Haiti | Nummer 247 - Januar 1995

Ein Präsident wird zum Claqueur

In der Wirtschaftspolitik haben die Neoliberalen das Zepter übernommen

Jean Bertrand Aristide scheint mehr und mehr zum bloßen Zuschauer in der Poli­tik jenes Staates zu werden, dessen Präsident er ist. In der Öffentlichkeit ist er nur noch selten zu sehen. Wenn er einmal den Weg nach außen sucht, ist er in einem Riesenpulk von BeraterInnen, viele davon aus den USA, kaum auszumachen. Die Kritik an “Titid” wächst. Gerade die Volksbewegung Lava­las, mit deren Unter­stützung er vor knapp vier Jahren fast über Nacht an die Macht geschwemmt wurde, wirft ihm Verrat vor. Nichts sei im Augenblick zu sehen von seinen Ideen eines neuen, gerechteren Haitis. Ganz Unrecht haben sie da nicht.

Martin Ziegele

Die versprochene tiefgreifende De­mokra­tisierung der haitianischen Ge­sellschaft ist nach wie vor eine Schi­märe. Ist es in den Städten und vor allem in Port-au-Prince noch gelun­gen, einen, wenn auch sehr schleppen­den, Prozeß des Auf­baus neuer Strukturen in Gang zu setzen, ist auf dem Land vielerorts noch alles so, wie es schon immer war. Zwar hat Ari­stide den ver­haßten Chefs de section mit Wirkung zum 1. Dezember nun auch for­mell alle Rechte entzogen, aber de facto ist deren Macht noch allgegenwärtig; nach wie vor sind pa­ramilitärische Kommandos unterwegs und terrorisieren die Bevölke­rung.
Wie ein Damoklesschwert schwebt über allem der katastrophale Zu­stand der hai­tia­nischen Wirtschaft. Und die Wirt­schaftspolitik gilt nicht gerade als das Steckenpferd des Jean Bertrand Aristide. So rückt ein Mann immer mehr in den Mittelpunkt der Macht: Der neue Premier Smarck Michel. Er hat sein Regie­rungs­pro­gramm für die nächsten Mo­na­te ganz und gar dem wirtschaftli­chen Wieder­aufbau des Landes verschrie­ben. Wen wundert’s, gilt der smarte Smarck doch als Mann vom Fach. Auf der Insel genießt der 57jährige schon lange den Ruf eines er­folgreichen Geschäftsman­nes. Seit Anfang der 60er ist er einer der Großen im Handel mit Nahrungs­mitteln, außerdem besitzt er im Nor­den des Landes eine Tankstelle. Zu­dem war er bereits 1991 einmal Indu­strie- und Handelsminister während der “ersten” Präsidentschaft Aristides. Al­lerdings mußte er damals der harten Kritik an sei­ner Politik der Preiskontrollen nach vier Monaten Tribut zollen; er trat zurück. Jetzt ist er wie­der da.
Der Weltmarkt fordert seinen Preis
Mit der Ernennung Michels zum Pre­mier ist deutlich geworden, wer in Haiti das Sagen hat. Die haitianische Industrie- und Handelskammer CCIH äußerte sich hoch­zufrieden mit der Er­nennung Michels, schließlich sei er ja “einer der ihren”. Vor allem aber den USA ist er ein Garant da­für, daß die haitianische Wirtschaft sich den Erfor­dernissen des Weltmarktes un­terwirft. Jetzt wird konkretisiert, was auf einem Treffen Ende August in Paris ausge­dacht worden war: Damals trafen sich die Exil-Regierung Aristide, Vertre­ter­In­nen der Weltbank, des In­ter­na­ti­o­na­len Währungsfonds IWF, der Interameri­kanischen Entwicklungsbank (BID) und anderer Finanzinstitutionen, um einen Wirtschaftsplan für die Zeit nach dem Militärregime zu entwickeln. Aristide und seine MitarbeiterInnen blieb nur die Rolle der Claqueure. Ein neoliberales Kernele­ment nach dem an­deren wurde in den Plan festgeschrie­ben: Verkauf von Staats­betrieben und öffentlichem Eigentum, dra­stische Re­duzierung der Auflagen für ausländi­sche Direktinvestitionen, Bezah­lung der Auslandsschulden und tiefe Schnitte bei den Sozialleistungen.
Als Ende November Michel und seine Fi­nanzministerin Marie-Michelle Rey den Rahmen für die Wirtschafts­politik des nächsten Jahres absteckten, war die Hand­schrift der Pariser Bera­tungen bis ins De­tail zu erkennen. Ei­nes der ersten Vorha­ben: die Halbie­rung des aufgeblähten Behördenappa­rates. Während der dreijäh­rigen Dik­tatur der Militärs hatte sich die­ser von knapp über 20.000 auf 43.000 Ange­stellte mehr als verdoppelt.
Ganz im Sinne der von der Weltbank geforder­ten “strukturellen Anpassung” der haitianischen Volkswirtschaft sollen Staats­betriebe, wie die Telefon- und die Elek­tri­zi­täts­gesellschaften, privati­siert, andere aber auch völlig abge­wickelt wer­den. Es gehe darum, so Michel, Haiti in die “internationale Wirtschaft zu integrie­ren”. Begriffe wie “Privatisierung” oder “Demokratisierung” vermeidet Michel in diesem Zusam­menhang. Viel lieber redet er von “Gleichsetzung”: “Alle sollen die­selbe Chance haben. Das bedeutet, wir werden Subventionen streichen. Wenn man ein Produkt subventioniert, sind es nur wenige, die davon profitieren – wir geben allen eine Chance.” Konkre­tisiert haben Michel und Rey noch wenig. Auch Schutzzölle sollen fallen. Es ist nicht schwer, sich auszumalen, was mit den haitianischen Kleinbauern und -bäuerin­nen passieren würde, soll­ten die Schutz­zölle vollständig dem Diktat der Welt­marktintegration ge­opfert werden. Es ist kaum vorstell­bar, daß sie mit ihren Pro­dukten – Mais und Reis – gegen die Weltmarkt­kon­kurrenz bestehen könnten.
Millionen Dollar – aber für was?
555 Millionen US-Dollar soll die Aus­landshilfe für Haiti allein im ersten Jahr nach Aristides Rückkehr betra­gen, von denen 200 Millionen aus den Töpfen der US-Regierung kommen. Freigegeben werden die Gelder nur unter der Maßgabe, daß ein “solides wirtschaftliches Am­biente” garantiert ist. USAID, die US-amerikanische Entwicklungsorganisation, betont zwar, es sei ihr Ziel, “mehr wirt­schaftliche Macht in die Hände von mehr Haitia­nern” zu legen. MitarbeiterInnen Ari­stides sehen die Rolle von USAID al­lerdings anders: “Alles, was passiert, geht von den USA aus. Die haitiani­sche Regie­rung wird nicht gefragt.”
So sind etwa eine Million US-Dollar für einen Menschenrechtsfonds vorgese­hen. Mit den Geldern sollen unter an­derem auch Personen, Gruppen und Parteien un­terstützt werden, um den Demokratisie­rungsprozeß auf Haiti nach vorn zu trei­ben. Welche Perso­nen, Gruppen und Par­teien das sind, entscheiden die USA.
Das seien sowohl “verantwortliche Ele­mente innerhalb der Volksbewe­gung” als auch “moderate duvalieristi­sche Grup­pen”, so USAID in einem vertraulichen Memorandum. Das ist ganz im Sinne der Funktionäre der rechts­extremen FRAPH (Front für die För­derung und den Fort­schritt Haitis). Die Organisation, Hand­langerin des Mi­litärregimes und durch­setzt von den verhaßten attachés, hofft sich als politische Kraft der extremen Rechten auf Haiti etablieren zu können. Nicht wenige vermuten, die USA selbst wollten die FRAPH als politische Kraft in Haiti erhalten. Wenn die FRAPH nicht unter ihrem eigenen Namen als politische Partei auftreten wird, so wie es ihr Führer Emmanuel Constant – gefragt und unge­fragt – ununterbrochen betont, dann wird sie sich eben neu erfinden. Die finanziel­len Spritzen zum Aufbau einer neuen Struktur und für den Wahlkampf könnte sie dabei aus ihren traditionel­len Quellen, der Armee und dem US-amerikanischen Geheimdienst CIA be­kommen. Nichts Neues: In El Salvador hat die CIA den Aufbau der rechtsex­tremen ARENA-Par­tei maßgeblich unterstützt. Die Zeit ar­beitet für die FRAPH, denn mit der Eta­blierung demokratischer Strukturen wird es auf Haiti wohl noch länger dauern. Smarck Michel verschob den Zeitpunkt der für Dezember geplanten Parlaments­wahlen auf einen noch nicht festgelegten Ter­min im Februar nächsten Jahres. Und dann wird auch klarer sein, wohin die Reise für die haitianische Wirtschaft geht, denn just Ende Januar des näch­sten Jahres treffen sich die internatio­nalen Finanz­organisationen und die Regierung des Ka­ribikstaates noch einmal in Paris. Auf der Tagesordnung steht nur ein Punkt: die Aktualisierung der Beschlüsse vom August.

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