Nummer 463 - Januar 2013 | Paraguay

Das achtzehnte Opfer

Am 1. Dezember wurde ein Aktivist und Zeuge des Massakers in Curuguaty ermordet. Erneut Proteste gegen die de-facto Regierung Federico Francos

Der Mord an Vidal Vega, einem wichtigen Zeugen der gewalttätigen Zusammenstöße zwischen Polizei und Landlosen im Departamento Canindeyú nahe der brasilianischen Grenze, wirft erneut große Zweifel an der offiziellen Version der Geschehnisse auf. Menschenrechtsgruppen demonstrierten am 10. Dezember gegen die mangelnde Aufklärung des Falls und gegen den Mord an Vidal Vega.

Thilo F. Papacek

„Was geschah in Curuguaty?“ Als De-facto-Präsident Federico Franco zum Wallfahrtsort Caacupé fuhr, um am 8. Dezember der Nationalheiligen Paraguays seine Reverenz zu erweisen, wollte er sicherlich nicht mit dieser Frage konfrontiert werden. Doch unter den tausenden von Gläubigen, die jedes Jahr an diesem Datum zur riesigen Kathedrale pilgern und ihre Gebete an die Jungfrau von Caacupé richten, befanden sich auch einige Aktivist_innen, die die scheinbare Harmonie trübten. Sie hielten ein großes Transparent mit eben dieser Frage hoch, um deutlich zu machen, dass lange noch nicht aufgeklärt ist, wie es genau zum Massaker auf der Farm Marina Cué nahe Curuguaty kam, bei dem elf landlose Kleinbauern und sechs Polizisten ums Leben kamen.
Mit dem Massaker von Curuguaty am 15. Juni diesen Jahres begründete die rechtsliberale Partei PLRA und die konservative ANR (die Colorados) das umstrittene Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Fernando Lugo, das im Eilverfahren Federico Franco zum Präsidenten des Landes machte (siehe LN 457/458). Die politischen Gegner_innen des linken Präsidenten Lugo behaupteten, dass er die Landlosen unterstütze und für die Gewalt verantwortlich sei. Doch was in Curuguaty genau geschah, ist alles andere als klar.
Dass diese Frage schnell geklärt wird, ist nun noch unwahrscheinlicher. Am 1. Dezember wurde Vidal Vega umgebracht. Er war einer der Anführer der landlosen Kleinbauern und -bäuerinnen, die die Farm Marina Cué besetzten und ihre Enteignung forderten. Vega galt als einer der Schlüsselzeugen für ein Gerichtsverfahren zu dem Massaker.
Am 1. Dezember fuhren zwei Männer auf Motorrädern zum Haus von Vidal Vega. Sie verlangten Einlass von dessen Lebensgefährtin und als sie dem Bauernaktivisten gegenüber standen, eröffneten sie das Feuer vor den Augen seiner Familie. Vidal Vega wurde von mehreren Revolverkugeln und einem Schrotflintenschuss getroffen und verstarb an Ort und Stelle. Einer der Mordverdächtigen wurde noch am selben Abend gefasst; es handelt sich um den Auftragsmörder Panfilo Franco Toledo, nach dem wegen anderer Morde bereits seit Jahren gefahndet wurde.
Der zuständige Staatsanwalt erklärte schnell, dass es sich vermutlich um einen privaten Racheakt handelte. Dieser Version widersprachen sofort die Freund_innen und Kolleg_innen von Vidal Vega. Sie vermuten, dass das Ziel des Anschlags war, die Aufklärung der Geschehnisse von Curuguaty zu verhindern. Vidal Vega selbst sprach immer wieder davon, dass hinter der Gewalteskalation im Juni dieses Jahres bewaffnete Gruppen stünden, die mit Großgrundbesitzer_innen und der Marihuana-Mafia verbündet seien. In der östlichen Grenzregion zu Brasilien wird unter dem Schutz korrupter Netzwerke viel Marihuana produziert.
Der Mord an einem so wichtigen Zeugen wie Vidal Vega nährt weiter die Zweifel an der bisherigen Regierungsversion für die Geschehnisse von Curuguaty. Der Regierung zufolge ging die Gewalt von den Landlosen aus, die die umstrittenen Ländereien besetzten. Resultat waren sechs tote Polizisten und elf getötete Landlose. Doch die offizielle Untersuchung zieht sich immer noch hin – in die Kritik an dieser Verschleppung mischt sich immer mehr der Verdacht, dass wichtige Informationen verschleiert werden sollen.
Bereits im Oktober publizierte die Plattform zur Untersuchung von Landkonflikten PEICP einen Bericht, demzufolge die offizielle Darstellung des Massakers in Curuguaty unhaltbar ist. Die Untersuchungen von PEICP ergaben zum Beispiel, dass die Schüsse, mit denen die sechs Polizisten getötet wurden, aus Schnellfeuergewehren stammten. Derartige Waffen fanden sich aber nicht im Camp der Besetzer_innen und wurden auch nicht bei den inhaftierten Landlosen konfisziert. Vidal Vega wäre ein wichtiger Zeuge gewesen, um derartige offene Fragen aufzuklären. Die Vermutung, dass eine Mafia aus Großgrundbesitzer_innen und Politiker_innen das Massaker inszenierte, um das Amtsenthebungsverfahren gegen Lugo zu legitimieren und Proteste gegen die Agrarindustrie zu kriminalisieren, wird nun noch glaubwürdiger. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission verurteilte den Mord und verlangte von der paraguayischen Regierung, den Fall aufzuklären. Auch der UN-Gesandte in Paraguay, Lorenzo Jiménez verlangte umgehende Aufklärung.
Am 10. Dezember, dem internationalen Tag der Menschenrechte, riefen Gewerkschaften, soziale Bewegungen, linke Parteien und befreiungstheologisch inspirierte Kirchenvertreter_innen zu einer Demonstration für Menschenrechte in Asunción auf. Nach Angaben der Veranstalter_innen folgten etwa 5.000 Menschen dem Aufruf und demonstrierten damit auch gegen die De-facto-Regierung Francos. Zahlreiche Teilnehmer_innen trugen Transparente mit der Aufschrift des Mottos der Demonstration: „Was geschah in Curuguaty?“. Die Demonstrant_innen erinnerten auch an Vidal Vega und bezeichneten ihn als das 18. Opfer von Curuguaty. Die Demonstration endete vor dem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft. Die Demonstrierenden forderten, dass dem zuständigen Staatsanwalt, Jalil Rachid, der Fall Curuguaty entzogen wird, da sie ihn für voreingenommen halten. Rachid soll enge Verbindungen zur Familie Riquelme haben, die die umstrittene Farm Marina Cué in Curuguaty besitzt. Der inzwischen verstorbene Blas Riquelme soll als Mitglied der Colorado-Partei das Landgut von Diktator Alfredo Stroessner illegal geschenkt bekommen haben.
Im Vorfeld der Demonstration hatte der De-facto -Innenminister Carmelo Caballero bereits Stimmung gegen sie gemacht. Er kündigte eine starke Polizeiüberwachung an, da er befürchtete, es könnten Gewalttäter_innen in die Demo „infiltriert“ werden. Diese Kommentare wies der ehemalige Innenminister der Regierung Lugo, Carlos Filizzola, scharf zurück: „Es ist eine Barbarei, so zu reden, das hörte man nur in der Diktatur. Das ist eine autoritäre Regierung, ohne Respekt für Menschenrechte. Sie kennt nur Freunde und Feinde, die verfolgt werden müssen“, erklärte er gegenüber dem Internetportal paraguayresiste.com.
Wirkliche Demokratie wird es in Paraguay nur geben, wenn der Filz zwischen Justiz, Agrarindustrie und Marihuana-Mafia entwirrt wird. Doch dafür sehen die Chancen schlecht aus. Für die Präsidentschaftswahlen im kommenden April wird ein Sieg der konservativen Colorado-Partei ANR vorhergesagt. Bei den Vorwahlen der ANR setzte sich der Geschäftsmann und Agrarindustrielle Horacio Cartes als Präsidentschaftskandidat durch. In einem von Wikileaks publizierten Kabel der US-Botschaft in Asunción werden ihm enge Verbindungen zu Marihuanaschmuggel und Geldwäsche nachgesagt. Er würde als Präsident wohl eher die Kreise repräsentieren, die nicht daran interessiert sind, dass aufgeklärt wird, was in Curuguaty wirklich geschah.

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