„Eine Tür in Richtung Frieden“
Nach einer Einigung über Fragen politischer Partizipation gehen die Verhandlungen zwischen FARC und kolumbianischer Regierung weiter
Die Friedensverhandlungen begannen im Herbst 2012, zehn Jahre nachdem die letzten Gespräche zwischen FARC und der damaligen Regierung unter Andrés Pastrana im kolumbianischen San Vicente de Caguán gescheitert waren. Zum ersten Mal wird nun auch die Entwaffnung der Guerillakämpfer_innen verhandelt. Ziel ist, anhand von fünf Diskussionspunkten einen dauerhaften Friedensprozess in Kolumbien einzuleiten.
Nach zähen Verhandlungen verkündeten die Repräsentant_innen von FARC und Regierung im Mai 2013 eine Einigung im ersten Punkt der Agenda, der Agrarreform. Das Thema der Landverteilung gilt als Dreh- und Angelpunkt, um den bewaffneten Konflikt zu lösen. Bis heute befinden sich laut einem Bericht der Vereinten Nationen mehr als 50 Prozent des Landes in den Händen von 1,15 Prozent der Bevölkerung. Der Landkonflikt zieht sich durch die letzten Jahrzehnte der kolumbianischen Geschichte – die FARC hatten sich 1964 gerade wegen dieser Problematik aus einer ursprünglich bäuerlichen Selbstverteidigungsgruppe gegründet.
Doch bereits kurz nach der Einigung im Juli 2013 unterzeichnete die Regierung ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union, das als Fortsetzung ihrer bisherigen Wirtschaftspolitik gesehen werden kann und die ungleiche Landverteilung eher zementiert als auflöst. Wenige Tage nach Inkrafttreten der Freihandelsbeschlüsse legte daher ein landesweiter Agrarstreik große Teile Kolumbiens lahm. Unzählige weitere Berufsgruppen und soziale Bewegungen solidarisierten sich mit den bäuerlichen Protesten, sodass die Regierung keine andere Lösung sah, als Teile der Bestimmungen zurückzunehmen. Nicht jedoch, ohne vorher die Proteste gewaltsam niederzuschlagen und die Hauptstadt Bogotá mit 50.000 Soldat_innen besetzen zu lassen – was einem faktischen Ausnahmezustand gleichkam. Abilio Peña, Aktivist der ökumenischen Nichtregierungsorganisation Justicia y Paz (Gerechtigkeit und Frieden), kommentierte dies kürzlich auf einer Veranstaltung in Berlin mit den Worten: „Die Verhandlungen sind eine Tür, die sich in Richtung Frieden öffnet. Man sollte meinen, auch die Politik will den Frieden. Aber die Niederschlagung sozialer Proteste lässt uns immer wieder daran zweifeln.“
Genau jene Kriminalisierung des zivilen Protests war dann einer der Hauptdiskussionsgegenstände bei der Verhandlung des zweiten Punkts der Friedensagenda. Nach Ablauf der mittlerweile 16. Gesprächsrunde verkündeten Vertreter_innen der FARC und der Regierung Anfang November eine Einigung im Bereich der politischen Partizipation (siehe dazu die Interviews in der aktuellen Ausgabe). Vor allem die Sicherheitsgarantien und Rechte für oppositionelle Parteien waren lange diskutiert worden. Die FARC-Guerilla beharrte auf der Entkriminalisierung des sozialen Protests und einer stärkeren Kontrolle der staatlichen Spezialeinheit zur Aufstandsbekämpfung (ESMAD). Letztere kam auch im Zusammenhang mit den Agrarprotesten zum Einsatz und ist laut internationalen Menschenrechtsorganisationen für ihre extreme Gewaltbereitschaft bekannt. In den erst teilweise veröffentlichten Entwürfen des gemeinsamen Berichts werden verschiedene Methoden vorgeschlagen, um soziale Bewegungen verstärkt in die Politik mit einzubeziehen. Dennoch bemängeln Vertreter_innen der Zivilgesellschaft, dass die Bevölkerung immer noch nicht ausreichend am Friedensprozess beteiligt werde. Iván Marquéz, Vertreter der FARC, betonte, es müsse Raum gelassen werden, damit „die Öffentlichkeit die definitive Ausrichtung [der politischen Partizipation] vorgeben“ könne. Auch sitzt die zweitgrößte Guerillaorganisation Nationale Befreiungsarmee (ELN) trotz gegenteiliger Bekundungen ihrerseits noch immer nicht mit am Verhandlungstisch.
Überschattet wurden die Verhandlungen von Anfang an von einer Reihe militärischer Auseinandersetzungen zwischen den FARC und dem kolumbianischen Militär. Trotz einer zu Beginn des Prozesses vereinbarten Waffenruhe kam es seit Anfang 2013 immer wieder zu gewaltsamen Offensiven zwischen Militär und FARC, in deren Verlauf Opfer auf beiden Seiten zu beklagen waren. So wurde die Glaubwürdigkeit des Friedensprozesses immer wieder nachhaltig untergraben.
Dennoch verkündete die linke Partei Patriotische Union (UP) kurz nach der Veröffentlichung der Entwürfe zur politischen Partizipation, dass sie wieder auf die politische Bühne treten werde. Die Partei war in Zusammenhang mit Amnestievereinbarungen 1984 unter anderem aus dem politischen Arm der FARC und der kommunistischen Partei hervorgegangen. Seit Ende der 1980er Jahre war sie einer beispiellosen Verfolgung ausgesetzt. Neben ihren beiden Präsidentschaftskandidaten Bernardo Jaramillo und Jaime Pardo Leal wurden mehr als 5.000 ihrer Mitglieder ermordet; die Mehrzahl von Paramilitärs. Nachdem sie ihre Spitzenkandidat_innen verloren hatte, versank die UP in den 1990er Jahren in der politischen Bedeutungslosigkeit, bis ihr 2002 die Anerkennung als Partei entzogen wurde. Durch einen langen juristischen Prozess hat sie diese nun wiedererlangt und will im nächsten Jahr mit der Kandidatin Aída Abella zur Präsidentschaftswahl antreten. Seit einem Attentatversuch im Jahr 1996 hatte Abella im Exil in Genf gelebt. Piedad Cordóba, Vertreterin der Basisorganisation Marcha Patriótica, verkündete: „Aída ist ein Hoffnungssymbol. Ihre Kandidatur ist ein Symbol der Würde und zeigt, dass der Frieden tatsächlich in greifbare Nähe rückt. Es ist ein Schritt zur Einheit aller linken Bewegungen“. So wird, auch wenn das geltende Wahlrecht Koalitionen verbietet, aktuell die Möglichkeit einer gemeinsamen Kandidatur der drei linken Parteien nicht ausgeschlossen: UP, die Grüne Partei und der demokratische Pol (PDA) könnten demnach gemeinsam antreten.
Kürzlich begannen nun die Diskussionen zum eigentlich vierten Punkt der Friedensagenda, der Drogenpolitik. Die anderen beiden Themen, die Entschädigungen der Opfer des bewaffneten Konfliktes und die Demobilisierung der bewaffneten Gruppen, wurden bereits im Rahmen der bisherigen Verhandlungen teilweise verhandelt, aber nicht abgeschlossen. Angesichts der Wahlen im kommenden Frühjahr gerät die Regierung Santos nun zunehmend unter Zeitdruck.