Drogenhandel | Nummer 333 - März 2002

Das kolumbianische Drogenbusiness

Unternehmensstrukturen einer Wachstumsbranche

In Kolumbien ist der Drogenhandel der dynamischste Reichtumsfaktor. Die Großbanken profitieren von der Geldwäsche der Narco-Dollars, das Großkapital verdient beim Handel der Vorprodukte für die Kokainherstellung und beim Transport. Es verwundert daher nicht, wenn Oligarchie, Politiker, Polizei und Militärs tief in das Business verstrickt sind. An der Spitze des Drogengeschäfts stehen moderne, dezentralisierte Unternehmen.

Dario Azzellini

Exakte Aussagen, wie viel Drogengelder in die kolumbianische Ökonomie fließen, sind kaum zu treffen. Die Tatsache, dass allein im Laufe des Jahres 1993 Bankkonten und Anlagen von Drogenunternehmern aus Medellín mit einem Gesamtwert von 1,4 Milliarden US-Dollar eingefroren wurden, gibt jedoch eine ungefähre Vorstellung über die Größenordnung. Die verschiedenen Schätzungen schwanken zwischen 1,5 und 7 Milliarden US-Dollar Deviseneinnahmen jährlich. Das macht einen wesentlich kleineren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) aus, nämlich zwischen 3 und 14 Prozent, als etwa in Bolivien oder Peru. Die meisten Schätzungen gehen von etwa 6 Prozent des BIP und einem ebenso hohen Arbeitsplatzanteil aus. Und Drogen sind nicht – entgegen weit verbreiteten Vorstellungen – das wichtigste kolumbianische Exportprodukt. Dennoch wurden über die Jahre hinweg zweistellige Milliardensummen akkumuliert und größtenteils in Ländereien, Immobilien, Luxuskonsumgüter und Dienstleistungen investiert. Das Vermögen der Drogenbourgeoisie soll bereits Anfang der 1990er Jahre mehr als 30 Prozent des gesamten kolumbianischen Reichtums inner- und außerhalb der Landesgrenzen ausgemacht haben.
Für gewöhnlich werden die illegalen Strukturen der Drogenhändler als „Kartelle“, als große, weitverzweigte Organisationen, dargestellt. Dieser Begriff beschreibt das Phänomen allerdings nur unzureichend. Die illegalen Strukturen der Drogenhändler entsprechen eher Organisationsmustern, wie sie auch von postfordistischen, transnationalen Konzernen bekannt sind. So arbeitete das Cali-Kartell als modernes dezentralisiertes Unternehmen transnational, war mit modernsten Geräten und Techniken ausgestattet, unternahm Marktanalysen und entwickelte neue Verkaufsstrategien, Produkte sowie Produktionsabläufe. Die Personen, die im Drogensektor arbeiten, sind wie in der legalen Wirtschaft frei austauschbar. Daher führt ihre Verhaftung auch nicht zum Verschwinden des Drogengeschäfts. Ein FBI-Agent berichtete über den Kokainhandel Medellíns, die Managementhierarchie sei fließend gewesen, Positionen wie Organisationszugehörigkeit hätten häufig gewechselt, und auch eigenständige Nebengeschäfte wären vorgekommen.
Teilweise schließen sich mehrere Drogenunternehmen zusammen, um gemeinsame Großinvestitionen wie beispielsweise den Bau von Großlabors mit Kosten von 20 Millionen US-Dollar vorzunehmen. Die Vertriebsstrukturen der großen Drogenoligopole werden auch unabhängigen Produzenten – gegen Bezahlung – zur Verfügung gestellt. Infiltrierte Agenten der US-Drogenbehörde DEA (Drug Enforcement Administration) im Cali-Kartell haben feststellen können, dass an der Spitze des zellenartig organisierten Konglomerats ein „Rat der Unternehmer” stand. Jedes Mitglied des Rates war von diversen Beratern und Delegierten umgeben, die sich untereinander nicht kannten. Der Rat kümmerte sich um legale Investitionen des Clans, koordinierte die Geldwäsche, die Einrichtung von Laboratorien und den Vertrieb der Drogen. In einer Untersuchung stellte die Tageszeitung El Espectador 1994 fest: „Außer den Gebrüdern Rodriguez Orejuela sind alle anderen Unternehmer Akademiker: Anwälte, Ökonomen, Betriebswirte, welche sich gerne mit jungen Universitätsabsolventen umgeben, die neue Ideen in das Unternehmen einbringen können.“

Die Nachfolge der Kartelle

Nach der Zerschlagung des Medellín-Kartells in Folge der Ermordung Pablo Escobars im Dezember 1993 und des Cali-Kartells 1995 fächerte sich die Struktur des Kokainbusiness in Kolumbien weiter auf. Es traten zwar neue Kartelle auf, etwa das Cartel del Valle, doch bei genauer Betrachtung entspricht die heutige Struktur des Kokainbusiness in Kolumbien nach Angaben des Pariser Observatoire Geopolitique de Drogues (OGD) einem dichten Netz von etwa 2.500 kleinen und 40 mittleren Organisationen, die insgesamt über mindestens 700 geheime Landebahnen verfügen. Vielfach wird die Zerschlagung des Cali-Kartells als ein mit der kolumbianischen Regierung vereinbarter Rückzug interpretiert. Zuvor hatte das Cali-Kartell eine wesentliche Rolle beim Krieg gegen das Medellín-Kartell gespielt und sein Exportnetz in die USA in Verhandlungen teilweise an mexikanische Narcos abgegeben. Die kolumbianischen Narcos wuschen einen Großteil ihrer illegalen Gelder in legalen Unternehmen und treten heute diskreter als früher in Erscheinung. Sie behielten aber ihre Vormachtstellung in Produktion, Raffinierung und Handel.
Zur Sicherung der eigenen Straffreiheit sind umfassende Maßnahmen notwendig. Gewalt ist dabei nicht einmal die favorisierte Methode, da sie Aufmerksamkeit erregt. Die Kokainunternehmer des Medellín-Kartells scheiterten, weil sie die Gewalt als Mittel überstrapazierten und ihre strukturellen Grenzen zu spät erkannten. Die meisten Unternehmen bauen ihre Führung auf Verwandschaftsverhältnisse oder langjährige Freundschaften auf, um sich eine Vertrauensbasis zu schaffen. Zum Schutz vor Strafverfolgung versuchen sie sich mittels sozialer Maßnahmen auch die Loyalität in der Bevölkerung zu sichern. Oder sie bestechen Behörden und infiltrieren verschiedene Machtebenen.

Die Todesindustrie

Dennoch bleibt Gewalt aus unternehmerischer Sicht ein notwendiges Mittel zur Regulierung des Handels. In Medellín bildete sich als Folge der Aufträge aus der Drogenbranche mit der Zeit eine regelrechte Todesindustrie heraus. Die kolumbianische Regierung geht davon aus, dass etwa 10.000 Personen in diesem Bereich tätig sind, 25 Prozent davon als Vermittler. Nach offiziellen Angaben operierten Anfang der 1990er Jahre in Medellín 300 Jugendbanden und mindestens 5.000 sicarios, wie die Killer in Kolumbien genannt werden. Sie bekommen ihre Jobs bei spezialisierten Vermittlungsagenturen, von denen es Mitte der 1990er Jahre im Stadtgebiet von Medellín mindestens 45 gegeben haben soll. Solche Agenturen bieten den Kunden höchstmögliche Anonymität, ersparen ihnen die direkte Kontaktaufnahme mit den sicarios und interessieren sich nicht für die Motive. Die billigsten erledigen Morde für 75 bis 400 Euro, für etwas kompliziertere Aufträge werden zwischen 1.000 und 13.000 Euro verlangt. Die angeseheneren Vermittlungsagenturen sind um ein Vielfaches teurer.

Ein Mord für 75 Euro

Die Jugendlichen, die die Morde letztendlich durchführen, sind das letzte Glied in der „Outsorcing-Kette“ und bekommen – ebenso wie die Produzenten in der legalen Wirtschaft – nur ein Trinkgeld im Vergleich zum Auftragsvolumen. So erhielt beispielsweise der 15-jährige sicario, der am 22. März 1990 den Präsidentschaftskandidaten Bernardo Jaramillo ermordete, nur etwas über 800 Euro von den insgesamt 420.000 Euro, die das Attentat gekostet haben soll.
Die Kokaingeschäfte laufen nach wie vor gut. Die weltweiten Anbauflächen, fast ausnahmslos in Bolivien, Peru und Kolumbien gelegen, wurden allerdings im vergangenen Jahrzehnt leicht reduziert, während sich die Anbaugebiete verschoben haben. Die ausgefeilteren Methoden zur Raffinierung und die verbesserte Pflanzenqualität sorgten jedoch für eine leichte Erhöhung der potenziellen Kokanettoproduktion.
Während Kolumbien schon immer Exportführer beim Kokain war, spielte der Anbau der Kokasträucher dort keine besondere Rolle. Erst in den letzten Jahren ist auf Grund drastischer Verringerungen in Peru ein starker Anstieg der Kokaanbauflächen in Kolumbien zu verzeichnen: um 18 Prozent im Jahr 1997 und um 28 Prozent im Jahr 1998. Auf Grund der niedrigeren Qualität der kolumbianischen Koka resultiert daraus aber dennoch weniger Kokain als in Peru. Laut offiziellen Angaben des US-State-Departments und der Drogenbekämpfungspolizei Kolumbiens betrug 1999 die Kokaanbaufläche in Peru etwa 51.000 ha, in Bolivien um die 60.000 ha und in Kolumbien 102.000 ha. Die Angaben unterscheiden sich jedoch von Quelle zu Quelle stark: Mitunter liegt auch Peru vorn und Kolumbien hinten. Hinzu kommen in Kolumbien 20.000 Hektar Schlafmohn und 5.000 Hektar Marihuana. Der Schlafmohnanbau zur Produktion von Heroin für den US-amerikanischen Markt befindet sich in Kolumbien seit Anfang der 90er Jahre im rapiden Anstieg. Mit einer geschätzten Produktion von über 20 Tonnen Heroin jährlich hat sich Kolumbien zum weltweit viertgrößten Heroinproduzenten nach Burma, Afghanistan und Laos gemausert.

KASTEN:
Vom Koka zum Kokain
Die Kokapflanze stammt ursprünglich aus dem Amazonasgebiet und wird seit Jahrtausenden in Peru, Bolivien, Brasilien und Kolumbien angebaut. Allerdings sind Anbau und Konsum in Kolumbien nicht so verbreitet und verwurzelt wie in den historischen Kokaländern Peru und Bolivien. Die Blätter des ein bis vier Meter hohen Strauchs werden traditionell von indianischen Gemeinschaften bei religiösen Ritualen eingesetzt. Sie dienen als Medizin für verschiedene Leiden, vertreiben den Hunger und stärken das Durchhaltevermögen: Kokablätter stellen ein leichtes Aufputschmittel dar.
Kokain ist ein mit einem chemischen Prozess aus Koka gewonnenes Alkaloid. Es wurde erstmals 1855 in einem deutschen Labor als eigene Substanz herausgetrennt. Die stimulierende Wirkung der Kokablätter stieß auch in Europa und den USA auf Interesse: Ab 1863 wurden Kokablätter in Wein eingeweicht und als Getränk vermarktet. 1885 entstand mit einer ähnlichen Rezeptur Coca-Cola. In Coca-Cola sind bis heute Kokablätter enthalten, doch die Coca-Cola Company trennt das Alkaloid Kokain zuvor heraus.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Kokain – das auch in Europa und den USA zunehmend die Kokablätter ablöste – als Medikament gegen Herzrythmusstörungen, Heuschnupfen und Depressionen weit verbreitet. Zur Kostenersparnis wurde die Verarbeitung der Kokablätter in die Anbauländer verlegt und bereits 1891 produzierten die meisten Pharmaunternehmen ihr Kokain direkt in Peru oder Bolivien. Kokain war schon vor einem Jahrhundert sowohl in seiner Herstellung wie in seinem Konsum eine transnationale Ware.
Kokablätter und Kokain wurden zu Anfang des 20. Jahrhunderts immer populärer, bis die USA 1915 beides als Droge deklarierten, gleichsetzten und verboten. Der Preis des Kokains stieg schlagartig und ein umfassendes Netz von illegalen Händlern bildete sich. Bereits kurze Zeit danach begannen die USA eine Antidrogenpolitik in den Herkunftsländern des Kokain zu fordern.
Der rasante Aufstieg des Kokains setzte aber erst in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ein. Die Meinungen über den Grund gehen auseinander, doch wird allgemein angenommen, dass Kokain als Leistungsdroge gut in die durch Individualismus und allgemeinen Wettbewerb geprägte neoliberale Gesellschaft passt. Hinzu kommt das elitäre Image, das der Droge, die immer wieder mit Filmstars, Sportlern und Musikern in Verbindung gebracht wird, anhaftet, und ihr Ruf, eine ungefährliche, harmlose Droge zu sein.
Mit dem Auftauchen von Crack ab Mitte der 1980er Jahre konnten Absatz und Gewinnspanne für die Händler in den Konsumentenstaaten vergrößert werden. Crack wird aus pulverförmigem Kokain durch Vermischung mit Backpulver und Erhitzung hergestellt und in Form kleiner „Steine“ (rocks) verkauft. Die Menge des Kokains konnte so vervielfacht und in kleineren und billigeren Dosen angeboten werden, was einkommensschwächere Käuferkreise erschloss. In der Drogenszene gilt Crack als verheerendste Droge überhaupt. Schon drei stecknadelgroße Brocken können zur ständigen Abhängigkeit führen. Die USA gelten als das größte Drogenkonsumland der Erde. Laut Zahlen des National Institute on Drugabuse (NIDA) waren in den USA noch 1974 etwa 6,5 Millionen Personen Kokainkonsumenten, 1977 sollen es bereits 11,5 Millionen gewesen sein. Seit Anfang der 1980er Jahre pendelte sich die Anzahl der Kokain- oder Crackkonsumenten zwischen 35 und 40 Millionen ein. Die Zahlen erscheinen jedoch stark aufgebläht, um die Gefahr durch Drogen möglichst bedrohlich darzustellen. Dario Azzellini

Vom Anbau zum Verkauf: Die transnationale Handelsware Kokain

Kokain ist eine typische transnationale Handelsware, deren Zyklus sich grob in fünf Etappen aufteilen läßt: Kokaanbau, Herstellung der Kokapaste, Veredelung der Paste zu Kokain, Export in die Konsumentenmärkte und Vertrieb in den Importmärkten.
Die meisten Bauern verlegen sich auf den illegalen Anbau von Drogengrundstoffen, weil der Anbau anderer Agrarprodukte aufgrund der niedrigen Preise kaum reicht, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Daher sind auch staatliche Umstellungsprogramme, die eine einmalige Zahlung an die Bauern vorsehen, ungeeignet, um den Anbau einzudämmen. Denn bei der Kokapflanze sind die Kapitalinvestitionen niedriger und die Erträge höher. Hinzu kommt, dass der Transport anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu den Verbrauchermärkten wesentlich kostspieliger und umständlicher ist. Die Kokapflanze gilt allgemein als sehr robust, sie bedarf faktisch kaum der Pflege und kann auch ohne Dünger oder spezielle landwirtschaftliche Maschinen angebaut werden. Sie kann zehn Monate nach der Aussaat zum ersten Mal geerntet werden und bringt danach etwa 20 Jahre lang drei bis sechs Ernten jährlich.
Nach der Ernte werden die Blätter entweder in der Sonne getrocknet oder in Art eines Gärungsprozesses immer wieder angefeuchtet und unter Zuhilfenahme von Decken mit den Füßen trocken gestampft. Zur Extraktion des Alkaloides Kokain werden die getrockneten Kokablätter mit Wasser und Schwefelsäure in großen Holz- oder Betonbehältern eingeweicht und nach 12 bis 24 Stunden, in denen die so genannten pisacocas (Kokatreter) die breiige Masse stampfen, Kerosin, Kalziumkarbonat, Natriumkarbonat und andere lösende Chemikalien beigemischt. An der Wasseroberfläche entsteht so eine gelbliche bis weißliche „rohe“ Kokapaste. Dieser Prozeß ist sehr arbeitsintensiv, verlangt aber keine besonderen Geräte oder Laborausrüstung, sondern nur Kenntnis über die chemischen Substanzen und ihr Mischungsverhältnis. Anfang der 1980er Jahre versuchten die Zwischenhändler noch, diese Informationen geheim zu halten. Erfolglos, denn heute stellen viele Kokabauern die Paste selbst her.
Die Kokapaste wird von Zwischenhändlern aufgekauft und in die Kokainlabors zur Herstellung des Kokains transportiert. Die Labors befinden sich in schwer zugänglichen Gebieten, um sie so besser vor staatlicher Verfolgung zu schützen. Solche Labors gibt es auch in Bolivien und Peru, die meisten stehen jedoch in Kolumbien. Ebenso wurden, zumindest bis Mitte der 1990er Jahre, auch die Labors in den anderen Andenstaaten durch Kolumbianer kontrolliert. Aus der Kokapaste wird in einem Reinigungsprozess, der Raffinierung, unter Beimischung von Ether, Azeton, Ammoniak und Pottasche sowie unter der Verwendung von Filtern eine Veredelung zu der grauen bis bräunlichen Kokainbase erreicht. Durch weiteres Filtrieren, etwa zu dem noch leicht verklumpten Rocks-Kokain, kann eine Alkaloidreinheit von 70 bis 85 Prozent erreicht werden. Aus der Base entsteht unter Beimischung von Salzsäure, eventuell Ether und Azeton, das weiße, feinflockige Kokainhydrochlorid mit einem Reinheitsgrad von 95 bis 99 Prozent. Für ein Kilogramm Kokain braucht man je nach Qualität in Kolumbien etwa 550 kg, in Peru 300 kg und in Bolivien 250 kg Kokablätter.
Beim Drogentransport in die Abnehmerländer konnten die kolumbianischen Händler ihre Vormachtstellung auf dem Drogenmarkt ausbauen und lange Zeit halten. Im Laufe der Jahre wurden ausgefeilte Routen unter Kombination von Luft-, See- und Landwegen entwickelt. Der Vertrieb der Drogen in den Zielländern, bei dem letztendlich der Großteil der Gewinne realisiert wird, befindet sich nur zum kleinen Teil in den Händen kolumbianischer Händler. Dario Azzellini

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