Nummer 321 - März 2001 | Peru

Der Nachlass eines untergegangenen Regimes

In Peru kommen immer mehr Erkenntnisse über das Montesinos-Fujimori-Regime ans Licht

Über den peruanischen Wahlkampf haben sich Schatten der Vergangenheit gelegt. Die Medien beschäftigen sich fast ausschließlich mit einer Video-Sammlung aus dem Archiv des Geheimdiensts SIN. Die Filme zeigen: Vladimiro Montesinos war in den letzten Jahren nicht nur der Boss einer Mafia, sondern auch faktischer Staatschef.

Rolf Schröder

Fernando Olivera, Kandidat für die peruanischen Präsidentschaftswahlen am 8. April, tritt im Wahlkampf vorzugsweise mit einem Besen auf. Damit will er nicht nur seine Mitbewerber um das höchste Amt der Republik hinwegfegen. Oberstes Ziel des ehemaligen Staatsanwaltes ist es, mit der Korruption aufzuräumen. Sein Wahlkampfslogan lautet „Ehrlichkeit, Ehrlichkeit, Arbeit“, seine Partei mit dem viel versprechenden Namen Unabhängige Moralische Front (FIM) führt den Besen im Logo. Olivera gefällt sich in der Rolle des Anklägers: Er führte der Öffentlichkeit im September letzten Jahres jenen Videostreifen vor, der zum Sturz des Montesinos-Fujimori-Regimes führte. Darauf war zu sehen, wie der damalige Präsidentenberater und faktische Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos den Oppositionsabgeordneten Alberto Kouri mit 15.000 US-Dollar besticht.

Vladimiro sorgt für alle

Nun muss Olivera im Kreise seiner engsten Parteigenossen kehren. Ernesto Gamarra, Abgeordneter der FIM und langjähriger Mitstreiter Oliveras an der moralischen Front, vertrat seine Partei als Vizepräsident in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Fall Montesinos. Dessen Mitglieder staunten nicht schlecht, als sie sich bei der Sichtung von Beweismaterial einen Videofilm anschauten, in dem Gamarra selbst auftauchte. Zu sehen war eine Szene aus dem letzten Jahr: Ein gewisser Luís Venero, dessen
Bruder Alberto zusammen mit Montesinos Waffen an die kolumbianische FARC-Guerilla lieferte, zahlt Gamarra 3.000 Dollar aus. Gamarra verpflichtet sich im Gegenzug, die Öffentlichkeit mit falschen Hinweisen zum illegalen Waffenhandel zu versorgen.
Obwohl sich Olivera umgehend von Gamarra trennte, ist die Glaubwürdigkeit seiner Moralischen Front dahin. Sein Trost: Auch andere Präsidentschaftskandidaten erwischte es. Die sozialdemokratische APRA, die den aus dem Exil zurückgekehrten Ex-Präsidenten Alán García ins Rennen schickt, musste sich von ihrem ehemaligen Innenminister Agustín Mantilla trennen. Der wurde gefilmt, als er 30.000 Dollar von Montesinos entgegennahm und versprach, sich im Wahlkampf des Jahres 2000 mit Angriffen gegen Fujimori zurückzuhalten. Alejandro Toledos Wahlbündnis Perú Posible strich seine Kongressabgeordnete Milagros Huamán Lu wegen eines kompromittierenden Videos mit Montesinos von der aktuellen Wahlliste. Und schließlich traf es auch die Kandidatin Lourdes Flores, Mitglied der konservativen PPC (Partido Popular Cristiano) und Gründerin des Wahlbündnisses Unidad Nacional. Ihr Parteigenosse Luís Bedoya, Bürgermeister in Limas feinem Stadtteil Miraflores, wurde sogar vorübergehend verhaftet, nachdem per Video bekannt wurde, dass er von Montesinos Geld angenommen hatte.
Videos und immer wieder Videos. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte nach Montesinos’ Flucht im November letzten Jahres Hunderte von Videokassetten aus dessen Wohnung. Der ehemalige Geheimdienstchef hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, seine Spitzel und Kollaborateure bei der Bezahlung ihrer Dienste oder bei Besprechungen filmen zu lassen. Die Inhalte dieser Filme, in den Medien Vladivideos genannt, beschäftigen die peruanische Öffentlichkeit zurzeit mehr als der Wahlkampf. Sie können den Ausgang der Präsidentschaftswahlen entscheidend beeinflussen. Alle Kandidaten leben mit der Furcht, vor den Wahlen könnte belastendes Videomaterial gegen weitere Politiker aus ihren Reihen auftauchen.
Dabei hat Montesinos die brisantesten Streifen vermutlich vor seiner Flucht vernichtet oder versteckt. Auch der damalige Präsident Fujimori, der verschiedene Wohnungen seines Beraters nach dessen Abtauchen ohne Staatsanwalt oder richterlichen Durchsuchungsbefehl persönlich durchkämmte, hat wahrscheinlich ihn selbst belastendes Material sichergestellt und mit nach Japan genommen. Darauf deutet die Tatsache hin, dass Fujimori auf allen Filmen, die sich jetzt im Besitz der Staatsanwaltschaft befinden, entweder gar nicht oder nur am Rande auftaucht.

Der faktische Staatschef

Das Gesamtbild, zu dem sich die Mosaiksteinchen der Videos verdichten, ist so neu nicht. Schon zuvor war bekannt: Vladimiro Montesinos, dessen illegal erworbenes Vermögen auf knapp eine Milliarde Dollar geschätzt wird, war der Kopf einer Mafia, die sich mit Drogen- und Waffenhandel, Erpressungen von Unternehmen, der Privatisierung von öffentlichen Unternehmen oder der Einflussnahme auf Gerichtsurteile hemmungslos bereichert hat (vgl. LN 319). Minister, hohe Beamte, die Armeespitze, Funktionäre und Unternehmer waren die Profiteure einer systematischen staatlichen Korruption, deren Geflecht verschiedene gesellschaftliche Sektoren durchzog.
Dennoch nimmt die Bevölkerung die Veröffentlichung der
Videos mit Interesse auf. Denn die Vladivideos zeigen – wenn auch unvollständig –, welche Oppositionsabgeordneten, Staatsanwälte, Richter, Unternehmer oder Journalisten im Dienst der Mafia standen und wie sie dafür entlohnt wurden. Zum Beispiel überzeugte Montesinos den Besitzer des Fernsehkanals 4, José Francisco Crousillat, mit der monatlichen Zahlung von 1,5 Millionen Dollar, seinen Sender zum Sprachrohr der Regierung zu machen. Crousillat verpflichtete sich vertraglich, politische Sendungen zu eliminieren und keine Wahlspots von Oppositionsparteien zuzulassen. Eduardo Calmell, Direktor des einst angesehenen Blattes Expreso, gab sich dagegen mit zwei Millionen Dollar auf die Hand zufrieden.

Wie die Wirtschaft wuchs

Die Filmstreifen geben deutlich Auskunft über die tatsächlichen Machtverhältnisse während der vergangenen zehn Jahre: Vladimiro Montesinos war nicht nur faktischer Geheimdienstchef, sondern auch faktischer Staatschef. Der Mann im Hintergrund kontrollierte direkt Justiz, Parlament, Streitkräfte, Medien und alle Behörden. Er schmiedete politische Bündnisse, verteilte Bestechungsgelder, setzte die Verabschiedung von Gesetzen durch und instruierte die Abgeordneten der Regierungsfraktion. Sein Komplize Fujimori repräsentierte das Regime lediglich nach außen.
Auch um die Sorgen der Wirtschaftsbosse kümmerte sich Montesinos. Dionisio Romero, mächtigster Unternehmer und Banker im Land, bat Montesinos persönlich, den Konkurs des Fischmehlunternehmens Hayduk zu verhindern, dem Romeros Banco de Crédito großzügig Kredite ausgezahlt hatte. Der Geheimdienstchef erteilte den mit dem Konkursverfahren beauftragten Justizbeamten entsprechende Anweisungen. Romero, der sein Wirtschaftsimperium in den letzten zehn Jahren beträchtlich ausweitete, nahm auch an wichtigen Beratungen teil. Ein Videostreifen zeigt, wie Romero und Montesinos mit führenden Generälen vor den Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr darüber diskutieren, ob man Fujimori schon nach dem ersten oder erst nach dem zweiten Wahlgang zum Sieger erklären solle.
Der US-Firma Newmont, die 51 Prozent der Anteile an der Yanacocha-Mine hält – der im peruanischen Cajamarca gelegenen, mittlerweile weltweit größten Goldmine –, hat Montesinos Umsätze von mehreren Hundert Millionen Dollar im Jahr zu verdanken. Als ein Schiedsgericht über die Anteile einiger Firmen an der Mine zu entscheiden hatte, intervenierte Montesinos persönlich zu Gunsten von Newmont. Auch das ist per Video belegt. Kein Wunder, dass bei solch rosigen Aussichten für US-Firmen einem weiteren Vladivideo zufolge der damalige US-Botschafter John Hamilton Montesinos zusicherte, die USA würden sich bei einer verfassungswidrigen dritten Kandidatur Fujimoris neutral verhalten. Wie die Unternehmensgruppe Romero oder die Firma Newmont sich für Montesinos’ Dienste bedankt haben, ist nicht bekannt.
Wenigstens sitzen führende Persönlichkeiten des alten Regimes
inzwischen hinter Gittern: die beiden letzten Oberkommandierenden der Streitkräfte des Regimes José Villanueva und Walter Chacón, der langjährige Polizeichef Fernando Dianderas, der ehemalige Vorsitzende der Wahlbehörde JNE und zwei Richter des Obersten Gerichtshofs. Auch Montesinos’ Schwester und seine Geliebte, auf deren Konten Millionenbeträge auftauchten, sitzen ein. Andere Kollaborateure der Mafia stehen unter Hausarrest. Einigen wenigen gelang es, sich rechtzeitig ins Ausland abzusetzen. Unter ihnen der Boss selbst, dessen Spuren sich in Venezuela verloren.
Ob wirklich alle Beteiligten ihren Vergehen entsprechend verurteilt werden, bleibt abzuwarten. Noch befinden sich einige von Montesinos Leuten in Justiz,
Medien und Kongress. Die verbliebenen Politiker aus Fujimoris Regierungsfraktion verteidigen das untergegangene Regime mit solcher Vehemenz, dass man glauben könnte, sie würden immer noch von Montesinos bezahlt. Sie behaupten, die Korruption wuchere in allen Parteien und Institutionen, die Praktiken der Fujimori-Regierung seien also nicht außergewöhnlich.
Nicolás Lúcar, politischer Agitator im gekauften Kanal 4 José Francisco Crousillats, versuchte Ende Januar sogar – selbstverständlich ohne Beweis –, den als integer geltenden Präsidenten Paniagua zu beschuldigen, Geld von Montesinos kassiert zu haben. Der empörte Präsident rief Lúcar daraufhin während der Sendung an, beschwerte sich und knallte den Hörer auf.
Noch dreister als Lúcar, der schließlich gefeuert wurde und in Costa Rica um politisches Asyl bat, tritt Carlos Boloña auf, der letzte Wirtschaftsminister des Regimes. Der glühende Neoliberale, der zu den engsten Vertrauten von Montesinos zählte, kandidiert bei den kommenden Präsidentschaftswahlen. Sein Hauptziel: die Bekämpfung der Korruption.

KASTEN

Dritter Weg gegen Opus Dei

Die wichtigsten Kandidaten der peruanischen Präsidentschaftswahlen

Die herausragenden Themen im diesjährigen Wahlkampf sind Arbeitslosigkeit und Korruption. Deshalb besitzt der Kandidat Carlos Boloña (50) bis November Wirtschaftsminister des korrupten Montesinos-Fujimori-Regimes, zum Glück keine Chance. Dagegen benimmt sich Alejandro Toledo (54) seit Monaten so, als sei er schon gewählt worden. Wie selbstverständlich reiste er zur Amtseinführung des mexikanischen Präsidenten Vicente Fox und mischte sich unter die anwesenden Staatschefs der Region. Immerhin: Toledo, der bei den letztjährigen Präsidentschaftswahlen um den Sieg betrogen wurde, kann sich den großen Verdienst anrechnen, den Widerstand gegen das Montesinos-Fujimori-Regime angeführt zu haben.
Doch Toledo kommt schlecht damit zurecht, dass er kein Oppositionsführer mehr ist. Im Gegensatz zum letzten Jahr muss er jetzt selbst Position beziehen, und das fällt ihm schwer. Niemand versteht so richtig, wohin der von ihm propagierte dritte Weg führen soll, den seine Vorbilder Tony Blair und Bill Clinton angeblich beschritten haben. Toledo füllt im Wahlkampf zwar noch Plätze und Straßen, doch die Menschen vermissen in seinen Worten eine klare Botschaft. Toledos Angst, sich festzulegen oder einen Fehler zu begehen, könnte ihm zum Verhängnis werden.
Neben Toledo schafft es nur noch ein Kandidat, die Massen zu mobilisieren: Ex-Präsident Alan García (51) der Ende Januar aus seinem neunjährigen Exil in Kolumbien und Frankreich zurückgekehrt ist. García spricht eine klare Sprache und ist ein begnadeter Redner. Als einziger Kandidat führt García einen linken Diskurs und bezieht eindeutig Front gegen neoliberale Wirtschaftspolitik. Doch seine Regierungszeit von 1985 bis 1990 steht für Inkompetenz und Korruption. Er hinterließ ein vom Bürgerkrieg zerrüttetes Land und eine Inflation von 7.600 Prozent. García trägt zudem die politische Verantwortung für die Ermordung von 80 meuternden Gefangenen in der Haftanstalt El Frontón im Jahre 1986. Vor allem sind es aber die zahlreichen Korruptionsskandale Garcías, die seinem erneuten Einzug in den Präsidentenpalast im Wege stehen.
García liegt in den Umfragen aber immerhin vor Fernando Olivera (42) dem Chef der Unabhängigen Moralischen Front (FIM), deren wichtigstes Thema schon seit Jahren die Korruption ist. Während der Präsidentschaft Fujimoris interessierte sich Olivera allerdings mehr für die Korruptionsskandale Alan Garcías als für jene der Regierungsmafia. So entging ihm, dass sein langjähriger Kampfgefährte an der moralischen Front, der FIM-Abgeordnete Ernesto Gamarra, selbst von Montesinos bestochen wurde. Dieses Versäumnis warf Olivera in den Umfragen deutlich zurück.
Die Entscheidung wird wahrscheinlich zwischen Alejandro Toledo und Lourdes Flores (41) fallen. Flores, langjähriges Mitglied der Christlichen Volkspartei (PPC) gründete mit dem Opus-Dei-Mann und langjährigen Fujimori-Kollaborateur Rafael Rey das Wahlbündnis Unidad Nacional. Vor einem Jahr hatte Rey noch auf den Kandidaten Federico Salas gesetzt, den Montesinos nach dem Wahlbetrug für 30.000 US-Dollar Monatsgehalt als neuen Ministerpräsidenten einkaufte. Auf der Parlamentsliste von Unidad Nacional kandidieren ebenfalls verschiedene Fujimori-Kollaborateure und Opus-Dei-Mitglieder.
Flores kommt in den Umfragen immer näher an Toledo heran. Die Gründe: Flores gilt als integrer und genießt die Unterstützung der Medien – besonders jener, die sich vorher an Montesinos verkauft hatten. Und viele PeruanerInnen trauen einer Frau mehr Standvermögen gegen die Versuchungen der Korruption zu. Toledo muss sich anstrengen. Sonst droht er abermals zur tragischen Figur der Wahlen zu werden.

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