EI Condor Pasa -Wie Hussein zu seinen Raketen kam
Raketentechnologie made in Argentina
Schon zu Zeiten der Diktatur liebäugelten die argentinischen Generäle mit der Produktion von Mittelstreckenraketen, die auch atomar bestückbar sein sollten: die perfekte Ergänzung zu dem seit den 50er Jahren verfolgten Atomprogramrn. Bereits 1976 wurde hierfür in drei Fabriken an der Entwicklung der notwendigen Technologie gearbeitet.
1979 bekamen die argentinischen Militärs dann tatkräftige Unterstützung. Die Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) und andere bundesdeutsche Unter-nehmen lieferten die notwendige Technologie. Unter dem Deckmantel der angeblichen Entwicklung einer “zivilen” Höhenforschungsrakete, die dazu dienen sollte, Satelliten ins All zu schießen, wurde seitdem gezielt an dem Projekt “Condor” gearbeitet. Die erste Produktion, die “Condor I”-Rakete, war mit 200 km Reichweite eine Kurzstreckenrakete, die ohne Probleme weiterentwickelt werden konnte.
1984 begannen buchstäblich über Nacht in dem 200-Seelen-Dorf Falda del Carmen in der argentinischen Provinz Cordoba die Arbeiten an dem wichtigsten argentinischen Raketenforschungs-und Produktionszentrum. Arbeiterinnen, die dafür speziell aus weit entfernten Provinzen angeheuert worden waren, konstruierten in drei Schichten Tag und Nacht innerhalb kürzester Zeit dieses Werk, ohne zu wissen, für wen und was sie da bauten.
1985 präsentierten die argentinischen Militärs dann stolz ihre Forschungsrakete “Condor 1AIII”auf der Pariser Luftschau Le Bourget. Als “Antwort auf die Herausforderungen des Weltraumzeitalters” sei diese “Vielzweckrakete” entstanden. Doch die Militärs hatten vor allem ein Ziel im Sinn: die Entwicklung einer militärischen Variante dieser Forschungsrakete. In Falda del Carmen arbeiteten jetzt 200 Fachkräfte unter der Anleitung internationaler SpezialistInnen an der Entwicklung der argentinischen Mittelstreckenrakete “Condor II”. Mit einer Reichweite von 1000 km und einer Nutzlast von 500 Kg ist sie ein “ideales” Trägersystem für alle Sprengkopftypen: chemische, biologische und nukleare.
Condor for Export -Zwischenlandung in Ägypten
Nachdem 1983 der zivile Präsident Raú1 Alfonsin den Militärhaushalt auf 2,8% des BSP zusammenstrich, konnten die argentinischen Militärs das Projekt unmöglich weiter aus eigenen Mitteln bezahlen. Die Suche nach der Kooperation mit anderen Staaten führte sie in den Nahen Osten.
Ägypten hatte der argentinischen Regierung Anfang der 80er Jahre ein Kooperationsangebot für das “Condor”-Projekt gemacht. 1985 unterzeichneten beide
Staaten einen “Langfristigen Vertrag für Technologietransfer und Zusammenarbeit” mit einem Volumen von 50 Millionen Dollar. Durch ein geheimes Präsidentendekret wurde 1987 das Joint-Venture INTESA gegründet, um den Technologietransfer nach Ägypten zu ermöglichen. Ägypten baute mit dem so erlangten Know-How seine Version der Condor II, die Badr 2000.
An dem Joint-Venture INTESA sind neben der argentinischen Luftwaffe die bundesdeutsche Firma CONSULTEC zu je 40% und die DESINTEC zu 20% beteiligt. Beide gehören der CONSEN, einem internationalen Firmenkonglomerat unter bundesdeutscher Führung.
Das ägyptische Raketenforschungszentrum,welches im Rahmen des joint-ventures mit Argentinien entstand, wurde von der Firma CONSEN geliefert. Die . wichtigsten Zulieferfirmen waren hierbei MBB, MAN und die italienische Fiat-
Tochter Snia-BPD.
CONSEN: MBBs Metamorphosen
Eine Studie des Pariser Simon-Wiesental-Zentrums lieferte 1989 detaillierte Erkenntnisse über die Geschäfte von CONSEN. CONSEN hat ihren Sitz in Zug
(Schweiz) und Montecarlo und arbeitet über ein weit verzweigtes Netz von
“Briefkastenfirmenf’ an dem Projekt “Condor”. An ihrer Spitze sitzen leitende An-
gestellte von MBB. 1987 übernahm CONSEN die argentinische Produktionsanlage in Faldas del Carmen.
Der Grund für die Schaffung der CONSEN war der “offizielle” Rückzug MBBs aus dem Condor-Geschäft. Britische, israelische und US-amerikanische Geheimdienste hatten eine Vielzahl von Einzelheiten zusammengetragen, die darauf hindeuteten, daß es bei dem Projekt “Condor” nicht nur um die Produktion einer Mittelstreckenrakete in Argentinien ging, sondern um die Weiterverbreitung dieser Waffe in die Länder des Nahen Ostens. Die Bundesregierung wurde von der UC-Regierung immer häufiger gedrängt, MBB die Exporte zu untersagen. So mußte sich MBB 1987 offiziell aus dem argentinisch-ägyptischenRaketenprojekt zurückziehen. Neben der Gründung von CONSEN, mit der MBB weiterhin im Geschäft blieb, führte das Unternehmen die sogenannte “Restabwicklung” der Aufträge jedoch über seine Tochterfirma Transtechnika bis in die heutige Zeit weiter.
Der Weg nach Bagdad
Bereits 1984 hatte der Irak großes Interesse an dem Raketenprojekt “Condor” ge-
zeigt. Im Juli 1987 schloß das irakische Staatsunternehmen Teco mit einer CON-
SEN-Tochter einen Vertrag ab, der den Irak zum Hauptträger des Condor-Projekts machte. Ein Raketenforschungszentrum im irakischen Mossul war zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden. Im Rahmen der Kooperation mit CONSEN entstanden in den nächsten Jahren zwei weitere Forschungs-und Produktionszentren im Irak.
Das Forschungs-und Raketen-Test-Gelände “Sa’ad 16” in der Nähe von Mossul wurde im Frühjahr 1989 eingeweiht. Dieses größte Militärforschungszentrum des Nahen Ostens diente vor allem der Weiterentwicklung der “Condor-II”-Technologie. Die bundesdeutsche Firma Gildemeister Projecta leitete als Generalunternehmerin die gesamte Konstruktion mit einem Volumen von 1,6 Mrd. DM. Neben dem Testgelände für die modifizierten “Condor-II”-Raketen dienten zahlreiche Labors der biologischen, chemischen und nuklearen Kampfstoffproduktion. In eigenen Hörsalen unterrichteten vornehmlich deutsche Techniker(Innen?) irakische Wissenschaftler(Innen?) und Offiziere im Umgang mit der Technologie für Wad 16. Diese hatte sich der Irak über Gildemeister Projecta vor allem von MBB (Raketenmotoren, logistische Sensorik, etc.), aber auch von 37 anderen bundesdeutschen Firmen zusammengekauft (z.B. Kar1 Kolb, Consultco, Integral Sauer und Schenk). H+H Metallform lieferte für “Sa’ad 16” eine Ultra-Zentrifugen-Anlage der Firma MAN, die zur Urananreicherung für den Atombombenbau dient. Von 1985-86 wurden außerdem eine Reihe von Forschungslaboratorien über MBB an den Irak geliefert. Auch US-amerikanische Unternehmen waren an die Sen Geschäften beteiligt. Simulations-Computer der Firma Hewlett Packard dienten in den Laboratorien zur Echtzeitflugbahnvermessung von Raketen.
Mit diesem Know-How und der über Ägypten aus Argentinien stammenden “Condor-I”-Technologie entwickelte der Irak die von der Sowjetunion gelieferten Scud-B-Raketen (300 km Reichweite) weiter. So entstanden die “Al Hussein” mit 650 km und die “Al Abbas” mit 900 km Reichweite, die der Irak im derzeitigen Golfkrieg einsetzt. Beide sind sowohl mit chemischen wie mit atomaren Spreng-köpfen bestückbar.
In Mahmudiya, südlich von Bagdad, wurde dann im Frühjahr 1989 eine weitere Raketenfabrik fertiggestellt. Es ist ein absolut identischer Nachbau der von CONSEN gebauten Raketenfabrik in Ägypten und der im argentinischen Falda del Carmen. CONSEN diente in diesem Vertrag mit dem Irak offiziell nur noch als Berater. In Wirklichkeit baute sie parallel die Fabriken in Ägypten. und im Irak. Die Lieferungen waren hierbei immer nach Ägypten deklariert. Über längere Zeit konnte sie so unbemerkt an der Anlage im Irak bauen.
Die Technologie kam wiederum aus der BRD: Schaltanlagen, Transformatoren und Stromverteilungsanlagen von Siemens, Technologie von H+H Metallform, MAN/Thyssen und anderen. Auf dem Gelände befindet sich neben der Produktionsanlage für die “Condor-II”-Rakete ein Testgelände für ihre Weiterentwicklung. Durch eine zusätzliche Stufe soll dort, laut Informationen des Spiegel, aus dem Condor-Projekt eine Interkontinentalrakete entwickelt werden.
Argentinien hat mit dem Irak nie einen direkten Vertrag unterzeichnet. Vor und nach dem Regierungswechsel in Argentinien Mitte 1989 erfolgte jedoch eine direkte Lieferung von 12 bis 20 “Condor-II”Raketen (ohne Sprengkopf) von Falda del Carmen. Fünf dieser Raketen dienten als Grundlage für die Entwicklung der irakischen “Tammuz 1”. Der Prototyp dieser 25 m langen und 48 Tonnen schweren Rakete wurde am 5.Dezember 1989 erfolgreich getestet. Sie sollte eine Reichweite von 2000 km haben und wurde vornehmlich mit westdeutscher Technologie entwickelt. Zur Serienproduktion ist es nicht mehr gekommen.
Argentinien steigt aus
Den USA waren die argentinischen Raketenentwicklungen schon seit geraumer Zeit ein Dom im Auge. So mußten die UnterhändlerInnen der argentinischen Regierung auch regelmäßig bei den IWF- und Weltbankverhandlungen oder bei anderen Gelegenheiten den US-TechnokratInnen Rede und Antwort stehen. Argentiniens Regierung versuchte den USA bis 1989 das Condor-Programm als ziviles Satellitenforschungsprojekt zu verkaufen. Anläßlich der Verhandlungen mit dem IWF im Frühjahr 1990 wurde dann allerdings von der US-Regierung eine endgültige Einstellung des argentinischen Condor-Programms verlangt. Als Deal boten die USA an, über 200 der argentinischen Übungsflugzeuge “Pampa” zu kaufen, wenn das Raketenprojekt eingestellt werden würde. Am 21.April verkündete Verteidigungsminister Romero dann öffentlich: “Argentinien hat entschieden, das “Condor-II”-Projekt einzufrieren. Die Einstellung des Projektes geschieht nicht aufgrund des Drucks anderer Länder, sondern wegen haushaltstechnischer Schwierigkeiten,” fügte er dann schnell noch an, um das Gesicht zu wahren. Experten sind sich allerdings darüber einig, daß die technologische Entwicklung der “Condor-II”-Rakete abgeschlossen ist. Ein erfolgreicher Testflug in Patagonien im März 1989 bestätigt diese.Vermutungen. Darüberhinaus hat die Weiterverbreitung der Technologie über Ägypten an den Irak ohnehin längst stattgefunden. Der US-Botschafter in Buenos Aires, Todman, lehnte einen Kontrollbesuch der stillgelegten Produktionsstätte ab, da die Zweifel der USA gegenüber dem Projekt weiter bestehen würden.
Die Entsendung der beiden argentinischen Fregatten an den Golf mag zum großen Teil durch die Trübung der Beziehungen zu den USA wegen der “Condor”-Affäre motiviert worden sein. Auch Israel soll wohl mit dieser Geste beruhigt werden, hatten sich doch die Israelis seit 1986 über den “Condor”-Deal beunruhigt gezeigt.
Befürchtungen der USA
Seit 1987 verstärkte die US-Regierung ihre Bemühungen, die internationale Weiterverbreitung (Proliferation) der Raketentechnologie zu unterbinden. Vor allem die in der “Dritten-Welt” voranschreitende Technologieentwicklung von Träger- Systemen, die geeignet sind, biologische, chemische und atomare Sprengköpfe hunderte von Kilometern zu transportieren, beunruhigen die Strategen des Pentagon. “Bis zum Ende der nächsten Dekade könnten 12 bis 15 Nationen in der Dritten Welt über eigene Raketenentwicklungssysteme verfügen -das kann de-stabilisierend wirken,” äußerte sich US-Verteidigungsrninister Cheney hierzu.
Mit dem Londoner Protokoll wurde 1987 das Raketen-Technologie-Kontroll-Regime (MTCR) etabliert. Die Unterzeichnerstaaten -USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, BRD, Japan und Kanada verpflichteten sich, keine Technologie für Mittelstreckenraketen-Programme an andere Länder weiterzuliefern. Als Paradebeispiel für die gefährliche Proliferation diente immer wieder das “Condor-II”-Projekt. Bei den Verhandlungen über das MTCR wurde die Bundesregienmg daher auch aufgefordert, MBB eindeutig zur Aufgabe des Projektes zu bewegen.
BRD: Exportieren was das Zeug hält
Die BRD-Regierung hielt die Vereinbarungen des Raketen-Technologie-Kontroll-Regimes (MTCR) unter Verschluß, während alle anderen Regierungen das Übereinkommen als großen Schritt feierten. Exporte einschlägiger Komponenten und Technologien wurden nicht verboten. Die Zollausfuhrstellen und die zuständigen Ausschüsse des Bundestages wurden nicht einmal über die Beschlüsse informiert. Kein Wunder, fürchtet doch die weltgrößte Exportnation, vom 4. Platz der Weltrangliste der Rüstungsexporteure abzusteigen.
Seit 1954 verzichtet die BRD auf die Herstellung atomarer, chemischer und biologischer Waffen im eigenen Land. Dennoch ist sie weltweit über Drittländer wie Argentinien, Ägypten oder den Irak an der Rüstungsproduktion dieser Waffentypen beteiligt. Deutsche Exportinteressen haben weiterhin Vorrang vor gesetzlichen Beschränkungen, und vor moralischen Skrupeln sowieso. Nicht nur die illegalen Rüstungsexporte sind das Problem, sondern vor allem die ganz ” “normalen”. Die “Condor-Connection” ist dabei nur ein Beispiel von vielen.
Für diesen Artikel wurden unter anderem folgende Quellen benutzt:
Página/3O; Pdginall2; lnternational Defense Review; Der Spiegel; Frankfurter Rundschau;
BUKO-Materialien.