Argentinien | Nummer 322 - April 2001

Ein Kommen und Gehen in der Regierung

Domingo Cavallo ist wieder was er sein will: Wirtschaftsmimister

Nachdem der Anfang März ernannte neue Wirtschaftsminister López Murphy sein radikales Sparprogramm bekannt gegeben hatte, zog der FREPASO (Frente para un país solidario) all seine Vertreter aus der Regierung zurück. Massive Proteste von Lehrern, Schülern, Gewerkschaften und Vertretern der Provinzen führten dann nach nur zweiwöchiger Amtszeit zum Rücktritt von López Murphy. Der Nachfolger heißt Domingo Cavallo. Er hatte sich bereits unter Carlos Menem als Wirtschaftsminister mit der Bindung des Argentinischen Peso an den US-Dollar viele Freunde und Feinde gemacht.

Gabriel Wolf, Matti Steinitz

Der 25. Jahrestag des Putsches der Militärs am 24. März fiel zusammen mit der heftigsten Krise der Mitte-Links-Koalition Alianza unter Fernando de la Rúa (UCR) seit ihrem Wahlsieg im Oktober 1999. Die liberale Union Cívica Radical (UCR) und der sozialdemokratische Frente para un país solidario (FREPASO) hatten sich zusammengeschlossen, um nach zehn Jahren menemismo einen Wechsel bei den Präsidentschaftswahlen herbeizuführen. Dieses Ziel wurde erreicht. Doch von Anfang an bestimmten Auseinandersetzungen um Posten und ideologische Differenzen die Beziehungen innerhalb des Bündnisses. Zur schweren wirtschaftliche Rezession, kam die mangelnde Konsensfähigkeit der beiden Koalitionspartner, sowie das schlechte Krisenmanagement des Regierungschefs De la Rúa.
Der Rücktritt von Chacho Álvarez vom Amt des Vizepräsidenten (siehe LN 317) weniger als ein Jahr nach dem Wahlsieg war bezeichnend für den Zustand der Regierungskoalition. Álvarez war zurückgetreten, nachdem De la Rúa sich geweigert hatte, die Hauptverantwortlichen für einen Bestechungsskandal aus der Regierung zu entfernen.

Und nun auch noch die Seuche am Fuß

Argentinien ist mit 145 Milliarden US-Dollar im Ausland verschuldet, die Arbeitslosigkeit liegt bei 17 Prozent, nach Umfragen würde jeder dritte Argentinier das Land am liebsten sofort verlassen (siehe nachfolgender Artikel), und mehr als die Hälfte der Exporterlöse gehen in den Schuldendienst. Und als wäre das nicht schon genug, wurden in mehreren Viehherden Fälle von Maul- und Klauenseuche bekannt. Ein schwerer Schlag für das Land der riesigen Viehbestände, das mit dem Slogan „Sauberes Fleisch aus Argentinien“ für seine Produkte geworben hatte. Die meisten Abnehmerstaaten haben inzwischen Einfuhrverbote verhängt.
Bereits Ende letzten Jahres konnte Argentinien nur durch ein vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geschnürtes „Hilfspaket“ vor dem finanziellen Zusammenbruch bewahrt werden. Mit einem 40-Milliarden-US-Dollar-Kredit sollte die Krise gebändigt und die Zahlungsfähigkeit in den kommenden zwei Jahren gewährleistet werden. An der Rettungsaktion beteiligten sich neben dem IWF, die Weltbank, die Interamerikanische Entwicklungsbank und verschiedene andere internationale Banken. Auch die US-Pensionsfonds steuerten drei Milliarden US-Dollar bei, denn ihnen winken mit der Privatisierung der argentinischen Rentenversicherung neue Anlagefelder. Die Privatisierung ist Teil des mit dem Kredit verbundenen Strukturanpassungsprogrammes.

Der erste Wirtschaftsminister geht vom Feld

Der Kredit sollte das Land aus der Rezession führen. Der erhoffte Wirtschaftsaufschwung blieb jedoch aus. Im Februar und März sank die Produktion im Vergleich zum Vorjahr um rund drei Prozent. Wirtschaftsminister José Luis Machinea trat zurück. Dieser hatte unter Bankiers und Unternehmern nie viel Vertrauen genossen, war er doch als Zentralbankpräsident Ende der Achtziger Jahre für eine Inflation von fast 30 Prozent verantwortlich. Machinea zählte außerdem zu dem Flügel der UCR, dessen prominentester Vertreter Parteivorsitzender und Ex-Präsident Raúl Alfonsín ist, der einer Marktöffnung, Privatisierungen und Rückzug des Staates aus dem Dienstleistungssektor kritisch gegenübersteht. Als Nachfolger wurde Ricardo López Murphy ernannt, der für seinen dogmatischen Neoliberalismus bekannt ist, und der bei De la Rúas Amtsantritt bereits offen für das Amt des Wirtschaftsminister gehandelt, aber zunächst zum Verteidigungsminister ernannt wurde.

Murphys Eigentor

Als er am 16. März sein radikales Sparprogramm zur „endgültigen“ Sanierung des Staatshaushaltes präsentierte, überschlugen sich die Ereignisse. Der so genannte Murphy-Plan, mit dem in den nächsten zwei Jahren vier Milliarden US-Dollar eingespart werden sollten, beinhaltete massive Kürzungen im Bildungsetat, bei Renten und anderen Sozialausgaben, einen Personalabbau von 30 Prozent im öffentlichen Dienst, sowie die Streichung von Subventionen für Treibstoffe aus Patagonien und Tabak. Während Wirtschaftsexperten und internationale Finanzinstitute die Pläne geradezu euphorisch begrüßten, zog der FREPASO sofort alle seine verbleibenden Vertreter aus der Regierung zurück, unter ihnen auch die populäre Sozialministerin und stellvertretende Kabinettschefin Graciela Fernandez Meijide. Auch zwei Kabinettsmitglieder der UCR, Innenminister Federico Storani und Erziehungsminister Ricardo Mitre, erklärten ihren Rücktritt, da sie die angekündigten Maßnahmen als nicht vereinbar mit ihrer Sozialpolitik betrachteten. Lehrer, Studenten, Professoren und die Gewerkschaften des Landes liefen Sturm gegen die so genannte „Diät für Hungernde“ und kündigten für den 21. März einen Generalstreik an. Auch Vertreter der Provinzen stimmten in den landesweiten Schrei der Empörung mit ein.

Cavallo kommt ins Spiel

Was dann folgte, war ein wahres Kabinettstückchen öffentlicher Demontage. Anstatt seinem kurz zuvor noch als Retter der Nation propagierten Wirtschaftsminister den Rücken zu stärken, berief De la Rúa den früheren Wirtschaftsminister Domingo Cavallo zu Koalitionsgesprächen in seine Residenz, womit er López Murphy das Vertrauen in seine Fähigkeiten zur Lösung der Krise gleich wieder entzog und seinem Ruf als wankelmütig und unzuverlässig alle Ehre machte. Die nächsten zwei Tage waren geprägt von Verhandlungen, Spekulationen und ersten Rufen nach einer Regierung der nationalen Einheit. Während im ganzen Land die Proteste an Intensität gewannen, folgte am 20. März, nach nur zwei Wochen Amtszeit der Rücktritt Murphys. Sein Nachfolger: Domingo Cavallo. Damit ließ De la Rúa seiner Ankündigung, die Unterstützung für seine Projekte notfalls auch bei der Opposition zu suchen, sofort Taten folgen. Auch verschiedene Vertreter der peronistischen Partido Justicialista (PJ) haben bereits ihre Bereitschaft bekundet, sich an einer Regierung der nationalen Einheit zu beteiligen, um dem Land aus der Krise zu helfen. Das Paradoxe ist nur, dass der FREPASO, ehemals Teil der Regierungskoalition und Verbündeter der UCR in der Alianza, bis jetzt in keiner Weise im neuen Kabinett der „nationalen Einheit“ repräsentiert ist.
Der neue und alte Wirtschaftsminister Domingo Cavallo gilt den einen als Hauptverantwortlicher für die jetzige Wirtschaftskrise, andere sehen in ihm die letzte Rettung. Er hatte unter Carlos Menem die Bindung des Argentinischen Pesos an den US-Dollar, die so genannte Eins-zu-Eins-Parität, durchgesetzt und damit internationale Bekanntheit erlangt. Eben die Maßnahmen, wegen der er sich bei ausländischen Investoren und den internationalen Finanzinstituten äußerster Beliebtheit erfreut, veranlassen viele zu der Beurteilung, dass er die Suppe, die er damals gekocht hat, nun selber auslöffeln darf. Die Bindung des Peso an den US-Dollar wird von Kritikern oft als Ursache für den ausbleibenden wirtschaftlichen Aufschwung und die hohe Verschuldung des Landes angesehen. Vor einem Jahrzehnt hatte er den Argentiniern „blühende ökonomische Landschaften, Vollbeschäftigung und pralle Geldbeutel“ versprochen. Als seine Wirtschaftspolitik zu keiner Besserung der Situation führte, verließ er unter großem Getöse die Regierung Menem und gründete seine eigene Partei, die Acción Por la Republica. Mit ihr kam er bei den letzten Präsidentschaftswahlen auf gut zehn Prozent der Stimmen, und sie ist mit zwölf Deputierten im Abgeordnetenhaus vetreten.
Zwei Tage nach seiner Ernennung stellte Cavallo auch schon sein neues Sparprogramm vor, in dem die Maßnahmen des Plan Murphy weitestgehend zurückgenommen werden. Trotzdem will der Minister eine Milliarde mehr als sein glückloser Vorgänger einsparen. Dafür verlangte er Sondervollmachten vom Kongress. In einem Gesetz zur Wettbewerbsfähigkeit will er durch Steuersenkungen die Kosten für Unternehmer senken und dadurch die Wirtschaft ankurbeln. Für die Verwirklichung seiner Pläne strebt er eine enge Zusammenarbeit mit der oppositionellen peronistischen PJ an, der er sich nach eigenen Worten noch immer sehr verbunden fühlt.

Die Rebellen einbinden

Andererseits drängt er aber auch darauf, Chacho Álvarez und den FREPASO wieder ins Kabinett aufzunehmen, da sich das Land in einer sehr delikaten Situation befinde und alle dabei sein müssten, wenn es um einen Ausweg ginge. In einem Gespräch mit De la Rúa war er dann doch etwas deutlicher: „Es ist besser wenn die rebellischen Sektoren mit in der Regierung sind, als wenn sie uns in der Opposition das Leben unmöglich machen.“ Unterstützung von einflussreicher Stelle kam auch sogleich herbeigeeilt: Am 21. März, Cavallos zweitem Amtstag, besuchte der US-amerikanische Millionär David Rockefeller das Land und sprach dem Neuen sein vollstes Vertrauen aus. „Es wird kompliziert, aber durch die guten Beziehungen zu den USA, wird es Argentinien schaffen, die Rezession zu überstehen.“

Cavallo pladiert für Waffenstillstand

Diese Einschätzung wurde anscheinend nicht von allen Argentiniern geteilt. Am selben Tag fand trotz Zurücknahme einiger drakonischer Maßnahmen des Plan Murphys der angekündigte Generalstreik statt. Im ganzen Land blieben die meisten Schulen geschlossen und auch der Busverkehr kam vollständig zum Erliegen. Im Landesinnern kam es zu mehreren Straßenblockaden und einige Banken wurden entglast. Einer der Initiatoren des Streikes, Hugo Moyano, charismatischer Chef einer Abspaltung des Gewerkschaftsdachverbandes CGT und bekanntester LKW-Fahrer des Landes wurde von Cavallo persönlich angerufen und um einen „Waffenstillstand“ gebeten. Darauf konnte ihm Moyano jedoch, wie er sagte, wenig Hoffnung machen.

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