Film | Nummer 425 - November 2009

Eine Tür zur Gerechtigkeit

Interview mit María Teresa Curzio über ihren Film Vacuum

Maria Teresa Curzio wurde 1968 in Montevideo, Uruguay, geboren. Ihre Leidenschaft für den Film entdeckte sie erst nach Ausbildungen als Schauspielerin, Malerin und Goldschmiedin. 1997 verließ sie Uruguay, um nach verschiedenen Arbeiten und Ausbildungen in Europa zu landen. Seit 2003 lebt sie in Berlin. Heute arbeitet sie als Autorin, Regisseurin und Produzentin. Vacuum ist ihr erster abendfüllender Dokumentarfilm.

Interview: Raphael Schapira

Ihr Dokumentarfilm Vacuum ist ein sehr persönliches Zeugnis über Uruguay, die Zeit vor, während und nach der Diktatur und über Menschen, die für ihre Ideale kämpften und kämpfen. Wie entstand die Idee zu diesem Film?
Vacuum ist vor allem ein Film über Themen, die in erster Linie meinen Herkunftsort betreffen. Ich wuchs in der Zeit der Diktatur auf, und erst als ich 17 Jahre alt war, endete die Diktatur. Ich habe also als Jugendliche nie ein Land ohne Diktatur gekannt. Für mich war es sehr wichtig zu wissen, was damals wirklich passiert war. Es ist ein Film, den ich mir selber schuldete und darum ist es ein sehr persönlicher Film. Aber ich glaube auch, dass das Thema des Films die uruguayische Erfahrung transzendiert und uns helfen kann, über die Natur von allen Kriegen, die es auf der Welt gibt, zu reflektieren. Ich glaube, dass alle Kriege, Diktaturen und Ungerechtigkeiten etwas gemeinsam haben und es sind diese generellen Charakteristiken, über die wir nachdenken müssen. Über ihre Herkunft, über die Motive, über die Akteure dieser Kriege und über die Verantwortung, die jeder von uns hat. Auch wenn man es nicht glaubt, weil man immer gleich denkt, es gebe keine Möglichkeit, etwas zu beeinflussen, aber so ist es nicht. Wir alle haben, auch wenn es nur kleine Entscheidungen im alltäglichen Leben sind, die Möglichkeit uns in einer bestimmten Art und Weise auszudrücken. Deshalb habe ich diesen Film gemacht.

Mit dem Sieg der Frente Amplio bei den Wahlen 2004 hat es in Uruguay einige Veränderungen gegeben, was die Aufarbeitung der eigenen Geschichte angeht. Beispielsweise wurde per Gesetz die vollständige Aufarbeitung aller Fälle von Verschwundenen durchgesetzt und in einem fünfbändigen Werk, der Investigación Histórica sobre Detenidos Desaparecidos, zusammengefasst. Wie sehen Sie diese Entwicklungen?
Die demokratischen Institutionen wurden im Laufe der Jahre teilweise wiederhergestellt. Aber Spuren, wie das Gesetz Ley de Caducidad de la Pretensión Punitiva del Estado, das so genannte Amnestiegesetz, über das jetzt im Oktober in einem Volksentscheid abgestimmt werden wird, gibt es nach über 20 Jahren immer noch; dieses Gesetz, das den Staat daran hindert, die während der Zeit der Diktatur geschehenen Verbrechen zu untersuchen. Diese Dinge sehe ich als Spuren an, Dinge, die aus dieser Zeit bleiben, mit Folgen bis in die Gegenwart. Die Angelegenheit der Verschwundenen muss aufgedeckt werden, es muss Transparenz geben und aufgeklärt werden, wer, wie, wo und warum verschwunden ist. Die Fälle sind registriert, aber das Problem ist, dass dieser Regierung Informationen fehlen. Es gibt mehr als 200 Verschwundene und nur sehr wenige wurden gefunden. Ich glaube, sie werden weiter suchen müssen. Aber dass dieses Gesetz, das die Hauptakteure der Repression beschützt, aufgehoben wird, das scheint mir sehr wichtig zu sein, weil es befreien und eine Tür öffnen würde, um Gerechtigkeit zu erlangen und um ohne Hindernisse zu untersuchen, was wirklich passiert ist.

Eine Konstante ihres Films ist die Auseinandersetzung mit der Angst. Aber ich frage mich, was deren Inhalt ist. Wenn es nicht die Angst vor etwas Zukünftigem ist beispielsweise einer erneuten Militärdiktatur, etwas das sehr unwahrscheinlich ist, warum wirkt dann noch die Angst aus dieser Zeit nach?
Für mich ist dieses Thema so komplex, dass ich diesen 90-minütigen Film gemacht habe. Er handelt von der Angst. Einige Elemente der Angst sind die direkte Angst, die jemand gegenüber dem haben kann, was er erlebt hat. Es gibt aber auch Ängste, die sich übertragen, die nicht verbalisiert werden, wie ‚Sie beobachten uns, es kann etwas passieren, misch dich nicht ein.’ Und auch die Ängste vor Wiederholungen: ‚Du musst dich gut benehmen, denn wenn du dich schlecht benimmst, können sie noch einmal kommen.’ Aber das ist eine sehr oberflächliche Art und Weise, diese Angst zu beschreiben. Ich glaube es hat noch viele andere Facetten, die in dem Dokumentarfilm beschrieben werden. Anne-Marie sagt in dem Film, dass die Uruguayer Angst haben. Man müsste sie fragen, was sie unter dieser Angst versteht, denn sie ist in Schweden geboren und denkt das. Ich glaube, wenn jemand eine gewalttätige traumatische Erfahrung gemacht hat, hat er natürlich Angst. Der Archäologe in dem Film sagt etwas was mir sehr interessant erscheint: ‚Es gibt Dinge, die durch alle Lagen eines komplexen Problems gehen.’ Es sind Dinge, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden und voranschreiten. Aber ich glaube, dass diese Übung, Sachen zu verbalisieren, dafür sorgt, dass diese Angst sich auflöst.

Ihr Film ist kurz vor den Wahlen und der Volksabstimmung über die Annullierung des Amnestiegesetzes erschienen. Ist das Ihr Beitrag zur Mobilisierungskampagne?
Der Sinn des Films liegt für mich, mit oder ohne Volksabstimmung, vor allem im Nachdenken über die Geschehnisse in Uruguay und über die Kriege, die es auf der Welt gibt. Die ganze Zeit wird in der deutschen und der uruguayischen Erinnerungskultur darüber gesprochen, dass sich die Dinge nicht wiederholen dürfen. Aber tatsächlich wiederholen sich in der menschlichen Geschichte die Dinge die ganze Zeit – und ich frage mich, warum das geschieht? Denn ich habe diesen utopischen Wunsch, dass sich der menschliche Charakter ändern kann, dass wir als Individuen ausreichend großmütig sein können, damit diese Dinge nie wieder geschehen. Ich glaube, dass der einzig mögliche Weg dahin ist, auch wenn es total verrückt erscheint, dass sich jeder von uns im Inneren sich ändert. Und wir von Generation zu Generation weitergeben, dass es andere Werte gibt, als die, dem anderen mit dem Stock eins überzuziehen, um für sich das größere Stück zu behalten.


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