Ein Präsident wird zum Claqueur
In der Wirtschaftspolitik haben die Neoliberalen das Zepter übernommen
Die versprochene tiefgreifende Demokratisierung der haitianischen Gesellschaft ist nach wie vor eine Schimäre. Ist es in den Städten und vor allem in Port-au-Prince noch gelungen, einen, wenn auch sehr schleppenden, Prozeß des Aufbaus neuer Strukturen in Gang zu setzen, ist auf dem Land vielerorts noch alles so, wie es schon immer war. Zwar hat Aristide den verhaßten Chefs de section mit Wirkung zum 1. Dezember nun auch formell alle Rechte entzogen, aber de facto ist deren Macht noch allgegenwärtig; nach wie vor sind paramilitärische Kommandos unterwegs und terrorisieren die Bevölkerung.
Wie ein Damoklesschwert schwebt über allem der katastrophale Zustand der haitianischen Wirtschaft. Und die Wirtschaftspolitik gilt nicht gerade als das Steckenpferd des Jean Bertrand Aristide. So rückt ein Mann immer mehr in den Mittelpunkt der Macht: Der neue Premier Smarck Michel. Er hat sein Regierungsprogramm für die nächsten Monate ganz und gar dem wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes verschrieben. Wen wundert’s, gilt der smarte Smarck doch als Mann vom Fach. Auf der Insel genießt der 57jährige schon lange den Ruf eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Seit Anfang der 60er ist er einer der Großen im Handel mit Nahrungsmitteln, außerdem besitzt er im Norden des Landes eine Tankstelle. Zudem war er bereits 1991 einmal Industrie- und Handelsminister während der “ersten” Präsidentschaft Aristides. Allerdings mußte er damals der harten Kritik an seiner Politik der Preiskontrollen nach vier Monaten Tribut zollen; er trat zurück. Jetzt ist er wieder da.
Der Weltmarkt fordert seinen Preis
Mit der Ernennung Michels zum Premier ist deutlich geworden, wer in Haiti das Sagen hat. Die haitianische Industrie- und Handelskammer CCIH äußerte sich hochzufrieden mit der Ernennung Michels, schließlich sei er ja “einer der ihren”. Vor allem aber den USA ist er ein Garant dafür, daß die haitianische Wirtschaft sich den Erfordernissen des Weltmarktes unterwirft. Jetzt wird konkretisiert, was auf einem Treffen Ende August in Paris ausgedacht worden war: Damals trafen sich die Exil-Regierung Aristide, VertreterInnen der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds IWF, der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) und anderer Finanzinstitutionen, um einen Wirtschaftsplan für die Zeit nach dem Militärregime zu entwickeln. Aristide und seine MitarbeiterInnen blieb nur die Rolle der Claqueure. Ein neoliberales Kernelement nach dem anderen wurde in den Plan festgeschrieben: Verkauf von Staatsbetrieben und öffentlichem Eigentum, drastische Reduzierung der Auflagen für ausländische Direktinvestitionen, Bezahlung der Auslandsschulden und tiefe Schnitte bei den Sozialleistungen.
Als Ende November Michel und seine Finanzministerin Marie-Michelle Rey den Rahmen für die Wirtschaftspolitik des nächsten Jahres absteckten, war die Handschrift der Pariser Beratungen bis ins Detail zu erkennen. Eines der ersten Vorhaben: die Halbierung des aufgeblähten Behördenapparates. Während der dreijährigen Diktatur der Militärs hatte sich dieser von knapp über 20.000 auf 43.000 Angestellte mehr als verdoppelt.
Ganz im Sinne der von der Weltbank geforderten “strukturellen Anpassung” der haitianischen Volkswirtschaft sollen Staatsbetriebe, wie die Telefon- und die Elektrizitätsgesellschaften, privatisiert, andere aber auch völlig abgewickelt werden. Es gehe darum, so Michel, Haiti in die “internationale Wirtschaft zu integrieren”. Begriffe wie “Privatisierung” oder “Demokratisierung” vermeidet Michel in diesem Zusammenhang. Viel lieber redet er von “Gleichsetzung”: “Alle sollen dieselbe Chance haben. Das bedeutet, wir werden Subventionen streichen. Wenn man ein Produkt subventioniert, sind es nur wenige, die davon profitieren – wir geben allen eine Chance.” Konkretisiert haben Michel und Rey noch wenig. Auch Schutzzölle sollen fallen. Es ist nicht schwer, sich auszumalen, was mit den haitianischen Kleinbauern und -bäuerinnen passieren würde, sollten die Schutzzölle vollständig dem Diktat der Weltmarktintegration geopfert werden. Es ist kaum vorstellbar, daß sie mit ihren Produkten – Mais und Reis – gegen die Weltmarktkonkurrenz bestehen könnten.
Millionen Dollar – aber für was?
555 Millionen US-Dollar soll die Auslandshilfe für Haiti allein im ersten Jahr nach Aristides Rückkehr betragen, von denen 200 Millionen aus den Töpfen der US-Regierung kommen. Freigegeben werden die Gelder nur unter der Maßgabe, daß ein “solides wirtschaftliches Ambiente” garantiert ist. USAID, die US-amerikanische Entwicklungsorganisation, betont zwar, es sei ihr Ziel, “mehr wirtschaftliche Macht in die Hände von mehr Haitianern” zu legen. MitarbeiterInnen Aristides sehen die Rolle von USAID allerdings anders: “Alles, was passiert, geht von den USA aus. Die haitianische Regierung wird nicht gefragt.”
So sind etwa eine Million US-Dollar für einen Menschenrechtsfonds vorgesehen. Mit den Geldern sollen unter anderem auch Personen, Gruppen und Parteien unterstützt werden, um den Demokratisierungsprozeß auf Haiti nach vorn zu treiben. Welche Personen, Gruppen und Parteien das sind, entscheiden die USA.
Das seien sowohl “verantwortliche Elemente innerhalb der Volksbewegung” als auch “moderate duvalieristische Gruppen”, so USAID in einem vertraulichen Memorandum. Das ist ganz im Sinne der Funktionäre der rechtsextremen FRAPH (Front für die Förderung und den Fortschritt Haitis). Die Organisation, Handlangerin des Militärregimes und durchsetzt von den verhaßten attachés, hofft sich als politische Kraft der extremen Rechten auf Haiti etablieren zu können. Nicht wenige vermuten, die USA selbst wollten die FRAPH als politische Kraft in Haiti erhalten. Wenn die FRAPH nicht unter ihrem eigenen Namen als politische Partei auftreten wird, so wie es ihr Führer Emmanuel Constant – gefragt und ungefragt – ununterbrochen betont, dann wird sie sich eben neu erfinden. Die finanziellen Spritzen zum Aufbau einer neuen Struktur und für den Wahlkampf könnte sie dabei aus ihren traditionellen Quellen, der Armee und dem US-amerikanischen Geheimdienst CIA bekommen. Nichts Neues: In El Salvador hat die CIA den Aufbau der rechtsextremen ARENA-Partei maßgeblich unterstützt. Die Zeit arbeitet für die FRAPH, denn mit der Etablierung demokratischer Strukturen wird es auf Haiti wohl noch länger dauern. Smarck Michel verschob den Zeitpunkt der für Dezember geplanten Parlamentswahlen auf einen noch nicht festgelegten Termin im Februar nächsten Jahres. Und dann wird auch klarer sein, wohin die Reise für die haitianische Wirtschaft geht, denn just Ende Januar des nächsten Jahres treffen sich die internationalen Finanzorganisationen und die Regierung des Karibikstaates noch einmal in Paris. Auf der Tagesordnung steht nur ein Punkt: die Aktualisierung der Beschlüsse vom August.