Gender | Nummer 194/195 - Juli/August 1990

Die Misere hat ein weibliches Gesicht

Ein Gespräch über Feminismus und alltägliche Bedrohung in Kolumbien

Der folgende Artikel basiert auf einem Gespräch, das zwei LN Redakteurinnen am 4. 7. 1990 mit zwei Kolumbianerinnen* aus Medellin in Berlin führten. Marta mußte mit ihren beiden Kindern Kolumbien wegen mehrfacher Morddrohungen verlassen, nachdem sie längere Zeit mit Leibwächtern gelebt hatte (vgl. Kasten), Consuelo kam im Juni, ebenfalls mit zwei Kindern, nach Berlin, nachdem ihr Mann im letzten Jahr ermordet wurde. Beide Frauen haben sich in ihrem Land politisch und besonders frauenpolitisch engagiert. Was dies bedeutet unter den Bedingungen des “schmutzigen Krieges”, und wie sich die alltäglichen Folgen dieses Krieges gerade für Frauen auswirken, darum geht es in diesem Gespräch. Es soll auch verdeutlichen, daß eine feministische Perspektive nicht in allen Ländern dieselbe sein kann, wie dies manche Feministinnen behaupten …

Erdmute Alber, Holde Pinnow

Der Feminismus, sagt Consuelo, ist in unserem Land sehr widersprüchlich. Wir haben uns die Straße erobert und wir haben das Recht, arbeiten gahen zu können, erkämpft, aber dafür versklaven wir unsere Hausangestellten. Ohne die Frauen, die in unseren Häusern arbeiten und an die wir uns gewöhnt haben, könnten wir die Doppelbelastung gar nicht schaffen. Deshalb kommen die lateinamerikanischen Feministinnen meistens aus der Mittel- oder Oberschicht. Auch die Befreiung der Mittelschichtsfrauen geht auf Kosten von Frauen.

Was heißt Doppelbelastung für eine politisch aktive Frau in Kolumbien?

Consuelo hat bis vor wenigen Wochen in Medellín gelebt. Ihr Mann war eine führende Persönlichkeit in der UP (Union patriótica -Bündnis linker Gruppierungen), bis er vor wenigen Monaten umgebracht wurde. Auch Consuelo ist in der UP aktiv gewesen, außerdem hatte sie unabhängig von der UP mit Frauengruppen und Frauenorganisationen in Medellin gearbeitet. Neben Beruf und politischer Arbeit war sie für den Haushalt zuständig. Sie hatte Hausangestellte -natürlich Frauen -aber für Einkauf und Organisation war eben doch sie und nicht ihr Mann verantwortlich. Sie erzählt, daß sie im Laufe ihrer Ehe versucht hätten, so etwas wie Arbeitsteilung einzuführen, aber immer kam etwas dazwischen, konnte er dann doch nicht. Wenn Männer sich an Hausarbeit beteiligen, sagt sie, tun sie es nie, weil sie sich auch für den Ablauf im Haus verantwortlich fühlen, sondern sie sehen es als “Hilfe” bei einer Aufgabe an, die der Frau zusteht.

Es gibt exzellente Gewerkschaftsführer, die die größten Machos sind

Eigentlich ist es keine Doppelbelastung, sagt Marta, sondern mindestens eine dreifache: Arbeit im Beruf, politische Arbeit und Hausarbeit. Und wenn sich eine Frau politisch engagiert, dann befreit sie das noch lange nicht von der Unterdrückung als Frau. Es gibt zum Beispiel exzellente Gewerkschaftsführer, die aber die größten Machos sind. Deshalb, meint sie, hat es keinen Sinn, den Machismo hinzunehmen, nur weil der Mann eine wichtige politische Funktion hat.

Was heißt es, als Frau in einem Land wie Kolumbien politisch aktiv zu sein?

Frauen wie Marta und Consuelo, die nicht nur einfache GewerkschaftsmitgliederInnen waren, sondern hohe Posten bekleideten, sind auch in Kolumbien die große Ausnahme. Beide arbeiteten als Lehrerinnen -auch in Kolumbien ein typischer Frauenberuf -,aber die Direktoren der Schulen sind -wie bei uns -Männer. Die Frauen gehören vielleicht der Gewerkschaft an, aber die Gewerkschaftsführer sind bis auf wenige Ausnahmen wieder Männer.
Und aktive Frauen müssen sich nicht nur in diesen Strukturen durchkämpfen, sie müssen sich außerdem damit auseinandersetzen, daß ihnen von der Gesellschaft und von ihren Männern Schuldkomplexe eingeredet werden. Männer, sagt Marta, können ihren Machismo immer rechtfertigen. Sie sagen, die Frau sei eine Schlampe, sie vernachlässige die Hausarbeit, sie sei eine Klatschtante oder sie könne nicht kochen. Und für die Frau ist es schwer, sich von den herrschenden Normen zu befreien, die fatalerweise auch von Frauen vertreten werden.
Die Männer haben so eine Doppelmoral, und sie sorgen für den Schuldkomplex der Frauen. Martas Mann hatte zum Beispiel in der Gewerkschaft einen niedrigeren Posten als sie. Und deshalb galt sie bei vielen als Hure, oder als schlechte Mutter, die die Kinder vernachlässig, als eine, die sich mehr um ihre Freunde kümmert als um die Kinder. Aber um Karriere zu machen, sagt sie, muß mensch . sich um Kontakte kümmern. Muß die Beziehungen zu anderen pflegen. Wenn Du das als Frau machst, bist Du eine Hure oder ein Mannweib. Wenn Männer das machen, ist es normal. Und die Mannweiber werden dann “Margaret Thatcher” genannt.

In Kolumbien hat man keine Zeit mehr, um die Toten zu trauern

Wir erzählen den Kolumbianerinnen von palästinensischen Frauen, die deutlich gemacht haben, daß in ihrer politischen Situation Feminismus einen anderen Stellenwert habe als in Europa. “Wie sollen wir gegen unsere Männer kämpfen, wenn die doch im Gefängnis sitzen?” Eine berechtigte Frage, finden wir. Wie ist das in Kolumbien?

Consuelo meint, in Kolumbien sei die Situation anders als in Palästina. Ihr Land befinde sich nicht im erklärten Krieg gegen eine fremde Besatzungsmacht, in Kolumbien herrsche der “schmutzige Krieg”. Wir kämpfen nicht gegen einen gemeinsamen äußeren Feind, sondern erleiden den Terror unseres eigenen Regierungssystems, den aber Männer und Frauen unterschiedlich erfahren. Wir Frauen haben seine “alltäglichen” Folgen auszubaden. Die Misere, sagt sie, hat ein weibliches Gesicht und die Gewalt auch.

Warum?

Sieh mal, sagt sie, man begräbt den Mann, der umgebracht wurde, in drei Stunden. Aber wer weiterleben muß, das ist die Witwe mit ihren Kindern. Und die bleibt für den Rest ihres Lebens Witwe. Die Frauen tragen die Last, die ganz all-tägliche Last des Krieges. Die Frauen kümmern sich um die Kinder, sie müssen weiterleben, sie müssen das Überleben in diesem Krieg organisieren. Und sie haben die Angst um die Männer.

Wir fragen: aber es werden doch auch Frauen umgebracht, die man in drei Stunden begräbt.

Ja, sagt sie, aber das ist erstens die Ausnahme. Weil die Männer in den hohen Posten sitzen, werden vor allem sie umgebracht. Und zweitens, wenn eine Frau umgebracht wird, was machen die Männer dann? Sie bringen die Kinder zu Großmutter oder Tante, und wieder kümmert sich eine Frau. Der Mann wird nicht sein ganzes Leben lang der Witwer sein.

Und auch das Medienereignis, das daraus gemacht wird, wenn eine Frau umgebracht wird… denk mal, neulich, als sie Cecilia umbrachten, das stand in allen Zeitungen, da wurde ein Riesenwirbel gemacht, aber warum? Da stand dann nicht, daß sie eine politische Kämpferin war, da stand auch nichts über sie, aber überall las man, daß diese Barbaren eine Frau und Mutter umgebracht haben, da stand: Wie konnten sie eine schwangere Frau umbringen mitsamt dem Fötus. Sie machen eine Sensationsgeschichte draus, weil es eine Ausnahme ist und reduzieren dich damit auf deine Mutterrolle.
Die Witwe hat nicht die Muße, sich mit ihrem eigenen weiteren Leben auseinanderzusetzen, denn kaum hat ihre Trauer begonnen, da wird schon der nächste Companero ermordet. Und so geht es immer weiter. Die alltäglichen Probleme bewältigen immer die Frauen. In Kolumbien hat man keine Zeit mehr, um die Toten zu trauern. Kaum ist einer tot, dann kommt der nächste Schlag.
Ich konnte nicht mehr, sagt Consuelo. Stell Dir vor, ich hatte gerade angefangen, eine neue Arbeit zu machen. Ich begann, die Arbeit mit Witwen zu organisieren. Wir haben eine Gruppe von Witwen gegründet. Und als das losging, da haben sie meinen Mann umgebracht. Wie sollte ich die Arbeit mit Witwen fortsetzen, als auch mein Mann tot war? Eine andere Frau hat dann die Arbeit fortgesetzt, weil ich nicht mehr konnte, aber auch deren Mann ist inzwischen tot.

Wir fragen Consuelo, ob sie mit dem Tod ihres Mannes gerechnet hat.

Niemals, antwortet sie und berichtet von einer Freundin, deren Mann bei dem fünften Attentatsversuch gegen ihn umkam. Sie hat damals gesagt, daß sie nie damit gerechnet hat, daß man ihn umbringen würde.

Sie reduzieren Dich auf Deine Mutterrolle…

Marta meint, das sei anders bei den Frauen, die die politische Arbeit ihrer Männer nicht teilten oder guthießen oder nicht genug darüber Bescheid wüßten. Diese Frauen leben in ständiger Panik und Erwartung eines schrecklichen Endes. Sie verstehen nicht, warum die Männer das Familienleben durch ihre politische Arbeit aufs Spiel setzen. Diese Frauen sitzen wütend zuhause, warten auf die Männer und haben Angst, während ihre Männer zu einem großen Teil außerhalb der Familie leben.
Die Frauen, die selber aktiv sind, haben es leichter. Die haben nicht so viel Todesangst, weil sie selbst aktiv sind und weil sie den Sinn der Arbeit einsehen.

Fragt frau sich eigentlich oft, ob sich der politische Einsatz überhaupt lohnt?

Consuelo hat sich das im Gegensatz zu Marta gefragt. Als ihr Mann umgebracht wurde, da wollte sie keine politische Arbeit mehr machen. Aber solange frau aktiv ist, sagt sie, ist es leichter. Niemand glaubt im Ernst, daß er oder sie urngebracht wird, deshalb empfindet frau es gar nicht als besonders heldenhaft, weiterzumachen.
Ihr zwölfjähriger Sohn beteiligt sich plötzlich an dem Gespräch. Er sagt, es war schon lange kein richtiges Leben mehr, auch nicht, als der Vater noch lebte. Wir konnten nicht mehr richtig auf die Straße gehen und spielen, bricht es aus ihm heraus, wir sollten immer aufpassen..Der Vater mußte jede Nacht woanders schlafen aus Sicherheitsgründen, es war gar keine richtige Familie mehr.

Aber das wollen sie doch nur, sagt Consuelo, daß alle ganz eingeschüchtert sind und entweder aufhören, aktiv zu sein, oder weggehen, so wie Marta und ich. Vor allem Marta. Sie mußte wegen wiederholter Morddrohungen das Land verlassen. Vorher war sie ein Zentrum in Medellin, sie war für uns Frauen ein Vorbild als Vorsitzende der LehrerInnengewerkschaft. Jetzt ist sie weg. Und wenn frau weg ist, verliert sie die Kontakte im Land, die Freunde. Aber das Leben verlieren, das ist auch keine Lösung. Das Exil ist eine Niederlage.
Marta und Consuelo sind hier zu Untätigkeit gezwungen, unerwünschte Ausländerinnen, die ihre gesamte Energie darauf verwenden müssen, Wohnung zu suchen und mit der neuen Umwelt und Sprache zurechtzukommen. Von ihren alten Zusammenhängen sind sie abgeschnitten.
Was ich nicht verstehe, sagt Consuelo, warum kämpfen die Frauen in Berlin nicht für mehr Kindergärten und tagesstätten? Es ist so ein reiches Land, es gibt so viel Geld hier. In Kolumbien bescheiden wir uns. Wir sagen, es ist ein armes Land. Aber hier? Wo es so viel Geld gibt?

Kasten:

Alltägliches Leben einer Frau mit vier Leibwächtern

Marta lebte fast zwei Jahre unter dem “Schutz” von vier Leibwächtern, die ihr 1 die Regierung verordnete, als sie nach Morddrohungen eine Garantie für ihr Leben forderte. Sie erzählt, was dies für eine Frau bedeutet:

1. Die Wachen haben mich immer beobachtet, nichts konnte ich ungestört machen. Wie sie mich ansahen: nicht als Politikerin, sondern als Frau. Sie haben mich angemacht. Weibliche Bodyguards gab es nicht.
2. Als Frau besaß ich weniger Autorität. Eine Frau kann noch so in und tüchtig sein, nie besitzt sie für Leibwächter die Autorität Mann. Der hat sie, nur weil er ein Mann ist. Leibwächte Probleme, sich einer Frau unterzuordnen.
3. Die Leibwächter haben die Gefahr unterschätzt und nicht so gut auf mich aufgepasst wie auf einen Mann. Sie denken, daß man eine Frau schon nicht umbringt.
4. Als Frau fühlte ich mich für die Männer verantwortlich. Ich ließ sie nicht draußen warten, wenn ich ins Restaurant oder Kino ging. Entweder bezahlte ich für sie mit oder ging gar nicht erst. Das würde Männern wahrscheinlich nicht einfallen.
5. Was sie über mich dachten: sie haben ja alles mitgekriegt, mit wem ich mich getroffen habe. Weil ich mich mit verschiedenen Männern traf, dachten sie, sie könnten mich auch kriegen.
6. Wenn sich eine Frau auf der Straße mit Bodyguards bewegt, fällt das sehr auf, das sieht man sehr selten. Die Leute schauen, fragen sich, was los ist, denken, Du bist eine Verbrecherin, weil so viele Bewaffnete um Dich herum sind.

*Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

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