Guatemala | Nummer 492 - Juni 2015

Die harte Hand der Günstlingswirtschaft

Angesichts aktueller Korruptionsskandale erlebt Guatemala eine beispiellose Verhaftungs- und Demonstrationswelle

Die Aufdeckung eines groß angelegten Zollbetrugs führt zu wiederholten Massendemonstrationen gegen Korruption in Guatemala. Präsident Pérez Molina steht zusätzlich unter Druck, weil die staatliche Steuerbehörde in den Skandal involviert ist. Trotz der Erschütterung des Machtsystems in ein grundsätzlicher Wandel kaum vorstellbar.

Markus Plate

Wie bekomme ich als Importeur*in meinen Container steuervergünstigt durch den Zoll? Zu dieser Frage hat in Guatemala ein hochkarätiges Expert*innennetzwerk entsprechende „Serviceleistungen“ angeboten, wie maßgeblich die Internationale Kommission gegen Straflosigkeit (CICIG) aufdeckte. Das Geschäftsmodell namens „La Linea“ funktionierte so: Importeur*innen konnten das Netzwerk per Telefon kontaktieren, Verbindungsleute beim Zoll im Karibikhafen Santo Tomás und am Pazifikterminal Puerto Quetzal taxierten den Warenwert deutlich unter dem tatsächlichen Wert an und damit reduzierte sich der Steuersatz drastisch. Für seine Leistungen kassierte das Netzwerk beachtliche Gebühren: Laut Schätzungen strichen die Mitglieder alle zwei Wochen bis zu 2,3 Millionen Quetzales ein (etwa 300.000 US-Dollar). Natürlich ist das Zollbetrug und dementsprechend illegal. Was allerdings der Chef der CICIG, der Kolumbianer Iván Velásquez, zusammen mit der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft Ende April der Öffentlichkeit präsentierte, erschütterte die Politik bis in höchste Regierungskreise: Gegen 40 Personen von „La Linea“ wurde Haftbefehl erlassen. Darunter befindet sich der Chef der Steuerbehörde SAT, Omar Franco, der erst im Januar von Präsident Otto Pérez Molina bestellt worden war. Innerhalb der SAT sind offenbar schon seit Jahren Schlüsselpositionen mit dem Ziel besetzt worden, den Schmugglerring zu konsolidieren. Mehr als peinlich ist für Pérez Molina, dass er nur einen Tag vor der Verhaftungswelle die Behörde besucht hatte, um dem nun verhafteten Chef Omar Franco, sein Vertrauen auszusprechen.
Im Zentrum des Skandals steht mit Juan Carlos Monzón Rojas der Privatsekretär von Guatemalas Vizepräsidentin Roxana Baldetti. Als einer der Hauptorganisator*innen soll er interessierte Importfirmen vermittelt und seinen Einfluss beim Präsidenten geltend gemacht haben, damit zentrale Positionen wie der der SAT von Vertrauten des Netzwerkes besetzt wurden.
Die Ermittlungen im Falle des Zollbetrugsskandals legen zusätzlich den Verdacht nahe, dass auch bei Entscheidungen der Justiz Bestechlichkeit im Spiel ist. CICIG und Staatsanwaltschaft werfen der Untersuchungsrichterin Marta Sierra de Stalling vor, dass sie auf Intervention der Anwält*innen hochrangiger Verdächtiger die Untersuchungshaft in Haftersatzmaßnahmen umgewandelt habe. Vor kurzem veröffentlichte Aufzeichnungen von Telefonaten scheinen zu belegen, dass dabei Geld geflossen sein könnte.
Der CICIG gelang mit den Enthüllungen ein Coup, der nicht zuletzt die eigene Position im Land gestärkt hat. Die internationale Kommission ist seit 2007 in Guatemala und hat in den vergangenen Jahren einige spektakuläre Strafverfahren ins Rollen gebracht. Die anschwellenden Proteste und klaren Pro-CICIG Bekundungen vom US-Kongress und dem fast allmächtigen guatemaltekischen Unternehmerverband CACIF stärkten die Kommission. Obwohl Präsident Pérez Molina einer weiteren, zweijährigen Mandatsverlängerung zuerst ablehnend gegenüberstand, musste er nur wenige Tage nach der Aufdeckung des Zollbetrugsnetzwerkes zähneknirschend zustimmen.
Sollten damit die Spannungen entschärft werden, ist diese Taktik nicht aufgegangen: In den Tagen und Wochen danach kam es in dem mittelamerikanischen Land zu den größten Demonstrationen seit der Unterzeichnung der Friedensabkommen vor fast zwei Jahrzehnten. An drei Samstagen im Mai forderten jeweils rund 50.000 Menschen auf dem zentralen Platz in Guatemala-Stadt ein Ende der Korruption, den Rücktritt des Präsidenten und eine Reform des politischen Systems.
Pérez Molina sah sich gezwungen, mit der Entlassung seiner Innen-, Umwelt- und Energieminister personelle Konsequenzen zu ziehen. Vor allem mit Innenminister Mauricio López Bonilla verliert Pérez Molina einen seiner wichtigsten Vertrauten. Der Präsident hat allerdings mehrfach betont, trotz aller Skandale und Demonstrationen bis zum Ende seiner Präsidentschaft im Januar 2016 im Amt zu bleiben. Doch die Ermittlungs- und Verhaftungswelle reißt nicht ab. Mitte Mai wurde gegen den Chef der guatemaltekischen Sozialkasse IGSS, Juan de Dios Rodríguez, und weitere 15 Mitarbeiter*innen Haftbefehl erlassen. Sie sollen gegen hohe Provisionen, Medikamente eines Pharmaunternehmens überteuert eingekauft haben. Dem Staat sei dadurch ein Schaden in mehrstelliger Millionenhöhe entstanden. Unter den Festgenommenen ist auch der Chef der Zentralbank Banguat, Roberto Suárez Guerra, gleichzeitig Vizepräsident der IGSS. Dieser Skandal verstärkt den Eindruck, dass Otto Pérez Molina, anstatt wie im Wahlkampf vor vier Jahren versprochen, mit harter Hand gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen, eher ein Händchen dafür besitzt, hochkorrupte Gefolgsleute in lukrative Schlüsselpositionen zu hieven. Denn sowohl Suárez Guerra wie Rodríguez waren in den letzten zwei Jahren vom Präsidenten selbst als Chefs der beiden Institutionen ernannt worden.
Als Saubermann angetreten, steht Otto Pérez Molina nun vor einem Scherbenhaufen. Doch in Sachen Skandalen ist seine regierende Patriotische Partei keine unrühmliche Ausnahme. Seit den Friedensabkommen 1996 ist keiner Partei die Wiederwahl gelungen. Die drei Wahlbündnisse, die im letzten Jahrzehnt an der Macht waren, wurden allesamt als „korrupteste Regierung der jüngeren Geschichte“ aus dem Amt gewählt. Der Gruppierung des Noch-Präsidenten Pérez Molina dürfte es nicht anders ergehen, zumal der einst aussichtsreiche Präsidentschaftskandidat der Patrioten, Alejandro Sinibaldi, auf Grund der aktuellen Skandale aus der Partei ausgetreten ist.
Dass die im September anstehenden Kongress- und Präsidentschaftswahlen einen Politik- oder gar Systemwechsel herbeiführen könnten, ist indes nicht zu erwarten. In den Meinungsumfragen führt derzeit mit Präsidentschaftskandidat Manuel Baldizón und der Gruppierung Lider erneut eine politische Kraft, die auf populistische und rechts-autoritäre Inhalte setzt. Es ist zu befürchten, dass sich an der Korruption und dem Machtmissbrauch nichts grundlegend verändert und ab nächsten Jahr nur die Köpfe ausgetauscht werden – oder gar dieselben bleiben. Denn viele „Patrioten“ haben in den letzten Wochen die Seiten gewechselt und werden bei den Septemberwahlen für Lider antreten. Zudem hat ein Wandel hat trotz aller Bekundungen seitens CACIF und westlicher Regierungen mächtige Gegner: Sowohl Guatemalas Oligarchie als auch transnationalen Unternehmen garantiert das System allzu üppige Gewinne.

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