Film | Nummer 325/326 - Juli/August 2001

“Das Kino existiert, um Brücken zu schlagen“

Interview mit dem kolumbianischen Regisseur Juan Pablo Felix von Barco Producciones über ein Filmprojekt mit Jugendlichen in Bogotá

Auf dem Berliner Ethno-Filmfest stellten Juan Pablo Felix, Diana Camargo und Felipe Solarte das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit mit den Jugendlichen in Bogotá vor. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit Felix über das Konzept, die Arbeit und die Reaktionen auf die Filme sowie über die kolumbianische Realität, Perspektiven und Gewalt.

Markus Rudolf

Mit ihren Filmen von und mit Jugendlichen aus Bogotá haben Sie den ersten Preis des Berliner Ethnofilmfestes Berlin gewonnen. Die realistische Darstellung der Lebenswelt jugendlicher Delinquenten in Form von Kurzgeschichten gehörten zu den Publikumsrennern. Von der kolumbianischen Botschaft wurden Sie der neuen Generation kolumbianischer Filmemacher zugeordnet. Was ist das „Neue“ an Ihren Arbeiten, das sowohl Kritiker und Politiker, wie auch das Publikum so begeistert?

Das Neue ist vielleicht die Charakteristik der Filme selbst, welche letzten Endes den einen oder anderen interessiert hat. Die „einfachen“ Leute hat es interessiert, weil es „einfache“ Geschichten waren, dargestellt von „einfachen“ Leuten, alles war so „einfach“, dass man fast nie zuvor davon gesprochen hatte. Die Politiker waren interessiert, weil sie, indem sie uns unterstützten, auf eine neue Art und Weise ihre Vorhaben umsetzen konnten. Dadurch erhofften sie sich auch einen Legitimationsgewinn. In Bezug auf die Experten bin ich mir nicht so sicher. Aber ich glaube, dass es daran liegt, dass es eine sehr ehrliche Arbeit ist. Eine, die eher auf viel Schweiß, als auf technischem Überfluss gründet.

Wie hat sich das Filmprojekt entwickelt?

Es hat sich über eine Institution des so genannten Brizna de Vida-Viertels selbst entwickelt. Dort wurden Versammlungen mit Jugendlichen organisiert, um zu klären, was wir machen wollten. Wir sahen, dass es viel zu erzählen gab und haben uns entschieden vier Themenfilme – basierend auf ihren Erfahrungen – und einen Dokumentarfilm über die Entwicklung des Projektes selbst zu machen. Einige Institutionen schlossen sich an, vor allem das Proyecto Casas Culturales Locales – eine Initiative der Stadt Bogotá. Von diesem Zeitpunkt an entstand ein Klima des Vertrauens zwischen allen Beteiligten. Mit den Jugendlichen wurden anfangs eine Reihe von Übereinkünften getroffen, die von allen respektiert werden mussten, um bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Danach begannen wir uns damit zu beschäftigen, den Jugendlichen anhand verschiedener Aktivitäten zu helfen, ihr Selbstbewusstsein wiederzuerlangen. Sie sollten sehen, dass sie fähig waren, neue Dinge zu machen, die gleichzeitig unterhaltsam waren und auch wichtige Probleme ansprechen würden. Die Drehbücher wurden geschrieben und die Jugendlichen wurden sowohl in Technik wie auch in Dramaturgie von anerkannten Profis ausgebildet. So drehten wir die Filme inmitten eines schwierigen unsicheren Klimas, aber voller Optimismus.

Vor welchem Publikum wurden die Filme gezeigt?

Am Anfang wurden sie den Jugendlichen selbst gezeigt, sie waren das wichtigste Publikum. Ihren Familien, den Leuten aus dem Viertel und den Institutionen, die teilgenommen hatten. Dann begannen wir, sie in Schulen und Universitäten zu zeigen und später in größerem Rahmen. Wir nahmen an Seminaren, Konferenzen und internationalen Festivals teil. Die Filme des Projektes Visajes und die Kurzfilme die danach kamen haben Auszeichnungen wie den „Circulo Precolombino de Oro“ gewonnen und haben an verschiedenen Festivals in Havanna, Huesca, Stuttgart und Triest teilgenommen. Die Möglichkeit, sie in Kolumbien zu senden, hängt zu einem großen Teil von der jeweiligen Programmpolitik der verschiedenen Sender ab.

Wie reagierten die Zuschauer auf die Filme?

Es gab alles Mögliche. Viele Leute hielten es für eine gute Idee, über Themen zu reden, die nicht beachtet worden waren, damit die Leute sowohl in Kolumbien wie auch im Ausland einen Teil der Realität kennen lernten, der nicht einfach zu verkraften ist. Es gab andere, denen nicht gefiel, was das ausländische Publikum denken könnte. Eine Frau in Kolumbien fragte: „Diesen Film wollen Sie doch wohl nicht im Ausland zeigen?“ Viele Kolumbianer machen sich Sorgen über das Bild, das von Kolumbien im Ausland existiert. Es gab in Kolumbien einmal die Initiative „Wohin du auch gehst – sprich gut über Kolumbien!“. Uns interessiert das weniger, wir wollen vor allem arbeiten und etwas für das Land machen. Oft hat man uns kritisiert, dass wir diese Geschichten in anderen Ländern zeigen würden, aber da war es schon zu spät.

Wie unterschieden sich die Erfahrungen in Spanien und jetzt in Berlin?

Bei dem Festival in Huesca waren viele Kolumbianer, die von der Gewalt in „Anleitung, ein Motorrad zu stehlen“ sehr betroffen waren. Aber so dachten sie über die Realität eines Landes nach, das uns allen gehört und über eine Gewalt, für die wir alle in irgendeiner Weise verantwortlich sind, ganz egal, wo in der Welt wir wohnen. Hier beim Ethnofilmfest in Berlin gewesen zu sein, war sehr interessant, weil es das erste Mal war, dass wir so viel Kontakt zum Publikum und zu Filmemachern anderer Länder hatten. Es ist ohne Zweifel ein Festival, das es ermöglicht, Visionen über die Welt auszutauschen – nicht zuletzt eine der Aufgaben des Kinos.

Zeigen Sie die kolumbianische Realität in ihren Filmen?

Ja es ist ein Teil der Realität, aber nicht die einzige. In Bogotá findet man Sushirestaurants, überwachte Gebäude, Internetcafés und Leute, die aufstehen ohne zu wissen, ob sie diesen Tag etwas essen werden. Sagen wir mal, wir sind dabei, einen bestimmten Teil der Realität zu zeigen, aber es fehlen uns andere, die genau so wichtig sind.

Sie sagten, dass die Jugendlichen professionell bei den Filmen unterstützt wurden. Wie groß ist der Anteil der Jugendlichen am Produktionsprozess, inwiefern sind es „ihre“ Filme?

Es war so, dass wir und die Jugendlichen uns innerhalb des Projektes nicht unterschieden. Wir haben ihnen nur deshalb geholfen, professionell zu filmen, weil es unsere Aufgabe als Produzenten war. Sie haben die Ausbildungen als Schauspieler, Schauspielerinnen, Produktionsassistenten, in Fotografie, Kunst, Regie absolviert, und die Filme waren die Umsetzungen dieser Fähigkeiten. Wir haben als Regisseure und Produzenten alles riskiert, aber dabei auch vieles darüber gelernt, wie es ist, dort zu leben. Die Filme sind genau so sehr von ihnen, wie von uns

Welche Rolle spielt der Prozess der Realisierung der Filme?

Der Prozess ist das wichtigste, es werden viele Dinge deutlich: Dass man in einer Gruppe besser arbeiten kann, dass Unterschiede und Auseinandersetzungen wichtig sind, und man lernen muss, sie zu lösen. Dass wir Talent haben, dass etwas zu erreichen auch etwas kostet und gerade deshalb mehr wert ist. Dass wir junge Städter sind und uns als solche ausdrücken können und müssen.

Wie war es, mit den Jugendlichen zu arbeiten und was ist aus ihnen heute geworden?

Es war sehr lustig, ich habe viel gelernt. So zum Beispiel das Leben auf andere Art und Weise zu sehen, andere Werte, andere Beziehungsarten. Manchmal war es mit der Disziplin so eine Sache. Es war manchmal schwer, ihnen verständlich zu machen, warum es wichtig war, durch einen mehr oder weniger langen Prozess vor dem eigentlichen Filmen zu gehen, weil sie alles sofort wollten. Aber während wir gegen die Ungeduld ankämpften, haben wir eine unglaubliche Solidarität und Kollegialität innerhalb der Gruppe geschaffen. Letztlich hat eine Gruppe der Jugendlichen eine Kunst- und Kulturkooperation gegründet. Sie arbeiten mit Tanz, Marionetten und Video. Andere haben sich auf Grund der Erfahrungen Fernsehsendern oder Produktionshäusern angeschlossen. Sie haben auch als professionelle Schauspieler, in kommerziellen Fernsehsendungen und auch in Kinofilmen gearbeitet. Manche haben geheiratet, Kinder bekommen, andere haben die Stadt verlassen, weitere sind im Gefängnis oder tot.

Finden Sie, dass sie dazu beigetragen haben, ein Bewusstsein für die dargestellten Probleme zu schaffen?

Auf alle Fälle. Die Herausforderung ist es aber, auch konsequent zu handeln, nachdem man dieses Bewusstsein erlangt hat.

Welche Relevanz geben Sie dem Versuch, von Kolumbien aus Brücken in die Welt zu schlagen, in Ihrer Arbeit? Welche Rolle kommt dabei dem Norden zu?

Das Kino existiert, um Brücken zu schlagen. Die Länder des Nordens könnten sich unserer Wirklichkeit mit weniger Vorurteilen nähern und verstehen, dass wir – eben weil wir Teil einer Gesellschaft sind – im Grunde diesselben Arten von Problemen haben. Und dass es sehr schwer wird, sie zu lösen, wenn wir nicht für einander einstehen. Der Norden sollte jetzt an den Süden denken und ihm helfen, damit er danach an sich selber denken kann. Ich glaube, dass Kolumbien, obwohl es sich in einer kritischen Situation befindet, die wir lösen müssen, langfristig in ein selbstständiges aber weltoffenes Land wandeln könnte – ein gerechteres, produktiveres und glücklicheres Land.

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