Literatur | Nummer 462 - Dezember 2012

Die Höhen und Tiefen des politischen Aktivismus

Ramor Ryan erzählt in Zapatistischer Frühling von der Anatomie eines subversiven Wasserprojektes und Lektionen in internationaler Solidarität

Das nach Clandestinos – Unterwegs im Widerstand zweite Buch des umtriebigen Anarchisten Ramor Ryan schaut mit postkolonialem Blick auf das Leben in den rebellischen zapatistischen Gemeinden des mexikanischen Südens.

Mathias Schmidt

Mit der führungsstarken NGO-Arbeiterin Maria und dem Punk Praxedis aus Mexiko-Stadt macht sich Ramor Ryan im Rahmen eines Solidaritätseinsatzes in die Tiefen des Lakandonischen Urwalds auf, um in einer zapatistischen Gemeinde ein Trinkwassersystem aufzubauen. Während der umfassenden, aber auch sehr harten und oft monotonen Arbeit werden sie mit Problemen und Unannehmlichkeiten des rauhen Alltags konfrontiert. Neben den rein praktischen Fragen der Ernährung, Unterkunft, Gesundheit und Schutz vor den großen und kleinen Gefahren des Urwalds, stellen sich den Aktivist_innen Fragen über ihre persönliche und politische Rolle und die Effektivität ihres Beitrags zur zapatistischen Autonomie. Als sich die Solidaritätsbrigade personell vergrößert, wächst auch das interne Konfliktpotential.
Mit wohlüberlegter Selbstkritik arbeitet Ryan das Wechselspiel von normativen Vorstellungen und Erwartungen der Protagonist_innen mit den real existierenden Bedingungen des Urwalds heraus. Wie weit lassen sich die Prinzipien eines veganen Hardcore-DIY-Punks aus Europa mit den teilweise patriarchal anmutenden usos y costumbres der indigenen Gemeinden vereinen? Wo fangen koloniale Verhaltensmuster an? Wie gestaltet sich internationale Solidarität auf Augenhöhe, wenn eine Gruppe vor ökonomischen und sozialen Privilegien strotzt?
Ryan bedient sich eines sehr angenehmen, fesselnden und lesefreundlichen Erzählstils. Seine Sprache ist plastisch, verliert sich stellenweise in Details und verzichtet auf akademischen Kauderwelsch, ohne unpräzise zu sein. Konkrete und durchaus unterhaltsame Anekdoten der Rahmenhandlung dienen als Ansatzpunkt für theoretische Fundierungen des Erzählten. Dadurch werden eventuell aufgeworfene Verständnisfragen umgehend beantwortet, ohne dass der Lesefluss gestört wird. Der Autor verzichtet darauf die Mitglieder der Solidaritätsbrigade und der zapatistischen Organisation als selbstlose Idole oder omnipotente Held_Innen zu verklären. Stattdessen bestimmen greifbare, fehlerbehaftete und gerade deswegen sehr menschliche und liebenswürdige Charaktere das Bild. Nicht zuletzt dieser Aspekt macht das Buch sehr ehrlich und glaubhaft und lässt über kleinere Tippfehler großzügig hinwegsehen.
Der Autor vermag es, die komplexe politische und soziale Lage in den zapatistischen Gebieten Chiapas‘ umfassend und verständlich zu erklären. Viele Aspekte des indigenen Zusammenlebens – etwa Aufbau und Struktur der zapatistischen Gemeinden, das Gesundheitswesen, der Umgang mit Migrant_innen und Nicht-Zapatist_innen – werden der Leserschaft geradezu spielerisch beim Lesen beigebracht. Verständliche und leicht zugängliche Literatur zur zapatistischen Autonomie sind immer noch Mangelware. Dieses Buch leistet einen beachtlichen Beitrag diese Lücke zu schließen und ist daher Einsteiger_innen in die Materie sehr zu empfehlen. Kurzum: Der Zapatistische Frühling hat auch noch im Winter und erst recht unter dem Weihnachtsbaum Saison.

Ramor Ryan // Zapatistischer Frühling – Anatomie eines subversiven Wasserprojektes und Lektionen in internationaler Solidarität // Unrast Verlag // Münster 2012 // 224 Seiten // 14,80€ Euro

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