Literatur | Nummer 478 - April 2014

Du kommst zu mir zurück

Erzählung von Bernardo Kucinski

Bernardo Kucinski; Übersetzung aus dem brasilianischen Portugiesisch: Sarita Brandt

„Pass auf, was du sagst, denk dran, dass du danach wieder herkommst. Du kommst zu mir zurück“, wiederholte er.

Er lachte. Schlug die Tür des Gefangenentransporters zu und lachte.

Du miese Ratte, sagte sie sich. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken.

Es war die erste Gerichtsverhandlung in ihrem Fall. Nachdem der Termin feststand, hatte man sie nicht mehr kopfunter an die Papageienschaukel gehängt, sie bekam Essen, Wundsalben, Kleidung. Heute trägt sie eine neue Bluse, auch der Rock ist neu. Alle wollen vermeiden, dass sie eine schlechte Figur abgibt. Es wird alles gut ausgehen, haben sie ihr versichert. Sie durfte nur nicht die Nerven verlieren. Einfach den Mund halten, nur die Anklagepunkte abstreiten. Sonst nichts.

Sie war in dem Transporter allein. Von so vielen companheiros war nur noch sie am Leben und befand sich auf dem Weg ins Gericht, um sich vor der Militärjustiz zu verantworten. Hätte es die Pressenachricht über ihre Festnahme nicht gegeben, wäre sie längst tot. Sie selbst hatte darum gebeten – mehr als ein Mal –, bringt mich doch um, bringt mich doch um. Und dieses Untier sagte, ja, ich werde dich umbringen, aber dann, wenn es mir passt.

Das geht jetzt nicht. Jetzt gibt es ein Gerichtsverfahren.

Die Verhandlung dauerte nicht lange. Ein Oberst verlas die Klageschrift. Sie erklärte sich in allen Anklagepunkten für unschuldig, außer, dass sie einem Studenten aus Gründen der Menschlichkeit Unterschlupf gewährt hatte, was nicht zusammenhing mit dem, was er getan hatte. Sie antwortete genau so, wie der Anwalt es ihr geraten hatte. Der Untersuchungsrichter unterbrach sie.

„Das steht so nicht in dem Geständnis, dessen Niederschrift der Polizeikommissar angefertigt hat und das Sie unterzeichnet haben.“

An diesem Punkt verlor sie die Kontrolle und schrie:

„Ich habe unter Folter gestanden! Diese Bestie von Polizeikommissar hat mich sieben Mal aufgehängt.“
Eine seltsame Stille machte sich breit. Sieben Mal, sieben Mal, die Worte schienen im Gerichtssaal die Runde zu machen. Sieben Mal, nicht ein Mal oder zwei Mal, sieben Mal. Der Richter unterbrach die Verhandlung und bat alle in sein Amtszimmer.

Dort, im kleinen Kreis, packte sie aus. Sie redete und redete. Sie zeigte die Blutergüsse an den Armen und Fußgelenken, erzählte von den Schlägen, den Elektroden an den Brustwarzen und der Vagina, den angedrohten Vergewaltigungen, den vorgetäuschten Erschießungen, dem simulierten Ertränken, den elf Tagen Einzelhaft.

Zum Schluss sprach sie von der Drohung, die der Folterer ausgesprochen hatte. Auf keinen Fall würde sie dorthin zurückkehren, sagte sie, lieber würde sie sterben. Wenn man sie zurückbrächte, würde sie sich umbringen, sich bei der ersten Gelegenheit aus dem Fenster stürzen. Wenn es kein Fenster gäbe, würde sie sich den Kopf an der Wand einschlagen. Wenn es keine Wand gäbe, sich die Pulsadern durchtrennen. Wenn sie nichts zum Schneiden hätte, sie mit den Zähnen durchbeißen. Wenn es nicht klappte, würde sie in Hungerstreik treten, bis sie tot wäre.

Richter, Staatsanwalt und Verteidiger berieten sich ausführlich. Zum Schluss traf der Richter die Anordnung, sie ins Frauengefängnis zu verlegen. Sie werde nicht zum DOPS, der Polizeiabteilung für Politische und Soziale Ordnung, zurückgebracht. Er unterzeichnete in Anwesenheit aller Beteiligten. Erst dann beruhigte sie sich und ließ sich zum Wagen bringen.

Von neuem sitzt sie in dem Gefangenentransporter. Sie merkt, dass es derselbe ist wie vorher, und wird nervös. Durch den vergitterten Luftschlitz beobachtet sie den Weg, den er wählt. Entsetzt sieht sie, dass sie dasselbe Tor passieren wie bei der Abfahrt zum Gerichtsgebäude.

Der Transporter hält an, die Türen öffnen sich.

Der Folterer grinst:

„Du wirst zu mir zurückkommen, hab ich’s nicht gesagt? Na los, Schätzchen, ich bin gerade so richtig in Spiellaune.“

Er packt sie an den Fußknöcheln und zieht sie aus dem Wagen.

Die anderen um sie herum lachen.

Aus: Bernardo Kucinski: VOCÊ VAI VOLTAR PRA MIM e outros contos,1ª edição, Cosac Naify, São Paulo 2014

Die Erzählung Du kommst zu mir zurück wurde auf Deutsch zuerst veröffentlicht in: Nunca Mais Brasilientage. Deutschlandweite Veranstaltungsreihe 2014. Programmheft, hrsg. von der Initiative Nunca Mais – Nie Wieder, c/o FDCL, Berlin: 2014

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