Drei zu Zwei
Die FMLN vor der Spaltung
Am 24. April wurde Armando Calderón Sol von der ultrarechten ARENA-Partei in einer Stichwahl gegen den Oppositionskandidaten Rubén Zamora zum neuen Präsidenten El Salvadors gewählt. Es hatte zwar geringe Verbesserungen des Wahlablaufs im Vergleich zum ersten Urnengang am 20. März gegeben. Doch nach wie vor waren Hunderttausende ohne Wahlausweis. Das Ergebnis war allerdings eindeutig: Calderón Sol hatte 68 Prozent, Zamora lediglich 32 Prozent der Stimmen erhalten. Bereits wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale gratulierte Rubén Zamora dem ARENA-Kandidaten zu seinem Wahlsieg.
Die Vorgeschichte des Streits
Joaquín Villalobos hatte bereits im letzten Sommer die Nominierung des Vorsitzenden der “Sozialchristlichen Volksbewegung” (MPSC), Rubén Zamora, zum gemeinsamen Präsidentschaftkandidaten kritisiert. Da die MPSC in den 80er Jahren mit der FMLN verbündet war, sei Zamora als Linker verschrien. Da es aber in erster Linie darum gehe, ARENA von der Regierung abzulösen, solle die FMLN Abraham Rodriguez von der Christdemokratischen Partei (PDC) unterstützen. Nachdem dieser in den PDC-internen Vorwahlen jedoch dem PDC-Vorsitzenden Fidel Chávez Mena unterlegen war, hatte Villalobos keine Alternative mehr anzubieten. Denn Chávez Mena lehnte ein Bündnis mit der ehemaligen Guerilla ab. Das ERP (seit 1992 mit dem neuem Namen Ausdruck der Volkserneuerung) und die RN (Nationaler Widerstand), unterlagen dann in der Kandidatenfrage den anderen drei Parteien: FPL (Volksbefreiungskräfte), PCS (Kommunistische Partei) und PRTC (Zentralamerikanische Arbeiterpartei) stimmten für Zamora. Immerhin wurde mit Francisco Lima ein Vizepräsidentschaftskandidat gekürt, der bis dahin noch nichts mit der linken Opposition zu tun hatte.
Doch die Spaltung in zwei Lager war offensichtlich geworden. ERP und RN hatten sich in den letzten Jahren immer deutlicher von ihren ursprünglichen sozialistischen Zielen entfernt und forderten für die FMLN eine sozialdemokratische Orientierung. Die anderen drei Organisationen wollten am Sozialismus zumindest als Fernziel festhalten. ERP und RN fühlten sich benachteiligt, da ihre Position bei einigen Entscheidungen in den obersten FMLN-Gremien, die alle paritätisch besetzt sind, mit drei zu zwei Stimmen überstimmt wurden.
Bereits in der Wahlnacht des 24. April wurde deutlich, daß die FMLN-Einheit der letzten Monate vor allem dem Wahlkampf geschuldet war. ERP-Chef Joaquín Villalobos forderte in einer Pressekonferenz, daß die FMLN sich jetzt in die politische Mitte bewegen müsse. Außerdem ließ die ERP durchsickern, daß keine Chancen hatte, die Wahlen zu gewinnen. Klar war, daß ERP und RN sich in Zukunft nicht mehr den Mehrheitsverhältnissen beugen wollten.
Der mißlungene Parlamentsboykott
Nachdem ARENA in der letzten Sitzung des alten Parlaments die Geschäftsordnung geändert hatte, um auch nach den Wahlen die Mehrheit im Parlamentspräsidium und in den Ausschüssen zu behalten, entschied die FMLN – wieder mit drei zu zwei Stimmen – die Präsidiumswahl für das neue Parlament und die Mitarbeit in den Ausschüssen solange zu boykottieren, bis diese Regelung zurückgenommen würde.
Am Morgen des 1. Mai ließen sich die 21 Abgeordneten der FMLN noch feierlich im Parque Cuscatlán “vom Volk vereidigen”. Dort hatten sich weniger als 1.000 Menschen zur traditionellen 1. Mai-Demonstration der Gewerkschaften versammelt. Dagoberto Gutierrez, einer der neuen Abgeordneten, feierte in seiner Rede “die Einheit der Arbeiter und die Einheit der FMLN”.
Mittlerweile hatte ARENA erfahren, daß die Einheit der FMLN nur noch für Sonntagsreden taugt und verständigte sich mit sieben FMLN-Abgeordneten von ERP und RN (lediglich der RN-Abgeordnete Eugenio Chicas hielt sich an den Beschluß der FMLN) auf einen Kuhhandel: Die sieben störten den feierlichen Parlamentsauftakt nicht durch ihren Boykott und unterstützten die Wahl der ARENA-Abgeordneten Gloria Salguero Gross zur Parlamentspräsidentin. Im Gegenzug unterstützte die ARENA-Fraktion die Wahl von Ana Guadalupe Martínez zur Vizepräsidentin und von RN-Chef Eduardo Sancho zum Vorsitzenden des Parlamentssekretariats. Der Eklat war da, und Armando Calderón Sol freute sich: “Diesen 1. Mai wird die FMLN nicht so schnell vergessen.”
“Geht doch wieder in die Berge”
Es kam, was kommen mußte. Die FMLN-Mehrheit war sauer, und Schafik Handal von der Kommunistischen Partei, der vor eineinhalb Jahren noch einstimmig zum Koordinator der FMLN gewählt worden war, verkündete im Namen der ganzen Partei (!), daß die sieben Abgeordneten nicht mehr im Namen der FMLN sprechen dürften. Ana Guadalupe Martínez und Eduardo Sancho sollten im Parlamentspräsidium nicht länger die Interessen der FMLN repräsentieren. Die FMLN könne diesen Verstoß gegen die Parteibeschlüsse nicht hinnehmen.
ERP und RN hielten ihr Verhalten hingegen für völlig legitim und erklärten, “daß sie sich von der FMLN nicht vorschreiben ließen, wie sie sich im Parlament zu verhalten hätten.”
Joaquín Villalobos heizte die Stimmung noch weiter an und meinte: “Wir sind nicht im Parlament, um uns zu schlagen oder zu beschießen. Wir werden unsere Gegner respektieren und wollen eine konstruktive Opposition ausüben…Wenn jemand das Gegenteil denkt, wäre es nur konsequent, daß er wieder in die Berge geht.” In diesem Ton ging es von beiden Seiten noch ein paar Tage weiter.
Eher peinlich für ERP und RN war jedoch das Lob, daß sie von Kirio Waldo Salgado erhielten. Waldo Salgado ist Leitartikler der rechtsextremen Tageszeitung “El Diario de Hoy”, war lange Zeit klarer Gegner des Friedensprozesses und gilt als einer der intellektuellen Köpfe der Todesschwadronen in El Salvador. In einem Kommentar am 5. Mai freute er sich über den Streit in der FMLN, lobte ERP und ERP für ihre “Konversion zur Sozialdemokratie” und machte ihnen die Abspaltung von der FMLN schmackhaft: “Wenn die Konvertiten von ERP und RN sich vom dogmatischen Fanatismus der Kommunisten in der Frente entfernen, könnten sie eine Machtquote im neuen Obersten Gerichtshof (der demnächst neu gewählt wird; die Red.) erhalten und, wer weiß, vielleicht sogar in der neuen Regierung von Dr. Armando Calderón Sol.”
Als die FMLN-Mehrheit eine außerordentliche Sitzung ihres Nationalrates einberief, machten ERP und RN deutlich, daß sie an dem Treffen nicht teilnehmen würden. PRTC-Chef Francisco Jovel warnte beide Organisationen davor, der Sitzung fernzubleiben “Die Kriterien demokratischer Organisation und Funtionsweise in der FMLN müssen respektiert werden. Dies heißt, daß wie in jeder Demokratie alle Möglichkeiten der Konsensfindung ausgeschöpft werden müssen. Gelingt dies nicht, muß jedoch der Wille der Mehrheit akzeptiert werdfen.” Und Orlando Quinteros, frischgewählter Vorsitzender der (Mehrheits-) Fraktion der FMLN meinte, ERP und RN wollten nicht an der Sitzung teilnhemen, “weil sie einfach nicht erklären können, weshalb sie die FMLN-Entscheidung abgelehnt und sich der ARENA-Mehrheit gefügt haben.”
Zusätzlich verschärft wurde die Situation, als die sieben Abgeordneten und Villalobos von der “Salvadorianischen Revolutionären Front” (FRS) als Verräter bezeichnet und mit dem Tode bedroht wurden. Die FRS hatte sich im Herbst 1992 erstmals öffentlich gemeldet und das Verhalten der FMLN-Spitze im Friedensprozeß verurteilt. Zusammensetzung und Stärke der FRS sind nicht im Detail bekannt. Angeblich besteht sie aus einigen (ehemaligen) FMLN-Combatientes. Sie verfügt aber auf jeden Fall nicht über einen größeren Rückhalt.
Wie angekündigt erschienen die VertreterInnen nicht zu der außerordentlichen Sitzung des FMLN-Nationalrats am 9. Mai. In einem Brief an FPL, PCS und PRTC begründeten sie die Politischen Kommissionen von ERP und RN ihren Schritt damit, daß sie an der Entscheidung, die Sitzung einzuberufen, nicht beteilgt gewesen seien. Den sieben Abgeordneten und Joaquín Villalobos (der nicht für das Parlament kandidiert hatte) wurde nun offiziell verboten, im Namen der FMLN aufzutreten. RN-Chef Eduardo Sancho meinte daraufhin in einer Pressekonferenz am Tag nach der Nationalratssitzung, “FPL, PCS und PRTC sind noch keine demokratischen Organisationen.” Außerdem würden ERP und RN “keinerlei Beschlüsse des Nationalrats mehr akzeptieren.” Die Spaltung schien perfekt.
Zusätzlich meldete nun die Tendencia Democrática (TD) ihr Interesse an, in die FMLN aufgenommen zu werden. Die TD ist eine Gruppe enttäuschter ERP-Mitglieder, die sich gegen den sozialdemokratischen Kurs und den autoritären Führungsstil der ERP-Spitze wenden. Einige Mitglieder dieser Gruppe, die ihren Rückhalt vor allem in der (ehemaligen) ERP-Basis in Usulután, San Miguel und Morazán hat, wurden im letzten Jahr aus dem ERP ausgeschlossen. Viele haben ihr jedoch freiwillig den Rücken gekehrt.
Kein Ausweg in Sicht
Erst langsam schienen alle am Streit Beteiligten langsam zu bemerken, daß sie nur der Rechten in die Hände spielten. Schadensbegrenzung war angesagt. In der Öffentlichkeit wurde wieder freundlicher miteinander umgegangen und versucht, die Aufmerksamkeit auf andere Themen zu lenken. Die Wogen sind vorübergehend wieder geglättet, doch eine Lösung des eigentlichen Problems ist nicht in Sicht. Klar ist zunächst lediglich, daß die FMLN so wie bisher nicht mehr bestehen bleiben kann. Das historische Projekt der FMLN ist verbraucht, eine Neudefinition des Verhältnisses zwischen den fünf Mitgliedsorganisationen notwendig.
Bislang ist es auch deshalb noch nicht zur Spaltung gekommen, weil keine Organisation auf den Namen der FMLN verzichten will. Wer ausschert, hat keinen Anspruch mehr auf den Namen und würde in der Öffentlichkeit als Spalter gelten. Außerdem besitzt nur die FMLN, nicht aber die einzelnen Mitgliedsorganisationen, einen legalen Status.
Eine Reorganisierung der FMLN könnte ein der Frente Amplio in Uruguay ähnliches Bündnis ergeben. Alle Mitgliedsparteien und Organisationen hätten ihre eigene politische und ideologische Identität, der Zusammenschluß würde vor allem für Wahlen gelten. Doch auch in Uruguay ist das Projekt nicht einfach aufrechtzuerhalten. In El Salvador wäre Vorbedingung, daß die fünf FMLN-Organisationen in Freundschaft auseinandergehen. Doch daß dies gelingt, ist nicht sicher.
Momentan scheint es so, daß die ‘Dreier-Gruppe’ – die aber in sich wesentlich unterschiedlicher als ERP und RN ist – mehr Interesse an der Aufrechterhaltung der Einheit hat und entgegen aller Unterschiede weiter an einem gemeinsamen Projekt der Linken festhalten will.
ERP und RN scheinen das gemeinsame Projekt eher aufgeben zu wollen. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, daß sie mit ihren Positionen oft unterliegen. Außerdem wird es ihnen dann leichter fallen, in die Sozialistische Internationale aufgenommen zu werden. Nachdem die sozialdemokratische MNR bei den Parlamentswahlen unter einem Prozent blieb, ist noch nicht einmal sicher, daß sie ihren legalen Parteistatus behalten wird. So oder so muß sich die Sozialistische Internationale neue BündnispartnerInnen in El Salvador suchen. Am liebsten hätte sie wohl alle drei Parteien – egal ob als Bündnis oder in Form einer neuen Partei.
Vor allem Joaquín Villalobos will raus aus der FMLN. Seine eigene Partei hat er nach dem Ausschluß einiger KritikerInnen fest im Griff. Doch er verträgt nicht, daß er in der gesamten FMLN nicht die “Nummer 1” ist. Es wäre gut möglich, daß er als geläuterter Sozialdemokrat bei den nächsten Wahlen in drei (Parlament) und fünf Jahren (Präsidentschaft) mit der PDC gemeinsame Sache macht und mit einem Bündnis der Mitte antritt. Bereits seit letztem Jahr hofiert er die Christdemokratische Partei. Und mit Fidel Chávez Mena, dem mittlerweile zurückgetretenen Vorsitzenden der PDC, war er im vergangenen Jahr auf Europa-Rundreise, um Geld für ein gemeinsames Zeitungsprojekt zu sammeln. Was er aus dem ehemaligen Guerillasender “Radio Venceremos” gemacht hat, steht im folgenden Artikel…