“Direkter Körperkontakt ist nicht möglich”
“Direkter Körperkontakt ist nicht möglich”
LN: Die Wochen vor der Verlegung in das Hochsicherheitsgefängnis waren von extremen Spannungen und Angst auf Seiten der Gefangenen und ihrer Familien gekennzeichnet. Es gab sogar Befürchtungen, daß es aufgrund des Widerstandes der Gefangenen zu einem gewaltsamen Vorgehen der Polizei kommen könnte. Wie verlief nun die Verlegung wirklich?
Daniel: Die Gefangenen der Ex-Penitenciaría wurden völlig unvorbereitet am frühen Morgen, so etwa gegen fünf Uhr, aus den Betten geholt. Sie wurden brutal geschlagen und durch Tränengasbomben ruhiggestellt.
Die Situation in dem Gefängnis San Miguel war noch viel schlimmer. Diese Verlegung begann erst gegen neun Uhr morgens. Die Gefangenen wußten schon über den Verlauf der vorgegangenen Verlegung Bescheid und leisteten mit allen ihnen verfügbaren Mitteln Widerstand. Dabei wurden zwei von ihnen, Mauricio Hernández und Jaime Pinto, durch Schüsse verletzt. Letztendlich gaben die Gefangenen den Widerstand auf. Viele von ihnen erlitten Quetschungen und Prellungen, die vor allem durch Schlagstöcke verursacht wurden. Ärzte, die die Gefangenen behandelten, bestätigten schwere körperliche Mißhandlungen.
Am dritten Tag nach der Verlegung traten 40 Gefangene des Hochsicherheitsgefängnisses, 20 Frauen des Gefängnisses San Miguel und vier Familien der Gefangenen in einen Hungerstreik, der nach 48 Tagen abgebrochen wurde. Welche Forderungen lagen dem Streik zugrunde?
Zum einen fordern wir eine Neuregelung der Besuchszeiten. Im Moment sieht es so aus, daß der Besuch auf eine Stunde in der Woche reduziert ist. Vorher waren es zwei Tage pro Woche mit je vier Stunden. Bei einem dieser vier Besuche im Monat dürfen die Gefangenen vier Personen, ansonsten nur zwei, empfangen. Diese müssen direkte Familienangehörige sein. Am Schlimmsten ist für uns, daß kein direkter Körperkontakt möglich ist. Die Besuchsräume sind mit Trennscheiben versehen, bei denen man fast schreien muß, um sich zu verständigen. Außerdem ist auf den Besucher und den entsprechenden Gefangenen eine Videokamera gerichtet, die das Gespräch aufnimmt. Meine Eltern zum Beispiel sind wegen Entführung zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Ich bin 24 Jahre alt und kann mir nicht vorstellen, meine Eltern in den nächsten Jahren nur durch diese Trennscheibe zu sehen. Wir fordern also den direkten Kontakt zu den Gefangenen. Bis jetzt konnten wir aber nur erreichen, daß dies Kindern unter 14 Jahren und den Ehefrauen einmal im Monat zusteht. Unsere Hauptforderung ist die Schließung des Gefängnisses. Noch nicht einmal während der Diktatur wurde ein Gefängnis mit solch extremen Sicherheitsvorkehrungen konstruiert!
Der Besuch der Menschenrechtskommission der Abgeordnetenkammer sollte der Polemik um den Hochsicherheitstrakt ein Ende bereiten. Wie verhielten sich die Abgeordneten gegenüber den Gefangenen, und gibt es Hoffnung auf eine Veränderung der Situation?
Nun, die Abgeordneten haben sich gegenüber den Gefangenen und ihren Forderungen sehr offen gezeigt. Es wurde viel diskutiert, und es entstand der Eindruck, daß die Kommission die Situation der Gefangenen und ihrer Angehörigen versteht. Damit ist jedoch der Streit nicht beendet, denn es gab seitens der Abgeordneten keine klare Stellungnahme. Die Kommission wird Vorschläge und Empfehlungen unterbreiten, die jedoch die Gendarmería nicht dazu verpflichten, diese auch umzusetzen.
Eine Woche nach der Verlegung wurde den Angehörigen erlaubt, den Hochsicherheitstrakt zu betreten und die Gefangenen zu besuchen. Am ersten Besuchstag kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Angehörigen und der Polizei. Aus welchem Grund?
Vor dem Hochsicherheitsgefängnis hatten sich Mitglieder verschiedener Organisationen zusammengefunden, darunter auch Mitglieder der ODEP. Wir befestigten Transparente an den Außenwänden des Gefängnisses, auf denen wir auf den Hungerstreik hinwiesen und unser klares Nein zum Hochsicherheitsgefängnis ausdrückten. Außerdem verteilten wir Flugblätter. Schließlich kam eine Spezialeinheit der Polizei und versuchte, uns gewaltsam vom Platz zu schaffen. Dabei wurde ich mit zwei weiteren Mitliedern der ODEP verhaftet. Wir wurden drei Tage lang verhört. Sie haben mich geschlagen, gefesselt, mir in der ganzen Zeit nichts zu essen und zu trinken gegeben. Aber das Schlimmste von allem war, daß sie mich nicht schlafen ließen.
Sie wollten Fotos von uns machen, doch wir verweigerten uns und erwiderten nur, daß die Presse doch genug Fotos von uns hätte. Das war ein weiterer Grund für sie, uns mit Prügeln zu strafen. Dann markierten sie noch unsere Personalausweise mit vier kleinen Punkten am Bildrand, die nicht mehr zu entfernen sind.
Welche Eindrücke hattest Du später bei Deinem Besuch im Hochsicherheitstrakt?
Das Gebäude ist sehr steril, ein reiner Zementblock, ohne Pflanzen, ohne Bäume. Alles ist ganz sauber. Es gibt nur klimatisierte Luft, und vor allem viel zu wenig natürliches Licht. Die Fenster sind so klein, daß kaum Tageslicht eindringen kann. Es wurden überall Neonlampen angebracht, die die Sterilität noch betonen. Die Wärter verhalten sich sehr ruhig und formell, so daß menschliche Regungen auf ein Minimum reduziert sind. Kein Vergleich zu den gewöhnlichen chilenischen Gefängnissen, in denen Lärm, tägliche Auseinandersetzungen, Schimpfwörter und Schlägereien vorherrschen. Es ist bedrückend, keine menschlichen Laute zu hören. Und an jeder Ecke sind auch noch Videokameras, die einen beobachten.
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Begnadigung und Zwangsexil
Im März diesen Jahres, noch unter der Regierung Aylwins, wurden die vier politischen Gefangenen Héctor Maturana, Juan Narváez, Miguel Valdivia und Héctor Gómez begnadigt. Sie waren wegen ihres Attentats gegen Pinochet im Jahre 1986 zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Die Zeit im Gefängnis war geprägt von Folter und langer Isolation. Jetzt wurden sie nach Belgien ins Zwangsexil geschickt, und zwar für zwanzig Jahre .Sie haben gegen die Diktatur gekämpft und bekommen jetzt die Möglichkeit verwehrt, ihre Freiheit mit den Menschen, mit denen und für die sie gekämpft haben, zu genießen. Das zeigt deutlich den fehlenden politischen Willen der Regierung zur wirklichen Aufarbeitung der Diktaturzeit.
Fernando Zegers, Anwalt und führendes Mitglied der CODEPU (Comisión de Derechos del Pueblo), bezeichnete die Begnadigung der vier politischen Gefangenen als “elementares Zeichen der Gerechtigkeit”. Nachdrücklich erklärte er, daß diese Menschen, die gefoltert wurden – noch dazu ohne gerechtes Urteil – nicht mit denen gleichzusetzen sind, die für die Morde unter der Diktatur verantwortlich sind. Die staatlich geschützten Mörder genießen sogar noch Straffreiheit. Die rechten Parteien und das Militär sind grundsätzlich anderer Meinung. Jovino Novoa, Präsident der rechten UDI (Unión Democrática Independiente) betonte, daß die Begnadigung “alte Wunden im Land wieder aufreißt”. Er erläuterte, daß Aylwin damit terroristische Aktionen als Mittel politischer Auseinandersetzung gelten ließe. Jorge Lucar, Vizekommandant des Militärs, machte deutlich: “Die Begnadigung ist ein bedauerlicher Vorfall, um so mehr weil wir alle wissen, wie diese Leute handelten – mit Vorsatz und Heimtücke.