El Salvador | Nummer 240 - Juni 1994

Drei zu Zwei

Die FMLN vor der Spaltung

Die Spaltung der FMLN scheint unabwendbar zu sein, obwohl sich alle Seiten nach den jüngsten Auseinandersetzungen um Schadensbegrenzung bemühen. Der Streit um die Präsidentschaftskandidatur hatte bereits im letzten Sommer den tiefen Riß verdeutlicht, der durch die FMLN geht. Im darauffolgenden Wahlkampf hatte sie noch einmal mit erstaunlicher Geschlossenheit agiert. Doch bereits am ersten Sitzungstag des neugewählten Parlaments kam es zum Eklat. Gegen den Willen der FMLN-Mehrheit ließ sich die ERP-Abgeordnete Ana Guadalupe Martínez mit den Stimmen der ultrarechten Regierungspartei ARENA zur Parla­mentsvizepräsidentin wählen. Der Streit eskalierte und der “Nationalrat” der ehe­maligen Guerilla sprach sieben Abgeordneten und dem ERP-Chef Joaquín Villalo­bos das Recht ab, im Namen der FMLN aufzutreten.

Michael Krämer

Am 24. April wurde Armando Calderón Sol von der ultrarechten ARENA-Partei in einer Stichwahl ge­gen den Oppositions­kandidaten Rubén Za­mora zum neuen Präsidenten El Salvadors gewählt. Es hatte zwar ge­ringe Verbesse­rungen des Wahl­ablaufs im Vergleich zum ersten Urnen­gang am 20. März ge­geben. Doch nach wie vor waren Hundert­tausende ohne Wahlaus­weis. Das Ergebnis war aller­dings eindeutig: Calderón Sol hatte 68 Prozent, Zamora le­diglich 32 Prozent der Stimmen erhalten. Bereits wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale gratu­lierte Rubén Zamora dem ARENA-Kan­didaten zu seinem Wahlsieg.

Die Vorgeschichte des Streits

Joaquín Villalobos hatte bereits im letzten Sommer die Nominierung des Vorsitzen­den der “Sozialchristlichen Volksbewe­gung” (MPSC), Rubén Za­mora, zum ge­meinsamen Präsident­schaftkandidaten kri­tisiert. Da die MPSC in den 80er Jahren mit der FMLN verbündet war, sei Zamora als Linker verschrien. Da es aber in erster Linie darum gehe, ARENA von der Re­gierung abzulösen, solle die FMLN Abra­ham Rodriguez von der Christde­mokra­tischen Partei (PDC) unterstüt­zen. Nach­dem dieser in den PDC-in­ternen Vor­wah­len jedoch dem PDC-Vorsitzen­den Fidel Chávez Mena un­terlegen war, hatte Villa­lobos keine Alternative mehr anzubieten. Denn Chávez Mena lehnte ein Bündnis mit der ehemaligen Guerilla ab. Das ERP (seit 1992 mit dem neuem Na­men Aus­druck der Volkserneuerung) und die RN (Nationaler Widerstand), un­terlagen dann in der Kandidatenfrage den anderen drei Parteien: FPL (Volksbefreiungskräfte), PCS (Kommunistische Partei) und PRTC (Zentralamerikanische Arbeiterpartei) stimmten für Zamora. Immerhin wurde mit Francisco Lima ein Vizepräsident­schaft­skandidat gekürt, der bis dahin noch nichts mit der linken Opposition zu tun hatte.
Doch die Spaltung in zwei Lager war of­fensichtlich geworden. ERP und RN hat­ten sich in den letzten Jahren im­mer deut­licher von ihren ursprüngli­chen sozialisti­schen Zielen entfernt und forderten für die FMLN eine sozialdemokratische Orientie­rung. Die anderen drei Organisationen woll­ten am Sozialismus zumindest als Fernziel festhalten. ERP und RN fühlten sich benachteiligt, da ihre Position bei eini­gen Entscheidungen in den obersten FMLN-Gremien, die alle paritätisch be­setzt sind, mit drei zu zwei Stimmen über­stimmt wurden.
Bereits in der Wahlnacht des 24. April wurde deutlich, daß die FMLN-Einheit der letzten Monate vor allem dem Wahl­kampf geschuldet war. ERP-Chef Joaquín Villalobos forderte in einer Pressekonfe­renz, daß die FMLN sich jetzt in die poli­tische Mitte bewegen müsse. Außerdem ließ die ERP durch­sickern, daß keine Chancen hatte, die Wahlen zu gewinnen. Klar war, daß ERP und RN sich in Zukunft nicht mehr den Mehrheitsverhältnissen beu­gen wollten.

Der mißlungene Parlamentsboykott

Nachdem ARENA in der letzten Sit­zung des alten Parlaments die Ge­schäftsordnung geändert hatte, um auch nach den Wahlen die Mehrheit im Par­la­ments­prä­sidium und in den Aus­schüssen zu be­halten, entschied die FMLN – wieder mit drei zu zwei Stimmen – die Präsi­di­ums­wahl für das neue Parla­ment und die Mit­arbeit in den Ausschüs­sen so­lange zu boykottieren, bis diese Rege­lung zurück­genommen würde.
Am Morgen des 1. Mai ließen sich die 21 Abgeordneten der FMLN noch feierlich im Parque Cuscatlán “vom Volk vereidi­gen”. Dort hatten sich we­niger als 1.000 Menschen zur traditio­nellen 1. Mai-De­monstration der Ge­werkschaften versam­melt. Dagoberto Gutierrez, einer der neuen Abgeord­neten, feierte in seiner Rede “die Einheit der Arbeiter und die Einheit der FMLN”.
Mittlerweile hatte ARENA erfahren, daß die Einheit der FMLN nur noch für Sonn­tagsreden taugt und verstän­digte sich mit sieben FMLN-Abgeord­neten von ERP und RN (lediglich der RN-Abgeordnete Eu­genio Chicas hielt sich an den Be­schluß der FMLN) auf einen Kuhhandel: Die sie­ben störten den feierlichen Parla­ments­auftakt nicht durch ihren Boykott und unterstützten die Wahl der ARENA-Abge­ord­neten Gloria Salguero Gross zur Parla­ments­präsidentin. Im Gegenzug un­ter­stützte die ARENA-Fraktion die Wahl von Ana Guadalupe Martínez zur Vize­präsiden­tin und von RN-Chef Eduardo San­cho zum Vorsitzenden des Parlaments­se­kretariats. Der Eklat war da, und Ar­man­do Calderón Sol freute sich: “Diesen 1. Mai wird die FMLN nicht so schnell vergessen.”

“Geht doch wieder in die Berge”

Es kam, was kommen mußte. Die FMLN-Mehrheit war sauer, und Scha­fik Handal von der Kommunistischen Partei, der vor eineinhalb Jahren noch einstimmig zum Koordinator der FMLN gewählt worden war, verkün­dete im Namen der ganzen Par­tei (!), daß die sieben Abgeordneten nicht mehr im Namen der FMLN sprechen dürften. Ana Guadalupe Martínez und Eduardo Sancho sollten im Parlaments­präsidium nicht länger die Interessen der FMLN repräsen­tieren. Die FMLN könne diesen Verstoß gegen die Parteibeschlüsse nicht hinnehmen.
ERP und RN hielten ihr Verhalten hinge­gen für völlig legitim und erklär­ten, “daß sie sich von der FMLN nicht vorschreiben ließen, wie sie sich im Parlament zu ver­halten hätten.”
Joaquín Villalobos heizte die Stimmung noch weiter an und meinte: “Wir sind nicht im Parlament, um uns zu schlagen oder zu beschießen. Wir wer­den unsere Gegner respektieren und wollen eine kon­struktive Opposition ausüben…Wenn je­mand das Gegenteil denkt, wäre es nur konsequent, daß er wieder in die Berge geht.” In diesem Ton ging es von beiden Seiten noch ein paar Tage weiter.
Eher peinlich für ERP und RN war je­doch das Lob, daß sie von Kirio Waldo Salgado erhielten. Waldo Sal­gado ist Leitartikler der rechtsextremen Tageszeitung “El Dia­rio de Hoy”, war lange Zeit klarer Gegner des Friedens­prozesses und gilt als einer der intel­lektuellen Köpfe der Todesschwadro­nen in El Salvador. In ei­nem Kom­mentar am 5. Mai freute er sich über den Streit in der FMLN, lobte ERP und ERP für ihre “Konversion zur So­zialdemokratie” und machte ihnen die Ab­spaltung von der FMLN schmack­haft: “Wenn die Konvertiten von ERP und RN sich vom dogmatischen Fana­tismus der Kommunisten in der Frente entfernen, könnten sie eine Macht­quote im neuen Obersten Gerichtshof (der demnächst neu gewählt wird; die Red.) erhalten und, wer weiß, vielleicht sogar in der neuen Regie­rung von Dr. Armando Calderón Sol.”
Als die FMLN-Mehrheit eine außer­ordentliche Sitzung ihres Nationalrates ein­berief, machten ERP und RN deut­lich, daß sie an dem Treffen nicht teil­nehmen wür­den. PRTC-Chef Fran­cisco Jovel warnte beide Orga­nisationen davor, der Sitzung fernzu­bleiben “Die Kriterien de­mokratischer Organisation und Funtions­weise in der FMLN müssen respektiert werden. Dies heißt, daß wie in jeder Demo­kratie alle Möglichkeiten der Konsens­fin­dung ausgeschöpft werden müssen. Ge­lingt dies nicht, muß jedoch der Wille der Mehr­heit akzeptiert werdfen.” Und Orlan­do Quinteros, frisch­gewählter Vor­sitzen­der der (Mehrheits-) Fraktion der FMLN meinte, ERP und RN wollten nicht an der Sitzung teilnhe­men, “weil sie ein­fach nicht erklären können, weshalb sie die FMLN-Ent­scheidung ab­gelehnt und sich der ARENA-Mehrheit gefügt haben.”
Zusätzlich verschärft wurde die Situa­tion, als die sieben Abgeordneten und Villalo­bos von der “Salvadorianischen Revolu­tionären Front” (FRS) als Ver­räter be­zeichnet und mit dem Tode bedroht wur­den. Die FRS hatte sich im Herbst 1992 erstmals öffentlich gemeldet und das Ver­halten der FMLN-Spitze im Friedenspro­zeß ver­urteilt. Zusammensetzung und Stärke der FRS sind nicht im Detail be­kannt. Angeblich besteht sie aus einigen (ehe­maligen) FMLN-Combatientes. Sie ver­fügt aber auf jeden Fall nicht über einen größeren Rückhalt.
Wie angekündigt erschienen die Vertrete­rInnen nicht zu der außerordentlichen Sit­zung des FMLN-Nationalrats am 9. Mai. In einem Brief an FPL, PCS und PRTC begründeten sie die Politi­schen Kommis­sionen von ERP und RN ihren Schritt da­mit, daß sie an der Ent­scheidung, die Sit­zung einzuberufen, nicht beteilgt gewesen seien. Den sieben Abgeordneten und Joaquín Villalobos (der nicht für das Par­lament kandidiert hatte) wurde nun of­fiziell verboten, im Namen der FMLN auf­zutreten. RN-Chef Eduardo Sancho meinte daraufhin in einer Pressekon­ferenz am Tag nach der Nationalrats­sitzung, “FPL, PCS und PRTC sind noch keine de­mo­kratischen Organisatio­nen.” Außer­dem wür­den ERP und RN “keinerlei Be­schlüs­se des Nationalrats mehr akzeptie­ren.” Die Spal­tung schien perfekt.
Zusätzlich meldete nun die Tendencia Democrática (TD) ihr Interesse an, in die FMLN aufgenommen zu werden. Die TD ist eine Gruppe enttäuschter ERP-Mitglie­der, die sich gegen den sozialdemokrati­schen Kurs und den autoritären Führungs­stil der ERP-Spitze wenden. Einige Mit­glieder dieser Gruppe, die ihren Rückhalt vor allem in der (ehemaligen) ERP-Basis in Usulután, San Miguel und Morazán hat, wurden im letzten Jahr aus dem ERP aus­geschlossen. Viele haben ihr jedoch frei­willig den Rücken gekehrt.

Kein Ausweg in Sicht

Erst langsam schienen alle am Streit Be­teiligten langsam zu bemerken, daß sie nur der Rechten in die Hände spielten. Schadensbegrenzung war angesagt. In der Öffentlichkeit wurde wieder freundlicher miteinander umgegangen und versucht, die Auf­merksamkeit auf andere Themen zu lenken. Die Wogen sind vorüberge­hend wie­der geglättet, doch eine Lö­sung des ei­gentlichen Problems ist nicht in Sicht. Klar ist zunächst ledig­lich, daß die FMLN so wie bisher nicht mehr bestehen bleiben kann. Das historische Projekt der FMLN ist ver­braucht, eine Neudefinition des Ver­hältnisses zwischen den fünf Mit­gliedsorganisationen notwendig.
Bislang ist es auch deshalb noch nicht zur Spaltung gekommen, weil keine Organi­sation auf den Namen der FMLN ver­zichten will. Wer ausschert, hat keinen Anspruch mehr auf den Namen und würde in der Öffentlichkeit als Spalter gelten. Au­ßerdem besitzt nur die FMLN, nicht aber die einzel­nen Mitgliedsorganisatio­nen, einen le­galen Status.
Eine Reorganisierung der FMLN könnte ein der Frente Amplio in Uru­guay ähnli­ches Bündnis ergeben. Alle Mitgliedspar­teien und Organisationen hätten ihre ei­gene politische und ideologische Identität, der Zusam­menschluß würde vor allem für Wahlen gelten. Doch auch in Uruguay ist das Projekt nicht einfach aufrechtzuerhal­ten. In El Salvador wäre Vorbedingung, daß die fünf FMLN-Organisationen in Freund­schaft aus­einandergehen. Doch daß dies gelingt, ist nicht sicher.
Momentan scheint es so, daß die ‘Dreier-Gruppe’ – die aber in sich wesentlich un­terschiedlicher als ERP und RN ist – mehr Interesse an der Aufrechterhaltung der Einheit hat und entgegen aller Unter­schiede weiter an einem gemeinsamen Pro­jekt der Lin­ken festhalten will.
ERP und RN scheinen das gemein­same Pro­jekt eher aufgeben zu wollen. Das ist verständlich, wenn man be­denkt, daß sie mit ihren Positionen oft unterliegen. Au­ßerdem wird es ihnen dann leichter fallen, in die Sozialisti­sche Internationale aufge­nommen zu werden. Nachdem die sozialdemokra­tische MNR bei den Parla­mentswahlen unter einem Prozent blieb, ist noch nicht einmal sicher, daß sie ihren le­galen Parteistatus behalten wird. So oder so muß sich die Sozialistische Internatio­nale neue BündnispartnerIn­nen in El Sal­vador suchen. Am liebsten hätte sie wohl alle drei Parteien – egal ob als Bündnis oder in Form einer neuen Partei.
Vor al­lem Joaquín Villalobos will raus aus der FMLN. Seine eigene Partei hat er nach dem Ausschluß einiger KritikerInnen fest im Griff. Doch er verträgt nicht, daß er in der gesamten FMLN nicht die “Nummer 1” ist. Es wäre gut möglich, daß er als ge­läuterter Sozialdemo­krat bei den näch­sten Wahlen in drei (Parlament) und fünf Jah­ren (Präsidentschaft) mit der PDC ge­meinsame Sache macht und mit einem Bündnis der Mitte antritt. Bereits seit letztem Jahr hofiert er die Christ­demokratische Partei. Und mit Fidel Chá­vez Mena, dem mittlerweile zu­rück­ge­tre­te­nen Vorsitzenden der PDC, war er im ver­gangenen Jahr auf Europa-Rundreise, um Geld für ein gemeinsames Zeitungs­projekt zu sam­meln. Was er aus dem ehe­ma­li­gen Guerillasender “Radio Vence­remos” gemacht hat, steht im fol­genden Artikel…

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