„Eine Sache von schreibenden Männern und Frauen“
Der Uruguayer Mario Delgado Aparaín meldet sich zu Wort
Zum jetzigen Zeitpunkt meines Lebens (47 Jahre) habe ich feststellen können, daß das Thema der Verbindung von Literatur und Politik das gemeinsame täglich Brot war, bei dem auch immer Europäer und Lateinamerikaner zusammenkamen. Gehen wir, ganz egal ob es nun ein ausdrücklich politisches Engagement in der Literatur gibt oder nicht, davon aus, daß letztendlich nichts anderes bleibt, als zwischen guter und schlechter Literatur zu unterscheiden. Groß war zu meiner Jugendzeit die Enttäuschung, als ich entdeckte, daß der Roman Hunger von Knut Hamsun zu einem Schriftsteller gehörte, der mit den Nazis sympathisierte. Heute allerdings kann Hunger auch der Lektüre eines Erwachsenen widerstehen: Das Buch bewegt mich nach wie vor.
Literatur, oder vielmehr literarisches Schaffen, ist eine Sache von Männern und Frauen, und kein Massenphänomen. Es ist offensichtlich, daß die Krise der orthodoxen und geopolitisch etablierten sozialistischen Welt mit dem Schluß gemacht hat, was ich weniger als engagierte sondern vielmehr als militante (1) Literatur bezeichnen würde. Innerhalb dieses Kontextes gab es in Lateinamerika mal exzellente, mal miserable Schriftsteller: Vielleicht war der große Rodolfo Walsh eines der besten Beispiel für die ersteren. Militante Literatur war in unseren Ländern immer mehr als nur politisiert – parteiisch eben. Und als solche fügte sie sich ein in einen wie geschmiert laufenden Mechanismus von Veröffentlichungen, Vertrieb und Lektüre. Militante SchriftstellerInnen und militante LeserInnen. Der Schriftsteller verschrieb sich mit all seinem Sein einer bestimmten Richtung des Schaffens und umgekehrt. Es ist offensichtlich, daß die Krise und das Verschwinden der Polarisierung wie man sie kannte, den kompletten Strukturrahmen, in dem sich der militante Schriftsteller bewegte, zum Einsturz brachte und die geleisteten Beiträge, in vielen Fällen auch ihn selbst mit sich riß.
Und dennoch bin ich der Meinung, daß das Engagement in einem tieferen Sinne, das mit der militanten Schreibweise durchaus Berührungspunkte haben konnte, weit davon entfernt ist, zu verschwinden. Es hat sich sogar verstärkt. Warum das? Weil es sich hier in erster Linie um eine Frage des Schaffens und nicht des Kämpfens dreht, wie sehr beides sich auch gegenseitig beinhaltet oder beinhaltet hat. Es ist, wie ich bereits erwähnte, eine Sache von schreibenden Männern und Frauen. Es handelt sich um eine aus dem Innersten kommende ethische Haltung des Schriftstellers gegenüber der Wirklichkeit. Einer Wirklichkeit mit Vergangenheit und Gegenwart, die gedacht werden können. Die Vorlage aller Literatur ist und wird auch in Zukunft der Mensch und dessen Stellung in der Welt sein. Und paradoxerweise stellt sich die Grobschlächtigkeit des überlebenden Systems durch die Tatsache, daß sich der Gegenpol unseren Augen entzogen hat, nur noch mächtiger und barbarischer zur Schau. Eine Grobschlächtigkeit, die die Natur des Menschen durch ihr maßloses Voranschreiten ihrer Grundlage beraubt und in ihr Gegenteil verkehrt – und ihre Schwächen riesenhaft werden läßt.
Obwohl es hochgestochen erscheinen mag, der Fall einer Utopie erscheint so, als hätten wir den Niedergang des Menschen selbst vor uns. Und das ist unmöglich.
Ich bin kein Katholik und werde auch nie einer sein. Aber ich habe den Verdacht, daß die Verbrechen und Grausamkeiten, welche die Heilige Kirche begangen und zugelassen hat, einen guten Katholiken, so sehr sie ihn auch schmerzen, enttäuschen und stöhnen lassen mögen, nicht daran hindern, seine Überzeugungen zu haben und wie ein guter Katholik zu handeln.
Was meinen und den Fall vieler SchriftstellerInnen angeht, kann ich behaupten, daß eine Krise des Engagements für den Traum von einem würdevolleren, gerechteren und solidarischeren menschlichen Dasein in keinster Weise existiert. Was mir allerdings beständig schlaflose Nächte bereitet, ist, daß mich diese lebenswichtige Haltung eines Engagements für die Natur des Menschen und den Traum von einer Welt, die nicht gerade diese hier ist, mich nicht dazu verführt, schlechte Literatur zu schreiben.
Übersetzung: Markus Müller
(1) Der spanische Begriff militante meint die Unterstützung eines konkreten politischen Kampfes mit literarischen Mitteln.
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Leserbrief
Liebe LN!
Eure neue (alte) Debatte über Literatur und Politik ist wichtig und richtig, und ich werde Sie mit Interesse verfolgen. Aber bitte schaut Euch in der letzten Ausgabe die Seite 30 und dort den ersten Absatz einmal in aller Ruhe an. Da ist von (k)einer Sonderrolle für „LITERATEN“ die Rede. Ohne den Autoren zu nahe treten zu wollen – aber diese Wortwahl ist erkennbar geschichtslos, naja, so ein dolles Wort geht einem auch leicht von der Hand. Aber auch Sprache hat ihre Geschichte, und da alles mit den Worten steht und fällt, die die Menschen und die Dinge von uns erhalten, will ich nicht darüber hinweggehen. LITERATEN hat sich als ausgesprochen abschätziger Terminus innerhalb der deutschsprachigen Literaturgeschichte etabliert. Er wurde im Rahmen der 20er Jahre negativ besetzt – und zwar von den Repräsentanten einer konservativen oder auch reaktionären Literatur, die sich als „Dichter“ (als Vertreter der Kultur) von den „Literaten“ (den Vertretern der Zivilisation, den Großstadtliteraten, den „Gleichmachern“, den „Demokraten“, den „schmutzigen Wortverhunzern“, wie es Erich Kästner und Tucholsky und andere in deren Augen waren) absetzen wollten. Also: LITERATEN ist ein denunziatorisch besetzter Begriff aus der Mottenkiste des deutschen literarischen Konservatismus und ist daher, gleich im ersten Absatz Eures Artikels, nicht nur fehl am Platze, sondern auch unnötig irritierend.
Viele Grüße!
Michael Rieger, Paderborn