Kolumbien | Nummer 307 - Januar 2000

Das Drama der Indígenas

Vom Widerstand gegen Verelendung, Staudämme, Ölbohrungen – und wie Kolumbiens Regierung damit umgeht

Zuletzt haben sich die Kämpfe der kolumbianischen Indígenas drastisch zugespitzt. Nach einer wochenlangen Blockade der Provinzhauptstadt Popayán (Cauca) lenkte die Regierung ein und sagte den Protestierenden Investitionen von über 100 Millionen Mark zu. Doch kein Einsehen zeigte sie bei zwei ihrer Prestigeprojekte, dem Wasserkraftwerk von Urrá in der Karibikprovinz Córdoba (siehe LN 305) und den Probebohrungen in der östlichen Andenkordillere durch den US-Konzern Occidental Petroleum (OXY).

Antonio Morales Rivera

Der folgende Kommentar von Antonio Morales erschien am 23. November in der liberalen Tageszeitung El Espectador:

Zu jener Zeit erstreckte sich ein grün-violetter See über die Hochebenen, die Täler und selbst die Hügel. Die Natur wanderte durch die Köpfe der Menschen, während aus der Erde eine große Lagune aus zartem Mais und blühenden Kartoffeln sproß. Die Menschen der Hochebene lebten ihr Leben nach dem Takt der Pauken, Muscheltrompeten und Flöten, mit denen sie ihre großen Feste begleiteten, bei denen der Maiswein in Strömen floß, und ihre güldenen Tänze. Oder mit denen sie die Tunjo-Gottheiten begrüßten, die als vergoldete Mimen am Rand der Sümpfe und aus den Tiefen der Wasser die Vergangenheit und die Zukunft deuteten. Das Volk der Muiscas lebte in der nachhaltigsten aller Entwicklungen. Doch dann kamen die lärmenden Massenmörder mit ihren Hellebarden und Kreuzen, und mit ihnen der Betrug und die Vertreibung.
Der Völkermord ging über Jahrhunderte, mit Schießpulver und Schwert, mit Missionierung und Feldarbeit, und aus Vergewaltigungen entstand ein neuer Menschenschlag. Die großen, eingefriedeten Felder der Chibchas wurden ausgelaugt. Auf ihren Tempeln ließ sich der Würgeengel des Katholizismus nieder, und die neue Ordnung lieferte die Gesetze für die Plünderung. Tod und gewaltsames Verschwindenlassen waren beschlossene Sache. Nichts half da der letzte Kriegsschrei des großen Quemuenchatocha, dem Herrscher von Tunja, als er kurz vor dem Tod durch den Barbaren Hernán Pérez de Quesada rief: ”Macht mit meinem Körper, was ihr wollt, aber über meinen Willen herrscht niemand.”
Wirklich nichts? Ist es nicht etwa auch diese todesmutige Losung, die heute die U’was rufen?
Die einzigen noch verbliebenen direkten Nachfahren der Chibchas sind erneut dem Betrug unterworfen, diesem großen Bindeglied zwischen den präkolumbianischen Völkern unseres Landes und den gleichgültigen Mächtigen, heißen sie nun Hernán Pérez oder Juan Mayr.
Als vor einigen Monaten dem Ölmulti Occidental die Genehmigung für die Bohrungen, sprich: die Plünderung des Bloque Samoré verweigert wurde, spürten wir – die wir uns seit Jahren für die Sache der U´was zusammengetan hatten – Erleichterung, etwas wie nationale Würde, und das dank eines kleinen Triumphs der Menschen gegen die abscheuliche Maschine des wilden Kapitalismus. Aber mit dem, was in den letzten Tagen geschehen ist, den Entscheidungen der Gerichte und des Umweltministeriums, haben sich unsere früheren Vermutungen doch bestätigt. In seiner unendlichen Unterwürfigkeit gegenüber den Gringos war Präsident Pastrana stärker als die Tränen und der Schmerz der abertausend indigenen Bewohner von Boyacá, Arauca und Casanare, die zweifellos wieder einmal das Blut der Erde, unser Erdöl, mit ihrem Leben verteidigen werden.
Auch wenn es im Kampf der U´was bisher um die Anerkennung und Registrierung ihrer angestammten Ländereien ging, ihres Reservats, das jetzt erweitert wurde: Die Bürokraten werden eine Enttäuschung erleben. Dieses Land mag jenen zurückgegeben werden, denen es immer gehört hat – doch die U´was werden weiterhin versuchen, die Erdölförderung zu verhindern. Denn die würde nicht nur ihre magisch-religiöse Welt, ihr animistisches Universum zugrunde richten, sondern ganz sicher auch ihre fragile Wirtschaftsweise, ihre Sprache und ihre Kultur, die sie fünf Jahrhunderte lang voller Würde bewahrt haben. Sie würde den Willen zugrunde richten, von dem Quemuenchatocha sprach, und ein Volk ohne Wille könnte nichts mehr tun und folglich nicht mehr sein. Über Würde verhandelt man nicht, man gibt sie nicht her. Man gibt eher das Leben her, wie es die U´was schon seit einer Weile ankündigen. Sie haben dafür die Metapher des kollektiven Selbstmords geschaffen, bei dem sie sich massenweise von den Bergspitzen ihrer hoch gelegenen Ländereien in die Leere stürzen würden.
Die U´was werden nicht aufgeben, mag ihr waffenloser Kampf auch noch so kriminalisiert werden, wie man es schon mit den Indígenas und Campesinos im Cauca macht. Wenn dieser Wille in Verbindung mit dem kollektiven Unterbewußtsein besteht, ist nichts anderes mehr von Bedeutung. Nicht einmal der Tod, denn häufig sind es die Toten, die die Entscheidungen der Lebenden absichern, mehr noch in einer Welt wie der der U´was, wo die einen und die anderen tagtäglich den gleichen Weg beschreiten.
Im Schutz der Gesetze, die nicht jene der U´was sind, werden sich die Regierenden unter dem Druck der USA – denn die ganze Politik des Gringoknebels geht auf wirtschaftliches Interesse zurück, mag es nun OXY, DEA oder IWF heißen – bestimmt etwas einfallen lassen, um die Opfer zu beschuldigen. Sie werden sagen, daß sie unter Druck nichts beschließen – eine Lüge, denn im Cauca werden sie aufgrund der Mobilisierung das Geld zurückgeben, was sie den Völkern im Süden des Landes gestohlen haben. Sie werden sagen, daß die U´was – ebenso wie die Emberas, Paeces, Guambianos und andere ethnische Minderheiten – Guerillakämpfer seien, daß sich die FARC und die ELN diese Geschichte vom Blut der Erde ausgedacht hätten. Sie werden irgendetwas sagen, Hauptsache, die OXY kann bohren. Und sie werden es sagen, obwohl sie wissen, daß damit das Kriegsgebiet nicht nur um ein Sandkorn ausgeweitet wird, sondern um eine weitere Gebirgskette.
Übersetzung: Ann-Catherine Geuder

KASTEN

Umweltminister Juan Mayr gab Mitte November grünes Licht für die Flutung des Urrá-Stausees, obwohl es weder mit den Embera-Katío am Oberlauf des Sinú noch mit den FischerInnen des Sinú-Deltas zu einem fairen Ausgleich gekommen war, wie es das Verfassungsgericht angemahnt hatte. 167 Emberas machten sich auf zum Protestmarsch nach Bogotá. Andere errichteten auf dem zu flutenden Indianerland 40 zusätzliche Häuser. „Eher ertrinken wir dort, als daß wir uns vertreiben lassen,“ bekräftigte ein Sprecher der betroffenen Gemeinschaft noch am 7. Dezember.
Den U´was, die sich seit Jahren gegen den US-Ölkonzern OXY wehren, wurde im August zwar die Verzehnfachung ihres offiziellen Reservats zugestanden, doch wenige Wochen darauf kündigte die Regierung an, unmittelbar an der Grenze dieses Gebiets die Bohrungen zuzulassen. In einer Rede in Houston pries Präsident Andrés Pastrana diese Entscheidung als ein Signal für weitere Auslandsinvestionen an. Seit dem 16. November halten über 170 U´was einen Teil des nach wie vor umstrittenen Landes besetzt.
Gerhard Dilger

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