Die Tragödie als Chance – fragt sich nur: für was?
Agrarpolitik in Honduras nach dem Wirbelsturm
Honduras, Ende Februar 1999. Rechtzeitig zum Besuch einer Weltbank-Delegation blockieren 6.000 Bäuerinnen und Bauern die wichtigsten Straßen und Brücken des Landes. Die Presse schrie auf. Nur in Honduras könnten solche rückwärtsgewandten Aktionen noch geschehen, während das neue Jahrtausend vor der Tür stehe, kommentierte La Tribuna. Die Sprecher des Unternehmerlagers reagierten gereizt. Das neue landwirtschaftliche Investitionsgesetz anzutasten, würde den „Prozeß, ein neuen Honduras aufzubauen, schwer beeinträchtigen“, sagte Eduardo Facussé, Palmölbaron und Präsident des Unternehmerverbandes COHEP. Der Kongreß könne doch nicht einfach ein gerade erst beschlossenes Gesetz wieder kippen, nur weil Campesinos Brücken besetzten. Ähnlich verurteilende Kommentare aus Landwirtschaftministerium, Kongreß und Viehzüchterverband füllten die Zeitungsspalten. Auf die Ursachen der Bauernproteste und die Art und Weise, wie dieses Gesetz zustande gekommen war, schwiegen sie sich lieber aus.
Proteste gegen neues Agrargesetz
Der Kongreß war bereits in Weihnachtsvorbereitungen, als zu später Abendstunde des 18. Dezembers 1998 das sogenannte „Gesetz für landwirtschaftliche Investitionen und zur Schaffung von ländlicher Beschäftigung“ verabschiedet wurde. Eine ausführliche Debatte wurde nicht geführt. Die Bauernorganisationen waren in keiner Weise informiert worden. Am 29. Dezember trat das Gesetz, vom Präsidenten unterschrieben, in Kraft. Die Abgeordnete Doris Gutierrez von der linken Unificación Democrática sagte: „Die Mehrheit der Abgeordneten war sich über den Stellenwert der Entscheidung gar nicht bewußt. Damit provozierte der Kongreß die Bauernproteste, die sich im Januar und Februar zurecht dagegen erhoben“.
Der Grund für den bäuerlichen Widerstand war vor allem die Bestimmung des Gesetzes, nach der es in Zukunft keine Möglichkeit zur Enteignung brachliegenden Großgrundbesitzes mehr geben sollte. Der letzte Raum für die in den vergangenen Jahren bereits paralysierte Agrarreform sollte nun endgültig geschlossen werden. Brachliegender Großgrundbesitz, der über eine regional unterschiedlich festgelegte Obergrenze hinausgeht, soll nach der bisherigen honduranischen Agrargesetzgebung im Prinzip enteignet und an landlose Bauernfamilien übertragen werden. Dies wurde schon in der Vergangenheit kaum in die Praxis umgesetzt. Doch kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Besetzungen dieser Ländereien durch Landlose. Ende August 1998 war bei einem offensichtlich gezielten Attentat auf eine solche Besetzung einer der Landlosen ermordet worden. Der „Koordinationsrat der Bauernorganisationen“ (COCOCH) hatte deutlich gemacht, daß der Kampf um den brachliegenden Großgrundbesitz eine seiner zukünftigen Prioritäten sei.
Ein Gesetzesentwurf der Abgeordneten Gutierrez ging Ende November in diese Richtung. Alles Land, so der Tenor dieser Initiative, das seine soziale Funktion nicht erfülle, solle jetzt in den Dienst des Wiederaufbaus gestellt werden. Brachliegender Großgrundbesitz sollte konsequent der Agrarreform zur Verfügung gestellt werden. Damit versuchte auch die Linke, die Gunst der Stunde für einen Neuanfang zu nutzen. „Wiederaufbau mit Agrarreform“, hieß der vom COCOCH ausgegebene Slogan. Doch der Gegenschlag der anderen Seite ließ nicht lange auf sich warten. Das exakt diametral entgegengesetzte Investitionsgesetz sollte den Bauernorganisationen klar machen, daß sie nicht länger von Agrarreformen träumen sollten. Doch erwies sich die Schnelligkeit und Nicht-Beteiligung, mit der das Gesetz durchgezogen wurde, letztlich als Bumerang. Einige Abgeordnete vor allem der liberalen Regierungsfraktion wurden erst durch die Bauernproteste auf die Folgen ihrer Entscheidung aufmerksam.
Auch die Regierung zeigte sich nach den Straßensperren reformbereit. Präsidentschaftsminister Gustavo Alfaro und Parlamentspräsident Rafael Pineda Ponce riefen zum Dialog auf, der dann in den folgenden Tagen auch zu einer grundlegenden Revision des Gesetzes führte. Rafael Alegría vom honduranischen Bauernverband beschreibt die Verhandlungserfolge nach den Straßensperren so: „Das Unternehmerlager mußte unsere politische Stärke anerkennen, auch die Regierung. Dies erlaubte uns, mit einer starken Position in die Verhandlungen zu gehen. Wir erreichten, daß acht von zehn Artikeln des Gesetzes reformiert wurden. Ein Artikel, der schädlichste von allen, wurde gestrichen. Die Agrarreform wird nicht weiter zurückgedrängt. Es ist sogar umgekehrt so, daß die Agrarreform mit diesen Aktionen wieder in die öffentliche Debatte zurückgekehrt ist“.
Die positive Bilanz des bäuerlichen Protests kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß die grundlegende Richtung des Wiederaufbaus auch im agrarpolitischen Bereich eine Vertiefung der neoliberalen Anpassungspolitiken bedeutet. Nur wenn der soziale Widerstand zu groß wird, lenkt die Regierung ein. Insgesamt dominiert jedoch der alte Geist des Agrarmodernisierungsgesetzes, das lange Jahre vor Mitch bereits zu Verwüstungen bäuerlicher Existenzen und zu einer ausufernden Verbreitung der ländlichen Armut geführt hat (siehe Kasten). Schon vor Mitch lebten nach Angaben der UN-Wirtschaftskommission CEPAL zwei Drittel der honduranischen Bevölkerung in Armut. Von der extremen Armut waren 35 Prozent der Landbevölkerung betroffen. Diese bereits vorher unerträgliche Situation hat sich nun noch verschlechtert.
Mitch hat die Ärmsten getroffen
Die etwas über 200.000 landlosen und landarmen Bauernfamilien, die der im November 1998 erschienene Bericht des UN-Entwicklungsprogramms als besonders gefährdete Gruppe benennt und die über 60 Prozent aller landwirtschaftlich tätigen Familien stellen, gehören zu den Hauptbetroffenen des Wirbelsturms. Die monsunartigen Regenfälle haben an den erosionsgefährdeten Hanglagen die Humusdecke weggespült, gerade dort wo viele Landarme eine Überlebenswirtschaft betreiben. Die Überflutungen haben vor allem die ärmlichen Hütten mit sich gerissen. Die Verwüstungen der landwirtschaftlichen Produktion, die 70 Prozent der Felder, Ernten, Planzungen und Infrastruktur schwer beschädigt oder vollständig zerstört haben sollen, haben extreme Auswirkungen für die ländlichen Armen. Nicht nur die Bananenkompanien haben die meisten ihrer ArbeiterInnen entlassen. Im ganzen Sektor ist es für alle, die ihr Brot als Tagelöhner verdienen müssen, unendlich schwer geworden, eine Arbeit zu finden, die einen würdigen Lebensunterhalt ermöglicht.
Vor diesem Hintergrund ist es geradezu zynisch, daß in den vergangenen Wochen hochrangige Repräsentanten der internationalen Finanzinstitutionen ins Land gekommen sind, um weitere neoliberale Reformen anzumahnen. In der Tat nutzen auch sie die Gunst der Stunde, um den Wiederaufbau in ihrem Sinne zu steuern. Bauernführer Rafael Alegría bewertet diese Besuche außerordentlich kritisch: „Wir können nicht akzeptieren und verurteilen es, wenn der Präsident des Internationalen Währungsfonds kommt und sagt: selbstverständlich gibt es Finanzhilfen, selbstverständlich Unterstützung – aber nur, wenn die Strukturanpassungsprogramme in Honduras vertieft werden. In einem Land, das so verwüstet und zerstört daliegt wie unseres, ist es ein Verbrechen, noch mehr von diesen ausschließenden und diskriminierenden Anpassungsprogrammen durchsetzen zu wollen.“
Unser Autor ist Zentralamerikareferent im internationalen Sekretariat der Menschenrechtsorganisation FIAN in Heidelberg.
KASTEN:
Neoliberale Agrarpolitik vor Mitch:
Das Agrarmodernisierungsgesetz und seine Folgen
Das Agrarmodernisierungsgesetz trat 1992 als Strukturanpassungsprogramm für den Agrar- und Forstsektor in Honduras in Kraft. Von Anfang an hatte es für Kontroversen gesorgt, weil dem Drängen der internationalen Finanzinstitutionen mehr Gewicht zugestanden wurde als der Beteiligung und den Bedenken honduranischer Wissenschaftler und Bauernorganisationen. Nach wenigen Jahren zeichneten sich bereits gravierende Folgen des Anpassungsprogramms ab. Die Agrarreform wurde praktisch eingestellt bzw. auf die Landtitelübergabe reduziert. Die staatliche Förderung von Krediten und technischer Beratung wurden derart zusammengestrichen, daß nach drei Jahren nur noch fünf Prozent der Betriebe unter fünf Hektar Zugang zu diesen Dienstleistungen hatten. Die Auswirkungen des Anpassungsprogramms auf die Ernährungssicherheit waren unübersehbar. Mit dem Ende der Agrarreform blieb den nach offiziellen Angaben über 200.000 landlosen Bauernfamilien der Zugang zu Land versperrt. Die fehlenden Produktionsanreize führten zu einem Einbruch der nationalen Grundnahrungsmittelerzeugung. Innerhalb von vier Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes war die honduranische Reis- und Bohnenproduktion auf die Hälfte gesunken. Die Maisimporte stiegen im gleichen Zeitraum auf das Vierfache an.
Im November 1997 besuchte eine honduranische Delegation des Bauernverbandes COCOCH und der NRO-Koalition FOPRIDEH Bonn und forderte die deutsche Regierung auf, sich bei ihrem bilateralen Dialog mit der honduranischen Regierung und auf der Ebene der multilateralen Finanzinstitutionen für eine Revision des Agrarmodernisierungsgesetzes auszusprechen. Im Februar 1998 stellte das BMZ bei der Weltbank eine Stellungnahme vor, mit der es diese Revisionsinitiative unterstützte. Kritisiert wird darin, daß mit dem Agraranpassungsprogramm ein „rolling back of limited results of agrarian reform“ eingesetzt habe. „Credit for access to land is almost non-existent for the poor“. Besorgnis zeigte das BMZ auch über die eingebrochene Nahrungsmittelproduktion. Die Forderung nach einer Neuausrichtung der Agrarpolitik ist nach Mitch noch dringlicher als vor dem Hurrikan. Eine Delegation des honduranischen Bauernverbands COCOCH und der katholischen Sozialpastoral wird auf einer Rundreise in der zweiten Aprilhälfte 1999 in Washington, Brüssel und Bonn Vorschläge für eine andere Agrarpolitik vorlegen.