Nummer 480 - Juni 2014 | Solidarität

„Damit ihre Leben nicht vergehen“

Kampagne in El Salvador fordert die Begnadigung von 17 Frauen, die wegen angeblichen Schwangerschaftsabbrüchen im Gefängnis sitzen

Die Abtreibungsgesetzgebung in El Salvador gehört zu den schärfsten der Welt. Ein Schwangerschaftsabbruch ist nicht einmal aus medizinischen Gründen legal. Gegen das salvadorianische Abtreibungsrecht regt sich jedoch Widerstand. Eine Kampagne versucht, 17 inhaftierte Frauen freizubekommen.

Michael Krämer

Sie heißen Mirian, Maritza, Marina, Salvadora, Ena, Carmen, Teodora, Guadalupe, Mariana, Mirna, Cinthia, Veronica, Alba, Johana, Evlyn, Teresa und María. 17 Frauen, die alle in El Salvador im Gefängnis sitzen. Verurteilt wurden sie wegen Mordes oder versuchten Mordes. Die Frauen haben noch mehr gemeinsam: Sie sind arm und konnten sich keine Strafverteidigung leisten.
Vor allem aber: Sie alle haben gar keinen Mord begangen und sind Opfer eines Justizsystems, das die Rechte von Frauen mit Füßen tritt. Verurteilt wurden sie aufgrund eines der weltweit repressivsten Abtreibungsgesetze, das Schwangerschaftsabbrüche unter allen Umständen verbietet, selbst nach einer Vergewaltigung oder bei Gefahr für das Leben der Frau.
Seit der Strafrechtsreform im Jahre 1998 steht in El Salvador auf eine Abtreibung eine Gefängnisstrafe zwischen zwei und acht Jahren. Nach der 22. Schwangerschaftswoche gilt diese als Mord. Es ist ein Skandal, wenn Frauen das Recht verwehrt wird über ihren Körper zu bestimmen und sie für eine Abtreibung ins Gefängnis kommen. Es ist ein noch größerer Skandal, wenn sie dafür wegen Mordes zu 30 bis 40 Jahren Haft verurteilt werden.
Doch wie soll man es bezeichnen, wenn diese Frauen nicht einmal einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen haben und trotzdem wegen Mordes verurteilt wurden? Sehr viel spricht nämlich dafür, dass die meisten der genannten 17 Frauen gar nicht abgetrieben haben, sondern eine Früh- oder Fehlgeburt hatten. Unglücklicherweise trafen sie auf Staatsanwält_innen und Richter_innen, die ihre Fälle unzureichend untersuchten und sich bei ihren Entscheidungen von Vorurteilen leiten ließen.
Der Fall von Guadalupe zeigt dies exemplarisch.
Die Hausangestellte, die in einem Armenviertel in der Haupstadt San Salvador lebte, bekam ihr Kind zwischen der 38. und 40. Schwangerschaftswoche. Das Kind überlebte die Geburt nicht. Eine Autopsie des Neugeborenen ergab, dass keine inneren und äußeren Verletzungen vorlagen und die Todesursache somit unklar sei. Guadalupe wurde daraufhin wegen Mordes zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Seit fast sieben Jahren sitzt sie im Frauengefängnis von Ilopango.
Auch bei den anderen Frauen beruhten die Urteile oft nicht auf Beweisen, sondern auf Vermutungen oder Indizien. Regelmäßig missachten Richter_innen das Prinzip der Unschuldsvermutung. Zwischen 2000 und 2011 wurden Verfahren gegen 129 Frauen eingeleitet. 23 Angeklagte wurden wegen vorsätzlichem Schwangerschaftsabbruch, 26 wegen Mordes verurteilt, so die Zahlen der Agrupación, der Bürger_innenvereinigung zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Diese setzt sich seit 2009 für die Aufhebung des absoluten Abtreibungsverbots in El Salvador ein und kümmert sich um Frauen, die wegen (angeblichem) Schwangerschaftsabbruch in Haft sitzen.
Der Weg zu einer Reform, die auf die Rechte der Frauen Rücksicht nimmt, wird lang sein. Abgesehen von einigen sozialen Organisationen sprechen sich in El Salvador nur wenige gegen die derzeitige Gesetzeslage aus. Dies gilt auch für die Regierungspartei FMLN, die 1998 mehrheitlich für die Strafrechtsverschärfung gestimmt hatte. „Alle haben Angst vor dem Druck der Kirchen und einiger ziviler Organisationen“, erklärt der staatliche Menschenrechtsombudsmann David Morales.
Mit dem Start ihrer neuen Kampagne* „Die 17 – Lassen wir nicht zu, dass ihre Leben vergehen“ hat die Agrupación bis zum Ende des Wahlkampfs gewartet. Am 1. April zog die Bürger_innenvereinigung gemeinsam mit anderen Organisationen und vielen Einzelpersonen zum salvadorianischen Parlament, um dort 17 Anträge auf Begnadigung einzureichen. Das Parlament kann sich mit einer einfacher Mehrheit der Abgeordneten für eine Begnadigung aussprechen. Dieser müsste schließlich noch der Oberste Gerichtshof und der Präsident zustimmen.
Bei den 17 Angeklagten wurde eine Neuaufnahme des Gerichtsverfahrens abgelehnt. Die Begnadigung ist daher der einzige Weg, um die Frauen vor Ablauf der Haftzeit freizubekommen, damit ihre Leben nicht im Gefängnis vergehen.

* Die Kampagne hat die vollständigen Namen der 17 Frauen. Um sie und ihre Familien zu schützen, nutzt die Kampagne nur die Vornamen.

Kampagnenaufruf: Freiheit für die 17

Das INKOTA-netzwerk unterstützt die Kampagne zur Freilassung der 17 Frauen von Deutschland aus. Helfen Sie uns, die Kampagne hier bekanntzumachen. Öffentlichkeit ist ein großer Feind jeder Ungerechtigkeit. Je bekannter die Fälle der 17 Frauen werden, umso größer ist die Chance, dass die Gnadengesuche Erfolg haben. Die Kampagne hat einen Musterbrief an die Kommission für Justiz und Menschenrechte des salvadorianischen Parlaments verfasst und hofft auf möglichst viele Briefe auch aus Deutschland. Auf www.inkota.de/Frauenrechte-El-Salvador finden Sie den Brief auf Spanisch und in deutscher Übersetzung. Von dort aus können Sie ihn ganz einfach an die Kommissionsmitglieder (und in Kopie an die Kampagne schicken). Auch finden Sie dort weitere Informationen zur Kampagne.

Spendenaufruf für die Kampagne in El Salvador
Flugblätter, Demonstrationen, Pressekonferenzen: Kampagnenarbeit kostet Geld – auch in El Salvador. Bitte unterstützen Sie die Kampagne „Freiheit für die 17“ und unsere Partnerorganisation in El Salvador.

Bitte spenden Sie auf das Konto:
INKOTA-netzwerk
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Stichwort: Frauenrechte El Salvador.

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