Guatemala | Nummer 276 - Juni 1997

Der Kampf um Land geht weiter

Interview mit Rafael Ordoñez von der Bauern- und Indígenaorganisation CONIC

Einer der zentralen Gründe für die soziale Misere in Guatemala ist die extrem un­gleiche Landverteilung. Der bislang einzige Versuch einer Agrarreform endete 1954 mit einem von den USA organisierten Putsch gegen den damaligen Präsidenten Ja­cobo Arbenz. Heute verfügen fast 90 Prozent der ländlichen Bevölkerung über ledig­lich 16 Prozent der kultivierbaren Böden. Die Coordinadora Nacional Indígena y Cam­pesina (CONIC) hat in den vergangenen Jahren die Mehrzahl der Landbeset­zun­gen in Guatemala organisiert. Ziel ist die Rückgewinnung der Madre Tierra.

Michael Krämer, Werner Lamottke

Rafael, wie bist Du zu CONIC gekommen?

Ich habe früher lange Jahre auf einer Finca gearbeitet und war dort in einer Gewerkschaft aktiv. Aber der Generalsekretär dieser Gewerkschaft ist Mitte der 80er Jahre zur Christdemokrati­schen Partei gegangen. Da er die Ge­werkschaft kontrollierte, habe ich diese verlassen. Später habe ich beim Comité de Unidad Cam­pesina (CUC; Komitee der bäu­erlichen Einheit) mitgearbei­tet. Anfang der 90er Jahre kam es im CUC zu internen Schwie­rig­keiten. Einige Gemeinden wa­ren unzufrieden mit der Politik der Führungskader des CUC. Die Ge­meinden kritisierten, daß die Kader die Organisation für ihre politischen Interessen benutzten und sich nicht mehr ausreichend um die Anliegen der Menschen vor Ort kümmerten. Es kam zur Spaltung, und so entstand 1992 CONIC. Innerhalb der neuen Or­ga­nisation wurde ich zum Ver­ant­wortlichen für die Bil­dungs­ar­beit gewählt, außerdem ko­or­di­nie­re ich die Arbeit von CONIC an der Südküste.

Welche Ziele verfolgt CO­NIC?

Der Kampf für die Wieder­ge­win­nung des Landes, das uns und unseren Vorfahren geraubt wur­de, ist das wichtigste Anlie­gen von CONIC. Die Beachtung der Menschenrechte, die Ar­beits­be­dingungen auf den Fincas, die Er­höhung des Mindestlohnes, der Erhalt der Maya-Kultur – auch das sind alles wichtige Ar­beits­bereiche von CONIC, das zen­trale Thema ist aber der Kampf um Land.
Diese Schwerpunktsetzung wur­de nicht von oben beschlos­sen, sie resultiert aus den realen Be­dürfnissen der Gemeinden, die sich in CONIC organisiert ha­ben. An der Gründung selbst wa­ren nur Gemeinden aus vier De­partements beteiligt, durch unse­ren konkreten Kampf kamen je­doch schnell immer mehr hinzu. Mitt­lerweile sind in CONIC 148 Ge­meinden aus 14 Departements des Landes or­ganisiert. Seit 1992 ha­ben wir 105 Caballerías Land (eine Ca­ballería entspricht 45 Hektar; Anm. d. Red.) erkämpft.

Wie funktioniert denn die Kon­taktaufnahme zu neuen, noch unorganisierten Gemein­den?

Hier sind die Erfahrungen an­de­rer Gemeinden von großer Be­deu­tung, zum Beispiel Santa Inés, die erste CONIC-Gemeinde an der Südküste, die ihren Kampf um Land erfolgreich be­endet hatte. Durch den Erfolg wur­de Santa Inés zum Vorbild für andere Gemeinden, und es gab eine Kettenreaktion in der Re­gion. Zuerst nahm Aztlán den Kampf auf, danach Nueva Cajolá und anschließend San Roque. Jetzt war auch San Roque erfolg­reich und gibt nun den umlie­gen­den Gemeinden den Mut, den Kampf für ihr Land aufzuneh­men. Die Leute kommen dann zu CO­NIC und wir fangen an, die Ge­meinde zu organisieren.

Wie sieht diese Arbeit konkret aus? Es ist sicherlich ein weiter Weg vom ersten Kontakt bis zur Ent­scheidung, Land zu be­set­zen.

Ja, natürlich. Zuerst sammeln wir Informationen: In vielen Ge­meinden gibt es alte Leute, die sich noch an die Zeit erinnern kön­nen, als das Land noch im Be­sitz der Gemeinde oder des Staa­tes war. Oft existieren sogar alte Besitzurkunden oder Unter­la­gen, die belegen, daß ein Fin­que­ro sich das Land unrechtmäs­sig angeeignet hat.
Bei CONIC haben wir juristi­sche Berater, die in einem zwei­ten Schritt dann in Archiven und den Grundbuchämtern nach Un­ter­lagen forschen, die den An­spruch der Gemeinde auf ihr Land untermauern. Sind diese Un­tersuchungen abgeschlossen, wer­den Verhandlungen mit dem INTA (Instituto Nacional de Trans­formación Agraria; staatliches Agrar­institut) und auch mit dem Fin­quero auf­ge­nom­men. Da das IN­TA je­doch mit den Finqueros un­ter einer Decke steckt, bleiben die­se Ver­hand­lungen meist er­geb­nislos. Da ist dann bereits ei­ni­ge Zeit ver­gangen und die Grup­pe hat ei­nen längeren Orga­ni­sa­tions­pro­zeß durchgemacht. Wir un­ter­stü­t­zen diesen mit Se­mi­naren und po­litischen Schu­lun­gen und be­reiten die Leute auf den Kampf vor. Eines Tages sind sie soweit und wollen das Land besetzen.
Die Gemeinde von San Ro­que, in der wir hier sind, mußte das Land zweimal beset­zen, um die Verhandlungen mit dem INTA voranzubringen. Mit der Be­setzung zwingen sie das INTA an den Verhandlungstisch. Wäh­rend der Verhandlungen ha­ben sie das Land wieder verlas­sen. Hät­te das INTA die Gesprä­che wei­ter verzögert, wären sie auch ein drittes Mal zur Beset­zung be­reit gewesen. Aber im ver­gan­ge­nen Jahr haben sie das Land er­hal­ten, ihr Kampf war er­folg­reich.

Nach der langen Zeit des Krie­ges und der Repression ha­ben die Menschen doch si­cher­lich Angst, eine Landbeset­zung zu wagen. Es gibt schließ­lich auch heute noch äußerst ge­walt­same Räumungen durch Po­lizei und Militär – mit Toten, Ver­letzten und Verhafteten. Wie geht CONIC mit dieser Angst um?

Während der achtziger Jahre, als die Repression am stärksten war, hatten die Campesinos/as na­tür­lich große Angst, sich zu orga­ni­sieren und vom Kampf um Land auch nur zu sprechen. Vie­le Bauern und Bäuerinnen haben nicht für ihre Forderungen ge­kämpft, aber selbst damals ha­ben ein­zelne Gemeinden wie San­ti­a­go Atitlán den Mut dazu auf­ge­bracht. Dort haben sich die Men­schen gegen einen Militär­stütz­punkt im Ort gewehrt. Sie haben sich der Armee entgegen­gestellt. 13 Menschen starben damals, aber sie haben ihren Kampf nicht auf­gegeben und schließlich ge­won­nen. Wenn die Menschen an­fangen, sich zu or­ganisieren, ver­lieren sie nach und nach auch ihre Angst.

Im vergangenen Jahr wurden die Gesetze gegen Landbeset­zun­gen verschärft. Welche Aus­wirkungen hat die Geset­zes­än­de­rung auf die Arbeit von CONIC?

Das neue Gesetz sieht Frei­heitsstrafen zwischen zwei und fünf Jahren für Landbesetzung vor, Bewährungsstrafen, Freilas­sung auf Kaution oder Geldstra­fen sind ausgeschlossen. Damit soll natürlich die Arbeit von Or­ga­nisationen wie CONIC getrof­fen werden, denn auch der Auf­ruf zu Landbesetzungen ist nun straf­bar. Somit müssen wir jetzt noch vor­sich­tiger als frü­her agieren, denn wir müssen un­bedingt ver­mei­den, daß Men­schen verhaftet wer­den. Daher: Kommt die Poli­zei, verlassen wir das besetzte Land. Sobald die Polizei weg ist, kom­men wir zurück.

Wie ver­sucht CONIC denn, die Ar­beits­be­din­gun­gen auf den Fin­cas zu ver­bessern?

Jedes Jahr er­stellt CONIC ei­nen Forderungskatalog für den lan­des­weit geltenden, ge­setzli­chen Mindestlohn auf den Fin­cas. An­hand der Preise, zum Bei­spiel für Kaffee, Baumwolle oder Zucker, sagen wir dann, daß der Mindestlohn für die ver­schie­de­nen Bereiche auf den oder den Be­trag hochgesetzt wer­den muß. Die­se Forderungen rich­ten wir an das Arbeits­mi­ni­ste­rium, das die Mindestlöhne fest­legt. Gleich­zeitig ver­öf­fent­li­chen wir die­se Listen in Zei­tun­gen und ma­chen Kundgebungen, um sie in den Re­gionen bekannt zu ma­chen. Gleichzeitig for­dern wir al­ler­dings auch Ver­bes­se­run­gen der Arbeitsbedingungen ins­ge­samt auf den Fincas.
Zudem unterstützen wir die Land­arbeiterInnen in ihrem Kampf um die Auszahlung der Löh­ne, wenn die Finqueros nicht zah­len. Dies ist oft ersteinmal eine juristische Auseinanderset­zung. Vor Gericht versuchen wir, die ausstehenden Löhne einzu­trei­ben.

Was passiert dann?

Viele Gesetze sind ja eindeu­tig zugunsten der Großgrundbe­sit­zer. Aber es gibt auch einige Ge­setze, mit denen sich durch­aus ar­beiten läßt. So kann das Ge­richt die Pfändung der Fin­ca oder eines Teils von ihr ver­fü­gen. Dieses Land erhalten dann die Gemeinden als Ent­schä­di­gung für den nicht ge­zahlten Lohn. Statt mit Geld werden die Cam­pesinos/as also mit Land be­zahlt.
Um den nötigen Druck auf die Ge­richte auszuüben, ist es aller­dings auch hierbei manchmal not­wendig, das Land ersteinmal zu besetzen. Der Kampf um bes­se­re Arbeitsbedingungen oder hö­here Löhne wird so immer wie­der auch zum Kampf um Land.
Gerade der Kampf für höhere Löh­ne scheitert manchmal je­doch an den Campesinos/as selbst. Durch die Mar­gina­li­sie­rung, in der sie seit Ewigkeiten le­ben, ge­ben sie sich mit viel zu we­nig zu­frieden.

Wenn nun eine Gemeinde Land erkämpft hat – bleibt sie dann innerhalb von CONIC or­ga­nisiert?

Ja, zum einen müssen die Ge­mein­den nun versuchen, von der Re­gierung Gesundheitsstationen Schu­len, Strom, Trink­was­ser oder eine Straße in ihre Ge­mein­de zu bekommen. Dabei un­ter­stützt sie CONIC mit den Er­fah­rungen, die wir aus anderen Ge­genden haben.
Zum anderen reicht es natür­lich nicht aus, Land zu besitzen. Die Menschen brauchen Hilfe beim Anbau und der Vermark­tung ihrer Produkte. Bei CONIC ar­beiten mittlerweile zwei Agrar­wis­senschaftler, die den Ge­mein­den zeigen, wie der Bo­den ge­schützt werden kann, was sie auf ih­rem Land anpflanzen können und wie sie dies am be­sten tun.

Hat CONIC dabei auch Kon­takt zu Nichtregierungsorgani­sa­tionen (NROs)?

Als CONIC sind wir nicht in der Lage, eigene Projekte durch­zu­führen. Deshalb versuchen wir, Kontakte zwischen Gemein­den und Nichtregierungsorgani­sa­tionen herzustellen. Und wir or­ganisieren einen Austausch zwi­schen verschiedenen Ge­mein­den. Dort erzählen sich die Leu­te dann, welche NRO in wel­chem Bereich tätig ist, wie sie zu erreichen ist und welche Erfah­rungen mit ihr gemacht wurden.
Dies ist Teil der Politik von CONIC: Die Menschen sollen zu­sammenkommen, sich ge­gen­sei­tig von ihrem Kampf und ih­ren Erfahrungen berichten, ihr Wis­sen und ihre Zu­kunftspläne den anderen Ge­meinden mit­tei­len.

Arbeitet ihr auch mit der Kir­che zusammen?

Mit einigen katholischen Pfar­rern haben wir sehr gute Erfah­run­gen gemacht. Sie unterstützen un­seren Kampf, vor allem mora­lisch. In einigen Fällen erhalten die Gemeinden auch humanitäre Un­terstützung von der Kirche, zum Beispiel Grundnah­rungs­mittel. Manchmal kommen wir über die Kirche auch an kon­kre­te Projekte für unsere Ge­mein­den, oder sie untertützen den landwirtschaftlichen Anbau durch Produktionskredite.

Ein anderes Thema. Welche Aus­wirkungen hat das Frie­dens­abkommen auf die Arbeit von CONIC und den Land­kampf?

Wir haben für sechs Monate sämt­liche Landbesetzungen ein­ge­stellt, damit niemand sagen kann, wir wür­den den Friedensprozeß stören. Wir machen mit unserer Organi­sa­tionsarbeit weiter und analy­sie­ren in unseren Gemeinden mit den Menschen das Abkommen. Se­hen wir in diesem halben Jahr je­doch keine wirklichen Fort­schrit­te bei der Umsetzung des Ab­kommens, werden wir unse­ren Kampf wieder aufnehmen.

Erwartet ihr durch das Frie­dens­abkommen denn konkrete Ver­besserungen für die Situa­tion auf dem Land?

Der Wert der Abkommens hängt hauptsächlich von der Be­reit­schaft der Regierung ab, Zu­ge­ständnisse an die ländliche Be­völ­kerung zu machen. So soll zum Beispiel ein Landfonds zum An­kauf von Ländereien einge­rich­tet werden. Ob dieser aller­dings den Campesinos/as oder den Groß­grundbesitzern nutzen wird, ist vor allem eine politische Fra­ge. Ansonsten gibt es ja nicht all­zu viele konkrete Festlegun­gen im Abkommen. Für uns ist der Frieden bis jetzt erst eine Mög­lichkeit. Das Ab­kommen wur­de unterschrie­ben, in Gua­te­ma­la herrscht aber erst dann Frie­den, wenn jeder Cam­pesino und jede Campesina Land hat, das er be­bau­en kann, wenn jeder Ar­beiter und jede Arbeiterin eine Ar­beit hat, wenn wir uns frei auf den Straßen und im Land be­we­gen kön­nen. Wenn dies alles er­reicht ist, dann werden wir sa­gen, in Gua­temala herrscht Frie­den.

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