Kuba | Nummer 277/278 - Juli/August 1997

“Der Privatsektor hat nur marginale Be­deu­tung”

Interview mit dem Sekretär der kubanischen Botschaft Gerardo Peñalver Por­tal vom 4. Mai 1997

Knut Henkel

Die offizielle Arbeitslosen­quo­te in Kuba be­trägt knapp acht Pro­zent. Allerdings müs­sen viele KubanerInnen nur wenige Stun­den am Tag arbeiten, weil die Betriebe bei­spiels­weise keine Roh­stoffe für die Produktion ha­ben oder weil sie aufgrund von Ra­tio­nali­sierungen beur­laubt werden. Kubanischen Schätz­ungen zufolge müssen über kurz oder lang rund 500.000 bis 800.000 Leute ent­las­sen wer­den. Wie will die ku­ba­ni­sche Regierung die­ser Massen­arbeitslosigkeit begeg­nen?

Unterbeschäftigung ist ein ernst­zuneh­men­des Problem in Ku­ba. Sie hängt mit unse­rer hi­s­tor­ischen Entwicklung zusam­men. Wir ha­ben ein Ausbil­dungs­system aufgebaut, das die Aus­bildung von Geistes­wis­sen­schaft­ler­In­nen stark fördert. Al­ler­dings fehlt es uns an Tech­niker­Innen, IngenieurInnen usw. im pro­duk­tivem Bereich. Kuba ist ein Agrarland und die Zahl der Fachleute in diesem und im in­dus­triellen Sektor ist verhält­nis­mäßig nie­drig. Dieses Miß­ver­hältnis muß langfristig ver­än­dert wer­den, die Arbeit in der Land­wirt­schaft, aber auch im in­dus­triellen Sektor muß wieder at­trak­tiver werden. Wir brauchen wen­iger Menschen im Dienstlei­stungs­bereich und mehr im ge­werb­lichen Bereich. Deshalb wird das Ausbildungssystem um­strukturiert wer­den. Außer­dem müs­sen die Leute mobiler wer­den und bereit sein, aus den Zen­tren des Lan­des in die Pro­vinz zu gehen.

Aber eine Veränderung der Aus­bil­dungs­struktur wird allein kaum ausrei­chen, um die stei­gen­de Arbeitslosenquote zu re­du­zieren!

Ja, es gibt viele Sektoren der ku­ba­ni­schen Wirtschaft, in denen Fa­briken ge­schlos­sen werden oder die Belegschaft re­du­ziert wird. In einigen Betrieben teilen sich drei Leute die Arbeit, die eine Person pro­blem­los schaffen kön­nte. Das können wir uns nicht mehr leisten, denn wir müs­sen uns in den internationa­len Markt integrieren, uns den al­lgemeinen Produktions-, Effi­zienz- und Kosten­kriterien an­pas­sen. Diejenigen, die durch die Schließungen arbeitslos werden, wer­den oftmals nicht in ihrem eigent­lichen Be­ruf weiterarbei­ten können. Das ist eine schmerz­liche Erfahrung, aber es hilft nichts. Der Staat wird auch weiter­hin jedem und je­der Kuba­nerIn einen Arbeitsplatz ga­rantie­ren, aber den Arbeitslo­sen wer­den Arbeits­plätze in den Be­reichen angeboten bekommen, wo es einen Arbeitskräftemangel gibt – in der Landwirtschaft oder in der Bau­wirt­schaft. Die dritte Mö­glichkeit für sie besteht da­rin, sich eine Nische im kubani­schen Pri­vat­sektor zu suchen, in dem rund 200.000 Selb­ständige ar­beiten.

Allerdings haben rund 25 Pro­zent der etwa 200.000 Selb­stän­digen im letzten Jahr das Hand­tuch geworfen und ihre Li­zenz zu­rück­gegeben. Ist es unter den derzeitigen Ge­ge­ben­hei­ten überhaupt reali­s­tisch zu glau­ben, daß Arbeitsu­chende ihr Glück im Pri­vat­sektor fin­den können?

Es ist in der Tat so, daß die Zahl der Selb­ständigen auf etwa 160.000 gesunken ist. Da wir vor­her kein Steuersystem hatten, ha­ben mit der Einführung des pro­gressiven Steuer­systems die Selb­ständigen eine neue, zum Teil bittere Erfahrung machen müs­sen. Die­jenigen, die im Gas­tro­nomiebereich tätig sind, ver­dien­ten vorher zwischen 2.500 und 3.500 Peso im Monat und zahl­ten etwa 100 Peso Abgaben. Das ist nun vorbei. Zudem wur­den Kontrollen sowohl von steu­er­licher Seite als auch den Kauf der Lebensmittel be­tref­fend er­wei­tert. Hinzu kommen neue Be­stim­mungen vom Gesund­heits­amt, aber auch die steigende Kon­kur­renz, wodurch sich die Qua­lität vieler Produkte verbes­sert hat. Nicht alle Selbständigen kon­nten oder wollten da mithal­ten.
Die Zunahme an Betriebs­kon­trol­len wie Re­vi­sionen und In­ven­turen, hat den Dieb­stahl von Res­sourcen eingeschränkt. Auch das hatte Folgen für den Privat­sek­tor. Ge­stoh­lene Pro­dukte sind nun einmal billiger zu kaufen als legal erworbene. Wenn ein Re­stau­rant das benö­tigte Mehl, das Bier u.a. zum Ladenpreis kaufen muß, muß es neu kal­kulieren.

Ist die Erweiterung der Mög­lich­keiten, auf ei­gene Rechnung zu arbeiten, für die kuba­ni­sche Re­gierung trotz ideologischer Pro­ble­me eine Option gegen stei­gende Ar­beits­losen­zahlen?

Der Grund für die Zulassung des Privat­be­reichs war, die Ver­sor­gung der Be­völ­ker­ung zu ver­bessern. Das Angebot sollte er­wei­tert und die Ernährung ver­bes­sert wer­den, besonders in den Be­reichen, wo der Staat dazu nicht in der Lage war. Dieser Pro­zeß ist unumkehrbar. Auf der an­deren Seite ist die “Arbeit auf ei­gene Rechnung” keine Quelle so­zialistischen Bewußtseins. Die Ein­kommenspyramide wurde auf den Kopf ge­stellt, weil die Selb­stän­digen zumeist besser le­ben, als der Rest der Bevölkerung. Aber das ist nun mal so. Ziel des Staates ist es aller­dings nicht, daß sich die Händler von Tag zu Tag mehr bereichern, sondern die Be­dürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen – nicht eine reiche Klas­se in Kuba zu erzeu­gen. Aus diesem Grunde ist es auch not­wen­dig, diesen Sektor zu kon­trol­lieren, damit der vorge­gebene ge­setzliche Rahmen einge­hal­ten wird. In der Tat ist es so, daß vom so­zialistischen Standpunkt aus die Er­weiterung des Privat­sek­tors über ein ge­wisses Maß hi­naus nicht vertret­bar ist.

Was wird sich an der Versor­gung des Privat­sektors verän­dern? Bisher hatten die “Pri­vaten” es äußerst schwer Mate­rialien und Res­sourcen legal zu er­werben – in vielen Be­rei­chen mußten sie quasi zu halblegalen Me­tho­den greifen, um Produk­tions­materialien zu kau­fen, weil die staatlichen Betriebe ihnen nichts verkaufen durften. Wer­den Groß­mär­kte, wie für die pri­vaten Re­stau­rant­be­trei­ber­Innen ge­plant, auch für Hand­werker und andere eingeführt werden?

Die Versorgung des Pri­vat­sek­tors kann keine Priorität ge­nie­ßen, da es an allen Ecken und En­den an Produktionsmate­ria­lien, an Rohstoffen oder Halb­fer­tig­produkten fehlt. Es kann also nur Stück für Stück vor­an­ge­hen.
Seit über dreißig Jahren gab es keinen Privat­besitz in Kuba. Dies hat sich nun in den letzten Jah­ren geändert, da die ökonomi­sche Situation es gebot. Was aber fehlt, sind Er­fahrungen: die Er­fahrungen, wie man so etwas kon­trolliert, wie man verkauft, wie man die Produktion ver­marktet. Das braucht alles Zeit und hängt auch davon ab, wie sich das ganze Land entwickelt und wie die wirt­schaft­liche Er­hol­ung weiter voranschreitet. Unser Hauptziel ist, die Exporte zu steigern, um der Bevölkerung mehr Reis, mehr Milch, mehr Brot und mehr Nahrungsmittel ga­ran­tieren zu können. Wir wollen nicht vorrangig den Pri­vat­sektor ent­wickeln oder den Pri­vat­be­sitz för­dern. Der Pri­vatsektor ist ein zu­sätz­liches Mittel, um die Ver­sor­gung der Be­völ­ker­ung zu ver­bes­sern, nicht mehr und nicht we­niger. Letzt­lich hat der Pri­vat­sek­tor nur eine marginale Be­deu­tung für die wirt­schaft­liche Ent­wick­lung Ku­bas. Die wichtig­sten Ein­nahmequellen für Kuba sind der Tou­rismus, der Zucker- und Nickel­export so­wie die Ausfuhr von Tabak und Meeres­pro­duk­ten. In allen diesen Bereichen spielt die Pri­vat­initiative keine Rolle.


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