Die Schlussfolgerung der Börsenmakler
Anmerkungen zum Wahlausgang in Peru
Am Montag, den 9. April, freuten sich die lateinamerikanischen Börsenmakler im Schnitt über ein gutes Geschäft. Nicht so in Lima. Die Aktien peruanischer Unternehmen brachen an diesem Tag ebenso ein wie die Brady-Bonds der peruanischen Auslandsschulden und der Wechselkurs des peruanischen Sol. Die Ursache des Malheurs: Der Kandidat der sozialdemokratischen APRA, Alan García, hatte einen Tag zuvor bei den Präsidentschaftswahlen das zweitbeste Ergebnis erzielt und war dadurch in eine Stichwahl eingezogen. Die Broker erinnerten sich mit Unbehagen an die zweite Hälfte der 80er Jahre, als García peruanischer Präsident war. Damals hatte der jetzige Kandidat die Rückzahlung der peruanischen Auslandsschulden auf zehn Prozent der Exporterlöse begrenzt und eine Verstaatlichung der Banken angekündigt.
Was Bankiers und Spekulanten missfällt, kann durchaus zum Wohle der armen Bevölkerung sein. Immerhin grenzt sich Alan García deutlich von neoliberalen Wirtschaftskonzepten ab. Er wettert gegen unsoziale Erhöhungen der Telefon- und Stromtarife und spricht sich als einziger Kandidat gegen die Privatisierung der staatlichen Wasserversorgung aus. Und sein Gegner in der Stichwahl ist auch kein Favorit der Broker: Alejandro Toledo war der leidenschaftliche Anführer des Widerstands gegen die Montesinos-Fujimori-Diktatur; die peruanischen Medien weisen ihm im politischen Koordinatensystem einen Platz im linken Zentrum zu.
Die von der Börse bevorzugte Rechte hat aus gutem Grund eine schwere Schlappe erlitten. Allen voran Carlos Boloña. Der letzte Wirtschaftsminister des korrupten Montesinos-Fujimori-Regimes erntete mit einem erbärmlichen Wahlergebnis von 1,7 Prozent verdientermaßen Hohn und Spott. Doch die bitterste Niederlage steckte Lourdes Flores ein. Die christlich-konservative Kandidatin hatte in den Umfragen stets vor Alan García gelegen und sich für eine Stichwahl gute Chancen ausgerechnet. Offenbar konnten die WählerInnen nach zehn Jahren neoliberaler Politik ihr unbegrenztes Vertrauen in die Selbstheilungskräfte der Marktwirtschaft nicht mehr nachvollziehen. Flores wurde auch abgestraft, weil sie zuließ, dass ihr Wahlbündnis Unidad Nacional zum Tummelplatz für ehemalige Parteigänger Fujimoris wurde. Oder für Mitglieder des Opus Dei, die für eine kondomfreie Gesellschaft streiten.
Das Wahlergebnis scheint also aus linker Sicht in Ordnung zu gehen. Nicht ganz. Denn der Volkstribun Alan García hat es weniger seinem Ruf als seiner Eloquenz zu verdanken, dass er in die zweite Wahlrunde eingezogen ist. Hätte sein Nachfolger im Präsidentenamt nicht Alberto Fujimori geheißen, gälte Alan García heute als korruptester Politiker der neueren peruanischen Geschichte. Der Mann handelte schon immer anders als er sprach und füllte sich mit seiner angeblichen Politik für die Armen ohne Skrupel die eigenen Taschen. Als Präsident subventionierte er die Grundnahrungsmittel, während sich seine Komplizen schamlos an deren Export bereicherten. Damit auch ärmere Leute investieren und ins Ausland reisen konnten, stellte die Regierung García Dollarkredite zu einem günstigeren Wechselkurs zur Verfügung. Der Nebeneffekt: Vor allem Helfershelfer und Strohmänner des Präsidenten stopften sich die Taschen voll. Und selbst als der Wohltäter García den Bau einer elektrischen Bahn für Lima ausschrieb, verdiente er mit. Den Zuschlag erhielt eine italienische Firma, die sich zuvor bei ihm erkenntlich zeigte. Sollte der Schönredner wieder Präsident werden, wird sich das auch für die Mitglieder der Montesinos-Fujimori-Bande auszahlen. Sie werden weit gehend mit Straffreiheit rechnen können, denn García wird garantiert keinen Kreuzzug gegen die Korruption führen.
Natürlich scheiterte García bei seinem Versuch, die Banken zu verstaatlichen. Und auch sein System der begrenzten Schuldenrückzahlung hielt er nicht lange durch. Dafür ruinierte er staatliche Unternehmen durch Vetternwirtschaft. Er hinterließ seinem Nachfolger 7.800 Prozent Inflation und ein ideales Terrain für neoliberale Experimente. Und was die Menschenrechte angeht: García stiefelte ebenso vor surrenden Kameras über Leichen von MRTA-Guerrilleros wie es später Fujimori tat. Während seiner Präsidentschaft wurden etwa 1200 ZivilistInnen von der Armee ermordet. Im Jahre 1986 ordnete García an, eine Meuterei von Gefangenen des Sendero Luminoso in Limas Haftanstalten zu beenden. Das Resultat: 270 Tote. Dem Kandidaten García klebt so viel Blut an den Händen, dass es ein Skandal wäre, wenn er wieder Präsident würde.
Bleibt Alejandro Toledo. Ein Mann, der besessen ist von dem Gedanken, an die Macht zu kommen. Wo immer er im Wahlkampf auftaucht, verspricht er, was die Leute hören wollen. Wer seine Reden vor Unternehmerverbänden und in den Armenvierteln Limas hört, glaubt nicht, dass derselbe Mann spricht. Und es befremdet, dass er sich von der indigenen Bevölkerung Pachacutic rufen lässt – nach dem Namen eines Inkaherrschers, der vor der Ankunft der Spanier seine Nachbarvölker knechtete. Toledo ist der Favorit für die Stichwahl, doch er könnte nach seiner Amtsübernahme für unangenehme Überraschungen sorgen.
Die Börsenmakler sagen: Toledo ist das kleinere Übel gegenüber Alan García. Sie haben Recht. Auch wenn sie auf Grund anderer Prämissen zu dieser Schlussfolgerung gelangen. Immerhin haben die Wahlen gezeigt: Nach zehn Jahren Diktatur, neoliberaler Politik und staatlich organisierter Korruption sind linke Optionen wieder gefragt. Schade nur, dass die peruanische Linke noch nicht wieder aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht ist. In dem verharrt sie nun schon seit Beginn der Fujimori-Ära.