setzt er hinzu: „Das war ein großes Glück. Nicht alle haben Glück.“ Wenn Washington die Wahl hätte, würde er am liebsten Bauingenieur. Bloß weg aus der Central.
Die Straßenhändlerin Elisabeth und die “Flumitrens”-Sprecherin Jane, der Kioskverkäufer Averino und die Psychologin Eliane: Wenn sie über den Film „Central do Brasil“ sprechen, geraten die meisten ins Schwärmen. Jane Pellizone erzählt: „Ein Angestellter ist zu mir gekommen und hat gesagt, daß der Film das Beste war, was hier in den letzten Jahren passiert ist. Es gibt Leute, die sonst nie Zugang zum Kino hatten. Diesen Film allerdings wollen sie sehen, weil es um die Central do Brasil geht, die Teil ihres Lebens ist. Die jeden Tag den Zug nehmen und sich in die Enge der vollen Züge quetschen. Als wir das große Plakat zu dem Film aufhängten, fragte eine Prostituierte, wann der Film starten würde, denn sie müsse immer dort hin gucken. “Mit den Augen das Gewimmel in der Schalterhalle fixierend, meint Eliane: „Walter Salles hat eine glückliche Hand, indem er Gesichter von normalen Leuten zeigt, die vorbeikommen. Jeder hat seine Lebensgeschichte, jeder hat etwas zu sagen. ‘Central do Brasil’ ist ein Appell an die Leute, sich nicht vom Alltag kleinkriegen zu lassen.“
Der Film kommt am 24. Dezember unter dem Titel „Central Station“ in die deutschen Kinos.
KASTEN:
Bahnhofsgeflüster
Seit dem internationalen Erfolg des Films von Walter Salles ist die Central im Fokus des Medieninteresses. Eine der größten Zeitungen des Landes, das in Rio erscheinende „Jornal do Brasil“, widmete dem 1941 eingeweihten Gebäude ein neunseitiges Spezial in der Wochenendbeilage mit dem Titel „Das Zentrum Brasiliens“ und der Unterzeile „Die Central do Brasil, die den Film inspirierte, der den Goldenen Bären in Berlin gewann, ist eine Synthese des Landes.“
1858 wurde an gleicher Stelle das erste Bahnhofsgebäude eingeweiht. Schnell avancierte die „Estrada de Ferro Don Pedro II“ zum Hauptumschlagplatz der aufstrebenden Hauptstadt Brasiliens. Hier rollten Waggonladungen voller Kaffee und anderer Exportgüter an, um im Hafen von Rio verschifft zu werden. Der Bahnhof vernetzte das Stadtzentrum mit den expandierenden Vororten in der Region, der „Baixada Fluminense“. Als in den Dreißigern unter der Ägide des autoritären Präsidenten Getulio Vargas – eines Bewunderers Hitlers und Mussolinis – ein neuer Bahnhofskomplex errichtet wurde, konnte die Architektur nicht bombastisch genug sein: 32 Stockwerke hoch bohrt sich der Turm in den Himmel von Rio de Janeiro – wobei allein die Bahnhofsuhr fünf Stockwerke in Beschlag nimmt.
Mit dem allmählichen Niedergang des Zugverkehrs in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg blätterte auch der Putz vom Image der Central. Von den 300.000 Passagieren, die derzeit täglich im Bahnhofsgebäude zirkulieren, zieht es zwei Drittel gar nicht mehr zu den Zügen. Sie benutzen die Central als Passage von einem Busbahnhof zum nächsten oder zur nahegelegenen U-Bahn-Station. Gerade der Mittelklasse Rios klingt der Name „Central do Brasil“ mittlerweile ungefähr so in den Ohren wie vielen Deutschen der Bahnhof Zoo von Christiane F. & Co.