Die Stimme der Mapuche
Durch eine Zeitschrift soll chilenischen SchülerInnen die Kultur der Indígenas näher gebracht werden
Der Redaktionsraum von „La Voz de Arauco“ („Die Stimme Araucos“) ist mit etwa 20 Quadratmetern gerade mal so groß wie in anderen Büros das Vorzimmer. Dennoch bezeichnen die Journalistin und die Layouterin ihren Arbeitsplatz scherzhaft als „Redaktionszimmer“, bzw. „Grafikdesign-Studio“. Dass zwei Personen für die Zeitschrift arbeiten, ist schon ein enormer Fortschritt, denn die ersten sieben Jahre ihres Bestehens, von 1991 bis 1998, wurde sie von einem einzigen Menschen gemacht, und der war und ist noch nicht einmal Journalist: César Correa Díaz, Chef von „La Voz de Arauco“ kehrte nach einem abgebrochenen Topografiestudium in seine Geburtsstadt Cañete in der Provinz Arauco zurück und verdiente mit den verschiedensten Jobs sein Geld. Heute arbeitet er für seinen Lebensunterhalt halbtags als Aufseher in einer Schule, der Nachmittag gehört seiner Zeitschrift.
Ein Medium für die Mapuche
Die Provinz in der achten Region ist eine der ärmsten Gegenden Chiles, mit einer Arbeitslosigkeit von 10,4 Prozent bei 170.000 EinwohnerInnen. Die wichtigsten Einkommensquellen sind die Forst wirtschaft, Agrarwirtschaft und ein sich zögerlich entwickelnder Tourismus. Laut der letzten Erhebung im Jahre 1992 leben in den sechs Kommunen der 18. Provinz 9832 Mapuche, die meisten von ihnen in der Kommune Cañete. Konfrontiert mit dieser Realität entschied Díaz, dass die Provinz ein Medium brauche, über das sie sich identifizieren und informieren könne, und so entstand „La Voz de Arauco“. Obwohl er in den ersten sieben Jahren alleine recherchierte, fotografierte, schrieb und layoutete, umfasste die Zeitschrift seit ihren Anfängen zehn bis fünfzehn Seiten und informierte detailliert über die Geschehnisse in der Provinz. Doch das reichte dem ehrgeizigen Zeitungsmacher nicht: Er wollte nicht nur Nachrichten, sondern auch die Kultur der Mapuche verbreiten. Also konzipierte er eine Beilage, die dies auf unkonventionelle Art tun sollte – das KülKül. Das Wort beschreibt den Ton, den der Lonko, der Anführer einer Mapuche-Gemeinschaft, mit einem Horn erzeugt, um die Gruppe zusammenzurufen.
Zunächst fehlte es an Geld, um außer der Zeitschrift noch eine Beilage zu publizieren. Durch die Geistliche Teresa Bull, die Projekte mit Mapuche- Gemeinschaften organisierte, lernte Díaz schließlich die Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung (DSE) kennen, welche die Arbeit Bulls finanzierte und auch an seiner Idee Interesse zeigte. Dennoch lagen zwischen dem Antrag auf Unterstützung für das KülKül im Jahre 1995 und der Zusage der Stiftung ganze drei Jahre. Der Zuschuss, der nun für zwei Jahre gesichert war, schuf auch andere Bedingungen für „La Voz de Arauco“: Es konnten zwei weitere Mitarbeiterinnen angestellt, sowie Material und Computer gekauft werden. Das KülKül erschien als Beilage und fiel schon durch sein Layout auf: Ein kindlicher Schriftsatz und viele Fotos ließen es äußerlich wie ein illustriertes Kinderbuch erscheinen. Dazu kam, dass jede Ausgabe ein Schwerpunktthema hatte wie zum Beispiel die Rolle der Frau, Musik, religiöse Rituale, oder Kinder und Jugendliche, so dass alle erschienenen Ausgaben zusammen wirklich ein Buch ergeben könnten.
Die Erste, im Dezember 1998 publizierte Beilage stellte das damals neue Projekt der zweisprachigen Erziehung auf Mapudungun ( die Sprache der Mapuche) und Spanisch vor und ließ Schüler aus ihrem Alltag erzählen. Um zur Verständigung beizutragen, beinhaltete jedes KülKül ein kleines Wörterbuch. Der Großteil der Artikel wurde von einer Chilenin geschrieben, die jedoch eng mit den Mapuche zusammenarbeitete, sie immer wieder besuchte und an ihren Ritualen teilnahm. Der Mapuche César Ancalaf, der in der Nähe von Cañete an einem Forschungsprojekt arbeitet, unterstützte die Redaktion als Berater. Díaz erzählt, dass oft Leute aus den Gemeinschaften in sein Büro kamen, um zu fragen, ob die neue Ausgabe der Zeitung schon da sei und ob ihr Interview erschienen sei. Es habe sie mit großer Zufriedenheit erfüllt, dass ihre Worte und Fotos wirklich veröffentlicht wurden.
Külkül im Unterricht
Nach den zwei Jahren lief die finanzielle Unterstützung der DSE aus, das KülKül musste nach zwanzig Ausgaben eingestellt werden und die Zeitschrift hielt sich mehr schlecht als recht durch Werbeeinnahmen über Wasser. Doch Cesar Correa Díaz hatte schon wieder neue Ideen entwickelt: Da er von Lehrern erfahren hatte, dass sie das KülKül im Unterricht verwendeten, wollte er seine Beilage in einem kleineren Format und farbig als Unterrichtsmaterial an Grundschulen in drei Regionen verteilen. Dieses Projekt sollte im Rahmen der Schulreform des Erziehungsministeriums finanziert werden. Nach langem Warten kam im März diesen Jahres endlich der positive Bescheid aus Santiago. Das KülKül ist in ein Programm der zweisprachigen Erziehung eingebunden, das seit 1998 in einigen Schulen praktiziert wird. Es soll „eine Annäherung zwischen Mapuche und Nicht-Mapuche hestellen“ und erreichen, dass „die Kinder die Existenz einer multikulturellen Gesellschaft anerkennen können“, so César Ancalaf.
Die inhaltlichen Schwerpunkte Religion, politische Organisation und Soziologie sollen durch Gespräche mit Politikern, Experten, Lonkos und Machis (Mapuche-Wunderheilerinnen) sowie durch Literaturrecherche vermittelt werden. Durch die webpage von „La Voz de Arauco“ (www.lavozdearauco.cl) und das Programm „Enlaces“ des chilenischen Erziehungsministeriums (www.enlaces.cl), das die Vernetzung von Bildungseinrichtungen vorantreibt, soll „die Zusammenarbeit zwischen SchülerInnen von verschiedenen Institutionen in Chile und im Ausland möglich gemacht werden“, wie Ancalaf erklärt. Armando Marileo, Leiter des Mapuche- Museums in Cañete, freut sich über die „Wiederauferstehung“ des KülKül, nach dem ihn immer wieder MuseumsbesucherInnen gefragt hatten.
Doch es gibt sicher nicht nur positive Reaktionen auf das neue KülKül. Das alte Projekt beschränkte sich darauf, in einer hübschen Verpackung die Kultur der Mapuche als Bereicherung für die chilenische Gesellschaft darzustellen. Der Kampf, den sie im täglichen Leben gegen Diskriminierung und Armut auszutragen haben, wird nicht beachtet. Zudem gibt es Lehrer, die die zweisprachige Erziehung für sinnlos halten, da sie den jungen Mapuche nur eine Chance einräumen, wenn sie sich vollständig in die chilenische Gesellschaft integrieren. Das Mapudungun ist ihrer Meinung nach dabei eher hinderlich als hilfreich und wird als Teil einer aussterbenden Kultur angesehen. Wie das KülKül letztendlich bei LehrerInnen und SchülerInnen ankommt, wird wohl erst die Erfahrung zeigen können.
Mitte April wurde „La Voz de Arauco“ zehn Jahre alt und ihr nimmermüder Chef hat wieder neue Pläne: Er will einen Radiosender eröffnen, der die Provinz 24 Stunden am Tag mit Musik und Informationen unterhält.