Das vielstimmige Lied Paraguays
Augusto Roa Bastos feiert seinen 80. Geburtstag
Roa Bastos, Bankangestellter, Journalist, schließlich und vor allem Schriftsteller, ist in Deutschland durch seine Romane Hijo de Hombre (1960, dt.: “Menschensohn”) und Yo el Supremo (1974, dt.: “Ich, der Allmächtige”) bekannt geworden. In Lateinamerika wurden Literaturfreunde schon einige Jahre früher auf ihn aufmerksam, nämlich nach der Veröffentlichung seines Erzählbands El trueno entre las hojas (Der Donner zwischen den Blättern) Anfang der 50er Jahre. Damals lebte er schon nicht mehr in Paraguay. Sein Exil beginnt nach der gescheiterten Revolution 1947, die dem Voranpreschen der Militärdiktatur nicht Einhalt gebieten konnte. In Buenos Aires findet er ein vorübergehendes Zuhause, wird von der Gesellschaft Argentinischer Autoren zum Präsidenten ernannt und bereist mit Jorge Luis Borges und Miguel Angel Asturias als lateinamerikanischer Literaturbotschafter Europa. Mitte der 70er Jahre läßt er sich im südfranzösischen Toulouse nieder, wo er an der Universität lateinamerikanische Literatur und Guaraní unterrichtet, neben dem Spanischen wichtigste Sprache Paraguays.
Der Blick des Exilanten
Die Biographie Roa Bastos’ steht, wie bei vielen Künstlern und Intellektuellen Lateinamerikas, unter dem Zeichen des Exils, dem Verbot von Heimat, dem Blick von außen auf das geliebte, gepeinigte Land. Auch seine Jugend beginnt ähnlich wie die anderer Literaten des Kontinents. Wie Mario Benedetti arbeitet er zunächst als eine Art Buchhalter oder Bankangestellter, gerade mal 16 Jahre war er da alt, und wie viele seiner Kollegen kam er über den Journalismus, gelegentliche Artikel, Sozialreportagen und Kriegsberichterstattung aus Europa, zur literarischen Fiktion. Ort seiner Romanhandlungen ist stets Paraguay, Thema stets die Geschichte, die Allgegenwart der Unterdrückung.
Sohn eines Brasilianers französischer Abstammung und einer Guaraní könnte er als typisches Beispiel der paraguayischen Mestizen gelten, die auf dem Lande Guaraní, in der Stadt Guaraní und Spanisch sprechen, oder vielmehr Jopará, die spanisch-paraguayische Umgangssprache. Allerdings war sein Vater weder campesino noch Gelegenheitsarbeiter, sondern ein angesehener Ingenieur, der den Sohn in die Hauptstadt zur Schule schicken konnte. Die Mutter erfüllte ihm die Ohren und die Phantasie mit den Legenden, Mythen und der Gegenwart des Guaraní.
Lied des Volkes
Roa Bastos ist nicht getrennt von Paraguay und seinen zweisprachigen Kulturen denkbar. Die mündliche Tradition des Guaraní, der immer wieder erzählten Geschichten und Legenden, die doch jedesmal anders klingen, jedesmal neu erfunden werden, spiegelt sich in seinen spanischen Texten wider. Immer sind verschiedene Stimmen zu hören, der Erzähler läßt die anderen zu Wort kommen, Unterdrücker wie Unterdrückte. Nicht die Chronologie ist vorrangig, nicht das Übereinstimmen, sondern das vielstimmige Lied eines Volkes, ausgedrückt durch die Melodie der hörbaren Stille, das Donnern zwischen den Blättern, die Gitarre des toten Gaspar Mora, der Lärm der Trommlerpfeife und der wirbelnden Trommeln, das Kreischen der Nachteule Suindá. Die Musik des Erzählten, verwoben mit Mythen und immer wieder dem Gehörten, formt die imaginäre Welt Augusto Roa Bastos’. Sein Landsmann Rafael Barrett formulierte Ende der 20er Jahre, was auch Roa Bastos sich zu eigen macht: “Die Wurzeln des Volkes sind, wie die des Baumes, unter der Erde. Es sind die Toten. Die Toten sind lebendig. Unsere Nöte sind die Verzweigungen früherer Nöte, die weder aufgehalten, umgeleitet, noch in ihrem Keim erstickt werden konnten”.
Diese Nöte, dieses Nicht-Leben, sind für den Autor Ausdruck jener Irrealität, zu der die Geschichte seines Landes unter dem Joch der Unterdrükkung geronnen ist. Der Schatten auf einem vergessenen Stück nächtlichen Brachlands, der sich zu einem wimmerndem Körper wandelt, der starblinde Marcario, Einsiedler und Bildschnitzer von Itaipé, die unschuldige Mätresse des deutschstämmigen Diktators, mythische Realitäten oder reale Fiktionen, erhalten von Roa Bastos ihren Platz in der Geschichte.
Der, dem es ein Anliegen ist, die Stimme des kollektiven Gedächtnisses zu formulieren und das Echo des Echos der Geschichte niederzuschreiben, ist vor einem Jahr dauerhaft in seine Heimat zurückgekehrt. Noch zu Beginn der 80er Jahre war Roa Bastos in Paraguay zur persona non grata geworden. Bleibt zu wünschen, daß ihm ein solches Schicksal in Zukunft erspart bleibt.
KASTEN
Nicht ganz ein Roman
In seinem jüngsten Buch “Madama Sui”, das noch nicht in deutscher Übersetzung vorliegt, erzählt Augusto Roa Bastos die Geschichte einer jungen Frau, die zwei Jahre lang die Geliebte Stroessners war.
Roa Bastos erklärt im Vorwort von “Madama Sui”, er habe versucht, seine Erzählung aus der Sicht einer Frau niederzuschreiben: mit der uns eigenen Sensibilität und Wahrnehmung, unserer natürlichen Intuition, alles zu wissen, ohne uns dessen bewußt zu sein. Die Welt mit den Augen einer Frau zu sehen, ist der Versuch, gegen den autoritären, dominanten, “männlichen” Diskurs, die Schwingungen zwischen der Dichotomie von Gut und Böse aufzufangen.
In diesem Sinne ist es Roa Bastos gelungen, das Leben von “Madama Sui” in eine “weibliche” Form zu bringen. Die Heldin ist nicht gut oder böse, schuldig oder unschuldig, sondern ein junges Mädchen, Kind und Frau, die Geliebte des Diktators und eines Guerilleros, Hure und Jungfrau. Das Buch selbst ist weder Roman noch Bericht, keins davon und beides. “Wer ist Madama Sui? Gab es diese seltsame Persönlichkeit wirklich oder nur als erfundene Erzählung? Diese Geschichte, dem Natürlichen entnommen, mit realen und authentischen Personen, ist weniger als ein Bericht und mehr als eine Erfindung”, gibt Roa Bastos den LeserInnen mit auf den Weg.
Eine hybride Erzählung, in der der Autor durch Gespräche mit Signore Ottavio Doria, Freund und Mentor von Sui, und durch ihre Tagebuchaufzeichnungen ihr kurzes Leben zu begreifen versucht. Lágrima González Kusugüe, genannt Sui, wurde nur zwanzig Jahre alt. Sui, wie Suindá, die Eule aus den paraguayischen Wäldern, die ihre Beute durch ihre gellenden Rufe anlockt; Sui, wie viele Frauen aus Japan, der Heimat ihrer Mutter.
Sui wächst in dem kleinen Ort Manorá auf, ihre Eltern sterben früh, einige Jahre später stirbt auch ihre Großtante. Eine kleine Vagabundin, auf sich selbst gestellt, lebensfroh und glücklich, weil es ihr niemals in den Sinn gekommen ist, unglücklich zu sein. Dafür wird sie von Signore Ottavio Doria, dem Architekten, der seine Resignation gegenüber der Welt in unvollendeten Architekturprojekten ausdrückt, verehrt und beneidet. Mit fünfzehn Jahren zieht sie in die Stadt, um Anwältin zu werden. Der einzige Mann, den sie liebt, ER, geht in die Wälder und schließt sich der Guerilla an. Mit der juristischen Ausbildung wird es nichts. Sui gewinnt einen Schönheitswettbewerb, und von da an ist der Übergang zur Geliebten des Diktators fließend. Nach zwei Jahren kehrt sie nach Manorá zurück – mit achtzehn Jahren ist sie zu alt für die Vorlieben des Diktators -, wo sie zwei Jahre später stirbt. In die kurze Biographie von Madama Sui sind viele Episoden eingewebt, so ihre Reise nach Japan, ihre Begegnung mit der Vermittlerin des Diktators, vor allem aber Gespräche zwischen Sui und der Vermittlerin, Roa Bastos und Ottavio Doria, wodurch der Text eher eine gewisse Annäherung an die Person, als eine Chronologie der Ereignisse wird.