„Die Regierung höhlt die Arbeit der Menschenrechtsgruppen aus“
Interview mit dem Nationalen Koordinator der Ökumenischen Menschrechtsbewegung MEDH, Pastor Arturo Blatezky
Arturo Blatezky, am 24. März fanden in Buenos Aires zwei voneinander unabhängige Demonstrationen statt. Warum konnte man sich am wichtigsten Gedenktag des Landes nicht auf eine gemeinsame Veranstaltung einigen?
Es gab einen gewichtigen Grund. Das ist eine Geschichte, die schon 1983 (Ende der Diktatur, Anm. d. Red.) begann, sich unter der Regierung Menem verstärkte, aber jetzt unter Kirchner erst richtig akut geworden ist. Der Diskussionspunkt zwischen den Menschenrechtsorganisationen war und ist: Können und sollen wir Ämter in der Regierung besetzen, von dieser finanziert werden, mit ihr offen zusammenarbeiten und sie auch politisch unterstützen oder nicht? Unter Menem, der gemerkt hatte, dass die Menschenrechtsorganisationen so etwas wie das ethische Gewissen des Volkes sind, haben sich diese Unterschiede verstärkt, als er in der Exekutive ein staatliches Sekretariat für Menschenrechte gründete. Das ist total gefährlich, denn wenn die Exekutive die Menschenrechtsthematik und -instrumente selbst in die Hand nimmt, kontrolliert sie sich ja selbst und höhlt die Arbeit der Menschenrechtsbewegung aus. Die Regierung Kirchner geht jetzt noch viel weiter als Menem, der in Menschenrechtsfragen nie persönlich aufgetreten ist. Kirchner tut dies ganz bewusst, mischt sich und seine Regierung in die Beziehung zwischen den Menschenrechtsorganisationen ein und spaltet die Menschenrechtsbewegung.
Das ist also die Konsequenz einer über zwanzig Jahre alten Auseinandersetzung um den Umgang mit der Vergangenheit?
Das ist der Hintergrund. Aber schon auf der Veranstaltung zum dreißigsten Jahrestag des Putsches im vergangenen Jahr kam es zu einem Eklat auf der Bühne, als ein Dokument verlesen wurde, das auch den heutigen Präsidenten und seine Wirtschafts- und Sozialpolitik kritisierte. Direkt vor der Bühne standen regierungsnahe Gruppen, die dann anfingen zu schreien und die beiden Vorleserinnen mit Flaschen und brennenden Zigaretten zu bewerfen. Kurz darauf kam Marta Vázquez, die Präsidentin der Madres de Plaza de Mayo – Línea Fundadora auf die Bühne und sagte, dass die Madres und Abuelas sich überrumpelt fühlten und nicht mit diesem Dokument einverstanden wären. Sie hatten es zwar nicht unterzeichnet, sich bei den gemeinsamen Vorbereitungen der Veranstaltung aber mit der Verlesung einverstanden erklärt, was sie dann praktisch leugneten. In der Presse, die allgemein sehr regierungsfreundlich ist, wurde das dann so dargestellt, als ob die Mütter und Großmütter von linken Chaoten übertölpelt und in ihren politischen Ansichten entehrt worden wären und der Innenminister sprach von einer „gefährlichen Linken“. Seit Dezember 2006 war dann klar, dass es in diesem Jahr zwei Märsche geben würde. Wir, das MEDH, und viele andere finden das schlimm, weil wir immer versucht haben auf gemeinsame Akte und Handlungen der Menschenrechtsorganisationen hinzuarbeiten.
Weshalb positionieren sich die Madres und Abuelas ihrer Meinung nach so nah zu Kirchner?
Für die Mütter und die Großmütter ist das Thema der Aufarbeitung ein sehr persönliches und hat mit schweren Schmerzen, dem Verlust der eigenen Kinder zu tun. Kirchner sagt nun ständig, dass er die Regierung dieser Verschwundenen ist, dass er sozusagen in ihrem Namen regiert. Er hat eine Reihe ehemaliger sozialer Kämpfer der 1970er Jahre in seine Regierung integriert. Damit gibt er den Müttern das Gefühl, dass ihre Kinder nicht unnötig gestorben wären. Die Revolutionäre der 1970er hätten somit letztendlich gesiegt. Sie wären heute an der Regierung – das ist das Symbol Kirchner. Die Madres und Abuelas erhalten auch viel Werbung und Geld von Kirchner. Da ist es natürlich schwierig für diese Organisationen, die Regierung zu kritisieren.