Der Kampf um Land geht weiter
Interview mit Rafael Ordoñez von der Bauern- und Indígenaorganisation CONIC
Rafael, wie bist Du zu CONIC gekommen?
Ich habe früher lange Jahre auf einer Finca gearbeitet und war dort in einer Gewerkschaft aktiv. Aber der Generalsekretär dieser Gewerkschaft ist Mitte der 80er Jahre zur Christdemokratischen Partei gegangen. Da er die Gewerkschaft kontrollierte, habe ich diese verlassen. Später habe ich beim Comité de Unidad Campesina (CUC; Komitee der bäuerlichen Einheit) mitgearbeitet. Anfang der 90er Jahre kam es im CUC zu internen Schwierigkeiten. Einige Gemeinden waren unzufrieden mit der Politik der Führungskader des CUC. Die Gemeinden kritisierten, daß die Kader die Organisation für ihre politischen Interessen benutzten und sich nicht mehr ausreichend um die Anliegen der Menschen vor Ort kümmerten. Es kam zur Spaltung, und so entstand 1992 CONIC. Innerhalb der neuen Organisation wurde ich zum Verantwortlichen für die Bildungsarbeit gewählt, außerdem koordiniere ich die Arbeit von CONIC an der Südküste.
Welche Ziele verfolgt CONIC?
Der Kampf für die Wiedergewinnung des Landes, das uns und unseren Vorfahren geraubt wurde, ist das wichtigste Anliegen von CONIC. Die Beachtung der Menschenrechte, die Arbeitsbedingungen auf den Fincas, die Erhöhung des Mindestlohnes, der Erhalt der Maya-Kultur – auch das sind alles wichtige Arbeitsbereiche von CONIC, das zentrale Thema ist aber der Kampf um Land.
Diese Schwerpunktsetzung wurde nicht von oben beschlossen, sie resultiert aus den realen Bedürfnissen der Gemeinden, die sich in CONIC organisiert haben. An der Gründung selbst waren nur Gemeinden aus vier Departements beteiligt, durch unseren konkreten Kampf kamen jedoch schnell immer mehr hinzu. Mittlerweile sind in CONIC 148 Gemeinden aus 14 Departements des Landes organisiert. Seit 1992 haben wir 105 Caballerías Land (eine Caballería entspricht 45 Hektar; Anm. d. Red.) erkämpft.
Wie funktioniert denn die Kontaktaufnahme zu neuen, noch unorganisierten Gemeinden?
Hier sind die Erfahrungen anderer Gemeinden von großer Bedeutung, zum Beispiel Santa Inés, die erste CONIC-Gemeinde an der Südküste, die ihren Kampf um Land erfolgreich beendet hatte. Durch den Erfolg wurde Santa Inés zum Vorbild für andere Gemeinden, und es gab eine Kettenreaktion in der Region. Zuerst nahm Aztlán den Kampf auf, danach Nueva Cajolá und anschließend San Roque. Jetzt war auch San Roque erfolgreich und gibt nun den umliegenden Gemeinden den Mut, den Kampf für ihr Land aufzunehmen. Die Leute kommen dann zu CONIC und wir fangen an, die Gemeinde zu organisieren.
Wie sieht diese Arbeit konkret aus? Es ist sicherlich ein weiter Weg vom ersten Kontakt bis zur Entscheidung, Land zu besetzen.
Ja, natürlich. Zuerst sammeln wir Informationen: In vielen Gemeinden gibt es alte Leute, die sich noch an die Zeit erinnern können, als das Land noch im Besitz der Gemeinde oder des Staates war. Oft existieren sogar alte Besitzurkunden oder Unterlagen, die belegen, daß ein Finquero sich das Land unrechtmässig angeeignet hat.
Bei CONIC haben wir juristische Berater, die in einem zweiten Schritt dann in Archiven und den Grundbuchämtern nach Unterlagen forschen, die den Anspruch der Gemeinde auf ihr Land untermauern. Sind diese Untersuchungen abgeschlossen, werden Verhandlungen mit dem INTA (Instituto Nacional de Transformación Agraria; staatliches Agrarinstitut) und auch mit dem Finquero aufgenommen. Da das INTA jedoch mit den Finqueros unter einer Decke steckt, bleiben diese Verhandlungen meist ergebnislos. Da ist dann bereits einige Zeit vergangen und die Gruppe hat einen längeren Organisationsprozeß durchgemacht. Wir unterstützen diesen mit Seminaren und politischen Schulungen und bereiten die Leute auf den Kampf vor. Eines Tages sind sie soweit und wollen das Land besetzen.
Die Gemeinde von San Roque, in der wir hier sind, mußte das Land zweimal besetzen, um die Verhandlungen mit dem INTA voranzubringen. Mit der Besetzung zwingen sie das INTA an den Verhandlungstisch. Während der Verhandlungen haben sie das Land wieder verlassen. Hätte das INTA die Gespräche weiter verzögert, wären sie auch ein drittes Mal zur Besetzung bereit gewesen. Aber im vergangenen Jahr haben sie das Land erhalten, ihr Kampf war erfolgreich.
Nach der langen Zeit des Krieges und der Repression haben die Menschen doch sicherlich Angst, eine Landbesetzung zu wagen. Es gibt schließlich auch heute noch äußerst gewaltsame Räumungen durch Polizei und Militär – mit Toten, Verletzten und Verhafteten. Wie geht CONIC mit dieser Angst um?
Während der achtziger Jahre, als die Repression am stärksten war, hatten die Campesinos/as natürlich große Angst, sich zu organisieren und vom Kampf um Land auch nur zu sprechen. Viele Bauern und Bäuerinnen haben nicht für ihre Forderungen gekämpft, aber selbst damals haben einzelne Gemeinden wie Santiago Atitlán den Mut dazu aufgebracht. Dort haben sich die Menschen gegen einen Militärstützpunkt im Ort gewehrt. Sie haben sich der Armee entgegengestellt. 13 Menschen starben damals, aber sie haben ihren Kampf nicht aufgegeben und schließlich gewonnen. Wenn die Menschen anfangen, sich zu organisieren, verlieren sie nach und nach auch ihre Angst.
Im vergangenen Jahr wurden die Gesetze gegen Landbesetzungen verschärft. Welche Auswirkungen hat die Gesetzesänderung auf die Arbeit von CONIC?
Das neue Gesetz sieht Freiheitsstrafen zwischen zwei und fünf Jahren für Landbesetzung vor, Bewährungsstrafen, Freilassung auf Kaution oder Geldstrafen sind ausgeschlossen. Damit soll natürlich die Arbeit von Organisationen wie CONIC getroffen werden, denn auch der Aufruf zu Landbesetzungen ist nun strafbar. Somit müssen wir jetzt noch vorsichtiger als früher agieren, denn wir müssen unbedingt vermeiden, daß Menschen verhaftet werden. Daher: Kommt die Polizei, verlassen wir das besetzte Land. Sobald die Polizei weg ist, kommen wir zurück.
Wie versucht CONIC denn, die Arbeitsbedingungen auf den Fincas zu verbessern?
Jedes Jahr erstellt CONIC einen Forderungskatalog für den landesweit geltenden, gesetzlichen Mindestlohn auf den Fincas. Anhand der Preise, zum Beispiel für Kaffee, Baumwolle oder Zucker, sagen wir dann, daß der Mindestlohn für die verschiedenen Bereiche auf den oder den Betrag hochgesetzt werden muß. Diese Forderungen richten wir an das Arbeitsministerium, das die Mindestlöhne festlegt. Gleichzeitig veröffentlichen wir diese Listen in Zeitungen und machen Kundgebungen, um sie in den Regionen bekannt zu machen. Gleichzeitig fordern wir allerdings auch Verbesserungen der Arbeitsbedingungen insgesamt auf den Fincas.
Zudem unterstützen wir die LandarbeiterInnen in ihrem Kampf um die Auszahlung der Löhne, wenn die Finqueros nicht zahlen. Dies ist oft ersteinmal eine juristische Auseinandersetzung. Vor Gericht versuchen wir, die ausstehenden Löhne einzutreiben.
Was passiert dann?
Viele Gesetze sind ja eindeutig zugunsten der Großgrundbesitzer. Aber es gibt auch einige Gesetze, mit denen sich durchaus arbeiten läßt. So kann das Gericht die Pfändung der Finca oder eines Teils von ihr verfügen. Dieses Land erhalten dann die Gemeinden als Entschädigung für den nicht gezahlten Lohn. Statt mit Geld werden die Campesinos/as also mit Land bezahlt.
Um den nötigen Druck auf die Gerichte auszuüben, ist es allerdings auch hierbei manchmal notwendig, das Land ersteinmal zu besetzen. Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen oder höhere Löhne wird so immer wieder auch zum Kampf um Land.
Gerade der Kampf für höhere Löhne scheitert manchmal jedoch an den Campesinos/as selbst. Durch die Marginalisierung, in der sie seit Ewigkeiten leben, geben sie sich mit viel zu wenig zufrieden.
Wenn nun eine Gemeinde Land erkämpft hat – bleibt sie dann innerhalb von CONIC organisiert?
Ja, zum einen müssen die Gemeinden nun versuchen, von der Regierung Gesundheitsstationen Schulen, Strom, Trinkwasser oder eine Straße in ihre Gemeinde zu bekommen. Dabei unterstützt sie CONIC mit den Erfahrungen, die wir aus anderen Gegenden haben.
Zum anderen reicht es natürlich nicht aus, Land zu besitzen. Die Menschen brauchen Hilfe beim Anbau und der Vermarktung ihrer Produkte. Bei CONIC arbeiten mittlerweile zwei Agrarwissenschaftler, die den Gemeinden zeigen, wie der Boden geschützt werden kann, was sie auf ihrem Land anpflanzen können und wie sie dies am besten tun.
Hat CONIC dabei auch Kontakt zu Nichtregierungsorganisationen (NROs)?
Als CONIC sind wir nicht in der Lage, eigene Projekte durchzuführen. Deshalb versuchen wir, Kontakte zwischen Gemeinden und Nichtregierungsorganisationen herzustellen. Und wir organisieren einen Austausch zwischen verschiedenen Gemeinden. Dort erzählen sich die Leute dann, welche NRO in welchem Bereich tätig ist, wie sie zu erreichen ist und welche Erfahrungen mit ihr gemacht wurden.
Dies ist Teil der Politik von CONIC: Die Menschen sollen zusammenkommen, sich gegenseitig von ihrem Kampf und ihren Erfahrungen berichten, ihr Wissen und ihre Zukunftspläne den anderen Gemeinden mitteilen.
Arbeitet ihr auch mit der Kirche zusammen?
Mit einigen katholischen Pfarrern haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Sie unterstützen unseren Kampf, vor allem moralisch. In einigen Fällen erhalten die Gemeinden auch humanitäre Unterstützung von der Kirche, zum Beispiel Grundnahrungsmittel. Manchmal kommen wir über die Kirche auch an konkrete Projekte für unsere Gemeinden, oder sie untertützen den landwirtschaftlichen Anbau durch Produktionskredite.
Ein anderes Thema. Welche Auswirkungen hat das Friedensabkommen auf die Arbeit von CONIC und den Landkampf?
Wir haben für sechs Monate sämtliche Landbesetzungen eingestellt, damit niemand sagen kann, wir würden den Friedensprozeß stören. Wir machen mit unserer Organisationsarbeit weiter und analysieren in unseren Gemeinden mit den Menschen das Abkommen. Sehen wir in diesem halben Jahr jedoch keine wirklichen Fortschritte bei der Umsetzung des Abkommens, werden wir unseren Kampf wieder aufnehmen.
Erwartet ihr durch das Friedensabkommen denn konkrete Verbesserungen für die Situation auf dem Land?
Der Wert der Abkommens hängt hauptsächlich von der Bereitschaft der Regierung ab, Zugeständnisse an die ländliche Bevölkerung zu machen. So soll zum Beispiel ein Landfonds zum Ankauf von Ländereien eingerichtet werden. Ob dieser allerdings den Campesinos/as oder den Großgrundbesitzern nutzen wird, ist vor allem eine politische Frage. Ansonsten gibt es ja nicht allzu viele konkrete Festlegungen im Abkommen. Für uns ist der Frieden bis jetzt erst eine Möglichkeit. Das Abkommen wurde unterschrieben, in Guatemala herrscht aber erst dann Frieden, wenn jeder Campesino und jede Campesina Land hat, das er bebauen kann, wenn jeder Arbeiter und jede Arbeiterin eine Arbeit hat, wenn wir uns frei auf den Straßen und im Land bewegen können. Wenn dies alles erreicht ist, dann werden wir sagen, in Guatemala herrscht Frieden.