Die Drogenhändler müssen sich totlachen
Nach einer Reihe von Treffen mit hohen Funktionären des State Department in Washington schloß Justizminister Néstor Humberto Martínez Neira daß “die Statistiken, die wir hier in Washington vorgelegt haben, zeigen, daß leider im Gegensatz zu dem, was in Peru und Bolivien geschieht, in Kolumbien der (Koka-) Anbau weiter im Wachsen begriffen ist”. Hiermit war klar, daß die kolumbianische Regierung auch in diesem Jahr nicht ohne Weiteres ihr Wohlverhalten von der US-Regierung bescheinigt bekommen würde.
Bereits 1993 hatte es nicht gut ausgesehen für besagte Wohlverhaltensbescheinigung durch die USA, aber, so die kolumbianische Zeitung El Espectador, “wie immer am Ende des Jahres strengte sich der gute Schüler an, und… lieferte den toten “Kopf” des Medellín-Kartells Pablo Emilio Escobar Gaviria”. Daraufhin bekam die Regierung Gaviria zuletzt doch die volle Bestätigung seitens der USA und bleibt dadurch in dem Genuß finanzieller Hilfen durch die US-Regierung, die Weltbank und den internationalen Währungsfonds.
In diesem Jahr jedoch konnte die neue Regierung unter Samper bislang keinen nennenswerten Erfolg im Kampf gegen die Drogenproduktion in Kolumbien vorweisen, und so mehrten sich die Stimmen in den USA, die neben der Verweigerung der Wohlverhaltensbescheinigung auch drastische Sanktionen forderten.
Der US-amerikanische Botschafter in Kolumbien, Myles Frechette, äußerte, “daß sein Land Schwierigkeiten habe, Kolumbien die volle Mitarbeit im Kampf gegen den Drogenhandel zu bescheinigen”. Währenddessen ging der ehemalige “Antidrogenzar” William Bennet weiter: “Solange die Regierung (Samper) keine wirklichen Anstrengungen im Kampf gegen den Drogenhandel unternimmt, müssen wir sowohl den Import kolumbianischen Kaffees, wie auch aller anderen Produkte aus diesem Land verbieten”.
Die Reaktionen der kolumbianischen Presse waren dementsprechend heftig. Eine Bogotaer Zeitung forderte, den Botschafter zur persona non grata zu erklären. Die Krise, die in dieser Auseinandersetzung zutage trat, hat freilich tiefere Wurzeln.
Die Wohlverhaltensklausel
Bereits seit 1961 existiert in den USA ein Gesetz, das zur Bekämpfung des Handels und der Produktion illegaler Drogen die Befugnisse der Exekutive erweitern soll. 1986, als in der Ära Reagan die Kokainproduktion vor allem in Kolumbien ihre größte Blüte erreichte, verabschiedete der US-amerikanische Kongress ein Gesetz, das es dem Präsidenten gestattete, eine Länderliste der bedeutendsten Drogenproduzenten und -transporteure zu erstellen und nach eigenem Ermessen deren Kooperation bei der Bekämpfung des Drogenhandels einzustufen. Für ein Land, das sich voll der Bekämpfung des Drogenhandels verschreibt und die US-amerikanischen Auflagen erfüllt, fließen militärische, wirtschaftliche und humanitäre Hilfe ungehindert weiter. Vor allem aber werden weiterhin intensive logistische und finanzielle Hilfen für die Drogenbekämpfung zur Verfügung gestellt.
Wird ein Land allerdings nicht als bedingungslos kooperativ eingestuft, ist die Exekutive berechtigt, die nicht-humanitäre Hilfe an dieses Land solange auszusetzen, bis sich dessen Regierung dem Kampf gegen die Drogenwirtschaft anschließt. Gleichzeitig verpflichtet ein negatives Votum die Regierung bei den internationalen Finanzinstitutionen ein Veto gegen Kredite an das in Ungnade gefallene Land einzulegen.
Der kolumbianische Fall
Das strategisch wichtigste Land für Drogenhändler, und -produzenten auf dem amerikanischen Kontinent ist mit Sicherheit Kolumbien. Fast die gesamte Kokainproduktion und Distribution läuft in Kolumbien ab; dort befinden sich fast sämtliche Labore, in denen mithilfe von Chemikalien wie Äther und Aceton die Droge Kokain aus der – zum großen Teil aus Peru und Bolivien importierten Kokapaste raffiniert wird. Allgemein wird der Anteil allein des sogenannten Cali-Kartells an sämtlichem in den USA konsumierten Kokain auf etwa 80 Prozent geschätzt. In den letzten Jahren haben sich die Anbauflächen für Koka, sowie von Schlafmohn, dem wichtigsten Rohstoff zur Herstellung von Heroin, vor allem in Kolumbien rasant vergrößert. Es ist davon auszugehen, daß die Einnahmen aus Drogengeschäften teilweise für die niedrige Inflationsrate in den letzten zehn Jahren mitverantwortlich sind, da der starke Zustrom von Dollars aus Drogengeschäften dessen Wert gegenüber dem Peso drückt.
Im Gegensatz zu dem Kartell von Medellín, dessen Mitglieder nie die Integration in die gesellschaftliche Elite des Landes erlangt haben, ist das Kartell von Cali bis hinein in die Regierung mit dieser verflochten und somit weitaus schwerer anzugreifen. Gerüchte sprechen auch davon, daß ein Teil der Präsidentschaftskampagne des jetztigen Präsidenten Samper mit Geldern des Cali-Kartells finanziert wurde (vgl. LN 241/242). Gerade in diesen Tagen brachte die kolumbianische Zeitschrift Cambio 16 eine Liste zutage, auf der eine Reihe von Namen auftauchen, die in Sampers Wahlkampf wichtige Positionen einnahmen und angeblich auf der “Gehaltsliste” von Gilberto Rodríguez Orejuela, dem mutmaßlichen Kopf des Kartells standen.
Clinton und die Republikaner überzeugen
Es ist daher nicht verwunderlich, daß man in den Vereinigten Staaten den Bemühungen der Regierung Samper bei der Vernichtung von Anbauflächen und der Bekämpfung des Kartells von Cali mit einem gewissen Mißtrauen begegnet. Zumal die Clinton-Administration der Ansicht ist, daß Samper seit seinem Amtsantritt vor einem halben Jahr keine signifikanten Ergebnisse vorweisen kann.
In Kolumbien sieht man das freilich anders. Aber da die Regierung nicht auf die Hilfen aus den USA und den internationalen Institutionen verzichten will, flogen in der vergangenen Woche der kolumbianische Botschafter in den USA, Carlos Lleras de la Fuente, Verteidigungsminister Fernando Botero Zea und der Außenminister Rodrigo Pardo García Pena (der den Platz des unter Korruptionsvorwürfen ausgeschiedenen Generalstaatsanwalts Gustavo de Greiff einnahm) in die USA, um dort mit verschiedenen Mitgliedern des Kongresses zusammenzutreffen. Ihre Aufgabe war in den letzten Tagen eine positive Stimmung für Kolumbien zu hinterlassen, bevor Bill Clinton dem Senat die Untersuchungen und Einschätzungen zur Abstimmung über die Wohlverhaltensbescheinigung für das südamerikanische Land unterbreitet. Keine einfache Aufgabe angesichts der Tatsache, daß seit den letzten Wahlen der Kongreß von den Republikanern beherrscht wird. Auch Clinton mußte sich bereits den neuen Machtverhältnissen beugen und eine härtere politische Gangart einschlagen, um sich nicht vorzeitig die Chancen auf eine Wiederwahl in zwei Jahren zu verbauen.
Auch aus diesem Grunde hat Bill Clinton nun die Flucht nach vorn angetreten und nach zwei Jahren verminderter Intensität im Drogenkrieg nun, wie bereits seine republikanischen Vorgänger Reagan und Bush, den Kampf gegen den Drogenhandel zur obersten Priorität erklärt. Auf 14,6 Milliarden US-Dollar will der amerikanische Präsident nun die Mittel zur Drogenbekämpfung aufstocken, was einem Anstieg von fast 10 Prozent entspricht. Davon sollen etwa 64 Prozent (9,3 Milliarden US$)in die Bekämpfung von Anbau und Transport im Ausland aufgewendet werden, während 34 Prozent (4,9 Milliarden US$) in die Prävention und den Drogenentzug fließen sollen. Da der damals demokratisch dominierte Kongress bereits im letzten Jahr die vorgeschlagenen Aufwendungen für Prävention und Behandlung zusammenstrich, ist allerdings die Frage, ob Clinton sich bei den Republikanern mit seinem Vorschlag durchsetzen kann.
Die Tendenz jedoch wird klar bei der Betrachtung des neuen Vorstoßes von Clinton, mit dem er seinen politischen Feinden, wie dem republikanischen Senator Jesse Helms, den Wind aus den Segeln zu nehmen versucht. Und verständlich wird so auch, daß die kolumbianische Regierung nach beendeter Mission in den USA viel ruhiger ist: nach Einschätzung des kolumbianischen Botschafters Carlos Lleras de la Fuente ist die Wahrscheinlichkeit einer negativen Beurteilung durch die US-amerikanische Regierung nur gleich 5 Prozent, während er mit 75prozentiger Sicherheit von zumindest einer bedingt positiven Einschätzung (im nationalen Interesse der USA) ausgeht. Zu diesem Ergebnis kam der Diplomat, nachdem die jeweiligen “Gesprächspartner auf die von Außenminister Rodrigo Pardo vorgelegten Fakten in Sachen Vernichtung von Anbauflächen durchweg positiv reagiert hätten”. Die Ankündigung Sampers, im Falle einer nur bedingten Approbation durch die USA zu prüfen, ob man die Hilfen der USA überhaupt annehmen will, darf aber lediglich als eine starke Geste verstanden werden, mit der Samper versuchen will, in der kolumbianischen Öffentlichkeit nicht als Handlanger der US-Amerikaner dazustehen.
Für dieses Jahr scheint die Krise bewältigt, wenngleich sich dies letztendlich erst nach dem 1. März entscheidet, wenn Clinton dem Kongreß seine Fakten auf den Tisch legt. Aber es kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß sich die USA in den kommenden Jahren bei steigendem Koka-Anbau in Kolumbien nicht mit einer PR-Veranstaltung der kolumbianischen Regierung zufriedenstellen lassen werden. Der Druck, den die Republikaner auf Clinton ausüben, wird sich in den nächsten Jahren mit einer ständigen Verschärfung der US-amerikanischen Antidrogenpolitik bemerkbar machen. Die Drogenbarone aus Cali, die sich in diesem Jahr nach den Worten von Vizepräsident Humberto de la Calle angesichts des peinlichen Verlaufs der Debatte in Kolumbien noch “totlachen müssen”, werden sich in den nächsten Jahren zunehmend leiser gebärden.