Nummer 360 - Juni 2004 | Sachbuch

Ein spannendes Spannungsverhältnis

Das Lateinamerika Jahrbuch 27 widmet sich den Beziehungen zwischen den USA und Lateinamerika

Kein Jahrbuch über Lateinamerika kommt um die USA herum. Zu bedeutend ist der Einfluss des mächtigen Imperiums im Norden auf seine südlichen Nachbarn – ob ökonomisch, politisch oder kulturell. Dennoch hat es kurioserweise 27 Jahre gedauert bis das “Jahrbuch Lateinamerika” explizit seine Analysen den Beziehungen zwischen den USA und Lateinamerika widmete. Das Vorhaben darf als gelungen bewertet werden.

Marting Ling

Die Assoziation des Titels symbolisiert die Ambivalenz: “Unsere amerikanischen Freunde”. Nicht wenige subsumieren hier zu Lande unter Amerika und amerikanisch ausschließlich die USA, in kaum einem Medium wird konsequent zwischen US-amerikanisch und amerikanisch differenziert. In Lateinamerika undenkbar. Dort und in der Realität ist und war Amerika immer mehr als die USA und bei amerikanischen Freunden dürfte selten zuerst an die USA gedacht werden.
Das Jahrbuch Lateinamerika 27 geht den vielfältigen Aspekten der Beziehungen zwischen Lateinamerika und den USA auf den Grund, von der US-amerikanischen Solidaritätsszene über die Grundlinien US-amerikanischer Lateinamerika- und Globalpolitik bis hin zu den Migrationsbeziehungen. Länderbeiträge zu Argentinien, Brasilien und Ecuador komplettieren den Band.
Das spannungsreiche Verhältnis zwischen den USA und Lateinamerika auf nationalstaatlicher Ebene skizziert Urs Müller-Plantenberg anhand vier traditioneller Linien: der protektionistischen eines Alexander Hamilton, der multilateralistischen eines Thomas Jefferson, der militaristischen eines Andrew Jackson und der idealistischen von Woodrow Wilson, allesamt einflussreiche Politiker oder gar Präsidenten in der Zeit von 1789 bis 1921. Bis heute, so die These Müller-Plantenbergs, bestimmt ein Gemisch dieser Linien mit wechselnden Akzenten und Prioritäten die US-amerikanische Außenpolitik, beispielsweise folgte auf den eher multilateralen Clinton der militaristische Bush. Konstant bleiben der wechselnde Einfluss der Linien und die Dominanz der USA.
Die gilt derzeit auch im globalen Maßstab stärker denn je, wie Elmar Altvater in seinem herausragenden Beitrag unterstreicht. Altvater bettet die Rolle der USA in das aktuelle Globalisierungsszenario ein. Seit 1989 stehen die Zeichen mehr denn je auf Deregulierung der Märkte, forciert von Nationalstaaten, die die Interessen „ihrer“ Konzerne vertreten. Dem Nationalstaat kommt dabei die Aufgabe zu, die Hindernisse der Inwertsetzung aus dem Weg zu räumen, ob Sozialgesetzgebung oder sozialer Widerstand.
Für Altvater ist dies der Grund, warum sich die „Träger der ökonomischen Globalisierung mit der Staatsmacht, vor allem den militärischen Eliten, zu einem gemeinsamen Projekt“ verbinden. Im Falle der einzig verbliebenen Weltmacht USA äußert sich das in einer aggressiven Außenpolitik. Altvaters Urteil ist klar: „Das Projekt ist kriegerisch, es ist eklatant ungerecht, es ist ökologisch destruktiv. Es hat keine Zukunft.“
Die Zukunft Lateinamerikas, soviel ist sicher, wird sich auch weiterhin im Spannungsverhältnis zu den USA entfalten. Die konkrete Ausgestaltung der geplanten amerikanischen Freihandelszone ALCA wird darauf ebenso Einfluss nehmen wie die Entwicklung der legalen und illegalen Migration in Richtung USA und damit einhergehender Finanzströme in Richtung Lateinamerika. Die Entwicklung Lateinamerikas wird ambivalent bleiben. Dem Jahrbuch Lateinamerika braucht es um seine Zukunft hingegen nicht bange zu sein – Lateinamerika bleibt spannend, nicht zuletzt dank des kontinentalen Spannungsverhältnisses.

Jahrbuch Lateinamerika 27 (Hg.): Unsere amerikanischen Freunde. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2003, 214 Seiten, 20,50 Euro.

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