Nummer 525 - März 2018 | Venezuela | Wahlen

DOCH NOCH EIN ECHTER GEGNER

Bei der Präsidentschaftswahl in Venezuela tritt der frühere Chavist Henri Falcón gegen Nicolás Maduro an.

Am 20. Mai dieses Jahres findet in Venezuela aller Voraussicht nach die Präsidentschaftswahl statt. Amtsinhaber Nicolás Maduro geht aufgrund der derzeitigen Schwäche der Opposition als Favorit ins Rennen, obwohl das Land nach wie vor in einer akuten Wirtschafts- und Versorgungskrise steckt. Das Oppositionsbündnis Tisch der Demokratischen Einheit (MUD) will die Abstimmung durch einen Wahlboykott delegitimieren. Durch die Kandidatur des früheren Chavisten Henri Falcón könnte es aber doch noch einmal spannend werden.

Von Tobias Lambert

Amtsinhaber Maduro geht als Favorit in’s Rennen um die Präsidentschaft (Foto: Joka Madruga CC BY 2.0)

Nun wird es also doch noch einen richtigen Wahlkampf geben. Nach einigem Hin und Her sollen in Venezuela am 20. Mai vorgezogene Präsidentschaftswahlen stattfinden – die der Großteil der Opposition boykottiert. Bis zuletzt war daher unklar, ob Amtsinhaber Nicolás Maduro überhaupt einen ernsthaften Gegenkandidaten bekommen würde. Ende Februar ließ sich mit Henri Falcón von der kleinen Partei Avanzada Progresista nun ein namhafter Kandidat beim Nationalen Wahlrat (CNE) registrieren. „Wir sind uns sicher, dass wir gewinnen werden“, ließ der ehemalige Gouverneur des westlichen Bundesstaates Lara verlauten, der dem Oppositionsbündnis Tisch der demokratischen Einheit (MUD) mit seiner Kandidatur endgültig den Rücken kehrt. Der Ex-Militär Falcón stammt selbst aus den Reihen des Chavismus. Zwischen 1999 und 2010 führte er mehrere Ämter für die Regierungspartei aus, bevor er mit dem damaligen Präsidenten Hugo Chávez brach. Schon zuvor bezeichnete er sich selbst als „light-Chavisten“.

Henri Falcón bezeichnete sich selbst als “light-Chavisten”

Unterstützt von insgesamt zehn Parteien schrieb sich auch Maduro offiziell als Kandidat ein. Der amtierende Präsident forderte Falcón zu einer „großen Debatte“ auf und kündigte an, der Opposition „mit zehn Millionen Stimmen eine Klatsche zu verpassen“. Neben der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) stehen hinter Maduro auch traditionelle chavistische Verbündete wie die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) und die aus der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangene Partei Patria Para Todos (PPT). Beide hatten zuletzt allerdings Kritik an der Regierung geübt und waren bei den Kommunalwahlen sogar teilweise mit eigenen Kandidaten gegen die PSUV angetreten. Zudem verkündete Maduro Ende Januar die Gründung einer neuen Partei namens Somos Venezuela (Wir sind Venezuela), die ihn bei den Präsidentschaftswahlen als eigenständige politische Kraft unterstützt. Somos Venezuela war Mitte 2017 zunächst als Bewegung entstanden, die bei der Umsetzung staatlicher Sozialprogramme mitwirkt. Als Parteichefin fungiert die Präsidentin der umstrittenen Verfassunggebenden Versammlung (ANC), Delcy Rodríguez. Mit der Neugründung will die Regierung nach eigenen Angaben vor allem Wähler*innen erreichen, die sich von den bisherigen Parteien nicht repräsentiert fühlen.

Am 23. Januar hatte die ANC beschlossen, die eigentlich für Dezember vorgesehene Präsidentschaftswahl auf einen Termin vor dem 30. April vorzuverlegen. Wie erwartet folgte der Nationale Wahlrat (CNE) dem Ansinnen und legte die Wahl zunächst auf den 22. April. Zuvor waren in der Dominikanischen Republik mehrmonatige Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition gescheitert. Weil die Opposition derzeit schwach und zerstritten ist, kommt ein früherer Wahltermin der Regierung entgegen. Diosdado Cabello, Vizepräsident der PSUV und Delegierter der ANC, hatte sogar vorgeschlagen, zeitgleich das Parlament neu wählen zu lassen, das oppositionell dominiert, jedoch derzeit juristisch kalt gestellt ist. Maduro unterstützte den Vorstoß und regte an, zusätzlich auch noch die ausstehenden Wahlen der regionalen und kommunalen Legislativen auf den selben Tag zu legen. Doch der CNE lehnte die Vorschläge mit der Begründung ab, das die Zeit dafür nicht ausreiche. Am 1. März dann folgte die nächste Überraschung: Als neuen Wahltermin verkündete der CNE den 20. Mai, an dem nicht nur der Präsident, sondern auch die regionalen und kommunalen Legislativen gewählt werden sollen. Die ANC erteilte unmittelbar danach ihre Zustimmung. Die Terminfindung zeigt eindrücklich, wie informell in Venezuela mittlerweile derart weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Auf den neuen Termin hatte sich die Regierung mit Falcóns Partei Avanzada Progresista sowie den kleineren Oppositionsparteien Movimiento al Socialismo (MAS) und der christdemokratischen Copei geeinigt, die Falcóns Kandidatur ebenfalls unterstützen.

Maduro will der Opposition “mit zehn Millionen Stimmen eine Klatsche verpassen””

Sie vereinbarten, die Wahlergebnisse anzuerkennen, einen ausgewogenen Zugang zu den Medien sicherzustellen und eine Wahlbeobachtermission unter Leitung der Vereinten Nationen einzuladen, die alle Phasen des Urnengangs überwachen soll. Auch sollten die Wahlbedingungen wieder hergestellt werden, die bis 2015 galten. So hatte der CNE bei den vergangenen Regional- und Kommunalwahlen im Oktober und Dezember vergangenen Jahres wegen der vorherigen gewalttätigen Proteste einige Wahllokale von oppositionellen Hochburgen in chavistisch dominierte Gebiete verlegt.

Die nun vereinbarten Punkte ähneln jenen, über die Regierung und Opposition bis Ende Januar in der Dominikanischen Republik verhandelt hatten, die dem MUD aber nicht weit genug gingen. Der Generalsekretär von Avanzada Progresista, Luis Romero, bekräftige, die ausgehandelten Bedingungen seien „zwar nicht optimal, garantierten den Venezolanern aber vollkommen, ihr Wahlrecht auszuüben“.
Da die Regierung für die Legitimität der Wahl auf mindestens einen ernsthaften Konkurrenten angewiesen ist, kam sie um Zugeständnisse nicht herum. Denn der MUD erklärte am 21. Februar, die Wahl zu boykottieren. Zuvor hatten schon dessen größte Parteien Acción Democrática, Primero Justicia, Un Nuevo Tiempo und Voluntad Popular getrennt voneinander ihre Ablehnung der Wahl bekundet. Stattdessen wolle man eine „breite Front“ unterschiedlicher Akteure wie Parteien, Kirchen und Universitäten aufbauen, um einen politischen Wandel und faire Wahlbedingungen zu erreichen. Dass sowohl der MUD als Ganzes, als auch dessen Einzelparteien Primero Justicia und Voluntad Popular im Zuge einer umstrittenen Neuregistrierung kürzlich ihren Parteienstatus verloren haben, erschwerte die Einigung auf eine gemeinsame Kandidatur möglicherweise zusätzlich. Auch nach der erneuten Verlegung blieb das Bündnis bei seiner Position und forderte Falcón dazu auf, seine Kandidatur zurück zu ziehen. „Leider hat er der Versuchung einer Wahlteilnahme nachgegeben und spielt damit der Regierung von Nicolás Maduro in die Hände“, sagte Juan Pablo Guanipa von Primero Justicia. Auf internationaler Ebene stützen unter anderem die USA, die Europäische Union sowie mehrere lateinamerikanische Länder die Haltung des MUD.

Das Oppositionsbündnis fordert unter anderem eine Neubesetzung des fünfköpfigen Nationalen Wahlrats, die Freilassung aller als politische Gefangene angesehenen Personen und die Rücknahme der Antrittsverbote, mit denen populäre Oppositionspolitiker wie Leopoldo López und Henrique Capriles Radonski belegt sind. Laut inoffiziellen Informationen trafen sich auch Vertreter*innen von MUD Ende Februar nochmals mit der Regierung, um über die Wahlbedingungen zu verhandeln. Doch während die rechte Opposition im vergangenen Jahr, als sie politisch Oberwasser hatte, noch sofortige Neuwahlen forderte, benötigt sie nun vor allem mehr Zeit. Seit dem Scheitern der Straßenproteste befindet sich der MUD in einer schweren internen Krise und wäre kurzfristig gar nicht in der Lage, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten oder eine Kandidatin zu einigen.

Aufgrund des oppositionellen Wahlboykotts gilt Falcón bisher als klarer Außenseiter im Rennen um die Präsidentschaft. Auch haftet ihm der Makel an, im vergangenen Oktober bei den Regionalwahlen in Lara seinen Gouverneursposten an die PSUV verloren zu haben. Seine wichtigste Aufgabe wird in den kommenden zweieinhalb Monaten sein, all jene Wähler*innen zu mobilisieren, die einen Regierungswechsel wollen.

Maduro rief den MUD nach seiner Einschreibung derweil abermals dazu auf, einen eigenen Kandidaten einzuschreiben, da alle Garantien gegeben seien. „Nur eines kann ich euch nicht garantieren“, sagte er ironisch, „und zwar, dass ihr die Wahl gewinnt“.

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