Nummer 199 - Januar 1991 | Peru

“Diese Politik begünstigt nur die herrschenden Klassen”

Interview mit Walter Palacios Vinces

An Fujimori scheiden sich die Geister – gerade und auch die der dem linken Spek­trum zuzuordnenden Intellektuellen. Die Debatte um die neuen politischen Entwicklung­en in Peru und um das Phänomen Fujimori, das das konventionelle links-rechts Schema zu sprengen schien – vgl. die Artikel in LN 194/95 und 196 – wollten wir zuspitzen mit dem Artikel “Fujimori aus anderer Sicht” in LN 197. Darin plädierte C. Rojas, ehemaliges Mitglied der IU (“vereinigte Linke”) für eine positive Bewertung des neuen peruanischen Präsidenten. Im folgenden Artikel möchten wir die Diskussion fortsetzen, indem Walter Palacios als Vertreter einer Linkspartei zu Worte kommt, die die Politik von Alberto Fujiomori erbittert ablehnt. In seiner Gesellschaftsanalyse hält er fest an der Vorstellung vom Klassen­kampf des kämpfenden Volkes gegen die Herrschenden, die andere als nicht mehr angemessen zu verwerfen beginnen. Wie er daran festhält, das wird im folgenden Interview deutlich.

Mücke/Seils

Frage: Fujimori ist im Juni mit einem erdrutschartigen Sieg zum Präsidenten gewählt worden. Es war vor allem auch die einfache Bevölkerung, die ihn ge­wählt hat. Aber es fällt auch auf, daß er in den Gebieten unter Ausnahme­zustand, wo Sendero Luminoso aktiv ist, Ergebnisse weit über dem Landes­durchschnitt erzielen konnte. Wenn man noch die Unterstützung durch die im “informellen Sektor” tätige städtische Bevölkerung hinzunimmt, so entsteht der Eindruck, daß er ein Präsident des Volkes ist. Danach jedoch überraschten seine Wirtschaftsmaßnahmen, unter denen ja vor allem diejenigen zu leiden haben, die ihn wählten. Wie erklärst Du Dir diesen Widerspruch?

Walter Palacios: Alberto Fujimori wurde von einer so breiten Mehrheit gewählt, weil er zwei Sachen auszunutzen verstand: auf der einen Seite die Ablehnung gegenüber der Programmatik der rechten Frente Democrático (FREDEMO), die, von Mario Vargas Llosa angeführt, Wirtschaftsmaßnahmen verkündete, die für das Volk sehr hart gewesen wären. Auf der anderen Seite die weit verbreitete Unzufriedenheit mit der Führung der IU. Aber das bedeutet nicht, daß Alberto Fujimori eine soziale Basis hat. “Cambio 90” ist keine Partei, das ist ein Name, den sich Fujimori ausgedacht hat, um seine Wahlkampagne zu führen. Nach den Wirtschaftsmaßnahmen und angesichts der Repression ist es absurd, wenn jemand meint, Fujimori habe seine Basis in der armen Bevölkerung. Seine Basis sind der IWF, die Großunternehmer und das Militär, das gegen die protes­tierende Bevölkerung vorgeht.

Frage: Wenn wir mal die Frage nach der Unterstützung durch die Bevölkerung beiseite lassen, so könnte man/frau vielleicht dennoch sagen, daß die Re­gierung von Fujimori zumindest eine Regierung von Fachleuten ist, die im Gegensatz zu vorherigen Regierungen wenigstens nicht versuchen, die Staatsein­nahmen zu unterschlagen oder irgendwelchen Fremden zuzu­schachern. Ist es nicht auch in den Augen der UDP ein Fortschritt, daß die Re­gierung tatsächlich versucht, Lösungen für die Probleme des Landes zu fin­den?

Dieser Begriff der “Fachleute” wird benutzt, um die öffentliche Meinung in die Irre zu führen. Der Premierminister Juan Carlos Hurtado Miller, der zugleich das Amt des Wirtschaftministers bekleidet, ist z.B. ein hochrangiger Vertreter von Acción Popular, einer der Parteien der FREDEMO, und er war schon unter Belaúnde Minister. Das zeigt klar, was von diesen angeblichen Fachleuten zu halten ist. Andere Beispiele sind Minister wie Sánchez Salavera, ein Fürhrer der Partido Socialista Revolucionaria von der Izquierda Socialista (IS) oder Gloria Helfer, die einen wichtigen Posten in MAS, einer der Parteien der IU bekleidete. Die Regierung Fujimori wird von Politikern gebildet. Ganz abgesehen davon meinen wir von der UDP, daß das Entscheidende nicht ist, wer die Regierung bildet, sondern welche Maßnahmen diese Regierung trifft. Wichtig ist, ob die Maßnahmen dieser Regierung dem Land und der Bevölkerungsmehrheit helfen oder nicht. Und unserer Meinung nach bringen die vom IWF diktierten Wirtschaftmaßnahmen dem Volk seit dem achten August nichts weiter als Unglück und Elend.

Frage: Aber glaubst Du nicht, daß gerade diese Wirtschaftsmaßnahmen Aus­druck einer realistischen Politik sind, die sich an der tatsächlichen internatio­nalen und nationalen Situation orientiert und nicht an irgendwelchen Wunschvorstellungen? Ist es nicht sinnvoll, mit dem IWF und den US-ameri­kanischen Banken auch über die Auslandsschuld zu reden?

Diese Politik ist schon realistisch, aber nur im Sinne der Großunternehmen und der herrschenden Klassen. Es ist keine realistische Politik, wenn man vorhat, die Probleme des Landes und das Elend der Bevölkerung zu lindern. Es heißt, es gäbe keinen anderen Ausweg, als sich wieder in die internationale Finanzwelt zu integrieren und mit dem IWF zu verhandeln. Wir denken, daß man damit die Unabhängigkeit Perus aufgibt. Wenn man die Wirtschaftskraft Perus betrachtet, weiß man, daß die Auslandsschuld nicht bezahlt werden kann. Wenn jetzt irgend­jemand trotzdem versucht, sie zu zahlen, indem er die Löhne senkt und die indirekten Steuern erhöht, um den Staatshaushalt zu sanieren, dann ist das auch auf lange Sicht keine Politik, die dem Volke nützt, da diese Politik die Rezes­sion verstärkt. Diese Politik begünstigt nur die herrschenden Klassen, deren Interessenvertreter eben jene vermeintlichen Fachleute sind.

Frage: Ist es nicht vorstellbar, daß das jetzt zwar eine harte Phase für das Volk, für die Armen, ist, daß sich aber langfristig die wirtschaftliche Situation bes­sert, und dann auch die Armen von der Verbesserung profitieren?

Unserer Meinung nach gibt es keine Lösung für die Probleme des Landes inner­halb dieses Systems des abhängigen Kapitalismus. Es kann zwar vorübergehende Erfolge für diese Regierungen geben, wie z.B. die Inflation zu senken, aber das geschieht immer mit enormen sozialen Kosten. Und die Schwächsten der Gesell­schaft – die Kinder, die Frauen und die Allerärmsten – sind diejenigen, die es am härtesten trifft. Die Erfolge dieser Maßnahmen werden dem Volk also überhaupt nichts nützen. Das gilt nicht nur in Peru sondern in ganz Lateinamerika. Diese Maßnahmen verschärfen die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und führen zu sozialen Explosionen.

Frage: Manchmal hat es den Anschein, daß die Opposition – und nicht nur die IU, sondern auch andere Parteien – eigentlich keine Alternativen zu der herr­schenden Politik entwickeln können. Stimmte das Volk nicht auch deshalb für Fujimori, weil die IU offensichtlich nicht wußte, wie sie das Land regieren sollte?

Die Opposition gegen Fujimori und auch gegen die vorherigen Regierungen war und ist vielfältig. Es gibt die legale Linke im Parlament, es gibt die konkreten und täglichen Kämpfe der Bevölkerung, die in Gewerkschaften und anderen Zusam­menschlüssen organisiert ist. Und es gibt eine bewaffnete Opposition. Unserer Meinung nach hat die legale, parlamentarische Linke es bisher leider nicht geschafft, eine konsequente Opposition zu entwickeln und gleichzeitig mögliche Alternativen vorzuschlagen. Das ist ein Ergebnis der Desorientierung und der Krise von Sektoren der parlamentarischen Linken der IU. Das ist auch ein Ergeb­nis davon, daß Teile dieser Linken Alberto Fujimori nicht nur im Wahlkampf geholfen haben, sondern ihn auch heute noch unterstützen. Mitglieder von Par­teien der Linken haben wichtige Posten in der Regierung Fujimoris, und das zeigt, daß die parlamentarische Linke die Wirtschaftsmaßnahmen Fujimoris nicht konsequent ablehnt und auch keine gangbare Alternative präsentieren kann.

Frage: Du siehst in der IU keinerlei Ansatz für eine solche Opposition?

Die parlamentarische Linke arbeitet nicht in der Form, in der sie arbeiten müßte. Wo sich etwas entwickelt, das ist in den direkten Aktionen der Massen.

Frage: Es sieht so aus, als hätte die IU jeglichen Anstand verloren. So schloß sie sich zum Generalstreik gegen das Schockprogramm Fujimoris mit der APRA zusammen. Wie kann die IU nach fünf Jahren Opposition gegen die APRA eine solche Oppositionskoalition mit dieser machen – einen Monat, nachdem die APRA die Regierung verlassen hat?

Ich glaube, man muß hier zwei Sachen differnzieren. Zum einen ist die IU ein Zusammenschluß verschiedener politischer Parteien, die zu bestimmten Proble­men auch unterschiedliche Meinungen haben. Und zum anderen muß man bei der IU auch zwischen Basis und nationaler Leitung unterscheiden. Es gab immer Sektoren in der IU, die den Kontakt zur APRA suchten und das nicht erst, seit­dem Fujimori an der Macht ist. Andere Sektoren der IU und vor allem die Basis waren immer dagegen und wollten eine unabhängige und in der Volksbewegung verwurzelte Position entwickeln. Und man muß auch sehen, daß die APRA nach ihrem Scheitern als Regierungspartei eine völlig opportunistische Politik macht, während die IU tatsächlich Repräsentanten hat, die die Kämpfe des Volkes unter­stützen.

Frage: Es ist auch hier in der BRD davon gesprochen worden. daß die MRTA (Movimiento Revolucionario Tupac Amaru – neben Sendero Luminoso derzeit die zweite wichtige Guerilla in Peru) mit der Regierung Fujimoris – nicht mit Fujiomori persönlich – verhandeln will. Weißt Du etwas darüber?
In der Presse konnte man lesen, daß die MRTA meint, der Dialog könne eine Waffe sein, um die Unehrlichkeit der Herrschenden offenzulegen. Sowohl Alan García als auch Fujimori haben vor Amtsantritt gesagt, sie wären zu einem Dia­log mit den bewaffneten Gruppen bereit. Die MRTA hat diese Vorschläge aufge­griffen, worauf dann sowohl Alan García als auch Fujimori abgewinkt haben. Diese Dialogvorschläge sind also ein Mittel der herrschenden Klassen, um die Unterstützung des Volkes zu gewinnen.

Die Dialogvorschläge sind ein Mittel der herrschenden Klassen

Denn das Volk will keine irrationale ungebremste Gewalt. Es will kein Blutbad, auch wenn es bereit ist zu kämpfen. Nach den kriminellen Wirtschaftsmaßnah­men Fujimoris hat die MRTA über verschiedene Zeitungen mitteilen lassen, daß es weder mit Fujimori noch mit seiner Regierung einen Dialog geben kann.

Frage: Die überdurchschnittlichen Wahlergebnisse für Fujimori in den Gebieten unter Ausnahmezustand zeigen, daß die Bevölkerung mit Fujimori eine Humanisierung der Streitkräfte erwartete, denn von Vargas LLosa und der FREDEMO erwarteten alle eine Verschärfung des schmutzigen Krieges. Was kann man nach den ersten Monaten der Präsidentschaft Fujimoris sagen? Hat sich diese Hoffnung erfüllt? Fangen die Streitkräfte und die Polizei lang­sam an, die Menschenrechte zu beachten?

Nein, diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Die Repression wird im Gegenteil immer härter, denn diese Politik ist nicht von einer Regierung oder einer Person gemacht worden, sondern von den herrschenden Klassen und dem nordamerika­nischen Imperialismus. In einem krisengeschüttelten Land hat das Volk das Recht zu rebellieren und zu kämpfen. Das geschieht in Peru. Genauso wie sich Fujimori ökonomisch auf die großen Monopole, auf den IWF und die internatio­nalen Banken stützt, so stützt er sich intern, um die “Ordnung” aufrecht zu hal­ten, auf die peruanischen Streitkräfte, vor allem auf das Heer. So wird ein aktiver General des Heeres Innenminister und damit zum Chef der Polizei und das, ob­wohl das Innenministerium traditionell mit einem Zivilisten oder einem ranghohen Polizisten im Ruhestand besetzt wurde. Auch der Verteidigungsminis­ter ist ein aktiver General. Klarer kann man die Beziehung zwischen Fujimori und der Armee nicht ausdrücken. Das Heer hat die Hände frei für den schmutzigen Krieg und die Repression.

Frage: Angesichts dieser Situation: Was sind die Alternativen, die Deine Organisa­tion, die UDP, vorschlägt?

Das Land befindet sich in einer strukturellen Krise, deswegen können die Proble­me nur durch tiefgreifende revolutionäre Veränderungen gelöst werden. Trotz­dem meinen wir, daß wir auch Forderungen aufstellen müssen, die schon inner­halb dieses liberalen kapitalistischen Systems erfüllt werden können. Es gibt einen Forderungskatalog, den nicht nur die UDP, sondern auch andere linke Kräfte wie die Nationale Volksversammlung und die Verteidigungsfronten unter­stützen: eine unabhängige Wirtschaftspolitik, die nicht den Diktaten des IWF, der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank folgt; keine inflationäre und rezessive Wirtschaftspolitik, die den Produktionsapparat des Landes gefährdet, sondern im Gegenteil Reaktivierung des Produktionsapparates durch Erhalt der Kaufkraft der Bevölkerungsmehrheit; eine gerechte Steuerpoli­tik, die hohe Steuersätze für die großen Unternehmen und reiche Privatpersonen vorsieht und die indirekten Steuern, die das ganze Volk zahlt, beseitigt; keine Steuervergünstigungen für die großen ausländischen Firmen, vor allem nicht für die Erdöl- und Bergbauunter­nehmen, die unsere Bodenschätze ausbeuten; besondere Vergünstigungen für die Landwirtschaft, um durch höhere Erträge die Versorgung mit Lebensmitteln zu verbessern; Verurteilung aller, die sich in illegitimer Weise auf Staatskosten be­reichert haben, Ende des schmutzigen Krieges und Demilitarisierung des Landes; Rücktritt der Generäle von Innen- und Verteidigungsministerium und von anderen öffentlichen Ämtern; Strafe für diejenigen, die Kriegsverbrechen begangen haben und schließlich eine Politik, in der soziale Gerechtigkeit und Frieden gleichzeitig angestrebt werden. Jede Regierung, die die Leiden des Volkes wirklich mindern will, kann diese Vorschläge aufgreifen, die die Nationale Volksversammlung, die UDP und andere Organisationen gemacht haben.

Kasten:

Als Mitbegründer und Mitglied des Zentralkomitees des MIR (Movimiento de Izquierda Revolucionaria – “linksrevolutionäre Bewegung”) beteiligte sich Walter Palacios an der Guerilla von 1965. Von 1988 bis 1989 war er Chefredakteur der Wochenzeitung “Cambio”. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Unidad Democrática Popular (UDP), einer linken Partei außerhalb der Izquierda Unida (vereinigte Linke).

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