Guatemala | Nummer 589/590 - Juli/August 2023

Ein Hauch von Hoffnung

Interview mit dem Kommunitären Journalisten Carlos Choc aus Guatemala

Als sich der Izabal-See nahe der Kleinstadt El Estor im Jahr 2017 rot verfärbte, vermuteten lokale Fischer*innen, dass die Nickelmine des Unternehmens Compañia Guatemalteca de Niquel de Izabal S.A. hierfür verantwortlich war. Sie ist ein Tochterunternehmen des russisch-schweizerischen Unternehmens Solway Investment Group. Das zuständige Umweltministerium reagierte weder auf Anfragen, noch leitete es eigene Nachforschungen ein. Nachdem die Fischer*innen den Bergbaukonzern angezeigt hatten und das Ministerium weiterhin nicht reagierte, blockierten sie die Hauptzufahrtsstraße des Ortes, auf dem auch die Transporter des Bergbaukonzerns fuhren. Es kam zu Unruhen, bei denen der Fischer Carlos Maaz erschossen wurde. Im Gespräch mit LN erzählt der indigene Journalist Carlos Choc, der von diesen Ereignissen vor Ort berichtete, von der Kriminalisierung seiner journalistischen Arbeit in Guatemala sowie seiner Sicht auf die Wahlen, deren erste Runde am 25. Juni stattfand.

Von Tamara Candela
Q’ equchi’ Maya gegen den Staat Proteste gegen Repression in Guatemala (Foto Aj Ral Ch’och’)

Das Strafverfahren gegen dich läuft seit 2017. Was ist der aktuelle Stand?

Damals wurde ich gemeinsam mit elf weiteren Personen angeklagt. Es ging um meine Recherchen zu den Verfärbungen im Izabal-See. Aktuell sind noch vier Personen angeklagt: Die Fischer Tomás Che, Cristobal Pop, Vicente Rax und ich. Wir hoffen, dass das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt wird, da die Anklage auf falschen Behauptungen beruht.

Ich muss alle 30 Tage bei der Staatsanwaltschaft erscheinen und mich melden. Das ist eine Kontrollmaßnahme, die mich daran hindert, mich für längere Zeit an einem anderen Ort aufzuhalten und die mich zudem in meiner Arbeit einschränkt.

Im Jahr 2021 wurdest du ein weiteres Mal angeklagt.

Da ich trotz der Umstände weiter gearbeitet habe, unter anderem in dem Projekt „Mining Secrets“, hat der Staat ein weiteres Mal versucht, mich rechtlich zu verfolgen. Im Oktober 2021 war ich im Rahmen meiner journalistischen Tätigkeit auf einer Demonstration. Sie verlief friedlich, bis die Polizei die Autoritäten des consejo ancestral (dt. Ältestenrat) und auch mich angriff. Danach behaupteten die Polizist*innen, ich und weitere elf Personen hätten sie angegriffen und zeigten uns an. Im Januar 2022 wurde Haftbefehl gegen uns erlassen. Als im darauffolgenden März „Mining Secrets“ veröffentlicht wurde, sollte der Haftbefehl gegen mich vollzogen werden. Das war sehr belastend. Bei einer Gerichtsverhandlung im September legten meine Anwält*innen Beweise vor, dass ich die Polizist*innen auf der Demonstration nicht angegriffen habe: In einem Video, das wir vor Gericht zeigten, war zu sehen, wie Polizist*innen zu mir kamen, als ich gerade eine Live-Übertragung machte. Sie nahmen mir mein Handy weg, schlugen und traten mich. Ich erinnere mich, dass die Polizist*innen gerade dabei waren, Schusswaffen auszupacken, als ich mich ihnen damals während der Berichterstattung näherte. Sie wollten also kein Tränengas mehr verschießen, sondern hatten offenbar vor, das gleiche zu tun wie 2017, als Carlos Maaz erschossen wurde. Als ich mit einem Polizisten diskutierte und sie versuchten, mir meine Kamera wegzunehmen, kam jedoch ein Journalist hinzu und fotografierte mich. Das hat an diesem Tag wahrscheinlich Schlimmeres verhindert.

Was ist aus der Anzeige gegen dich geworden?

Bei dem Gerichtstermin im September 2022 fragte meine Anwältin die Staatsanwältin nach den Aussagen der Zeug*innen, auf denen die Anklage gegen mich beruhte und in denen die Namen derjenigen, die die Polizist*innen angeblich angegriffen haben sollen, genannt wurden. Doch weder in den von der Staatsanwältin verlesenen Aussagen noch in der entsprechenden Polizeiakte wurden Namen genannt. Sie haben sich die Namen also einfach ausgedacht. Als meine Anwältin fragte, wo die entsprechenden Aussagen seien, antwortete die Staatsanwältin, sie habe die Aussagen verlesen, so wie es von ihr verlangt worden sei. Es war unglaublich, was wir da hörten, aber in Guatemala leider möglich. Der Richter Edgar Aníbal Arteaga, der übrigens auch in dem anderen Strafverfahren gegen mich eingesetzt ist, war wütend, weil er auch in diesem Verfahren nicht so gegen mich vorgehen konnte, wie er wollte. Die Verhandlung dauerte höchstens acht Minuten und endete aufgrund mangelnder Beweise mit meinem Freispruch, also mit der Aufhebung des Haftbefehls gegen mich.

Du hast das Projekt „Mining Secrets“ erwähnt. Worum geht es dort?

Der kommunitäre Maya-Journalismus ist meine Leidenschaft, es geht mir um die Inhalte. Ich bin überzeugt, dass meine Arbeit dazu beiträgt, Geschichte zu schreiben und dass sie nicht nur einer Gruppe oder meiner Gemeinschaft helfen wird, sondern darüber hinausgeht, wie bei den Projekten „Mining Secrets“ und „Green Blood“ (Anm. d Red.: diese wurden von dem journalistischen Netzwerk Forbidden Stories durchgeführt und thematisieren die Geschichten von Journalist*innen, die über Umweltzerstörung in Folge von neoliberalen Großprojekten, wie durch die Rohstoffindustrie, berichten und deswegen kriminalisiert werden). „Green Blood“ wurde 2019 veröffentlicht, dort geht es um Skandale, die in Verbindung mit der Umwelt stehen, das „grüne Blut“ sozusagen. Es wird gezeigt, wie Journalist*innen leben, die Recherchen über Umweltzerstörung betreiben, vor allem im Bereich der Rohstoffindustrie. An dem Projekt waren Journalist*innen aus Tansania, Indien und Guatemala beteiligt. Die Journalist*innen erhielten Drohungen, einer wurde verbrannt, eine Journalistin musste ins Exil gehen. Und meine Geschichte in Guatemala war, dass ich meiner Arbeit in einer Situation der rechtlichen Verfolgung weiterhin nachging, aber verdeckt. Ich hatte einen Fuß im Gefängnis und den anderen draußen. Ich habe trotzdem meine Arbeit fortgeführt, weil es wichtig ist, sich zu äußern, Dinge aufzuzeigen und Einfluss zu haben. Für eine glaubwürdige Berichterstattung bedeutet dies, Beweise zu erbringen, damit es auch bei schwierigen Themen Informationen gibt. Es ist auch wichtig, dass die Geschichten nicht nur an einem Ort erzählt werden und dort verbleiben, sondern dass sie sich verbreiten. Ich denke, dass die Veröffentlichung von „Green Blood“ 2019 auch dazu beigetragen hat, die mediale Zensur zu dem Thema zu umgehen.

Am 25. Juni gab es in Guatemala allgemeine Wahlen. Wie schätzt du die Wahlergebnisse ein?

Zunächst ging man in Izabal und in anderen municipios (Großgemeinden) davon aus, dass es Unruhen geben würde. Denn ein Großteil der Bevölkerung ist unzufrieden mit dem System, mit der Regierung und mit dem Wahlbetrug, der sich seit langem abgezeichnet hat. Das ist die Meinung in den Gemeinden. Denn zunächst wurde die Präsidentschaftskandidatin Thelma Cabrera von der Bewegung für die Befreiung der Völker (MLP) durch Anzeigen aus dem Wahlprozess ausgeschlossen, dann folgten weitere Kandidat*innen.

Als ich in den Gemeinden unterwegs war, sagten sehr viele Leute, dass sie ungültige Stimmzettel abgeben wollten. Ich habe versucht, ihnen deutlich zu machen, dass diese Strategie uns nicht weiterhilft und sie dazu animiert, für die Würde zu stimmen. Denn es gab weiterhin Alternativen wie die sozialdemokratische Partei Semilla oder auch das linke Bündnis von URNG und Winaq. Die Wahlen wurden am Ende von viel Unmut seitens der Bevölkerung begleitet. Sandra Torres von der Partei der Nationalen Hoffnung (UNE) belegte den ersten und Bernardo Arévalo von Semilla den zweiten Platz.
Seit diesem Moment gibt es einen Hauch von Hoffnung, denn der Kandidat Arévalo hat eine politische Laufbahn und politische Kenntnisse vorzuweisen. Und zugleich ist es traurig, dass das MLP vom Wahlprozess ausgeschlossen wurde. Auch wurden in drei municipios Wahlzettel verbrannt. Es war die Absicht des Staates, die Stimmen für das politische Establishment zu verteidigen, aber die Menschen waren wütend und gingen dagegen auf die Straße. Auch in der Hauptstadt haben sie sich organisiert und dabei versucht, dass der Protest gewaltfrei verläuft. Die Menschen wollen, dass ihre Wahl respektiert wird. Denn so wie bisher können wir nicht weitermachen.

Wie hat die Regierung darauf reagiert?

Sie hat Polizei und Militär eingesetzt, zum Beispiel dort, wo Unternehmen sind, die Bergbau, Monokultur und Wasserkraftwerke betreiben. In Alta Verapaz zum Beispiel wurden Militär, Marineinfanterie und Luftwaffe eingesetzt. Die Streitkräfte dienen nicht der Bevölkerung oder dem Schutz des Lebens, sondern sie beschützen das Establishment. Ich denke, dass sich die Dinge verändern und dass sich gerade etwas bewegt, aber dass es dafür noch mehr bedarf. Am 20. August findet die Stichwahl der Präsidentschaftswahlen statt und am 21. August unsere Gerichtsverhandlung. Wir hoffen, dass das Verfahren eingestellt und der Termin nicht verschoben wird.

Carlos Choc

ist Journalist und Q’eqchi’ Maya. Carlos Choc war im Jahr 2017 Zeuge des Mords am Fischer Carlos Maaz. Er filmte das Ereignis und recherchierte zu Verfärbungen des Izabal-Sees. Daraufhin wurde er unter anderem wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung angeklagt, der nächste Gerichtstermin in dem laufenden Verfahren ist auf den 21. August 2023 angesetzt. *In den vergangenen Jahren war Choc Opfer wiederholter Einschüchterungsversuche und Diffamierungskampagnen. Auch wurde bei ihm eingebrochen. Im Oktober 2021 wurde ein Anschlag auf ihn verübt.

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